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26.01.01 , 10:04 Uhr
SPD

Jürgen Weber zu TOP 14: Beschäftigung von Zwangsarbeitern

Sozialdemokratischer Informationsbrief


Landtag Kiel, 26.01.01
aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn

Jürgen Weber zu TOP 14:

Beschäftigung von Zwangsarbeitern

Am 7.Juli 2000 hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Errichtung der Stiftung “Erinne- rung, Verantwortung und Zukunft” beschlossen. Ziel war es, die Voraussetzungen für eine schnelle und unbürokratische Entschädigung von Zwangsarbeitern zu schaffen. Insgesamt sollen 10 Milliarden DM zur Verfügung gestellt werden, je zur Hälfte von der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft. Nach langen Diskussionen ist damit endlich eine Lösung er- reicht, die den ausländischen Sklaven- und Zwangsarbeitern des NS-Regimes eine finanzielle Entschädigung zukommen lässt.

Seit der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges wurden in rasch zunehmendem Umfang Men- schen aus allen besetzten Gebieten ins Deutsche Reich verbracht, um für die Kriegswirtschaft ausgebeutet zu werden - Zivilarbeiter wie Kriegsgefangene. Die allermeisten von ihnen kamen unfreiwillig mit Hilfe ständig wachsender Gewaltmaßnahmen - auch nach Schleswig-Holstein.

Nimmt man alle ausländischen sog. Fremdarbeiter, die Kriegsgefangenen und ausländischen KZ-Häftlingen, die in unserem Land arbeiten und großenteils leiden mussten, zusammen, sprechen wir von über 200.000 Menschen. Die Zahl der Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein lag damit um ein Drittel über dem Reichsdurchschnitt. Besonders stark vertreten waren Polen und die sog. “Ostarbeiter”, also Bürger der Sowjetunion, die aus rassistischen Motiven be- sonders schlecht behandelt wurden.

Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



Knapp die Hälfte der ausländischen Arbeitskräfte war in der Landwirtschaft beschäftigt. In 9 von 10 bäuerlichen Betrieben arbeiteten Ausländer. Zwangsarbeit war also im ganzen Land und für jeden sichtbar präsent. Ein gutes Drittel war in der Rüstungsindustrie und bemerkens- werte 10% im öffentlichen Dienst, also bei Kommunen, Kreisen oder der Provinzialverwaltung untergebracht.

Es gibt z.Z. in keinem Bundesland eine bessere Daten- und Wissenslage über Zwangsarbeit als in Schleswig-Holstein, besonders dank des Gutachtens des Instituts für Zeit- und Regio- nalgeschichte in Schleswig.

Über viele Jahre hinweg haben sich im Nachkriegsdeutschland die Menschen kaum für das Schicksal der Zwangsarbeiter interessiert. Gerade in Schleswig-Holstein, in dem manche NS- Karrieren im Staats- und Justizapparat nach 1945 erstaunlich bruchlos weitergeführt werden konnten, war das Thema der Opferentschädigung immer ein schwieriges.

Die Geschichte der Entschädigung der NS-Opfer ist ohnehin ein trauriges Kapitel der deut- schen Nachkriegsgeschichte. Lange blieben viele Verfolgte und Gequälte ausgeklammert: sogenannte Asoziale, Homosexuelle, geistig Behinderte, Kommunisten und andere mehr.

Viele Zwangsarbeiter wurden in Deutschland geschunden oder schlicht ermordet. Manche hatten es besser, kamen über die Runden. Und natürlich gibt es auch Beispiele für menschli- che Behandlung. Doch allen diesen Menschen wurde ein wichtiger Teil ihres Lebens geraubt, alle waren erniedrigt und der Macht ausgeliefert, alle waren aus der Heimat gerissen, von ih- ren Familien getrennt. Es verwundert nicht, dass manchen der ehemaligen Zwangsarbeiter die Anerkennung des ihnen zugefügten Unrechts noch wichtiger ist als die vergleichsweise geringe materielle Entschädigung. Es verwundert nicht. Es beschämt.
Die Stiftungsinitiative für Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter, die von allen Bundestags- fraktionen mitgetragen wurde, stellt mit der Beteiligung der öffentlichen Hand von 5 Mrd. DM einen großen finanziellen Kraftakt dar. Um so bedenklicher stimmt es, dass am gleich hohen -3-



Anteil der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft nun über Monate hinweg immer noch 1,4 Mrd. fehlen.
Gerade deshalb steht es uns gut zu Gesicht, das Engagement derjenigen 150 Betriebe im Land zu würdigen, die sich zu ihrer und unserer historischen Verantwortung bekennen.
Wir appellieren heute an alle Unternehmen und die Landwirtschaft in Schleswig-Holstein, sich an der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zu beteiligen – unabhängig davon, ob diese Unternehmen in der jetzigen Form bereits existierten.
Der Respekt vor den noch lebenden Opfern gebietet es, vorhandene Informationen, bei- spielsweise aus Firmenarchiven, zur Verfügung zu stellen, um die laufenden Entschädigungs- verfahren zu beschleunigen. Die oft hochbetagten Menschen müssen laut Stiftungsgesetz die Leistungsberechtigung nachweisen. Ihnen dies zu erleichtern, muss uns allen Verpflichtung sein.
Die jetzt gefundene Regelung definiert drei Gruppen von Leistungsberechtigten: - zum einen diejenigen, die in einem Konzentrationslager oder unter vergleichbaren Bedin- gungen zur Arbeit gezwungen wurden, - zweitens Deportierte, die inhaftiert oder haftähnlichen Lebensbedingungen unterworfen waren, - und schließlich drittens alle übrigen, die entschädigt werden können, aber nicht müssen - zynisch gesagt - die “minder schweren Fälle”.
Es gehört wenig Phantasie dazu zu vermuten, dass die Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft zur dritten Kategorie geschlagen werden und weitgehend leer ausgehen. Die Entscheidung über die Vergabe der Entschädigungsmittel nach dem Grad der Verfolgung wurde den Opfer- verbänden übertragen. Ich bin nicht davon überzeugt, dass das richtig war. Das Ausklammern der Zwangsarbeit auf dem Land gilt leider auch für viele dieser Verbände. Wer selbst in den Rüstungsbetrieben dem Programm “Vernichtung durch Arbeit” ausgeliefert war, mag ein ver- harmlosendes Bild von Zwangsarbeit auf dem Land im Kopf haben. -4-



Die aggressiven Reaktionen amerikanischer Opferanwälte auf entsprechende vorsichtige Ein- lassungen des Beauftragten der Bundesregierung Graf Lambsdorff nähren diese Befürchtun- gen.
Gerade weil Sorge besteht, dass viele Zwangsarbeiter, die in Schleswig-Holstein waren, keine oder kaum Entschädigung erhalten werden, ist es unsere Verpflichtung, das wenige zu tun, was wir vermögen: - uns zur Verantwortung für dieses Kapitel unserer Geschichte zu bekennen - die Opfer um Vergebung für begangenes Unrecht zu bitten - diejenigen zu würdigen, die sich an Entschädigungszahlungen beteiligen - und jedermann im Lande zu ermuntern, frühere Opfer als Gäste zu empfangen.
Nur wenn wir unseren Teil an historischer Verantwortung leben, können wir uns guten Gewis- sens gegen jene zur Wehr setzen, die unter Leugnung und Verdrehung der Geschichte heute wieder Rassismus, Gewalt und Fremdenhass predigen.
Mit unserer heutigen Resolution im Landtag schlagen wir auch eine Brücke zu dem, was mor- gen aus Anlass der 56. Wiederkehr des Tages der Befreiung von Auschwitz bekundet werden wird: Den Anfängen von Intoleranz, Gewalt und Rassismus zu wehren. Auch dieser demokra- tischen und zutiefst humanistischen Verpflichtung soll unsere heutige Resolution dienen.

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