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20.06.03 , 15:13 Uhr
SPD

Ulrike Rodust zu TOP 46: Verfassungsentwurf entspricht unseren Hoffnungen und Erwartungen

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 20.06.2003 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell TOP 46 – Europäischer Verfassungskonvent


Ulrike Rodust

Verfassungsentwurf entspricht unseren Hoffnungen und Erwartungen

Der Ministerrat in Thessaloniki und wir hier in Schleswig-Holstein diskutieren heute zeitgleich über den nun vorliegenden Verfassungsentwurf, einen Vertrag, der vor 1 ½ Jahren von 105 überzeugten Europäern in einem kaum zu überbietenden Arbeitspen- sum entworfen worden ist. Diese europäische Verfassung ist eine demokratische Ne u- begründung. Thukydides, der größte Geschichtsschreiber der Antike, hat folgenden Satz formuliert: „Die Verfassung, die wir haben ... heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist.“ Das werden die ersten Worte unserer europäischen Verfassung sein.

Als Union der Bürger und der Staaten wird die Europäische Union nun zum Fixpunkt einer politischen Antwort werden auf wirtschaftliche Globalisierung, Bedrohungen für die internationale Sicherheit und Umweltzerstörung. Europa als politisches Projekt baut auf der kreativen Mitwirkung seiner Bürger auf. Dazu bedarf es dieser Verfas- sung, die Entscheidungsverfahren transparent, subsidiär und für Bürger zugänglich macht.

Der Vertrag von Nizza war der Anlass für die Einberufung des Konvents. In Ni zza hat- ten die Staats- und Regierungschefs einen inhaltlich schludrigen und von nationalem Egoismus geprägten Vertrag über die Mechanismen und die Machtverteilung in der Union geschlossen, so dass sie selber bald begriffen, dass eine Reparatur nicht mehr
Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/13 07 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



durch die hinter verschlossenen Türen tagende Regierungskonferenz, sondern nur durch das offene und öffentliche Ereignis eines Konvents aus demokratisch legitimier- ter Politik möglich war.

Der gut lesbare Verfassungsentwurf offenbart ein größeres gemeinsames Grundve r- ständnis unter den Europäern, als angesichts der Verwerfungen wegen des Irak- Krieges zu erwarten gewesen wäre. In den zähen, teilweise von scharfen Auseina n- dersetzungen geprägten Debatten ist man doch nie wirklich an den Punkt eines Bruchs geraten. Selbst Briten oder Spanier, aber auch die Polen, die als besonders re- formresistent gelten, wagten am Ende nicht, das Werk zu gefährden.

Wie sehr im Konvent um Einigkeit gerungen wurde, machen die letzten Tage deutlich: Noch auf den Sitzungen am 30./31.Mai und am 05./06. Juni dieses Jahres waren die Fronten zwischen den verschiedenen Lagern festgefahren, und der Erfolg war unge- wiss. Als Anfang Juni 18 Regierungsvertreter, angeführt vom United Kingdom und Spanien, sich gegen institutionelle Veränderungen und für ein Festhalten am Vertrag von Nizza aussprachen, befand sich der Konvent am Rande einer offenen politischen Krise. Die politische Einigung über alle Parteigrenzen hinweg kam dennoch zustande, und dies halte ich für besonders bemerkenswert, weil die Vertreter des EP, der natio- nalen Parlamente und der Kommission den Konvent unterstützen, um einen politi- schen Erfolg dieses Gremiums zu sichern.

In der Plenarsitzung am 11.06.03 kristallisierten sich die verbliebenen Hauptstreitpunk- te heraus. Ich benenne die fünf wichtigsten: 1. Erwähnung des Christentums in der Präambel, 2. Befugnisse und Bestellung der Kommission, 3. Zusammensetzung der Kommission, 4. Ausbau der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und 5. Ausdehnung der qualifizierten Mehrheit im Rat. -3-



Im übrigen machten einzelne Mitgliedstaaten ihre wichtigen Verhandlungspunkte deut- lich: Deutschland forderte, die nationale Zuständigkeit für den Zugang zum Arbeits- markt beizubehalten und Frankreich verlangte weiterhin Einstimmigkeit bei WTO- Verhandlungen über kulturelle, audiovisuelle und gesundheitliche Dienstleistungen.

Am 12.06.03 schlug das Präsidium schließlich einige Änderungen vor, die im Ender- gebnis vom Plenum akzeptiert wurden. Auf der Plenarsitzung am 13.06.03 haben die Sprecher aller „Komponenten“ des Konvents den Verfassungsentwurf des Präsidiums als ausgeglichenen Gesamtkompromiss gebilligt und den Europäischen Rat in Thessa- loniki aufgefordert, den Entwurf als Grundlage für die Arbeit der Regierungskonferenz zu akzeptieren, zumindest jedoch seinen Geist zu respektieren. Die Teile III (Politiken der EU) und IV (Schlussbestimmungen) allerdings werden heute nur in einer vorläufi- gen Fassung vorgelegt und sollen auf einer Plenarsitzung vom 09.-11.07.03 abschlie- ßend behandelt werden.

Der Konvent zeigt, dass die demokratische und transparente Arbeitsmethode richtig war und der Inhalt des Vertrages in großem Maße den Erwartungen und Hoffnungen entspricht, die wir alle in diese Unternehmung setzten. Die sozialdemokratische Fami- lie in Europa war es, die von Anfang an für eine Verfassung war und sich vor allen an- deren für den Konvent ausgesprochen und dafür geworben hat. Sie arbeitete sehr ak- tiv mit, denn sie hatte und hat gute Gründe, die neuen Vorschläge zu unterstützen. Denn wir glauben, dass dies gerade im Moment der Erweiterung ein Quantensprung in der Geschichte der EU ist. Wir Sozialdemokraten werden uns bemühen, damit unse- ren Forderungen nach einem sozialen Europa und einer einheitlichen Wirtschaftsregie- rung nachgekommen wird.

Obwohl sich nicht alle unsere Bestrebungen im Text des neuen Verfassungsentwurfs wiederfinden, ist die Bilanz des Kompromisses, der für den Konsens notwendig war, zufriedenstellend. Denn wir lesen darin die Vorschläge, die für die institutionelle Er- -4-



neuerung der EU und die Vereinfachung seiner Vertragste xte mit einer neuen Hierar- chie und Definition der Gemeinschaft nötig waren. Wichtige Ergebnisse sind: • die Einbindung der Grundrechte-Charta, • die Anerkennung der Rechtspersönlichkeit der EU, • die Definition der Werte und Ziele der Europäischen Union, • die Hinzufügung von 38 weiteren Bereichen, die nun unter die Mitentscheidung des Europäischen Parlaments fallen und seine Gesetzgebungsmacht stärken, • das Recht, nach Europawahlen den EU-Kommissionspräsidenten durch das Europaparlament zu wählen, • die Beibehaltung des institutionellen Gleichgewichts, sowie • die Streichung der Pfeilerstruktur.

Das Mitglied des Europarlaments Elmar Brok (CDU) würdigte als Sprecher der EVP- Gruppe den Konvent als – ich zitiere - „eine große Leistung“, die weit über das hinaus- gehe, was in Maastricht, Amsterdam und Nizza erreicht worden sei. Der Entwurf werde von allen Parlamentariern getragen und dürfe jetzt nicht in Diplomatenkonferenzen ka- putt gemacht werden.

Recht hat er, doch leider ist es ihm nicht gelungen, Bayerns Ministerpräsidenten davon zu überzeugen. Unmittelbar nach der Verabschiedung der wichtigsten Teile des Ver- fassungsentwurfs hat dieser sich mit scharfer Kritik zu Wort gemeldet. 16 Punkte sol- len nach der Vorstellung des Bayern geändert werden. Elmar Brok ist entsetzt und warnt, jetzt noch einmal nachzulegen und Forderungen zu erheben, die nicht durch- setzbar seien. Ich zitiere: „Wie soll das denn noch eingebracht werden?“ fragte der CDU-Abgeordnete. Auch hier stimme ich ihm zu, denn der erzielte Konsens darf jetzt nicht mehr aufgeschnürt werden.

Zum Schluss meiner Rede werde ich noch einen besonderen Blick auf den Teil des Vertrages werfen, in dem die Länderparlamente eine besondere Rolle spielen. Aus -5-



unserer Sicht sind die Vorschläge des Konvents in vielen Punkten als positiv zu bewer- ten. Die zentralen Anliegen, die die Ministerpräsidentenkonferenz am 23.05.03 und der Ausschuss der Regionen mit 40 Änderungsanträgen formuliert haben, finden sich zu einem großen Teil in zufriedenstellender Weise in dem Verfassungsentwurf wieder: • So wird das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung und das der Regionen ausdrücklich respektiert, • so werden die innerstaatlichen Zuständigkeiten von Regionen als Teil der staat- lichen Ordnungen anerkannt und • auch das Ziel der territorialen Kohäsion dem der sozialen und ökonomischen angefügt.

Dem AdR wird auch das Recht zugestanden, wegen des Verstoßes eines Gesetzge- bungsaktes gegen das Subsidiaritätsprinzips den Europäischen Gerichtshof anzur u- fen: Das gilt für solche Gesetzgebungsakte, für deren Annahme die Anhörung des AdR nach der Verfassung vorgesehen ist. Allein das ist ein gewaltiger Schritt vorwärts.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Klaus Hänsch, Mitglied des Präsidiums des Kon- vents und Mitglied der SPE-Fraktion im EP enden: „Verträge beruhen auf Misstrauen, das aus der Vergangenheit erwächst – Verfassun- gen auf Vertrauen in die Zukunft! Mit dieser Verfassung verbinden die Bürgerinnen und Bürger Europas ihr Schicksal miteinander für eine bessere Zukunft. Geben wir den Weg frei und stellen wir die Regierungen vor ihre europäische Verantwortung!“

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