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24.09.03 , 12:06 Uhr
SPD

Konrad Nabel zu TOP 29: CDU schürt Stimmung gegen Natur- und Artenschutz

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 24.09.2003 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! aktuell Sperrfrist: Redebeginn

TOP 29 – Gebietsanmeldungen nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie
Konrad Nabel:
CDU schürt Stimmung gegen Natur- und Artenschutz
Die CDU versucht mit ihrem Antrag 15/2911 den Eindruck zu erwecken, das schles- wig-holsteinische Verfahren zur Nachmeldung von FFH-Gebieten sei intransparent und willkürlich, die Betroffenen würden nicht informiert und beteiligt, und die Landesre- gierung gehe von mangelhaften wissenschaftlichen Grundlagen aus. Ein Ermessens- spielraum des Landes und ein Abwägungsgebot gegenüber gemeindlichen oder wirt- schaftlichen Entwicklungen werden suggeriert.

All dies ist falsch, und die auch heute hier vorgetragene Begründ ung lässt mich eher zu dem Schluss kommen, dass die schleswig-holsteinische CDU sich die Lektüre der europäischen Richtlinien, des Bundes- und des Landesnaturschutzgesetzes entschie- den zu leicht gemacht hat und versucht, die im Lande – vielleicht auch nicht ohne ihr Zutun entstandene – negative Stimmung gegen die europäischen Richtlinien und den Naturschutz zu schüren und anzuheizen.

Es ist das gleiche Spiel wie bei den früheren Tranchen zu Natura 2000, wie beim Landschaftsprogramm oder wie beim Nationalparkgesetz. Trotz aller Lippenbekennt- nisse zum europäischen Netz Natura 2000 muss festgestellt werden, dass sich die CDU nach wie vor eher von Einzelinteressen als von der gesamteuropäischen Ver- pflichtung zum Arten-, Biotop- und Naturschutz leiten lässt.


Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/13 07 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



Seit Ende der 80er Jahre trieb der damalige Umweltminister Klaus Töpfer mit Billigung der schwarz-gelben Bundesregierung unter Helmut Kohl angesichts des europaweit anhaltenden Artenrückgangs die europäische Einigung auf ein kohärentes Natur- schutznetz voran. Nachdem die Vogelschutzrichtlinie bereits 1979 verabschiedet wur- de, gilt die 1992 im Jahr der Rio-Konferenz von allen Mitgliedsstaaten der EU einstim- mig verabschiedete Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen - Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) - auch und vor allem als Töpfers Werk, und auch die CDU-geführte Regierung und die deutschen Bundesländer stimmten der FFH- Richtlinie zu.

Seitdem - aber zumindest seit der nach jahrelangem Verzögern im Frühjahr 1998 durch die damalige Umweltministerin Merkel endlich erfolgte Novelle des Bundesna- turschutzgesetzes - sind die Regelungen und Verfahren der europäischen Richtlinien bekannt, in zahlreichen Workshops und Parlamentsdebatten ausdiskutiert und vor vie- len europäischen Gerichten auch juristisch nach allen Seiten abgeklopft worden. Die CDU hätte also genügend Zeit gehabt, sich umfassend zu informieren. Statt aber die in das neue Landesnaturschutzgesetz übernommenen bundeseinheitlichen Regelungen über die Meldung der FFH-Gebiete zur Kenntnis zu nehmen, werden Nebelkerzen ge- worfen und negative Stimmungen angeheizt.

Die Schaffung des Biotopverbundsystems Natura 2000 ist die wichtigste Maßnahme des beginnenden 21. Jahrhunderts, um unser bedrohtes europäisches Naturerbe, die natürlichen Lebensräume und gefährdeten wildlebenden Tiere und Pflanzen dauerhaft zu schützen und weiter zu entwickeln. Die FFH-Richtlinie sieht dazu vor allem die Ein- richtung von Schutzgebieten vor, die mit den nach der Vogelschutzrichtlinie auszuwei- senden Vogelschutzgebieten das zusammenhängende, kohärente ökologische Netz Natura 2000 bilden. Alle Mitgliedsländer der EU haben sich verpflichtet, dazu Beiträge zu leisten. In der Bundesrepublik Deutschland sind dafür die Länder zuständig. -3-



Die SPD-Landtagsfraktion bekennt sich zur Verantwortung, das europäische Naturer- be in Schleswig-Holstein durch die Meldung von Natura 2000-Gebieten zu schützen, und wir fordern die Landesregierung auf, für eine vollständige und abschließende Mel- dung von FFH- und Vogelschutzgebieten zu sorgen.

Die Kriterien für die Auswahl der Gebiete ergeben sich dabei rechtlich bindend aus Anhang III der FFH-Richtlinie. Für bestimmte Lebensraumtypen müssen etwa die Ge- biete ausgewählt werden, die besonders charakteristisch ausgeprägt sind. Im Bereich des Artenschutzes soll durch die Gebietsauswahl z.B. einer weiteren Verinselung der Bestände wildlebender Arten vorgebeugt werden.

Weder die Verfahren noch die naturschutzfachlichen Kriterien für die Auswahl der Ge- biete wurden von der rot-grünen Landesregierung, sondern von der Regierung Kohl auf europäischer Ebene mit ausgehandelt. Dabei ist seinerzeit kein formales Beteili- gungsverfahren festgelegt worden. Dennoch führt die Landesregierung im Sinne eines breit angelegten gesellschaftlichen Konsenses auf freiwilliger Basis seit der 2. Tranche ein Informations- und Beteiligungsverfahren durch. Neben der Verbändebeteiligung können alle Bürgerinnen und Bürger die Vorschläge, vorkommende Lebensraumtypen und Arten sowie Abgrenzungen einzelner Flächen einsehen und eigene fachliche be- gründete Vorschläge für neue Gebiete einreichen.

Der Europäische Gerichtshof hat im September 2001 die Bundesrepublik Deutschland wegen unzureichender Meldung von FFH-Vorschlagsgebieten verurteilt und erhebliche Vertragsstrafen angedroht. In dem Urteil wird deutlich, dass die Länder lediglich im Na- turschutzfachlichen einen gewissen Ermessensspielraum haben. Dieser Ermessen- spielraum wird auch in Schleswig-Holstein so ausgenutzt, dass nicht alle Vorkommen von Lebensraumtypen oder Arten gemeldet werden sollen, sondern ein besonders re- präsentativer Anteil. Ein entsprechendes naturschutzfachliches Ermessen liegt der jetzt vorliegenden Auswahl zur Nachmeldung von Natura 2000-Gebieten (3. Tranche) zugrunde. -4-



Natürlich wurden dabei die Gebiete besonders berücksichtigt, die sich im Landes- oder Kommunalbesitz sowie im Besitz der Stiftung Naturschutz befinden. Mit über 10.300 ha Fläche gehört mehr als die Hälfte des Stiftungslands (53%) zu den gemeldeten FFH-Gebieten. Bis zum Jahre 2000 wurden der EU-Kommission von Schleswig- Holstein 123 Gebiete über das Bundesumweltministerium vorgeschlagen (1. und 2. Tranche).

Die fachliche Bewertung dieser Gebietsmeldungen erfolgt im Auftrag der EU- Kommission durch das European Topic Center on Nature Protection and Biodiversity (ETC). Das wissenschaftliche Seminar im Juni 2002 für die atlantische biogeographi- sche Region stufte von 64 bewerteten Lebensraumtypen für lediglich 29 die bislang gemeldeten Gebiete als ausreichend ein, von 50 bewerteten Arten wurden lediglich für 15 Arten die bislang gemeldeten Gebiete als ausreichend angesehen. Ähnliche Er- gebnisse wurden auch für die zweite, uns betreffende Region, die kontinentale bio- geographische Region festgestellt. Die Seminarergebnisse insgesamt führten dazu, dass alle Länder der Bundesrepublik zu erheblichen Nachmeldungen aufgefordert wurden.

Um einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof, erhebliche Zwangsgeld- zahlungen und den Ausfall von EU-Fördermitteln zu vermeiden, hat die Landesregie- rung in einer 3.Tranche insgesamt 240 Gebiete zur Nachmeldung ausgewählt. Im Ge- genzug hat die Kommission zugesagt, das laufende Vertragsverletzungsverfahren ge- gen Deutschland zunächst auszusetzen.

Das Umweltministerium hat durch Zuleitung umfangreicher Unterlagen an alle Abge- ordneten, durch eine vorbildliche Internetpräsenz (www.natura2000-sh.de) sowie durch umfassende Informationen im Umweltausschuss die Inhalte der 3. Tranche und das weitere Verfahren im Bereich FFH erläutert. Wir begrüßen, dass die Anhörungs- frist im öffentlichen Informationsverfahren bis zum 31.10.2003 verlängert worden ist. -5-



Die Gebietsvorschläge in einer Größenordnung von ca. 51.000 ha wurden auf der Grundlage einer von Bundesamt für Naturschutz erarbeiteten und in allen Ländern der BRD angewendeten Methodik erarbeitet. Dies hat zur Folge, dass sich der Anteil der FFH-Gebiete an der Landesfläche um etwa 3,2% auf 7% erhöhen wird. Zugleich lau- fen die Vorbereitungen für die Nachmeldung weiterer Gebiete, die die fachlichen Vor- aussetzungen der Vogelschutzrichtlinie erfüllen, für die die EU ebenfalls weitere Ge- bietsvorschläge angemahnt hat. Im LANU werden die von der Kommission benannten Gebiete zur Zeit wissenschaftlich bewertet und naturschutzfachlich begründete Ab- grenzungsvorschläge erarbeitet. Dieses Vorgehen wurde im Juli von einer Delegation des Umweltministeriums mit der EU-Kommission abgestimmt.

Mit diesen Nachmeldungen korrigiert die Landesregierung die Versäumnisse früherer Jahre, als Warnungen der Naturschutzfachleute über Abweichungen von den von der EU verlangten Kriterien nicht genügend Gehör fanden. Aber, meine Damen und Her- ren, das ist nicht allein ein schleswig-holsteinisches Problem; alle Länder der BRD sind davon gleichermaßen betroffen.

Wir wissen, dass für die Natura 2000-Gebiete ein Verschlechterungsverbot gelten wird. Dies beinhaltet, dass sich die Situation der zu schützenden Lebensräume und Ar- ten nicht verschlechtern darf. Zugleich gilt aber, dass die bisherigen ordnungsgemä- ßen landwirtschaftlichen, wirtschaftlichen, touristischen oder sportlichen Aktivitäten einschließlich des Küstenschutzes weiterhin ausgeübt werden dürfen. In Städten und Gemeinden genießen alle Planungen aufgrund rechtskräftiger Bebauungspläne Be- standsschutz.

Die Gebiete, die von der EU in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeu- tung aufgenommen werden, sind innerhalb von sechs Jahren dauerhaft zu sichern. Dies kann durch Maßnahmen wie Schutzgebietsausweisung oder Vertragsnaturschutz geschehen. Bei Ausweisung von Landschaftsschutz- oder Naturschutzgebieten sind in -6-



jedem Einzelfall alle nach Landesrecht vorgeschriebenen Beteiligungsverfahren durchzuführen. Falls in diesem Fall gegenwärtige Nutzungen untersagt werden, kön- nen Entschädigungsansprüche entstehen.

Es handelt sich also bei dem Vorgehen der Landesregierung in keiner Weise um eine "kalte Enteignung". Keinem Landbesitzer entstehen allein durch die Meldung seiner Flächen nach Brüssel direkte Einschränkungen gegenüber den jetzigen Nutzungsfor- men. Die verfahrenstechnische Abwägung von Naturschutz, Wirtschaftsentwicklung und sozialen Belangen auf den Einzelflächen erfolgt erst, wenn für die dauerhafte Si- cherung der Natura 2000-Gebiete Nutzungseinschränkungen für notwendig erachtet werden.

Wir fordern mit unserem Antrag die Landesregierung auf, mit der EU-Kommission dar- über Einvernehmen herzustellen, dass auch der Abschluss langfristiger freiwilliger Vereinbarungen - Vertragsnaturschutz - als rechtlicher Schutzstatus im Rahmen von Natura2000 anerkannt wird.

Sie sehen, der CDU-Antrag ist in mancher Hinsicht heiße Luft, in anderer Hinsicht eher geeignet, Sachverhalte zu verbiegen statt aufzuklären. Ich hoffe, die heutige Land- tagsdebatte trägt dazu bei, die Debatte wieder zu versachlichen. Wir alle sind nicht nur in unseren Wahlkreisen, sondern im ganzen Land aufgerufen, an dieser Versachlichung mitzuwirken und so die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Schleswig-Holstein endlich auch bei der Umsetzung des Netzes Natura2000 vor- bildlich vorangeht zum Nutzen unserer Natur, für die Zukunft unseres Landes und un- serer Kinder.

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