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26.10.01 , 15:16 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel: Die Zukunft der Handarbeit im 21. Jahrhundert

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Sperrfrist: 28. Oktober, 11.30 Uhr! Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de Die Zukunft der Handarbeit Nr. 295.01 / 26.10.2001 im 21. Jahrhundert
Zur Ehrung der Landessiegerinnen und -sieger der Handwerksjugend am 28. Okto- ber 2001 in Brunsbüttel hält der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Karl-Martin Hentschel eine Festrede, die im Nachfolgenden dokumentiert wird:

„Sehr geehrter Herr Präsident Carsten Jensen, sehr geehrter Herr Präsident Peter Burgdorff, meine Damen und Herren vom Handwerk, liebe Gäste vor allem aber liebe Jahressiegerinnen und Sieger, denn Sie sind es, weswegen wir hier alle heute versammelt sind!
Zunächst einmal möchte ich mich bedanken für die Einladung. Ich betrachte es als eine Ehre, hier heute die Festansprache halten zu dürfen.
Ich weiß, dass wir noch vor wenigen Jahren, als die Grünen in Schleswig-Holstein zum ersten mal einen Minister stellten, aus Handwerkskreisen sehr kritisch beäugt wurden. Das Umgekehrte galt aber auch. Den Grünen waren die Handwerker oft zu patriarchalisch - nach dem Motto, der Chef sagt, wo’s lang geht und diskutiert wird nicht. Und viele Handwerker konnten mit der Frauenbewegung sowieso nichts an- fangen.
Um das zu ändern habe ich mich mit meiner Fraktion auf den Weg gemacht und Handwerkertouren organisiert, um Handwerksbetriebe in allen Gegenden Schleswig- Holsteins von der Insel Föhr bis nach Ostholstein zu besuchen. Ich selbst bin ja von Hause aus Computerspezialist und habe zeitlebens in einem großen Konzern gear- beitet. Deswegen war der Kontakt mit Dutzenden von Handwerksbetrieben auch für mich eine neue und interessante Erfahrung.
Da habe wir dann sehr bald gelernt, dass es in den meisten Handwerksbetrieben oh- ne die Frauen, die die Akquisition und die Buchhaltung machen, gar nicht geht, und ich habe auch so manchen Betrieb kennen gelernt, an dessen Spitze eine Frau stand. Meine Damen und Herren, liebe Landessiegerinnen und Sieger, ich habe meine Festansprache heute unter das etwas provozierende Motto gestellt: Die Zukunft der Handarbeit im 21. Jahrhundert. Hat die Handarbeit in einer Welt von Robotern, elektronischer Kommunikation und automatischen Produktionsstraßen denn noch eine Zukunft?
Nun - sicherlich kann auch das Handwerk in einer Zukunft mit elektronischen Chips, Internet und neuen Werkstoffen nicht einfach stehen bleiben. Wer heute durch eine moderne Berufsschule oder ein überbetriebliches Ausbildungszentrum geht, erlebt diese Entwicklung von Raum zu Raum. Hier werden konventionelle handwerkliche Fähigkeiten trainiert, der Umgang mit Werkstoffen, sei es Holz, Stein oder die Haare des Friseurkunden. Und nebenan werden mit dem Computer elektronische Schaltun- gen gesteckt, wird die Technik von modernen Brennwertkesseln gepaukt, ja selbst die Herde in mancher Küche und die Backöfen in den Bäckereien sind moderne Wunderwerke der Technik. Und doch sind handwerkliche Fähigkeiten und Genauig- keit der Arbeit auch in Zukunft die Grundlage des Erfolgs.
Denn das unterscheidet den Handwerker eben auch in Zukunft von der Industrie. Kann die Industrie die Exaktheit der Arbeit zunehmend der Technik überlassen, so ist der Handwerker oder die Handwerkerin bei der Arbeit beim Kunden auf sich selbst gestellt. Qualität ist gefragt - und das ist der eigentliche Unterschied zwischen Hand- werk und Industrie: Handwerk ist keine billige Massenanfertigung. Handwerk ist im- mer dann gefragt, wenn es um Einzelanfertigung geht. Und Einzelanfertigung erfor- dert persönliches Können, sprich Qualität.
Meine Damen und Herren, vielleicht ist dies auch der eigentliche Grund, warum ich heute so gerne zu Ihnen re- de. Denn Qualität hat sehr viel mit Umweltschutz zu tun. Wie können wir mit 15 Milli- arden Menschen das Leben auf diesem Erdball so organisieren, dass die Menschen genug zu essen, warme Wohnungen haben und einen Lebensstandard, der auch er- laubt, in den Urlaub zu fahren. Und vor allem, wie können wir das organisieren, ohne die Umwelt, von der wir alle leben, deren Luft wir atmen und deren Wasser wir trin- ken - ohne diese Umwelt zu zerstören? Das ist die Aufgabe dieses Jahrhunderts.
Und das schaffen wir nicht, indem wir unsere Pullis selber stricken, sondern nur durch effiziente Techniken, die Energie und Rohstoffe sparen und keine Schadstoffe in die Umgebung freisetzen. Das schaffen wir nur durch Autos, die demnächst mit drei, zwei und sogar einem Liter Benzin auskommen, mit Häusern, die so gut isoliert sind, dass sie kaum noch geheizt werden müssen, mit Farben und Lacken, deren Dämpfe nicht schädlich sind. Wenn wir das aber erfolgreich erreichen wollen, dann brauchen wir das Handwerk mehr als je zuvor.
Zuerst wurde das bei den Tischlern und Zimmerleuten deutlich. Holz als Werkstoff ist nun einmal Natur pur. Die Rückkehr zum Naturwerkstoff Holz ist etwas, was jedem Tischler oder Zimmermann naturgemäß Freude bereitet, aber dazu gehört dann auch die sorgsame Verwendung von gesundheitsverträglichen Lasuren, Holzschutzmitteln, Leimen usw..
Ein Thema der Zukunft ist auch das Thema Wärmedämmung. Das ist heute schon ein entscheidender Faktor beim Hausbau, und gute Isolierung ist ohne Qualitätsar- beit nicht zu haben. Der ökologische Brennwertkessel im Keller und die Solaranlage auf dem Dach brauchen den modernen qualifizierten Installateur und Heizungsbauer. Mit der Wartung der Windenergieanlagen haben bereits Hunderte von Elektrikern, Schlossern und anderen Handwerkern in Schleswig-Holstein neue Betätigungsfelder gefunden.
Eine Mammutaufgabe der kommenden 50 Jahre wird die wärmetechnische Sanie- rung der Altbauten sein, die durch die steigenden Energiepreise erforderlich wird. Wenn man weiß, dass ein Neubau heute im Durchschnitt nur noch ein Fünftel der Heizenergie verbraucht wie der durchschnittliche Altbau, dann kann man sich vorstel- len, welches enorme Arbeitsprogramm da vor uns liegt.
Bei einem meiner Besuche haben mir Handwerker demonstriert, dass eine gute sau- bere Verarbeitung der Übergänge zwischen Wand und Isolierung, insbesondere die Übergänge an den Fenstern und Türen und am Dach, mehr bringt, als zusätzliche Zentimeter Dämmmaterial. Ohne gutes Handwerk geht da nichts.
Zum schonenden Umgang mit der Umwelt gehören auch moderne Farben und Lacke in den Malerbetrieben. Und dazu gehört ebenso der gekonnte Umgang mit Sprays, Farben, Festigern usw. in den Frisiersalons.
Und natürlich muss ich auch die enorme Entwicklung bei unseren Kraftfahrzeugen erwähnen. Was nützen sparsame, sauber verbrennende moderne Autos mit funktio- nierenden Katalysatoren, wenn sie nicht regelmäßig in qualifizierten Werkstätten ge- wartet und notfalls auch repariert werden. Ohne Qualitätsarbeit ist da nichts zu ma- chen. Deswegen sind auch Qualitätssiegel von großer Bedeutung.
Eines dieser Qualitätszeichen ist der Meisterbrief. Wie Sie vielleicht wissen, gibt es auch in meiner Partei eine lebhafte Debatte zu diesem Thema. Die Mittelstandsbe- auftragte der Bundesregierung, meine Parteifreundin Margarete Wolf, hat mehrfach die Abschaffung des Meisters gefordert. Wir haben auch das Problem, dass im Rah- men der Europäischen Union, jeder, der im Ausland sechs Jahre gearbeitet hat, sich bei uns selbständig machen kann ohne Meister zu sein. Ich bin deshalb öfters von Gesellen angesprochen worden, die selbständig arbeiten und keinen Meisterbrief haben. Die haben mich gefragt, wann es denn endlich so weit wäre.
Trotzdem glaube ich, nach vielen Gesprächen mit Handwerkern, mit den Obermeis- tern der Innungen und den Kreishandwerkerschaften, dass das nicht der richtige Weg ist. Statt dessen sollten wir gemeinsam überlegen, wie es uns gelingt, den Meis- terbrief europafähig zu machen. Und das geht am besten, wenn wir aus dem Meis- terbrief ein Qualitätssiegel machen, sozusagen ein zertifizierter Meisterbetrieb. So wie einige von Ihnen es mit der ISO 9000 bereits kennen. Gelingt uns das, dann könnte der Meisterbrief auch in Zukunft das sein, was er eigentlich immer war: Der Ausweis für Qualitätsarbeit für den Kunden.
Und deshalb, liebe Landessieger: Sie als Jahrgangsbeste sind natürlich die Meiste- rinnen und Meister von morgen. Und das zu werden, dazu möchte ich Sie an dieser Stelle auch ausdrücklich ermutigen.
Ich sage dies aber auch noch aus einem anderen Grund. Und auch der steht in di- rektem Zusammenhang mit dem heutigen Anlass. Das Handwerk ist nicht nur Dienst am Kunden mit hoher Qualität. Das Handwerk ist auch die größte Berufsschule der Nation. In Schleswig-Holstein werden über ein Drittel aller Auszubildenden im Hand- werk ausgebildet. Ohne das Handwerk würde das duale Ausbildungssystem zusam- menbrechen und wir müssten eine staatliche Ausbildung aufbauen. Das Handwerk bildet dabei Spitzenkräfte aus, wie Sie, die wir heute hier feiern. Aber zu den Leistungen des Handwerks gehört, dass es eben auch diejenigen aus- bildet, denen das Lernen nicht so leicht fällt. Die Schüler und Schülerinnen, denen die Schule schwer fällt, die für die Theorie etwas länger brauchen, die aber oft in der praktischen Arbeit genauso gut ihre Frau oder ihren Mann stehen.
Ein Malermeister sagte mir einmal: „Herr Hentschel, wissen Sie eigentlich, dass viele meiner Kollegen auch Sozialarbeiter sind. Wir machen aus Jugendlichen, die oft ori- entierungslos und auch frustriert aus der Schule kommen, richtige Menschen, die auf ihre Arbeit stolz sind und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können.“ Auch dafür gebührt dem Handwerk großer Dank!
Ein besonderer Dank gehört aber den Obermeistern der Innungen, die Jahr für Jahr sich immer wieder auf die Tour machen, um ihre Meisterkollegen und -kolleginnen davon zu überzeugen, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Ich habe oft ge- fragt, warum Sie das eigentlich machen und dazu noch ehrenamtlich. Und die Ant- wort war schlicht: „Ich habe doch auch Kinder und Enkelkinder - die sollen doch auch eine gute Ausbildung bekommen.“
Das nenne ich staatsbürgerliches Engagement. Davon lebt unsere Demokratie. Dafür danke ich Ihnen ganz besonders!
Meine Damen und Herren, es kann für einen Grünen natürlich nicht ausbleiben, auch das Ökoaudit zu erwäh- nen, das ökologische Qualitätssiegel der Europäischen Union. Ich tue dies auch mit einigem Stolz. Denn immerhin ist Schleswig-Holstein auch auf diesem Sektor in der Spitzengruppe - kaum irgendwo sonst gibt es so viele auditierte Betriebe wie in Schleswig-Holstein. Und besonders möchte ich mich bei den Bäckerinnungen und - betrieben bedanken, die sich dafür besonders engagiert haben.
Was mich aber auch gefreut hat: Von fast allen Betrieben wurde mir berichtet, dass es sich gelohnt hat. Und zwar nicht nur wegen des Imagegewinns beim Kunden als ökologisch auditierter Betrieb. Sondern auch in Mark und Pfennig. So konnte regel- mäßig bares Geld eingespart werden - bei der Entsorgung der Abfälle, beim Energie- verbrauch, beim Materialverbrauch um nur die wichtigsten Punkte zu nennen.
Auf Dauer kann man sagen: Qualität und umweltfreundlicher Umgang mit den Res- sourcen lohnt sich, für den Betrieb und für den Kunden.
Nun muss ich leider auch zu den unerfreulichen Themen kommen. Das Handwerk befindet sich in diesen Tagen in einer schwierigen Lage, vielleicht der schwierigsten seit Beginn dieser Republik. Das gilt vor allem für das Bauhandwerk, denn die Bau- wirtschaft ist in einer dramatischen Krise. Ein Drittel aller Arbeitsplätze im Bau sind allein in Schleswig-Holstein in den vergangen fünf Jahren verloren gegangen.
Der Grund liegt in dem künstlichen Boom, der nach der deutschen Einheit ausgelöst wurde, als durch Sonderabschreibungen ein Bauboom in den fünf neuen Ländern ausgelöst wurde. Mitte der neunziger Jahre gab es in Ostdeutschland dreimal soviel Bauarbeiter pro Einwohner wie in Westdeutschland, und auch hier in Schleswig- Holstein hatte die Zahl um fast die Hälfte zugenommen. Das konnte nicht gut gehen. Das war auch unbezahlbar. Ich erinnere mich an das Jahr 1998, als hier in Schles- wig-Holstein soviel Sonderabschreibungen getätigt wurden, dass wir mehr Einkom- menssteuer zurückzahlen mussten, als wir einnahmen. Natürlich hoffe ich, dass es in absehbarer Zeit zu einer Normalisierung kommt. Aber ich sehe auch die aktuelle kritische Lage. Wenn bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen einheimische Firmen mit Dumpingangeboten unterboten werden von Fir- men, die mit ausländischen Subunternehmern arbeiten, die hier nicht ordentlich Steuern bezahlen und die ihre Arbeitern weit unter Tarif entlohnen, dann ist das nicht akzeptabel.
Marktwirtschaft heißt freie Konkurrenz - aber es müssen gleiche Bedingungen herr- schen. Und dafür ist die Politik zuständig.
Wir hatten in den letzten Monaten ein erstaunliches Erlebnis im Wirtschaftsaus- schuss des Landtages. Die Vertreter der gesamten Bauwirtschaft von den großen Verbänden über die Architekten und Straßenbauingenieure bis hin zum Bauhand- werk war bei uns und forderte die Einhaltung von Tarifverträgen. Sie können sicher verstehen, dass das auch etwas Schmunzeln hervorgerufen hat. War doch die Bau- wirtschaft nicht immer der Vorreiter, wenn es darum ging, Tarife einzuhalten und mit Gewerkschaften gleichberechtigt zu verhandeln. Aber es macht den Ernst der Lage deutlich.
Sowohl in Berlin als auch in Schleswig-Holstein wird an einem Vergabegesetz gear- beitet. Es soll die Bindung von Aufträgen an Tarife und die ordentliche Steuerzahlung in Deutschland regeln. Dies soll auch für Subunternehmer gelten. Wir sind uns jetzt mit der SPD und dem SSW einig, dass wir in Schleswig-Holstein noch in diesem Jahr handeln werden, wenn es bis November keinen Gesetzentwurf in Berlin gibt.
Meine Damen und Herren, es gibt aber auch Probleme für das Handwerk, die grundsätzlicher struktureller Natur sind. Dazu gehört das Thema Lohnnebenkosten und Schwarzarbeit. Für mich sind diese beiden Themen eng miteinander verbunden.
Natürlich müssen wir die Schwarzarbeit bekämpfen, und die Einsatzgruppen zur Be- kämpfung der Schwarzarbeit, die in einer Reihe von Kreisen eingerichtet wurden, sind wichtig und machen eine gute Arbeit. Aber das Problem liegt tiefer.
Wir brauchen uns ja alle nur tief in die Augen zu schauen. Und ich liege sicher nicht ganz falsch mit der Annahme, dass auch hier so mancher sitzt, der wenigstens am Wochenende schon mal schwarz auf eine Baustelle gegangen ist, um den Bruttolohn zu kassieren. Denn Schwarzarbeit ist doch nur deswegen so attraktiv, weil die Lohn- nebenkosten - oder Lohnzusatzkosten, wie sie im Handwerk immer genannt werden, so hoch sind. Dabei geht es nicht einmal in erster Linie um die Steuern. Die Lohn- steuern sind gerade in den geringer verdienenden Lohngruppen, in denen das Prob- lem am größten ist, nicht so hoch.
Vor allem geht es um die Sozialabgaben. 40 Prozent Sozialabgaben - letztlich ist es ja egal, ob es der Arbeitnehmeranteil oder der Arbeitgeberanteil ist, bezahlt werden muss beides vom Kunden. Und im Unterschied zur Steuer gibt es bei den Sozialab- gaben keine Freibeträge, es gibt keine Kinderfreibeträge, es gibt auch keine Pro- gression. Unerbittlich schlagen die Sozialabgaben ab der ersten verdienten Mark und in Zukunft ab dem ersten verdienten Euro zu.
Dabei haben wir gerade in Schleswig-Holstein ein attraktives Vorbild, wie es anders geht, bei unserem Nachbarstaat Dänemark: In Dänemark sind die Löhne niedriger, und trotzdem bleibt für den Arbeiter mehr in der Tasche. Denn in Dänemark werden ein Großteil der Sozialversicherungen über Steuern finanziert. Dort gibt es eine steu- erfinanzierte Grundrente und eine steuerfinanzierte Krankenversicherung. Und eine Pflegeversicherung gibt es auch nicht. Dort ist das Aufgabe der Kommunen. Die müssen für ihre alten Menschen geeignete Wohnungen möglichst zentrumsnah mit entsprechenden Betreuungsangeboten bereitstellen. Der Normalverdiener braucht nur Arbeitslosengeld bezahlen. Deswegen sind dänische Firmen konkurrenzfähiger. Und deswegen ist die Arbeitslosigkeit nördlich der Grenze geringer.
In Dänemark lohnt es sich auch nicht besonders, schwarz zu arbeiten. Denn wer sich anmeldet, erhält Punkte für die Rente ohne zuzuzahlen. Aber das Ganze ist natürlich nicht umsonst. Das wird bezahlt aus Verbrauchssteuern. Das sind die Mehrwertsteu- er und die Ökosteuern. Die Mehrwertsteuer ist in Dänemark 25 Prozent, das Benzin ist immer noch teurer als bei uns, wie jeder bei einem Besuch im Norden feststellen kann, und das Heizöl ist erheblich teurer.
Das ist die Kehrseite der Medaille. Und wer das will, der muss das auch sagen. Es gibt in allen Parteien kluge Leute, die das sagen: Runter mit den Lohnnebenkosten und Finanzierung durch Verbrauchssteuern.
Sie mögen mich noch so sehr prügeln, aber ohne die Ökosteuer wären die Renten- beiträge noch mal 1,5 Prozent höher. Das ist die schlichte Wahrheit - ansonsten hät- te Schröder sie schon längst abgeschafft und die Koalition mit den Grünen gekün- digt.
Der dänische Weg ist der richtige. Wolfgang Schäuble hat das gesagt. Angela Merkel hat es früher auch einmal gesagt, aber längst vergessen - sie hat jetzt andere Prob- leme. Schröder hat es auch mal gesagt. Bei meiner Partei steht es sogar im Grundsatzprogramm. Aber in Berlin traut sich jetzt niemand, das öffentlich zu sagen. Jeder Politiker, der das als erstes sagt, wird von der Bildzeitung als Steuererhöher gebrandmarkt.
Dennoch wiederhole ich hier: Wir brauchen eine Umfinanzierung der Sozialsysteme.
Unser jetziges System belastet vor allem die Betriebe, die einen hohen Anteil an Lohnkosten haben. Bei fast jedem Handwerksbetrieb, den ich besucht habe, mach- ten die Lohnkosten mehr als 50 Prozent aus, manchmal sogar mehr als 70 Prozent. Die Energie- und Spritkosten liegen dagegen weit unter 10 Prozent.
Es sind die Handwerker und die Dienstleistungsbetriebe, die unter dem jetzigen Sys- tem leiden. Wir werden die Änderung aber nur hinbekommen, wenn dies von den Wirtschaftverbänden eingefordert wird.
Die Handwerkspräsidenten von Schleswig-Holstein – Herr Jensen bin ich mir sicher, aber ich glaube auch Herr Burgdorff - haben das öffentlich gesagt. Der Wirtschafts- minister von Schleswig-Holstein, Dr. Bernd Rohwer hat es verstanden und neulich in einem Interview mit den Kieler Nachrichten auch gesagt.
Wir müssen erreichen, das das Thema steuerfinanzierte Sozialsysteme in dem Bündnis für Arbeit in Berlin sowohl von den Arbeitgebern wie auch von Arbeitneh- mern eingebracht wird. Nur gemeinsam werden wir diesen Kraftakt hinbekommen. Sie können sicher sein, dass Sie mich und viele andere Politiker mittlerweile auf Ihrer Seite haben, aber alleine wird es die Politik nicht schaffen. Dafür ist es zu unpopulär. Da bin ich ehrlich!
An dieser Stelle auch ein Wort zu Lobbyarbeit. Die hat ja oft einen schlechten Ruf. Und Handwerker fragen sich oft, wozu bin ich eigentlich in der Innung. Warum muss ich in der Kammer sein. Brauchen wir das? Da ist es vielleicht gut, wenn ich das mal aus der Sicht eines Politikers schildere.
Die Lobbyarbeit des Handwerks ist zu schwach. Das ist nicht die Schuld ihrer Präsi- denten und Geschäftsführer in Schleswig-Holstein. Die machen eine hervorragende Arbeit. Aber es ist einfach so, dass die großen Konzerne viel mehr Bewusstsein für Lobbyarbeit haben und gerne dafür zahlen.
Im Handwerk ist eher die Meinung da, das bringt ja doch nichts. Aber das ist falsch. Eine Marktwirtschaft funktioniert nicht, wenn es nur noch große Konzerne gibt. Der Markt lebt von den Kleinen, die den Großen Konkurrenz machen. Deshalb muss die Politik besonders die Kleinen unterstützen.
Und wir brauchen Verbände, Kammern, Innungen, die die Probleme ihrer Mitglieder in Kiel und in Berlin vortragen. Wir haben teilweise jeden Tag Demonstrationen in Kiel, wenn die Haushaltsberatungen sind. Glauben Sie nicht, dass alle Abgeordneten alle Probleme des Handwerks geschweige denn der einzelnen Gewerke kennen. Da ist es wichtig, dass es kompetente Menschen gibt, die die Probleme anschaulich er- klären und vortragen können. Ihre Präsidenten und Geschäftsführer in den Kammern bedürfen da aller Ihrer Unterstützung - auch durch Beiträge.
Liebe Leistungssiegerinnen und Sieger, ich weiß sehr gut, dass Ihnen zur Zeit vieles andere durch den Kopf geht. Der Freund oder die Freundin, das eigene Auto und der eigene Job sind Ihnen sicher viel wichti- ger, als sich mit der Zukunft des Handwerks im allgemeinen zu beschäftigen. Das ging uns allen sicher auch so, als wir in Ihrem Alter waren.
Aber schauen sie sich einmal um. An den Tischen um Sie herum sitzen viele Ober- meister, Kreishandwerksmeister. Hier sitzen Meister und Berufsschullehrer, die in den Prüfungsausschüssen der Kammern tätig sind. So mancher der Anwesenden hat dazu Ehrenämter bei der Feuerwehr, im Gemeinderat oder im Sportverein.
Warum ich das sage? Weil es ohne diese Leute, die sich in ihrer Freizeit und häufig sogar noch als Rentner engagieren, diese Feier heute sicher nicht gäbe. Weil es kei- ne Innungen und keine Handwerkskammern, keine Vereine und keine Demokratie in den Gemeinden gäbe, wenn sich all diese Frauen und Männer nicht engagieren wür- den.
Diese Demokratie, in der wir leben, funktioniert nicht durch die wenigen hauptamtli- chen Politikerinnen und Politiker, die Geschäftsführer in den Verbänden, die Haupt- amtlichen im Landessportverband und so weiter. Natürlich werden wir Hauptamtliche auch gebraucht. Aber ohne das Engagement von Hunderten, Tausenden, Zehntau- senden von Menschen in diesem Land würde unser politisches System genauso we- nig funktionieren wie das Handwerk. Es gäbe keine Innungen oder Kammern, die sich darum kümmern, dass Ausbildungsplätze geschaffen und die Ausbildung orga- nisiert wird, die Sie gerade erfahren haben. Deshalb möchte ich Sie, die Sie noch am Beginn ihres beruflichen Lebens stehen, dazu ermuntern, in die Fußstapfen ihrer Vorgänger zu treten. Und sicherlich ist die eine oder der andere von Ihnen auch schon ehrenamtlich engagiert. Sie sind nicht nur die Landessiegerinnen und Sieger von heute, Sie sind auch die Obermeisterin- nen und Obermeister von morgen.
Da ist keine öde Betätigung. Sich engagieren ist keine moralische Zwangsveranstal- tung. Es macht vor allem Spaß. Ein engagiertes Leben zu führen heißt ein reiches, ausgefülltes Leben zu führen. Und ein solches engagiertes, erfolgreiches, ausgefüll- tes Leben - beruflich und privat - wünsche ich Ihnen.
Alles Gute für Ihre Zukunft!“
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