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Irene Fröhlich: Wir wollen nicht zulassen, dass Kinder nach ihren gesundheitlichen Eigenschaften ausgewählt werden!
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Es gilt das gesprochene Wort! Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel TOP 30 - Präimplantationsdiagnostik - Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Dazu sagt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 Irene Fröhlich: E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de Nr. 201.01 / 12.07.2001Wir wollen nicht zulassen, dass Kinder nach ihren gesundheitlichen Eigenschaften ausgewählt werden!Bündnis 90/Die Grünen stehen für ein ganzheitliches Bild des Menschen, dem durch ei- ne an den PatientInnen orientierte Gesundheitspolitik Rechnung getragen wird. Auftrag der Ärzte und der medizinischen Forschung ist es, Menschen zu heilen, Krankheiten und Behinderungen zu behandeln und zu lindern. Aufgabe der Ärzte und damit der me- dizinischen Forschung ist es nicht, die Existenz eines kranken oder behinderten Men- schen zu verhindern. Aber genau das ist die zentrale Aufgabe der Präimplantationsdi- agnostik (PID).Der Staat darf nicht in die Sexualität oder Fortpflanzung von Menschen hinein regieren, nicht im negativen und nicht im positiven Sinn. Er darf nicht vorschreiben, Kinder zu be- kommen oder nicht zu bekommen. Er darf die Entscheidung für Kinder durch stützende Maßnahmen erleichtern - auch und gerade im Schwangerschaftskonflikt. Der Staat ist aber nicht verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Menschen, die es sich wünschen, Eltern werden. Denn es gibt kein Anrecht auf eine Kind, nicht auf ein leibliches und auch nicht auf ein gesundes Kind, weder gegenüber dem Staat, der Krankenkasse oder dem Arzt. Die Entscheidung über Elternschaft bleibt individuell, mit all ihren Nöten, Wünschen und Hoffnungen.Der Staat hat aber sehr wohl die Pflicht der Wahrung der Menschenwürde als verfas- sungsgemäß verbrieftes Grundrecht, als unteilbares und generelles Recht eines jeden Menschen. Sie bezieht sich in letzter Konsequenz auch auf Embryonen. Menschenwürde ist ebenso unteilbar, wie das reale Menschsein, ganz oder gar nicht und eben nicht nur ein bisschen oder ein bisschen mehr. Dies war und ist das Ziel des Embryonenschutzgesetzes und dies muss sich auch auf die PID beziehen, auch und gerade weil diese Methode zum Zeitpunkt der Entstehung des Embryonenschutzgeset- zes noch nicht relevant war.Bei der PID stehen wir vor der Frage, ob wir zulassen wollen, dass menschliche Emb- ryonen sich nur dann zum Menschen entwickeln sollen, wenn sie nicht Träger einer be- stimmten genetischen Krankheit sind. Die Angst der Eltern vor der Belastung für sie und das Kind, die von diesen Krankheiten ausgehen, ist verständlich. Trotzdem wollen wir dieses Verfahren nicht zulassen.Wir wollen nicht zulassen, dass Kinder nach ihren gesundheitlichen Eigenschaften aus- gewählt werden. Denn dies ist nicht nur diskriminierend für alle mit einer solchen Krankheit lebenden Menschen, sondern es gibt auch keine eindeutige plausible Grenz- ziehung für medizinische Indikationen, die über eine gerechtfertigte Anwendung von PID entscheiden könnten. Gar nicht von der Tendenz zu sprechen, dass sich Indikatio- nen eigendynamisch auszuweiten neigen. Auch hier geht es im Grund genommen um ein „ganz oder gar nicht“.Die Befürworter der PID verweisen darauf, dass es heute vielfach zu Schwanger- schaftsabbrüchen kommt, wenn im Verlauf der Schwangerschaft bekannt wird, dass das Kind behindert sein wird. In solchen Fällen sei es schonender, den Schwanger- schaftskonflikt von vornherein zu vermeiden. Aber es ist falsch zu glauben, dass eine PID für die betroffene Mutter in spe schonender und zumutbarer sei als ein möglicher Schwangerschaftsabbruch. Allein die hormonelle Behandlung sowie die klinischen Maßnahmen sind physisch und psychisch in höchstem Maß belastend und stehen in keinem Verhältnis zu der potenziellen Erfolgsquote von 13-15 Prozent.Unsere Haltung zur PID steht nicht im Widerspruch zu unserer Position zur Rechtslage beim Schwangerschaftsabbruch. Dabei wird bei bestehenden Schwangerschaftskonflik- ten darauf verzichtet, das Grundrecht des Kindes gegen den Willen seiner Mutter straf- rechtlich durchzusetzen. Die Frau hat das Recht, selbstbestimmt eine Entscheidung zu treffen. Bei der PID aber gibt es keine Schwangerschaft, die eine Notlage begründen könnte, in der die Lebensansprüche gegeneinander abgewogen werden. Den zukünfti- gen - oder eben auch nicht - Eltern stehen andere Handlungswege offen, wie beispiels- weise auf Kinder zu verzichten, ein nicht leibliches Kind zu adoptieren oder sich mit al- lem wenn und aber für eine Schwangerschaft zu entscheiden.Eine kritische Überprüfung der bestehenden Praxis bei der Diagnose von behinderten Föten sollte uns alle zu einem Nachdenken darüber anregen, ob das unsere Haltung zu behinderten Menschen zum Schlechten verändert und ob wir hier nicht zur Umkehr auf- gefordert sind. Keinesfalls kann es dabei um eine Gesetzesänderung gehen. Im Gegen- teil, denn im 1995 reformierten Paragrafen 218 wurde die eugenische Indikation aus- drücklich abgeschafft. Niemand hat etwas zu gewinnen, wenn er die Entscheidungen, die in der Biopolitik anstehen, mit einer Neuauflage der Diskussion um den Paragrafen 218 verbindet.Ich frage Sie: Kann es richtig sein, dass aus der immer mehr um sich greifenden Praxis, ein Kind wegen seiner künftigen Behinderung nicht anzunehmen, zwangsläufig folgt, diese Praxis auch noch zu vereinfachen? Oder müssen wir nicht vielmehr anders herum fragen, warum Eltern nicht den Mut fassen können, ein Kind mit einer Behinderung an- zunehmen? Wir alle stehen in der Pflicht. Wir können etwas dafür tun, dass das Leben mit einem kranken oder behinderten Kind nicht so schwer ist, wie es den Eltern heute häufig gemacht wird.Diese Problematik muss berücksichtigt werden, wenn wir darüber sprechen, ob nicht eine Zulassung der PID in engen Grenzen möglich sein kann. Mit Blick auf die Erfah- rungen steht zu erwarten, dass sich auch bei der PID eine Begrenzung nicht einhalten lässt und dass die Nachfrage nach diesem Verfahren steigen wird. Es besteht die Ge- fahr, dass der Druck auf künftige Eltern verstärkt wird, alle diagnostischen Möglichkei- ten auch zu nutzen. Sie dürfen nicht in einen Rechtfertigungszwang geraten, wenn sie sich für ein behindertes Kind entscheiden.Deswegen plädiere ich dafür, die Praxis der pränatalen Diagnostik und die daraus oft folgenden Schwangerschaftskonflikte in den Mittelpunkt unserer Überlegungen zu stel- len.Die Biowissenschaften haben uns neue Freiheiten geschenkt. Sie haben uns damit neue Fragen aufgegeben. Wir haben aber immer die Freiheit und manchmal auch die moralische Pflicht, uns für eine Selbstbeschränkung zu entscheiden. ***