Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

09.05.03 , 11:46 Uhr
SPD

Rolf Fischer zu TOP 26: Gott überweist man nicht in den Ausschuss

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 08.05.2003 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! aktuell Sperrfrist: Redebeginn
TOP 26 – Aufnahme des Gottesbezuges in die Europäische Verfassung

Rolf Fischer:
Gott überweist man nicht in den Ausschuss!
Der vorliegende Antrag stellt eine Konkretisierung unseres gemeinsamen Antrags vom November 2002 dar. Er nimmt eine Forderung der großen Kirchen auf, und deshalb hoffe ich, dass der Antrag auch Ihre Zustimmung finden wird. Eine Entscheidung ist heute notwendig, weil die Zeit ein wenig drängt: Trotz vielfältiger Überlegungen wird das Mandat für den Konvent nicht verlängert, so dass der Entwurf für eine Europäische Verfassung wohl am 20. Juni dieses Jahres, al- so in wenigen Wochen, vorliegen wird.

Insofern sollten wir heute der Überweisung nach Brüssel zustimmen, um damit der Forderung der Kirchen zusätzlich Nachdruck zu verleihen. Mehr können wir nicht tun, denn die Entscheidung in der Sache wird natürlich im Konvent und nicht hier im Land- tag entschieden. Aber wir müssen schon dafür sorgen, dass die Kirchen und Religi- onsgemeinschaften dort gehört werden, dass sie ihre Forderungen vorbringen können. Denn ihnen kommt bei der Gestaltung des zukünftigen Europa besondere Bedeutung zu, von den über 700 Mio. Menschen in Europa sind mehr als 500 Mio. Christinnen und Christen.

Die EU – nun nach der getroffenen historischen Entscheidung für die Erweiterung – steht vor der doppelten Aufgabe: Erweiterung und Vertiefung; insbesondere mit einem neuen Blick in Richtung Osteuropa. Dieser Blick zeigt, dass wir die Bedeutung des Christentums neu diskutieren werden. So spielt der Katholizismus in Polen eine ande- Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



re Rolle als z.B. in Frankreich; die gesellschaftliche Bedeutung der östlichen Orthodo- xie ist uns noch vielfach unbekannt.

Doch eines wird schon heute deutlich: Eine Vertiefung der EU wird also nur gelingen, wenn wir uns zur europäischen Vielfalt bekennen und damit auch zur Verschiedenheit kultureller und religiöser Ausprägungen.

Wenn wir nun vom „Gottesbezug“ in der Verfassung sprechen, müssen wir als erstes feststellen: Damit kann nicht die Verengung auf den „evangelischen oder katholischen Gott“ gemeint sein. Europa ist mehr; wir stimmen deshalb allen zu, die darauf hinwei- sen, dass wer von den christlichen Wurzeln Europas spricht, ebenso die jüdischen und islamischen Wurzeln hinzufügen muss. Oder um den Berliner Bischof Huber zu zitie- ren: „So wenig es einen Grund gibt, das Christliche an Europa zu marginalisieren, so unbegründet ist es auch, Europa mit dem Christentum gleichzusetzen. Für keine Epo- che der europäischen Geschichte ist das angemessen.“

Ein Gottesbezug in der EU-Verfassung muss also immer ein pluraler sein, denn die von uns garantierte Religionsfreiheit ist immer auch die Freiheit der Andersglauben- den. Ich erinnere daran, dass mittlerweile 15 Mio. Menschen in den europäischen Ländern leben, die dem Islam angehören – nicht ohne damit auch auf die Situation der Türkei als europäischer Partner hinzuweisen.

So verstanden kann ein Gottesbezug in der Präambel ein Ansatz sein, die unterschiedlichen europäischen Kulturen miteinander zu verbinden. Hierauf sollen sich auch die jüdischen und islamischen Gemeinschaften beziehen können. Es könnte somit ein Ansatz sein, den häufig vorhergesagten Konflikt – ich vermeide bewusst den Begriff „Kampf“ – der Kulturen nicht nur zu verhindern, sondern es könnte ein Signal für die Vielfalt kultureller Traditionen in Europa werden.

Unserem Ziel: „Europäische Vielfalt in Einheit“ kommen wir damit näher und damit auch der Herausbildung einer tragenden europäischen Wertegemeinschaft, auf die Eu- -3-



ropa angewiesen sein wird. Lassen Sie mich dies an einem Beispiel deutlich machen: Im Bild vom Menschen unterscheiden sich christliche und nichtchristliche Traditionen nicht grundsätzlich ; sie akzeptieren Individualität und Verantwortung, Freiheit und So- zialität.

Die am 7. Dezember proklamierte „Grundrechte-Charta“ spricht deshalb vom „geistig- religiösen und sittlichen Erbe“ der EU und verzichtet auf den direkten Gottesbezug. So sollte diese Charta in die Verfassung übernommen werden, wofür sich eine Mehrheit im Konvent abzeichnet, dann wäre dies eine Kompromissformel, die den religiösen Bezug Europas festschreibt. Dahinter aber dürfen wir auf keinen Fall zurückgehen, denn die religiösen Wurzeln sind für die Bildung europäischer Identität im neuen, grö- ßeren Europa unverzichtbar.

Da im Moment eine fast unüberschaubare Zahl von Verfassungsentwürfen vorliegt, ist es wichtig, diese Punkt noch einmal anzusprechen. Wir tun dies mit unserer heutigen Debatte.

Also: Selbst wer dem Gottesbezug in der neuen EU-Verfassung skeptisch gegenüber- steht, sollte den Kirchen und Religionsgemeinschaften die Möglichkeit geben, ihre Forderung darzustellen – auch darum geht es unserer Meinung nach in diesem An- trag.

Überdies gilt: Gott überweist man nicht in einen Ausschuss.

Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen