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23.01.04 , 15:07 Uhr
Landtag

Arens zur Else-Ury-Biographie "Nesthäkchen kommt ins KZ"

14/2004 Kiel, 23. Januar 2004 Sperrfrist: Sonntag, 25. Jan. 2004, 11:00 Uhr Es gilt das gesprochene Wort!



Landtagspräsident Heinz-Werner Arens zur Else-Ury-Biographie „Nesthäkchen kommt ins KZ“
Kiel (SHL) – Anlässlich der Vernissage „Jüdische Spuren in Polen“ und der Lesung „Nesthäkchen kommt ins KZ“ in der Akademie am See am Koppelsberg sagte Landtagspräsident Heins-Werner Arens am Sonntag unter anderem:
„Zwei Tage vor dem inzwischen bundesweit anerkannten Holocaust- Gedenktag möchten wir hier etwas über die Nesthäkchen-Autorin Else Ury erfahren und die Fotoausstellung ‚Jüdische Spuren in Polen’ zu be- trachten. Die Biographie von Else Ury ist nach wie vor vielen Menschen nicht bekannt. Es ist Ihr Verdienst, sehr geehrte Frau Brentzel, dazu vor gut zehn Jahren bereits ein interessantes und anschauliches Buch ge- schrieben zu haben. Bis dahin war Else Ury zwar als Autorin der „Nest- häkchen“-Bücher weithin bekannt – dass sie eine deutsche Jüdin war, dagegen kaum. Sie stammte aus gutbürgerlichem Hause und hatte eine konservative bis deutschnationale Haltung, verbunden ihrer deutschen Heimat und Kultur. Die als preußisch geltenden Tugenden Ordnung und Pflichterfüllung finden sich in Else Urys 38 Mädchenbüchern idealtypisch wieder. Insbesondere die ‚Nesthäkchen’-Serie wird bis heute aufgelegt und erschien millionenfach. Nur der Band ‚Nesthäkchen und der Welt- krieg’ von 1922, in dem zahlreiche deutschnationale Anspielungen ent- halten sind, wurde nach dem 2. Weltkrieg nicht mehr aufgelegt. 2



Wie kann es sein, könnte man sich heute arglos fragen, dass eine Frau mit solchen Einstellungen zum Opfer des verbrecherischen Regimes der Nationalsozialisten wurde? Einzig der Tatbestand, dass sie der jüdi- schen Religionsgemeinschaft angehörte, reichte aus, Else Ury zunächst ideell und dann auch als Mensch zu vernichten.
Noch 1933 hatte sie mit ihrem Buch ‚Jugend voraus’ ein deutsch- national orientiertes Buch vorgelegt. Marianne Brentzel beschreibt es treffend, wenn sie über Else Ury sagt: ‚55 Jahre war sie eine Deutsche. Dann wurde sie zur Jüdin gemacht.’ 1935 wurde sie aus der Reichs- schrifttumskammer ausgeschlossen, durfte nicht mehr schreiben, ihre Bücher wurden verboten. Viele Menschen jüdischen Glaubens um sie herum verließen Deutschland. Else Ury aber blieb und hoffte, der Spuk werde bald ein Ende haben. Sie pflegte ihre alte Mutter, die 1940 ver- starb. Für eine Ausreise war es nun zu spät. Am 12. Januar 1943 wurde die 65-jährige Else Ury schließlich mit über tausend anderen Berliner Juden nach Auschwitz deportiert und dort direkt nach ihrer Ankunft am anderen Tag ermordet.
Ihr Schicksal ist eines von Millionen. Else Ury wurde zum Opfer der menschenverachtenden Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Ins- besondere junge Menschen, die sich mit diesen im Namen des deut- schen Volkes verübten Verbrechen auseinander setzen, können anhand dieser Biographie anschaulich vermittelt bekommen, was damals ge- schah. Warum nur, so fragen sich heute viele Jugendliche, haben nicht alle Menschen jüdischen Glaubens fluchtartig Deutschland verlassen, als die Nazis 1933 die Macht übernahmen? Hatte nicht Adolf Hitler schon 1924 in seinem Buch ‚Mein Kampf’ keinen Hehl aus seinem Hass auf das Judentum gemacht?
Genau betrachtet war die Ausgrenzung ein Prozess, der sich in seiner letzten Brutalität erst allmählich entwickelte. An Else Urys Biographie ist ablesbar, dass es viele Angehörige der jüdischen Glaubensgemein- schaft gab, die meinten, vor den Nazis sicher zu sein, weil sie sich um das deutsche Volk verdient gemacht hatten. Erst der genaue Blick auf einzelne Schicksale macht deutlich, wie perfide, hinterhältig und men- schenverachtend das System des Nationalsozialismus war. Es hat un- widerbringlich eine ganze Kultur zerstört. Die Fotoausstellung gibt uns davon einen nachhaltigen Eindruck. Deshalb bedanke ich mich auch im Namen des Landtages für das Engagement ihrer Akademie. Ich hoffe, dass viele Menschen die Chance nutzen werden, sich die Ausstellung anzusehen.“

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