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Karl-Martin Hentschel zum Störfall im AKW Brunsbüttel
Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel TOP 18/23 – Störfall im AKW Brunsbüttel - Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt der Vorsitzende Telefax: 0431/988-1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 Karl-Martin Hentschel: E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de Nr. 090.02 / 22.03.2002Die Zuverlässigkeit der Betreiber steht in FrageDer Abriss einer Rohrleitung am Reaktordruckbehälter ist ein so ernsthafter Störfall, dass ich noch einmal grundsätzlich betonen möchte: Die Sicherheit der Bevölkerung muss ab- soluten Vorrang vor wirtschaftlichen bzw. betriebswirtschaftlichen Überlegungen haben.Der Zwischenfall im Atomkraftwerk Brunsbüttel muss deshalb vollständig aufgeklärt wer- den, damit solche Pannen nicht noch einmal passieren. Bei der Sicherheit von Atom- kraftwerken darf es keinerlei Abstriche geben. Ein Atomkraftwerk ist keine Maschinenfab- rik oder Autowerkstatt, bei der man Risiken in Kauf nimmt. Ein GAU – der „Größte anzu- nehmende Unfall“ – darf niemals vorkommen. Und dieser Vorfall vom Dezember letzten Jahres ist eine erschreckende Erinnerung daran, dass ein solcher Unfall nicht grundsätz- lich ausgeschlossen werden kann.Das Mindeste ist jetzt, dass die Pannen so analysiert werden, dass nach menschlichen Ermessen zumindest diese Fehlerquelle nachhaltig beseitigt wird. Und das sowohl für das AKW Brunsbüttel, aber auch für alle Reaktoren dieser Techniklinie, also alle Siede- wasserreaktoren. Denn der Vorfall, vermutlich eine Wasserstoffexplosion, ist laut Aussa- ge des Energieministeriums einmalig in der Geschichte der Kernenergie.Die Ursachenforschung muss sorgfältig erfolgen, weil offensichtlich Störfall-Neuland be- treten wurde. Diese Aufarbeitung erfolgt in Abstimmung mit dem Bundesumweltministeri- um, denn möglicherweise können alle Siedewasserreaktoren von solchen Störfällen be- droht sein. Was mich sehr nachdenklich gemacht hat, ist die Tatsache, dass der Reaktor wieder hochgefahren werden konnte, ohne dass die Betriebsleitung wirklich wusste, was vor- gefallen war. Erinnern wir uns: Ein Störfall wird in der Schaltzentrale entdeckt, der Reak- tor wird runtergefahren auf 55 Prozent Leistung. Der Störfall wird dann von der Werkslei- tung als eine „spontane Dichtungsleckage“ interpretiert. Was heißt das? Interpretieren heißt doch wohl an dieser Stelle: Man weiß gar nicht, was wirklich passiert ist. Also ohne die tatsächliche Ursache zu kennen, wird entschieden, den Reaktor wieder hochzufah- ren.Der Vorfall konnte erst am 18. Februar 2002 durch eine Inspektion vor Ort in seinem Ausmaß und seiner Dramatik erkannt werden. Erst dann ist der Sicherheitsbehälter be- treten worden.Also: Der Reaktor wurde im Dezember wieder hochgefahren, obwohl völlig unklar war, was tatsächlich passiert war. Ich finde das unglaublich. Selbst der TÜV, also die unab- hängige technische Überwachungsinstitution, hat Mitte Januar dem Reaktor trotz diesem Unfall den Freibrief erteilt, ohne wirklich zu wissen, was geschehen ist. Zwei Monate ist also dieser Reaktor trotz der Kontrolle durch den TÜV mit einer gerissenen Rohrleitung gelaufen. Was wäre geschehen, wenn eine solche Explosion drei Meter weiter erfolgt wäre und das Kühlsystem ausgefallen wäre. Hätte das zu einer Kernschmelze geführt? Wäre beinahe der gesamte Unterelberaum unbewohnbar geworden? Hätte Hamburg bei Westwind für Jahrhunderte evakuiert werden müssen?Allein das Ministerium hat während dieser Zeit in mühseliger Puzzlearbeit Widersprüche in den Berichten des Betreibers analysiert und schließlich festgestellt, dass etwas nicht stimmen kann. Nur dem argwöhnischen Misstrauen eines grünen Staatssekretärs und seiner akribisch arbeitenden Mitarbeiter ist zu verdanken, dass schließlich der Reaktor stillgelegt werden musste und danach überhaupt erst der Schaden festgestellt wurde. Dafür, Willi Voigt, gehört Ihnen und Ihren Mitarbeitern der aufrichtige Dank aller Men- schen in diesem Lande.Es besteht ein Verdacht. „Wo Verdacht einkehrt, nimmt die Ruhe Abschied.“ lautet ein Sprichwort. Es besteht der Verdacht, dass ein Grund für das Verhalten des Betreibers in der hohen Stromanfrage zu diesem Zeitpunkt am 14. Dezember 2001 zu finden sein kann. An diesem Tag erreichten die Strompreise zur Abdeckung der Stromspitzen Spit- zenwerte. Der Verdacht besteht darin, dass der durch die Liberalisierung des Strommark- tes erzeugte zusätzliche Kostendruck die Kraftwerksbetreiber dazu verleitet, auch im Si- cherheitsbereich zu sparen. Wenn sich das herausstellt, dann ist das in meinen Augen kriminell. Dann ist der Staatsanwalt gefordert.Aber hier sind ebenfalls die Aufsichtsbehörden gefordert, um dem Sicherheitsgebot auf Dauer Nachdruck zu verschaffen. Mit Spannung erwarte ich auch die Überprüfung der Zuverlässigkeit der Betreiber von Brunsbüttel. Wenn nicht nur bei einzelnen Personen, sondern bei der Gesellschaft insgesamt eine Unzuverlässigkeit festgestellt wird, dann kann das bis zum Widerruf der Betriebsgenehmigung führen.Nach der minutiösen Aufklärung des so in Deutschland einmaligen Vorfall kommt die Ermittlung des Nachrüstungsbedarfes. Dann muss auch der Betreiber für sich entschei- den, ob die Nachrüstung ökonomisch Sinn macht oder der Reaktor vom Netz getrennt bleibt.Uns Grüne bestärkt der Vorfall in unserer Politik des geordneten Atomausstiegs. Das ist durch den Bundestag beschlossen worden. Ich hätte mir den Ausstieg schneller ge- wünscht. Trotzdem: Der Atomausstieg ist ein politischer Erfolg, mit dem wir eine weltwei- te Entwicklung in Gang gesetzt haben. Vor zwei Wochen hat nun auch das belgische Kabinett nach den Niederlanden, Schweden und Deutschland den Ausstieg beschlossen.Dass meine Partei, Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam mit der SPD in dieser Frage ge- gen die Milliardenschwere Lobby der Atomkonzerne durchsetzen konnten, darauf bin ich stolz. Denn die Atomenergie ist eine Risikotechnologie, aus der wir aussteigen müssen.In Schleswig-Holstein hat die Energiewende längst begonnen. Im Monat Februar wurde erstmalig über die Hälfte des Stromes in unserem Land mit Windkraft erzeugt. Das A- tomkraftwerk Brunsbüttel ist ein Auslaufmodell. Ich hoffe, es läuft bald aus. ***