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"Faulheitsdebatte": Rechte und Pflichten von Arbeitslosen ausgleichen
Südschleswigscher Wählerverband Schleswig-Holsteinischer Landtag im Schleswig-Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 D - 24105 Kiel Tel. (0431) 988 13 80 Fax (0431) 988 13 82 SSW-LandtagsvertretungPRESSEINFORMATION Norderstr. 74 D – 24939 Flensburg Tel. (0461) 14 40 83 00 Fax (0461) 14 40 83 05 Kiel, d. 10.05.2001 Silke Hinrichsen Es gilt das gesprochene WortTOP 10 Rechte und Pflichten von Arbeitslosen (Drs. 15/898)‚Ich weiß fast nicht, ob man lieber hoffen soll dass es kaltes Kalkül oder einfach nur törichtwar, als der Bundeskanzler Karfreitag in Deutschlands größter Boulevardzeitung auf entspre-chende Anfrage hin verkündete, dass es kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft gibt,und dass die Arbeitsämter Sanktionsmöglichkeiten konsequenter anwenden müssen. DerKanzler hat sich auf jeden Fall einer Wortwahl bedient, die leicht missverstanden werdenkann, und die sehr viele Menschen verletzt und verärgert hat. Deshalb besteht für den Landtagaller Anlass, einige Dinge klar zu stellen.Als erstes: Arbeitslose Menschen sind in aller Regel nicht arbeitslos, weil sie faul sind. Siesind arbeitslos, weil es zu wenig Arbeit in Deutschland gibt.Es mag irritieren, dass hunderttausende Arbeitsplätze leer stehen, während Millionen arbeits-los sind. Darauf bezog sich ja die Kanzler-Äußerung. Der Grund hierfür ist aber nicht dieBequemlichkeit der Arbeitslosen, sondern eine falsche Arbeitsmarktpolitik, die mehr verwal-tet als den Einzelnen gezielt und flexibel zu helfen. Des Kanzlers Worte sind aber leider soleicht missverständlich gewesen.Zweitens: Eine gute Arbeitsmarktpolitik besteht nicht aus Drohungen, sondern aus einergesunder Mischung aus Rechte und Pflichten. Das haben uns eindrucksvoll mehrere Nachbar-länder vorgemacht. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Wir haben aber leider den Eindruck, dass in der deutschen Diskussion seit längerem diePflichten überwiegen. In diesem Sinne ist das Kanzlerwort zur Osterzeit nur ein traurigerHöhepunkt, der unter anderem auch in dem Änderungsantrag der CDU seine Fortsetzungfindet. Ich gestehe gerne ein, dass es auch leichter ist Pflichten anzumahnen als Arbeit anzu-bieten. Während Pflichten relativ kostengünstig eingeführt werden können, kosten Rechte wieBildung, Qualifizierung oder Beschäftigung richtig viel Geld. Trotzdem bringen Pflichtenohne Rechte nicht viel mehr als Beifall an den Stammtischen oder eine Schlagzeile in der„Bild“. So lange wir ein Millionenheer von Arbeitslosen haben, sollten wir nicht unserHauptaugenmerk auf jene Minderheit richten, die ihren Pflichten nicht nachkommen. Daslenkt nur vom Ziel ab, und bringt uns auf den falschen Weg.Eines ist ganz sicher nicht der richtige Weg: Arbeitslose zu bestrafen, weil sie arbeitslos sind.Eben dieses scheint gerade bei der CDU in Mode zu kommen. Wenn man einmal die etwaswidersprüchlichen Äußerungen von Merz über Schnieber-Jastram bis Wadephul sortiert, dannkommt man zu folgendem: Die Union möchte jetzt mit ganz unrealistischen Forderungen dengroßen familienpolitischen Weihnachtsmann spielen, und dies auf demArbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger austragen. Friedrich Merz postuliert zwar, dass dasjetzt von Christdemokraten vorgeschlagene Modell etwas ganz anderes sei als SchrödersFaulenzer-Debatte; in Wahrheit steckt aber in der gebetsmühlenartigen Wiederholung desLohnabstandsgebots genau der selbe Vorwurf: Wer sagt, dass die Arbeitslosen weniger Hilfehaben sollen, weil dann erst wieder der Anreiz zur Arbeit stimmt, der setzt auch voraus, dassdie Arbeitslosen lieber in der Hängematte liegen und „Stütze kassieren“, statt zu arbeiten.Immer mehr Bundesbürger erziehen lieber ihre Kinder mit der Sozialhilfe als mit einerbezahlten Arbeit, sagt Merz. Dabei wird dann zynisch über die Tatsache hinweggegangen,welches soziale Elend mit der längerfristigen Arbeitslosigkeit folgt. Es geht hier eben nichtum eiskaltes ökonomisches Kalkül zu Lasten der Gemeinschaft, sondern darum, dassMenschen psychisch zu Grunde gehen, weil sie sich und ihre Kinder nicht aus eigener Kraft Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de versorgen können. Arbeitslosigkeit geht mit sozialem Rückzug, Alkoholismus, Scheidungenund Gewalt einher, weil die Menschen damit nicht fertig werden. Woher nimmt man in derCDU eigentlich die Unverfrorenheit, den Leuten einerseits permanent zu erzählen, dass nurdie eigene Leistung zählt, dass nur ein ganzer Mensch ist, wer einen guten Job hat, und dannandererseits die Menschen fertig zu machen und ökonomisch noch mehr zu beschneiden,wenn sie unverschuldet keine Arbeit finden. Eben dieses ist auch die Folge des Änderungs-antrages des Kollegen Geerds, der auch noch neue beleidigende Unterstellungen enthält. Auch -Antrag nicht zustimmen.Der Weg zum Erfolg verläuft ganz wo anders. Das immer gern als Erfolgsmodell zitiertedänische System der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik z. B. zeichnet sich vor allem durch einzentrales Element aus: Durch eine individuelle Hilfe, die Rücksicht auf individuelle Beson-derheiten der einzelnen arbeitslosen Person nimmt. Dieses ist auch der richtige Kontext umüber Sanktionen zu sprechen. Nur im Einzelfall und vor Ort kann entschieden werden, beiwelcher arbeitslosen Person die Pflichten eines Arbeitslosen vielleicht etwas deutlicherherausgestellt werden müssen, und ob ein Job für die Einzelperson wirklich zumutbar ist odernicht. Der SSW hat Vertrauen in die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Arbeitsämter undSozialämter. Wir sind überzeugt, dass diese die bestehenden Möglichkeiten der Sanktionie-rung konsequent und mit Bedacht anwenden, und wir sind überzeugt davon, dass sie amflexibelsten die im Einzelfall richtige Maßnahme ergreifen. Deshalb können wir auch nichtdem SPD-Antrag zustimmen. Was wir jetzt brauchen, sind nicht zentral vorgegebeneschärfere Pflichten, sondern erst einmal Angebote. Nur wer eine faire Chance bekommt unddiese ablehnt, darf für Sanktionen in Frage kommen. Wobei wir wieder beim Verhältnis vonRechten und Pflichten wären. Erst wenn jemand das Zuckerbrot ablehnt, sollte man diePeitsche herausholen. Dafür muss man aber erst einmal ein Zuckerbrot anbiete Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Und damit wären wir bei drittens: Trotz allem erkennen wir gerne an, dass die Landes-regierung und die Bundesregierung grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind, was die Rechteder Arbeitslosen betrifft. Eine Arbeitsmarktpolitik, die den Wert der Arbeitssuchenden aufdem Arbeitsmarkt durch Beschäftigung und Qualifizierung erhöht, ist die richtige Ziel-richtung.Dieses kann nur optimal funktionieren, in dem Arbeitsverwaltung und Arbeitslose gemeinsamrealistische und individuelle Perspektiven für die und den einzelnen entwickeln und verbind-liche Absprache treffen. Wir begrüßen daher die Pläne der Bundesregierung, individuelle Ein-gliederungspläne einzuführen. Allerdings muss auch hier beachtet werden, dass nur Pflichteneingeführt werden können, wenn auch Rechte gewährt werden. Die Ziele in den Einglie-derungsplänen müssen realistisch sein, denn ansonsten sanktioniert man am Ende nur wiederdie unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Wir können daher auch der Idee der Ministerin Mosereiniges abgewinnen, die Arbeitslosen allgemein danach einzuordnen, ob und inwieweit eineArbeit im ersten Arbeitsmarkt realistisch ist. Es gibt Menschen, die brauchen andere Formender Unterstützung. Manche brauchen professionelle Hilfen anderer Art, und manche brauchenerst einmal Kinderbetreuung. Diese Menschen regelmäßig zu kontrollieren, ohne ihnen auchfür diese anderen Probleme ein Angebot zu machen, wäre sinnlos.Diese Eingliederungspläne werden aber natürlich nur funktionieren, wenn dann auch wirklichentsprechend Angebote der Beschäftigung, der Weiterbildung und der Qualifizierung gemachtwerden. Eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik heißt eben, dass man in die Menschen inve-stiert statt sie nur zu alimentieren. Die Bundesregierung und die Landesregierung sind hier aufden richtigen Weg. Sie müssen jetzt den Beweis antreten, dass sie dafür auch genug Ressour-cen frei machen können. Es müssen aktivierende und qualifizierende Angebote wieAusbildung, Weiterbildung, Jobrotation und Jobtraining eingeführt und weiterentwickeltwerden. Und selbstverständlich muss die Arbeitsverwaltung so personell ausgestattet sein, Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de dass die Erstellung und Begleitung individueller Hilfepläne wirklich realistisch und erfolg-versprechend wird.Und schliesslich kann die Arbeitsmarktpolitik nicht an der Wirtschaft vorbeigehen. Eineaktivierende Arbeitsmarktpolitik muss sehen welche Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt bestehtund die Menschen hierfür qualifizieren. Womit wir letztlich wieder beim Kanzlerwort wären.Wenn trotz der hohen Arbeitslosigkeit über eine halbe Million Arbeitsplätze freistehen, dannist das nicht weil die faulen Arbeitslosen zumutbare Arbeit verweigern, lieber den Tag in dersozialen Hängematte verbringen und von der Sozialhilfe der Kinder leben. Dann ist dasvielfach, weil die staatliche Arbeitsmarktpolitik in diesen Fällen darin versagt hat,Arbeitgeber und Arbeitslose zusammenzuführen. Das müssen sich alle Parteien vorwerfenlassen, die im letzten Jahrzehnt Regierungsverantwortung getragen haben. Auch sie habenkein Recht auf Untätigkeit. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de