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Kommunalverfassung: Schwerkranker wird mit Pflaster geheilt
Südschleswigscher Wählerverband Schleswig-Holsteinischer Landtag im Schleswig-Holsteinischen Landtag Düsternbrooker Weg 70 D - 24105 Kiel Tel. (0431) 988 13 80 Fax (0431) 988 13 82PRESSEINFORMATION SSW-Landtagsvertretung Norderstr. 74 D – 24939 Flensburg Tel. (0461) 14 40 83 00 Fax (0461) 14 40 83 05 Kiel, d. 19.06.2002 Silke Hinrichsen Es gilt das gesprochene Wort„Die beschlossene Änderung der Kommunalverfassung ist der Versuch, einen Schwerkranken mit einem Pflaster zu heilen.“TOP 2 Änderung des kommunalen Verfassungsrechts (Drs. 15/657, 15/1424, 15/1425, 15/1908) TOP 55 Reform des Gemeinde- und Kreiswahlrechts (Drs. 15/966, 15/1909)Die Kommunen sind die Keimzelle einer lebendigen Demokratie. Im Rahmen der kommunalenSelbstverwaltung bestimmen die Menschen, wie ihre nächste Umgebung aussehen soll. Dort im Alltaglernen schon die jungen Bürgerinnen und Bürger, was demokratische Teilhabe heißt. Deshalb habenwir alle ein Interesse daran, dass die Demokratie in Gemeinden, Städten und Kreisen gute Wachstums-bedingungen hat.Der Landtag bereitet den Boden. Es ist unsere Aufgabe, die Rahmenbedingungen für die kommunaleDemokratie zu setzen. Wir entscheiden, wie die Aufgaben und die Entscheidungskompetenzen in denKommunen verteilt sind. Wir bestimmen, wie effektiv die Verwaltungen arbeiten können und wie vielEinfluss die Kommunalpolitikerinnen und -politiker haben. Obwohl die meisten Bürgerinnen undBürger vermutlich nicht einmal wissen, was das kommunale Verfassungsrecht ist, tragen wir damiteine große Verantwortung für die Erhaltung und Weiterentwicklung der Demokratie in unserem Land. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Der SSW ist sehr unzufrieden mit dem bestehenden kommunalen Verfassungsrecht. Denn mit derReform von 1996 wurde ein Systemwechsel durchgeführt, der die bürgernahe Demokratie ehergeschwächt hat. Damals entschied sich der Landtag für eine Reform der Kommunalverfassung, diezuerst den Verwaltungsleiter stärkte, um eine effektive und effiziente Verwaltung unserer Kommunenzu ermöglichen.Diese Reform hat zu einem problematischen Machtgefälle zwischen Verwaltung und Politik geführt,und nicht zuletzt deshalb hat der Landtag ja auch dieses Thema wieder aufgegriffen. Das kam bereitsim ersten Gesetzentwurf der CDU zum Ausdruck. Nach mittlerweile fast zwei Jahren der Ausschuss-arbeit in Enquetekommission und Sonderausschuss müssen wir aber leider feststellen, dass die Lösungnicht geglückt ist. Denn an den grundlegenden Problemen wird nicht gerüttelt.Der Gesetzentwurf wird das gespannte und falsche Verhältnisvon Hauptamt und Ehrenamt nicht verbessern.Kern der neuen Kommunalverfassung von 1996 war und ist eine grundlegende Änderung der Macht-verhältnisse in den Kommunen. Um ein besseres Management der Städte, Gemeinden und Kreise zuermöglichen, wurde die Rolle der Verwaltungsspitze gestärkt. Die hauptamtlichen Bürgermeister undLandräte wurden zum Machtzentrum der kommunalen Demokratie ausgebaut. Die gleichzeitig einge-führte direkte Wahl durch die Bevölkerung sollten ihnen die demokratische Legitimation für weit-gehende Entscheidungsbefugnisse verleihen. Die Reform bescherte ihnen neben der Verantwortungfür die Umsetzung der Beschlüsse der Gemeindevertretung noch die Möglichkeit einer eigene politi-schen Amtsführung. Damit schwächte man aber gleichzeitig die Rolle der ehrenamtlichen Politiker-innen und Politiker, in dem das System der kollegialen Verwaltungsleitung aufgelöst wurde.Die Folge dieser Entwicklung ist nicht zu übersehen: Die Kommunalpolitiker haben zunehmend weni-ger Entscheidungs- und Handlungsspielraum und sind überfordert. Sie sollen als „Aufsichtsrat“ derVerwaltung agieren, der im Rahmen des Berichtswesens Soll-/Ist-Vergleiche anstellt. Damit werdendemokratisch engagierte Menschen zu Controllern der Verwaltung umgeschult. Das ist nicht jeder-manns Vorstellung von ehrenamtlichem politischem Engagement für die kommunale Gemeinschaft. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass es unter den Gemeindevertreterinnen und -vertretern nichtbesonders viele Freunde der Kommunalverfassung gibt. Die Mehrheit des Landtages hat aber aber-mals entschieden, nicht die eigene kommunalpolitische Basis zu stärken. Sie wertet offensichtlich eineffektives Management der Bürgermeister und Landräte höher.Denn wer das Ehrenamt wirklich stärken will, kommt um die Beschränkung der Kompetenzen derHauptamtlichen nicht herum. Die Machtposition der hauptamtlichen Bürgermeister und Landräte wirdaber durch die jetzt vorliegende Änderung der Gemeindeordnung nicht angetastet. Es wird lediglichversucht, die ehrenamtlich tätigen Gemeindevertreterinnen und -vertreter mit Trostpflastern bei derStange zu halten: Sie erhalten mehr Einsichtsrechte aber kaum mehr Entscheidungsbefugnisse. DerHauptausschuss, der in den Beratungen eine zentrale Rolle spielte, kann mehr Aufgaben erhalten. Voneiner Stärkung des Ehrenamts kann aber insgesamt nicht die Rede sein, denn es werden lediglichKompetenzen innerhalb der ehrenamtlichen Vertretung verschoben. Die Aufgabenfülle der Hauptamt-lichen bleibt grundlegend unangetastet. – Der Landesrechnungshof hätte im übrigen sogar gerne diePosition des Hauptamtlichen gestärkt, in dem dieser Vorsitzender des Hauptausschusses wird.Wir halten nichts von den fragwürdigen Placebos zur Erhöhung der Freude am Ehrenamt. Der SSWhat mit eigenen Gesetzentwürfen zur Kommunalverfassung wesentlich weitergehende Änderungen zurStärkung des politischen Ehrenamtes vorgebracht. Wir wünschen uns eine echte Kur für diekommunale Demokratie. Im Zentrum unserer Überlegungen steht - nicht überraschend - die Abschaf-fung der Direktwahl für Landräte und Bürgermeister.Die Direktwahl ist 1996 als die große demokratische Revolution gefeiert worden, weil dieBürgerinnen und Bürger jetzt direkt ihre Verwaltungsleitung wählen können. Das ist eben so simpelwie falsch. Die Direktwahl mag die Verwaltungsführung straffen und schnellere Entscheidungen er-möglichen. Aber demokratischer ist es nicht, wenn eine Person jahrelang politische relevante Be-schlüsse trifft, über die früher ein ganzes Parlament mit verschiedenen Parteien zu entscheiden hatte.Dies gilt umso mehr, als diese Personen in der Regel mit einer haarsträubend niedrigen Wahlbetei-ligung gewählt werden. Unser Gesetzentwurf ist leider im Sonderausschuss abgelehnt worden. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Besonders ärgerlich ist es, dass zudem nicht einmal die Gelegenheit genutzt worden ist, das Systemder Direktwahl zumindest dort zu verbessern, wo es geht. Zum Beispiel haben konkrete Fälle im Landverdeutlicht, dass bei der Abwahl direkt gewählter Bürgermeister und Landräte erhebliche Problemebestehen. Es ist heute so, dass ein Bürgermeister mit 10prozentiger Wahlbeteiligung gewählt werdenkann, während für die Abwahl ungleich höhere Hürden bestehen.Eine grundlegende Stärkung des gewählten Ehrenamtes findet mit der vorliegenden Änderung derKommunalverfassung nicht statt. Stattdessen erhalten bürgerschaftliche Mitglieder und Beiräte nochähnliche Rechte, wie die gewählten Vertreterinnen und Vertreter. Sie erhalten jetzt das Rede- und An-tragsrecht in allen Sitzungen aller Ausschüsse. Das dürfte nicht nur das Verhältnis zwischen gewähltenund ernannten Mitgliedern in den Ausschüssen problematischer gestalten. Damit wird das auch Wäh-lervotum ausgehöhlt.Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen wurdeauch nicht wesentlich erweitert, obwohl die Praxis eben dieses verlangt.Natürlich begrüßen wir, dass ab jetzt einmal jährlich eine Einwohnerversammlung durchgeführt wer-den muss, um die Bürger und Bürgerinnen über die wichtigsten Belange der Gemeinde zu informieren.Dies mag in kleinen Gemeinden nicht unbedingt immer erforderlich sein. Aber dieses Instrument derBürgerbeteiligung ist bislang zu häufig nicht genutzt worden. Deshalb ist die obligatorische Einwoh-nerversammlung ein Fortschritt.Positiv ist auch die Änderung des § 47f: Bisher „sollten“ Kommunen Kinder und Jugendliche anPlanungen beteiligen. Zukünftig „müssen“ sie es tun. Das unterstützen wir, denn Schleswig-Holsteinhat zwar die Nase vorn in Sachen Mitbestimmung, aber zu oft geht das kommunale Engagement nichtüber eine „Jugendratsversammlung“ hinaus. Das reicht nicht.Es gibt noch einige weitere kleine Verbesserungen der Bürgerbeteiligung. Aber insgesamt reichen dieÄnderungen nicht aus. Die Möglichkeiten für einen Bürgerentscheid werden nicht erweitert. Lediglichdie Quoren und die Darstellung der Argumente der Initiatoren von Volksinitiativen wurden geändert.Nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer Debatte über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide im Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de letzten Monat hätte man weiter springen müssen: zum Beispiel mit klareren und einheitlicherenRegelungen der Bürgerbeteiligung, die auch die Bauleitplanungen umfassen.Die Transparenz der Verwaltung und derKommunalpolitik ist nicht verbessert worden.Wir brauchen aber Verwaltungen und Politiker die so offen mit ihren Aufgaben umgehen wiemöglich. Ein offener Umgang mit Informationen macht die Entscheidungen von Politik und Verwal-tung transparent und nachvollziehbar, gibt den Bürgern bessere Möglichkeiten, sich aktiv einzu-mischen und ist das beste Mittel gegen Korruption. Deshalb müssen z. B. Sitzungen der politischenGremien so weit wie möglich öffentlich abgehalten werden.Leider ist die Chance zu Verbesserungen auf diesem Feld verpasst worden. Gemeinden können weiter-hin beschließen, dass ihre Ausschüsse grundsätzlich nichtöffentlich tagen. Damit werden die Bürgervon vornherein von der Beobachtung des Entscheidungsprozesses ausgeschlossen. Wir hätten es liebergesehen, wenn die Gremienarbeit grundsätzlich öffentlich ist, und bei bestimmten Themen die Nicht-öffentlichkeit einer Sitzung beschlossen wird – so wie wir es auch im Landtag handhaben. Hier isteine Chance vertan worden.Die Regelungen für Kommunalwahlen wurden nicht geändert,obwohl dieses längst überfällig ist.Der Sonderausschuss hat sich in seiner wechselvollen Geschichte in dieser Legislaturperiode noch mitweiteren Sachverhalten auseinandergesetzt. Hierzu zählte die Sperrklausel im Kommunalwahlrecht.Aufgrund eines Antrags der FDP und vor dem Hintergrund einiger Urteile zur 5 % Sperrklausel disku-tierte der Ausschuss eine Senkung oder gänzliche Abschaffung der Hürde. Dabei wurde deutlich, dassdie Vertreter von SPD und CDU keinerlei Veranlassung für eine Änderung sehen. Es zeugt wirklichvon der Arroganz der großen Parteien, dass der Kollege Puls die 5%-Hürde zum Bollwerk gegenAnarchie und Extremismus hochstilisiert hat. Wir können dem entnehmen, dass nur die großen Volks-parteien zu Stabilität und Demokratie in den Kommunen beitragen. Das ist eine maßlose Selbstüber-schätzung und eine Beleidigung für viele politisch engagierte Bürgerinnen und Bürger. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de Ähnliches gilt für die Diskussion über das Auszählverfahren bei Wahlen, zu dem bereits in der letztenTagung eine Entscheidung getroffen wurde. Es kann keinen Zweifel geben: Am meisten demokratischist das Zählverfahren, welches das prozentuale Wahlergebnis am genauesten widerspiegelt. Deshalbhat der SSW im Innen- und Rechtsausschuss beantragt, die Mandatsverteilung zukünftig nach demSystem Hare-Niemeyer statt nach dem d’Hondtschen Höchstzählverfahren vorzunehmen. Der Antragwurde im Sonderausschuss behandelt und abgelehnt. Die einzige plausible Begründung hierfür lautet,dass die großen Parteien von der ungenaueren Auszählung nach d’Hondt profitieren.Der Gesetzentwurf des Sonderausschusses zur Änderung der Kommunalverfassung bringt einige klei-nere Verbesserungen, Verwaltungsvereinfachungen und redaktionelle Änderungen. Trotzdem wirdauch die neue Kommunalverfassung nicht den Anforderungen einer anwenderfreundlichen, gut les-baren Gemeindeordnung gerecht.Die zentralen Forderungen des SSW an eine neue Kommunalverfassung sind nicht erfüllt. Wer wirk-lich etwas für einer bürgernahe Demokratie tun will, wer Menschen zu kommunalpolitischem Engage-ment motivieren will, muss mehr tun: muss die direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgernausbauen, muss die Transparenz von Politik und Verwaltung herstellen, muss auch kleinen Parteienoder Wählergruppen eine Chance geben und muss vor allem das Ehrenamt stärken.Man kann aber nicht das Ehrenamt wirklich stärken, ohne den Entscheidungskompetenzen der haupt-amtlichen Bürgermeister und Landräte deutlicher Grenzen zu setzen. Die vom Sonderausschuss be-schlossene Änderung der Kommunalverfassung ist der Versuch, einen Schwerkranken mit einem Pfla-ster zu heilen. Die bestehende Kommunalverfassung wird nicht verbessert. Die Ursache für diesesVorgehen dürfte nicht zuletzt darin zu finden sein, dass die Parteien immer noch die Absicherung ihrerMachtposition in Gemeinden, Städte und Kreisen höher stellen als die kommunale Demokratie.Leidtragende sind die Bürgerinnen und Bürger, die sich eine lebendige, bürgernahe Demokratie in denKommunen wünschen.Der vorliegende Gesetzentwurf setzt konsequent die zentralen Fehler der geltenden Kommunalver-fassung fort. Der SSW wird daher dagegen stimmen. Internet: http://www.ssw-sh.de; e-mail:info@ssw-sh.de