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10.05.01 , 11:04 Uhr
SSW

"Faulheitsdebatte": Rechte und Pflichten von Arbeitslosen ausgleichen

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Kiel, d. 10.05.2001 Silke Hinrichsen Es gilt das gesprochene Wort

TOP 10 Rechte und Pflichten von Arbeitslosen (Drs. 15/898)

‚Ich weiß fast nicht, ob man lieber hoffen soll dass es kaltes Kalkül oder einfach nur töricht
war, als der Bundeskanzler Karfreitag in Deutschlands größter Boulevardzeitung auf entspre-
chende Anfrage hin verkündete, dass es kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft gibt,
und dass die Arbeitsämter Sanktionsmöglichkeiten konsequenter anwenden müssen. Der
Kanzler hat sich auf jeden Fall einer Wortwahl bedient, die leicht missverstanden werden
kann, und die sehr viele Menschen verletzt und verärgert hat. Deshalb besteht für den Landtag
aller Anlass, einige Dinge klar zu stellen.

Als erstes: Arbeitslose Menschen sind in aller Regel nicht arbeitslos, weil sie faul sind. Sie
sind arbeitslos, weil es zu wenig Arbeit in Deutschland gibt.

Es mag irritieren, dass hunderttausende Arbeitsplätze leer stehen, während Millionen arbeits-
los sind. Darauf bezog sich ja die Kanzler-Äußerung. Der Grund hierfür ist aber nicht die
Bequemlichkeit der Arbeitslosen, sondern eine falsche Arbeitsmarktpolitik, die mehr verwal-
tet als den Einzelnen gezielt und flexibel zu helfen. Des Kanzlers Worte sind aber leider so
leicht missverständlich gewesen.

Zweitens: Eine gute Arbeitsmarktpolitik besteht nicht aus Drohungen, sondern aus einer
gesunder Mischung aus Rechte und Pflichten. Das haben uns eindrucksvoll mehrere Nachbar-
länder vorgemacht.
Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Wir haben aber leider den Eindruck, dass in der deutschen Diskussion seit längerem die
Pflichten überwiegen. In diesem Sinne ist das Kanzlerwort zur Osterzeit nur ein trauriger
Höhepunkt, der unter anderem auch in dem Änderungsantrag der CDU seine Fortsetzung
findet. Ich gestehe gerne ein, dass es auch leichter ist Pflichten anzumahnen als Arbeit anzu-
bieten. Während Pflichten relativ kostengünstig eingeführt werden können, kosten Rechte wie
Bildung, Qualifizierung oder Beschäftigung richtig viel Geld. Trotzdem bringen Pflichten
ohne Rechte nicht viel mehr als Beifall an den Stammtischen oder eine Schlagzeile in der
„Bild“. So lange wir ein Millionenheer von Arbeitslosen haben, sollten wir nicht unser
Hauptaugenmerk auf jene Minderheit richten, die ihren Pflichten nicht nachkommen. Das
lenkt nur vom Ziel ab, und bringt uns auf den falschen Weg.


Eines ist ganz sicher nicht der richtige Weg: Arbeitslose zu bestrafen, weil sie arbeitslos sind.
Eben dieses scheint gerade bei der CDU in Mode zu kommen. Wenn man einmal die etwas
widersprüchlichen Äußerungen von Merz über Schnieber-Jastram bis Wadephul sortiert, dann
kommt man zu folgendem: Die Union möchte jetzt mit ganz unrealistischen Forderungen den
großen familienpolitischen Weihnachtsmann spielen, und dies auf dem
Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger austragen. Friedrich Merz postuliert zwar, dass das
jetzt von Christdemokraten vorgeschlagene Modell etwas ganz anderes sei als Schröders
Faulenzer-Debatte; in Wahrheit steckt aber in der gebetsmühlenartigen Wiederholung des
Lohnabstandsgebots genau der selbe Vorwurf: Wer sagt, dass die Arbeitslosen weniger Hilfe
haben sollen, weil dann erst wieder der Anreiz zur Arbeit stimmt, der setzt auch voraus, dass
die Arbeitslosen lieber in der Hängematte liegen und „Stütze kassieren“, statt zu arbeiten.
Immer mehr Bundesbürger erziehen lieber ihre Kinder mit der Sozialhilfe als mit einer
bezahlten Arbeit, sagt Merz. Dabei wird dann zynisch über die Tatsache hinweggegangen,
welches soziale Elend mit der längerfristigen Arbeitslosigkeit folgt. Es geht hier eben nicht
um eiskaltes ökonomisches Kalkül zu Lasten der Gemeinschaft, sondern darum, dass
Menschen psychisch zu Grunde gehen, weil sie sich und ihre Kinder nicht aus eigener Kraft

Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de versorgen können. Arbeitslosigkeit geht mit sozialem Rückzug, Alkoholismus, Scheidungen
und Gewalt einher, weil die Menschen damit nicht fertig werden. Woher nimmt man in der
CDU eigentlich die Unverfrorenheit, den Leuten einerseits permanent zu erzählen, dass nur
die eigene Leistung zählt, dass nur ein ganzer Mensch ist, wer einen guten Job hat, und dann
andererseits die Menschen fertig zu machen und ökonomisch noch mehr zu beschneiden,
wenn sie unverschuldet keine Arbeit finden. Eben dieses ist auch die Folge des Änderungs-
antrages des Kollegen Geerds, der auch noch neue beleidigende Unterstellungen enthält. Auch
-Antrag nicht zustimmen.


Der Weg zum Erfolg verläuft ganz wo anders. Das immer gern als Erfolgsmodell zitierte
dänische System der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik z. B. zeichnet sich vor allem durch ein
zentrales Element aus: Durch eine individuelle Hilfe, die Rücksicht auf individuelle Beson-
derheiten der einzelnen arbeitslosen Person nimmt. Dieses ist auch der richtige Kontext um
über Sanktionen zu sprechen. Nur im Einzelfall und vor Ort kann entschieden werden, bei
welcher arbeitslosen Person die Pflichten eines Arbeitslosen vielleicht etwas deutlicher
herausgestellt werden müssen, und ob ein Job für die Einzelperson wirklich zumutbar ist oder
nicht. Der SSW hat Vertrauen in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsämter und
Sozialämter. Wir sind überzeugt, dass diese die bestehenden Möglichkeiten der Sanktionie-
rung konsequent und mit Bedacht anwenden, und wir sind überzeugt davon, dass sie am
flexibelsten die im Einzelfall richtige Maßnahme ergreifen. Deshalb können wir auch nicht
dem SPD-Antrag zustimmen. Was wir jetzt brauchen, sind nicht zentral vorgegebene
schärfere Pflichten, sondern erst einmal Angebote. Nur wer eine faire Chance bekommt und
diese ablehnt, darf für Sanktionen in Frage kommen. Wobei wir wieder beim Verhältnis von
Rechten und Pflichten wären. Erst wenn jemand das Zuckerbrot ablehnt, sollte man die
Peitsche herausholen. Dafür muss man aber erst einmal ein Zuckerbrot anbiete



Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Und damit wären wir bei drittens: Trotz allem erkennen wir gerne an, dass die Landes-
regierung und die Bundesregierung grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind, was die Rechte
der Arbeitslosen betrifft. Eine Arbeitsmarktpolitik, die den Wert der Arbeitssuchenden auf
dem Arbeitsmarkt durch Beschäftigung und Qualifizierung erhöht, ist die richtige Ziel-
richtung.

Dieses kann nur optimal funktionieren, in dem Arbeitsverwaltung und Arbeitslose gemeinsam
realistische und individuelle Perspektiven für die und den einzelnen entwickeln und verbind-
liche Absprache treffen. Wir begrüßen daher die Pläne der Bundesregierung, individuelle Ein-
gliederungspläne einzuführen. Allerdings muss auch hier beachtet werden, dass nur Pflichten
eingeführt werden können, wenn auch Rechte gewährt werden. Die Ziele in den Einglie-
derungsplänen müssen realistisch sein, denn ansonsten sanktioniert man am Ende nur wieder
die unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Wir können daher auch der Idee der Ministerin Moser
einiges abgewinnen, die Arbeitslosen allgemein danach einzuordnen, ob und inwieweit eine
Arbeit im ersten Arbeitsmarkt realistisch ist. Es gibt Menschen, die brauchen andere Formen
der Unterstützung. Manche brauchen professionelle Hilfen anderer Art, und manche brauchen
erst einmal Kinderbetreuung. Diese Menschen regelmäßig zu kontrollieren, ohne ihnen auch
für diese anderen Probleme ein Angebot zu machen, wäre sinnlos.

Diese Eingliederungspläne werden aber natürlich nur funktionieren, wenn dann auch wirklich
entsprechend Angebote der Beschäftigung, der Weiterbildung und der Qualifizierung gemacht
werden. Eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik heißt eben, dass man in die Menschen inve-
stiert statt sie nur zu alimentieren. Die Bundesregierung und die Landesregierung sind hier auf
den richtigen Weg. Sie müssen jetzt den Beweis antreten, dass sie dafür auch genug Ressour-
cen frei machen können. Es müssen aktivierende und qualifizierende Angebote wie
Ausbildung, Weiterbildung, Jobrotation und Jobtraining eingeführt und weiterentwickelt
werden. Und selbstverständlich muss die Arbeitsverwaltung so personell ausgestattet sein,



Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de dass die Erstellung und Begleitung individueller Hilfepläne wirklich realistisch und erfolg-
versprechend wird.

Und schliesslich kann die Arbeitsmarktpolitik nicht an der Wirtschaft vorbeigehen. Eine
aktivierende Arbeitsmarktpolitik muss sehen welche Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt besteht
und die Menschen hierfür qualifizieren. Womit wir letztlich wieder beim Kanzlerwort wären.
Wenn trotz der hohen Arbeitslosigkeit über eine halbe Million Arbeitsplätze freistehen, dann
ist das nicht weil die faulen Arbeitslosen zumutbare Arbeit verweigern, lieber den Tag in der
sozialen Hängematte verbringen und von der Sozialhilfe der Kinder leben. Dann ist das
vielfach, weil die staatliche Arbeitsmarktpolitik in diesen Fällen darin versagt hat,
Arbeitgeber und Arbeitslose zusammenzuführen. Das müssen sich alle Parteien vorwerfen
lassen, die im letzten Jahrzehnt Regierungsverantwortung getragen haben. Auch sie haben
kein Recht auf Untätigkeit.



Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de

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