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Friedrich-Carl Wodarz zu TOP 2, 28 und 30: Situation nach BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie)
Sozialdemokratischer InformationsbriefLandtag Kiel, 22.03.2001aktuell Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: RedebeginnFriedrich-Carl Wodarz zu TOP 2, 28 und 30:Situation nach BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie)BSE - das war lange der Aufmacher, der Schocker, eine Horrorvision. Es ist nicht bes- ser geworden, denn Maul- und Klauenseuche ist dazugekommen. Allerdings ist die Diskussion über das Problem sachlicher und teilweise tiefgründiger geworden. Zur Versachlichung gehört auch die Tatsache, dass BSE nichts mit der Größe eines Be- triebes zu tun hat, aber sehr wohl mit Fütterungsstrategien.Ein landwirtschaftlicher Betrieb, der von BSE betroffen ist, hat selten unsachgemäß gewirtschaftet, er ist meist der Leidtragende am Ende einer Kette aus Ignoranz, Miss- achtung des Tieres als Mitgeschöpf, Profitgier, Regelungsversäumnissen und Regel- verstößen sowie Verbrauchern, die bei den Dingen, die nun wirklich zum Lebensunter- halt notwendig sind, den Nahrungsmitteln, oft jede Sorgfalt außer acht lassen und nach dem Billigsten greifen. Damit ist aber nur ein Teilaspekt beschrieben.Nun hat die Schwachstellenanalyse ja Schwachstellen bei den Lebensmittel- und Fut- termittelkontrollen aufgedeckt. Das ist gut. Uns liegen schriftliche Berichte vor, und die Ministerpräsidentin hat in ihrer Rede deutlich gemacht, wo wir handeln bzw. zu Verän- derungen kommen müssen. Man wird die Kontrollen effektivieren müssen, z. T. sind ja schon zusätzliche Mitarbei- ter eingestellt worden, nur wäre es ein grundlegender Fehler, wenn man annähme, wir Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-könnten das Problem BSE mit staatlichen Kontrollen lösen. Das Bauernblatt schreibt – und der Bericht bestätigt den Verdacht –, dass zwischen 1994 und 1997 Tiermehle nach Deutschland eingeführt worden sind, die mit unwirksamen Sterilisationsverfahren hergestellt worden waren. In diesem Zeitraum wurden 27 der 29 bis zum 13. Februar dieses Jahres in Deutschland bestätigten BSE-Kühe geboren. Die EU hatte bis 1997 diese Verfahren zugelassen.Ein Fütterungsverbot für Tiermehl an Wiederkäuer bestand bei uns schon seit 1994. Ich spekuliere hier nicht, ob bei der Beimischung von Tiermehl in Rinderfutter kriminel- le Energie oder Schlamperei vorherrschend waren . Es wurden Tausende von Tonnen gerade aus Großbritannien exportiert. Der SPIEGEL hat die verschlungenen Pfade englischen Tiermehls recherchiert. Dieser Bericht liest sich wie ein Krimi, und man be- kommt sogar eine Gänsehaut dabei. So verkauften die Italiener z. B Anfang der neun- ziger Jahre rund 750 t Tiermehl nach Deutschland, bis 1997 war diese Zahl auf 5.500 t angestiegen. „Da kam billiges Kraftfutter aus Italien“, wird ein bayrischer Futtermittel- hersteller zitiert. Woher das Tiermehl wirklich stammte, wusste niemand.Tatsache ist aber, dass nach dem Verfütterungsverbot von Tiermehl in Großbritannien sich der Export auf den Kontinent verdreifachte. Und wir wissen auch, dass die offiziel- len Statistiken eher untertreiben.Erleichtert wurden diese Geschäfte auch durch eine wohl weit verbreitete Meinung un- ter sog. Fachleuten, auch Wissenschaftlern, Funktionären und Landwirten, die das Verfütterungsverbot eigentlich für unsinnig ansahen.Diese Stimmen sind leiser geworden, bzw. man hört nicht mehr auf sie. Wenn heute Tiermehl als Futter generell verboten ist, so ist das angesichts der Vorgänge in der Vergangenheit - und ich hoffe doch sehr, dass das Vergangenheit bleibt - richtig und konsequent. Wir können kein staatliches Kontrollsystem aufbauen, das bei einem der- -3-artigen Massenverkehr an Tiermehlen und bei den Möglichkeiten Geld zu verdienen, so dicht und zuverlässig ist, dass Missbrauch ausgeschlossen wird.Im Bericht der Landesregierung wird ausgeführt, dass die Kontrollen „keine Hinweise auf einen widerrechtlichen Einsatz von Tiermehlen in Mischfuttermitteln für Rinder“ er- gaben. Das wundert mich eigentlich nicht. Staatliche Kontrollen werden auch zukünftig nicht alles aufdecken zu können, solange es nicht gesellschaftlicher Konsens und von der Wirtschaft akzeptierter und kontrollierter Standard ist, keine Tiermehle mehr zu verfüttern. Wir müssen uns allerdings auch auf Alternativen zum Tiermehl verständi- gen.Der ökologische Landbau praktiziert mit seinen geschlossenen Kreisläufen auch für das auf dem Betrieb zu produzierende Futtermittel eine richtige Alternative, die m. E. in dieser rigorosen Konsequenz nicht auf alle Betriebe übertragbar sein wird.Ich bin auch fest überzeugt, dass wir nach einem kurzfristigen Nachfrageüberhang nach Ersatzstoffen für die Deckung des zusätzlichen Eiweißbedarfs zu einer vernünfti- gen Angebotsstruktur auf diesem Markt kommen werden.Wie bei den Nahrungsmitteln bedarf es auch für Futtermittel einer „gläsernen Produkti- on“, wir brauchen eine Positivliste und die offene Deklaration. In diesem Zusammen- hang ist mir völlig unverständlich, warum es bis zum heutigen Tag keine Klage gegen Futtermittelhersteller gibt, die verunreinigte Futtermittel verkauft haben. Wenn ich Zei- tungsberichten trauen kann, wären zumindest in Bayern verdächtigte Hersteller zu er- mitteln. Sowohl das BGB als auch das Produkthaftungsgesetz gäben hier die Möglich- keit einer Schadensersatzklage. Jeder kleine Einzelhändler kann zu Schadensersatz herangezogen werden, wenn eine Ware eine zugesagte Eigenschaft nicht hat und da- durch dem Käufer ein Schaden entstanden ist. -4-In Amerika gibt es den berühmten Verbraucheranwalt Ralph Nader, der schon große Konzerne in ihre Schranken verwiesen hat. Ein Einzelkämpfer. In Deutschland und in Frankreich gibt es mächtige Verbände, die sich auf die Fahnen geschrieben haben, die Interessen der Landwirte zu vertreten. Sie fordern lautstark vom Staat Steuermittel für den entstandenen Schaden. Warum klagen diese starken Verbände nicht einmal ge- gen unseriöse Futtermittelhersteller? Ein Schelm, wer Böses denkt! Ich verstehe diese Zurückhaltung nicht.Und ich lasse auch nicht die übliche Ausrede mit der Schärfe des Wettbewerbs und des harten Preiskampfes und den Vorteilen ausländischer Hersteller zu. Es gibt ja Hersteller, die mit getrennten Produktionslinien, sorgfältigem Einkauf, striktem Fehler- und Qualitätsmanagement erfolgreich auf dem Markt agieren. Frau Franzen hat einen solchen Betrieb besichtigt.Auf dem Automobilmarkt herrscht ein mörderischer Wettbewerb, und kein Mensch würde Verständnis dafür aufbringen, dass deshalb ein Auto nicht auch verkehrssicher zu sein braucht. Ein Auto bekommt eine Zulassung, wenn es gewisse Standards ein- hält. Was hier selbstverständlich ist, muss auch auf Futter- und Lebensmittel anwend- bar sein. Die Grundvoraussetzung ist, dass das Auto verkehrssicher ist. Darüber hin- aus kann es Lederbezüge, mehr oder weniger PS haben und sich in Form und Farbe in großer Vielfalt von anderen Autos unterscheiden. Diesen Grundstandard fordere ich sowohl für Lebens- als auch für Futtermittel. Für Vielfalt und Abwechslung bleibt dann noch ganz viel Spielraum für die individuelle Bedürfnisbefriedigung. So wie wir beim Auto private Kontrolleure haben, die die Einhaltung der gesetzlichen Standards überprüfen, so müssen wir zu einer Qualitätskontrolle bei Futter- und Lebensmitteln kommen, die die Verantwortung der Hersteller deutlich macht. -5-Die Ministerpräsidentin hat von „Qualitätstoren“ gesprochen. Das halte ich für den rich- tigen Weg. Der Staat hat in diesem Prozess aber nur die Rolle des „Oberaufpassers“. Die Verantwortung für das gute Produkt liegt bei der Wirtschaft.So wie wir aber bei der Beurteilung eines guten Lebensmittels durchaus Wert darauf legen, dass bei der Qualitätsbewertung auch die Haltungsbedingungen in der Tierauf- zucht eine stärkere Rolle zu spielen haben, so legen wir Wert auf die Feststellung, dass auch bei den Futtermitteln die Produktionsweise und deren Umweltverträglichkeit ein Maßstab zu sein hat. Und auch an dieser Stelle wiederhole ich: Gentechnisch ver- änderte Futtermittel haben in unseren Ställen nichts zu suchen.Ich zitiere aus der Zeitschrift AGRARfinanz (Ausgabe 3/2001, S. 12), beileibe kein Blatt aus der Ökoszene: „Gentechnik als die andere Lösung für die Landwirtschaft wird öffentlich ebenfalls gefordert. Sichere Landwirtschaft, BSE-freies Fleisch sollen so ge- währleistet werden. Sind die Risiken der Gentechnik wirklich schon eindeutig er- forscht? „Normale“ chemisch-synthetisch hergestellte Zutaten wie Atrazin, DDT, Lin- dan oder Avoparcin waren ja auch als ‚unbedenklich’ zugelassen und wurden nach Jahren als dann doch schädlich verboten. Muss das mit der Gentechnik wiederholt werden?“ Ich habe dem nichts hinzuzufügen.Der Bericht über die Vorsorgemaßnahmen zur Verminderung weiterer BSE- Erkrankungen und zur Erforschung der Verbreitungswege von BSE-Erkran-kungen gibt eine gute Übersicht über den Stand der Forschung, konnte aber zum jetzigen Zeitpunkt keine neuen Ergebnisse präsentieren. Gerade weil wir uns eine weitgehende Unwissenheit eingestehen müssen, dürfen wir uns auf keine potentiellen Risiken ein- lassen.Die Keulungsaktionen sind umstritten. Das wissen wir. Eine Lösung sind beide Wege nicht, und man kann nur hoffen, dass wir bald über einen zuverlässigen Test am le- benden Tier verfügen. -6-Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch über die Tötungsaktionen zur Be- kämpfung von Maul- und Klauenseuche sprechen.Die Landesregierung hat uns als erstes Bundesland eine Reihe ehrlicher Berichte ab- gegeben. Nichts geschönt und verschwiegen. Auch wenn organisatorische Verbesse- rungen angekündigt worden sind, so sollen wir ehrlich sein und zugeben, der Staat al- leine kann es nicht richten - und das wollen wir auch nicht. Der Diskurs über eine Neu- orientierung der Landwirtschaft hat auf breiter Ebene begonnen und wird auch weiter- geführt. Das hat überhaupt nichts mit der Tatsache zu tun, dass die Verbraucher wie- der vermehrt Rindfleisch verzehren.Wenn allerdings die CDU, vertreten durch Herrn Kayenburg, erklärt: „Wir brauchen keinen ökologisch-ideologischen Umbau der Landwirtschaft. Unsere Landwirte können auf Basis der derzeitigen Bewirtschaftung weiterarbeiten“, so hat die Partei, die sich so gern als wahre Hüterin bäuerlicher Interessen versteht, überhaupt nichts verstanden.Die SPD-Fraktion führt und wird das auch in Zukunft so halten, den Diskurs mit allen Betroffenen in der Land- und Ernährungswirtschaft. Dabei heben wir die Leistungsfä- higkeit und Kompetenz, Herr Hay hat das bereits betont, der Landwirte in unserem Land hervor und sehen darin die eigentliche Grundlage für unsere Zuversicht, dass wir die Wende und damit notwendige Anpassung an das zukünftige Marktgeschehen in Schleswig-Holstein schaffen werden. Diese Ressourcen wollen wir nutzen und fördern.Ein „Weiter-So“ à la Kayenburg wird es allerdings mit der SPD-Fraktion nicht geben.