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"... damit die niederdeutsche Literatur nicht allein in Albereien endet." Laudatio von Arens zur Hans-Heitmann-Gedenkfeier
4/2004 Kiel, 9. Januar 2004 S p e r r f r i s t : Redebeginn Es gilt das gesprochene Wort!„…damit die niederdeutsche Literatur nicht allein in Albereien endet.“ Laudatio von Landtagspräsident Arens zur Hans-Heitmann-GedenkfeierKiel (SHL) – In seiner Rede anlässlich der Feiern zum 100-jährigen Ge- burtstag des 1970 verstorbenen Flintbeker Heimatdichters Hans Heitmann sagte Landtagspräsident Heinz-Werner Arens im Evangelischen Gemein- dezentrum in Flintbek am Sonntag, 11. Januar 2004, unter anderem:„Eine Laudatio zu halten über jemanden, den man persönlich nicht hat kennen lernen dürfen, ist keine einfache Sache. Man muss sich anhand seiner Werke und des Urteils derer, die ihn kannten, ein Bild machen. Hören Sie selbst, wie er seinen Werdegang beschreibt: ‚Wer schon in früher Jugend durch seinen Fleiß die Wonne seiner Lehrer war, der ver- dient wohl auch ein wenig Glück. So konnte ich schon am 1. Mai 1924 eine Schulklasse an den Ricklinger Erziehungsanstalten übernehmen; Lehrmittel: Wandtafel, Deutschlandkarte, Kreide zum Bemalen der Wän- de und ein Haselstock … zum Zeigen.’ So beschreibt Heitmann den Be- ginn seiner praktischen Ausbildung zum so genannten Hilfsschullehrer. Bis er 1935 an der Hilfsschule in Lübeck seine Daueranstellung fand, hatte er einige Ortswechsel zu absolvieren.Eine Station führte Hans Heitmann auch in das schöne Meldorf in Dith- marschen. Dort eroberte er gleichzeitig das Herz einer Dithmarscher Deern: Anneliese Boysen aus Meldorf wurde Anfang der dreißiger Jahre seine Frau. Aus gesundheitlichen Gründen musste Heitmann nicht als Soldat in den Krieg ziehen. Seine berufliche Entwicklung fasst Heitmann 21948 selbst so zusammen: ‚Alle Welt muss sich mit dem Gedanken ab- finden, dass nun weiter nichts aus mir wird …’ Im Hinblick auf seine schriftstellerische Arbeit stellt dies eine maßlose Untertreibung dar. Es mag die Resignation der Nachkriegsjahre gewesen sein, die ihn dies hat so formulieren lassen. Oder auch der gar nicht untypische Prozess des Verdrängens und Vergessens, der die Nachkriegszeit in Deutschland geprägt hat. Für Heitmann persönlich riss mit dem Ende des Nationalso- zialismus eine Erfolgsserie ab, denn er hatte es – auch dass gehört zu seiner Biographie – in der Zeit des Nationalsozialismus zu einiger Be- rühmtheit gebracht. Als vorwiegend niederdeutsch schreibender Drama- tiker und Erzähler veröffentlichte er von 1937 bis 1943 unter anderem die Bühnenstücke ‚Grise Wulf’, ‚Schimmelrieder’ und ‚Fockenstedt’ sowie den Roman ‚Carsten Wulf – en Weg in’t Rieck’ von 1938. In hochdeut- scher Sprache verfasste er 1943 eine Erzählung mit dem Titel ‚Been- holm und Bostel’. Sie spielt in der Nähe seines Geburtsortes Groß- Flintbek in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Fünf Kulturpreise be- kam Heitmann in der Zeit verliehen, darunter 1940 den Schleswig- Holsteinischen Kunstpreis, und er wurde in den völkisch orientierten Eu- tiner Dichterkreis berufen, einer der wichtigsten Gruppierungen von Schriftstellern im Dritten Reich. Heitmann war bereits am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten und stand der nationalsozialistischen Ideologie nahe. Aktiver Parteigenosse war er jedoch nicht. Dies kann man einem Brief der Gauleitung Schles- wig-Holstein an die Landesleitung der Reichsschrifttumskammer ent- nehmen: ‚Eine aktive Mitarbeit lehnt er mit der Begründung ab, dass er dienstlich zu viel zu tun habe. Trotz mehrfacher Aufforderung hat er bis- her bei besonderen Anlässen und an Ehrentagen der Bewegung nicht geflaggt.’Ich führe das hier so genau aus, weil diese Zeit des Nationalsozialismus für Hans Heitmann und das Verständnis seiner Biographie eine wichtige gewesen ist. Das sollen und wollen wir heute nicht verschweigen. Heit- mann hat sich der kritischen Auseinandersetzung um die Rolle der nie- derdeutschen Schriftsteller in dieser Zeit nicht mehr stellen müssen. Diese Diskussion entstand erst Mitte der siebziger Jahre – also nach seinem Tode. Einen Hinweis, wie er selbst im Nachhinein seine Rolle als von den Nationalsozialisten hofierter Schriftsteller gesehen hat, finden wir in einem Interview aus den 60-er Jahren. Heitmann betonte, der Auf- trag des Dichters ähnele dem eines Pioniers, und wie jenem, so müsse 3man auch ihm Irrwege zugestehen. Das finde ich allerdings auch. Hans Heitmann war ja auch leider keine Ausnahme, was seine Affinität zur nationalsozialistischen Ideologie anging. Gerade die niederdeutsche Heimatdichtung war anfällig für die Blut-und-Boden-Ideologie der Nazis, die den Heimatgedanken missbrauchte und völkisch umdeutete. Das stellte auch Dr. Claus Schuppenhauer bei seinen Studien über die nie- derdeutschen Autoren in der Nazi-Zeit fest. Kay Dohnke interpretiert das Verhalten vieler niederdeutscher Literaten: ‚Es schien, als könnte endlich der Schritt aus der lange schmerzlich empfundenen Bedeutungslosigkeit hin ins breitere Licht der Öffentlichkeit und der staatlichen Anerkennung gelingen.’Aus heutiger Sicht aber wollen wir nicht vergessen, dass Hans Heitmann in der Zeit nach dem Nationalsozialismus schriftstellerisch unter den neuen gesellschaftlichen Bedingungen erfolgreich blieb. Er verfasste Romane wie ‚Isern Hinnerk’ von 1947 und Bühnenstücke wie zum Bei- spiel ‚Oprümen’ von 1948 oder ‚De Windfahn’ von 1954. Seine Hörspiele sind beim NDR und Radio Bremen gesendet worden. Sein Erzählband ‚Vertell mal wat - un wenn’t ok lagen ist’ von 1967 wird bis heute immer wieder aufgelegt. Insgesamt umfasst sein Werk ein Dutzend plattdeut- sche Bücher, rund 30 kleinere und größere Bühnenstücke sowie etwa 25 Hörspiele. Auch hochdeutsche Werke waren darunter wie der Roman ‚Olenklinten, das versunkene Dorf’ von 1948 und die Erzählung ‚Der Deich vor Horsbüll’ aus dem Jahr 1956. Wir haben es hier also mit ei- nem Schriftsteller zu tun, der über den engen regionalen Rahmen hinaus bis heute einen Namen hat. Er verstand es, niederdeutsche Texte der unterschiedlichsten Gattung zu verfassen, die von feinsinnigem Humor gekennzeichnet waren und zum Nachdenken anregten. Er hat einen großen und nachhaltigen Beitrag dazu geleistet, dass die niederdeut- sche Literatur so reichhaltig ist. Wer da also meint, das Niederdeutsche tauge nur, um Schwänke zur Aufführung zu bringen und derbe Witze zu verfassen, dem kann man Heitmanns Werk entgegenhalten.Er selbst sah die Zukunft des Niederdeutschen zuletzt eher pessimis- tisch. Er vertrat die Ansicht, dass es in ca. 50 Jahren – also heutzutage – keine ernsthafte niederdeutsche Literatur mehr geben werde. Daraus zieht er dann das Fazit: ‚Bei solchen Aussichten ist es nötig, heute noch ein paar anständige Werke zu schaffen, damit die niederdeutsche Litera- tur nicht allein in Albereien endet.’ Das nenne ich mal eine sympathische 4und selbstverantwortliche Einstellung! Der Schleswig-Holsteinische Heimatbund hat ihm noch kurz vor seinem Tode 1970 die Lornsen-Kette verliehen. Damals betonte Heitmann in Bezug auf die Zukunft des Nie- derdeutschen, die Muttersprache brauche eine treue Mannschaft, die ihre Werte erhalte. Er hat uns also mit seinem Werk auch einen Auftrag hinterlassen, den ich zugleich als einen politisch sehr wichtigen betrach- te. Deshalb werden wir als Landtag nicht nachlassen, das Niederdeut- sche zu fördern und zu unterstützen, wie es in Artikel 9 unserer Landes- verfassung festgelegt wurde. Betrachten wir Hans Heitmanns Werk zugleich als Vorbild und Auftrag, dieses gute Stück Heimatkultur zu bewahren. Denn es ist Teil unserer Identität und unserer regionalen Besonderheit. Es zeigt sich, dass hier noch eine lohnende Aufgabe für die regionale Geschichtsforschung be- steht. Weder gibt es ein ausführliches Werkverzeichnis aller Schriften Heitmanns, noch liegt eine Biographie über ihn vor. Deshalb verbinde ich mit der heutigen Veranstaltung auch den Wunsch, dass sich der Heimatbund und andere Interessierte dem widmen.Zum Abschluss meiner Laudatio möchte ich ein Gedicht Heitmanns rezitieren, das ganz gut zum gerade erfolgten Jahreswechsel passt: Oldjahrsabend Watt hebbt wi’t hild! Keen Roh un keen Gedür un allmiendaag dree Pött togliek an’t Für, un wenn die ümkiekst, wiest de Jahrtall di: Wat löppt de Tied! All wedder’n Jahr vörbi! De Tiet, de löppt? Besinn di mal ol Fründ: Sünd wi’t ni sülm west, de so lopen sünd…?“