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Lothar Hay zu TOP 11: Reform des Betriebsverfassungsgesetzes
Sozialdemokratischer InformationsbriefLandtag Kiel, 22.02.2001aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: RedebeginnLothar Hay zu TOP 11:Reform des BetriebsverfassungsgesetzesAuf Grund Ihres Antrages diskutieren wir heute ein Thema, dessen Zuständigkeit ein- deutig beim Bund liegt und das auch durch den Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist. Ich will aber für meine Fraktion die Gelegenheit gerne nutzen, um unsere grund- sätzliche Position zur Reform der Betriebsverfassung deutlich zu machen.Ihr Antrag könnte den Eindruck erwecken, als ginge es bei dem Betriebsverfassungs- gesetz allein ums Geld, als sei die Frage von Beteiligung und Demokratie in den Be- trieben nur unter finanziellen Gesichtspunkten zu bewerten. Dies können Sie, Herr Ku- bicki, eigentlich nicht ernst meinen, denn damit würden Sie letztlich der Rückkehr zu patriarchalischen Strukturen in Unternehmen das Wort reden. Dies aber widerspricht jeder modernen Philosophie von Unternehmensführung und Beteiligung der Mitarbei- ter. Unternehmenserfolg ist heute abhängig von der Beteiligung der Mitarbeiter, von ih- rem Einsatz, von ihren kreativen Ideen und von ihrer Einbeziehung in die Weiterentwicklung des Unternehmens.Wer die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes – im Jahre 1972 durch die sozial- liberale Koalition auf den Weg gebracht – zurückführen möchte in die 50er Jahre, der wird auf den entschiedenen Widerstand der Sozialdemokratie treffen. Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-Die betriebliche Mitbestimmung in Deutschland ist ein bewährtes Element der sozialen Marktwirtschaft. Kluge Unternehmer wissen, dass die Betriebsverfassung in Deutsch- land ein Standortvorteil ist. Das vielerorts diskutierte Co-Ma-nagement zwischen Be- triebsrat und Unternehmensleitung hilft Friktionen zu beseitigen, Probleme rechtzeitig zu erkennen und die Beschäftigten in die Zukunftsorientierung des Unternehmens und dessen Zielsetzungen einzubinden.Während sich die technologischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Bedingun- gen der Unternehmen stark verändert haben, ist das Betriebsverfassungsgesetz seit mehr als 25 Jahren im wesentlichen unverändert geblieben. Es ist deshalb an der Zeit, die Betriebsverfassung zu modernisieren, zukunftsfähig zu machen und dabei auf neue unternehmerische Organisations- und Arbeitsformen einzugehen.Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt den vom Bundeskabinett in der vergangenen Wo- che verabschiedeten Gesetzentwurf zur Novellierung der Betriebsverfassung. Wenn jetzt viele Unternehmer Zeter und Mordio schreien, als sei durch die nun moderaten Änderungen ihre Existenz bedroht, muss man sich die Mühe machen, einmal genau darauf zu sehen, wo denn tatsächlich eine Betroffenheit durch die Neuregelungen ge- geben ist.Wenn der Unternehmensverband Nord in den Kieler Nachrichten davon ausgeht, dass 120 Unternehmen in der Größenordnung zwischen 200 und 300 Mitarbeitern von der Neuregelung betroffen seien und darauf aus einer höheren Zahl von freigestellten Be- triebsräten eine Belastung von 12 Mio. Mark im Verhältnis zu einer geplanten Investiti- onssumme von 300 Mio. Mark errechnet, dann ist dabei eine Menge unberücksichtigt geblieben.Erst einmal ist die Frage zu stellen, ob es denn in den betroffenen Firmen tatsächlich Betriebsräte gibt. Zweitens muss darauf hingewiesen werden, dass in vielen Betrieben dieser Größenordnung heute schon Betriebsratsmitglieder teilweise für ihre einzelnen Tätigkeiten freigestellt werden. Folglich kann und darf man es sich nicht so einfach -3-machen wie die Unternehmensverbände in ihrer fiktiven Rechnung. Die Kosten sind mit 100.000 Mark pro zusätzlich freigestelltem Betriebsratsmitglied viel zu hoch ange- setzt.Auf das Handwerk wirkt sich die Neuregelung kaum aus. Nur 1 Prozent der Hand- werksbetriebe beschäftigen mehr als 100 Arbeitnehmer. Es überrascht deshalb, dass gerade aus diesem Bereich besonders wagemutige Kostenschätzungen kommen.Eine aus unserer Sicht ebenfalls bedauerliche Tendenz ist, dass heute nur noch 35 Prozent der Beschäftigten durch Betriebsräte vertreten werden, während es 1980 noch 50 Prozent waren. Auch diese Zahl macht die Fragwürdigkeit der Berechnungen der Unternehmensverbände deutlich.Die SPD-geführte Landesregierung hat seit 1988 vieles dafür getan, die Mitbestim- mung gerade im Öffentlichen Dienst erheblich zu verbessern. Hier gehören wir bun- desweit zu Schrittmachern. Darauf sind wir zu Recht stolz. Wir sehen uns in einer posi- tiven Tradition der Stärkung von Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnen-Rechten.Die SPD-Landtagsfraktion unterstützt die Neuregelung aus grundsätzlichen Erwägun- gen, weil wir wissen, dass das Betriebsverfassungsgesetz und auch die Arbeit der Be- triebsräte ein wesentlicher Faktor für die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesre- publik Deutschland ist. Sie ist ein Garant für den sozialen Frieden und ein nicht zu un- terschätzender Produktivfaktor in Deutschland. Unternehmer, die nicht selten auf die geringe Zahl von Streiktagen in Deutschland mit einem gewissen Stolz hingewiesen haben, sollten nicht vergessen, den Zusammenhang mit dem Betriebsverfassungsge- setz und der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im gleichen Atemzuge zu erwähnen.Wenn nun von Unternehmerseite die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes kriti- siert wird, so scheinen mir dort all diejenigen an der Spitze zu stehen, die mit eben diesem Instrument gar keine Erfahrung haben. Bei denjenigen nämlich, die mit Be- triebsräten vertrauensvoll zusammenarbeiten, ist die Wahrnehmung auch im Unter- -4-nehmerlager eine andere. Eine vom Wirtschaftsmagazin IMPULSE und der Dresdener Bank in Auftrag gegebene Mittelstandsstudie, in der rund 1.000 mittelständische Füh- rungskräfte nach ihren Erfahrungen mit Betriebsräten gefragt wurden, ergab folgen- des: Nur jeder 10. der nach dem Gesetz betriebsratspflichtigen Betriebe hatte einen Betriebsrat. Aber dort, wo die Betriebsräte existieren, gaben 65 Prozent der befragten Führungskräfte ihr Verhältnis zu ihnen als gut oder sehr gut an, ein Viertel der Befrag- ten sagten, das Verhältnis zum Betriebsrat sei mal so und mal so, nur insgesamt 5 Prozent der befragten mittelständischen Führungskräfte gaben an, das Verhältnis zum Betriebsrat sei schlecht oder sehr schlecht. Da dieses Meinungsbild ganz offen demje- nigen ähnelt, das sich auch bei Vertretern des Managements großer Kapitalgesell- schaften ergeben hat, kann der Schluss doch nur lauten, Betriebsräte sind nicht immer bequem, aber sie sind anerkannt.Ich habe in den vergangenen Tagen Gespräche mit den Gewerkschaften zum Thema geführt. Das Ergebnis war, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung begrüßt wird. Die Gewerkschaften halten in verschiedenen Einzelpunkten jedoch weitergehende Lö- sungen für wünschenswert. Auch mit dem Unternehmensverband werden wir in den nächsten Tagen Gespräche führen und dabei auch das Thema Betriebsverfassungs- gesetz ansprechen. Wenn es denn Hinweise auf sinnvolle Änderungen gerade im Be- reich der betrieblichen Praxis geben sollte, werden wir nicht zögern, dies in Berlin in die Debatte einzubringen.Ich bin mir sicher, dass nach den anstehenden Anhörungen in Berlin der Gesetzent- wurf sicher noch die ein oder andere Veränderung erfahren wird. Man kann Befürwor- ter und Kritiker nur auffordern, die ideologische Stellung zu verlassen und sich mit dem zu beschäftigen, was das Betriebsverfassungsgesetz tatsächlich bewirken kann.Die Tatsache, dass das Thema am 4. März im Bündnis für Arbeit angesprochen und diskutiert werden soll, lässt mich doch hoffen, dass zu einer Sachdebatte zurückge- kehrt werden kann. Ein Zurück vor 1972 und ein Zurück hinter die entscheidenden E- lemente des jetzt vorliegenden Entwurfs wird es mit der SPD nicht geben. -5-