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10.03.04 , 10:59 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 2 – Regierungserklärung zur Modernisierung der Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel bundesstaatlichen Ordnung Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende Telefax: 0431/988-1501 von Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Karl-Martin Hentschel: Internet: www.gruene-landtag-sh.de

Nr. 097.04 / 10.03.2004


Autonomer Staat oder Verwaltungsstelle des Bundes
Sehr geehrter Herr Präsident , sehr geehrte Damen und Herren, die Kommission mit dem schrecklichen Namen hat ihre Arbeit begonnen. Ihr Auftrag ist die Formulierung einer neuen Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland. Die brau- chen wir, weil das 1990 bei der deutschen Einigung versäumt wurde, weil unsere Struk- turen nicht mehr zu Europa passen und weil sich Bund und Länder immer mehr gegen- seitig blockieren.
Der fast allen von uns bekannte Peer Steinbrück kann sich vorstellen, dass Nordrhein- Westfalen ein selbständiges Mitgliedsland in der EU wird und den Bund nicht mehr benö- tigt. Gut gebrüllt Löwe!
Auch ich kann mir vorstellen, dass die Länder der norddeutschen Tiefebene – das alte plattdeutsche Land der Sachsen und Friesen vom Emsland bis nach Vorpommern, von Göttingen bis zur dänischen Grenze, einen selbständigen Nordstaat in der EU bilden. Mit 13 Millionen Einwohnern wären wir dann einer der größeren Staaten in der EU.
Nun – so wird es nicht kommen. Aber wie mein Kollege Kayenburg neulich so schön sag- te: Wer etwas verändern will, muss erst mal Visionen haben, und dann muss man gu- cken, was man davon umsetzen kann. Das hat mir gefallen, Herr Kayenburg.
Deswegen wäre es falsch, die Debatte mit einer Schere im Kopf zu beginnen. Und ich begrüße sehr die offene Atmosphäre der Diskussion, über die mir von unseren schles- wig-holsteinischen grünen Kommissionsmitgliedern Anne Lütkes und Rainder Steenblock berichtet wird.

Ich will nun noch auf einige Einzelpunkte der Diskussion eingehen: 1. Wir brauchen eine klarere Struktur, damit die deutschen Interessen frühzeitig bei der EU eingebracht werden können. Heute ist der Föderalismus dabei ein Hindernis. Wäh- rend wir in der Bundesrepublik Deutschland noch diskutieren, wie sich Länder und Bund positionieren, haben zentralistisch organisierte Länder wie Frankreich schon längst ihre Fäden in Brüssel gezogen. Das muss sich ändern.
2. Bildungspolitik muss eine originäre Landesaufgabe bleiben. Ja – ich gehe sogar einen Schritt weiter. Schulen und Hochschulen sollten viel mehr als bisher autonome Einrich- tungen werden, deren Leistungsfähigkeit allein durch regelmäßige Evaluation anhand von Bildungsstandards gemessen wird.
Heute leidet der Bildungsbereich nicht nur unter Eingriffen des Bundes, sondern vor al- lem auch an der gegenseitigen Blockade der Länder in der Kultusministerkonferenz. Deshalb verlangen wir ein Bundesrahmengesetz, das die gegenseitige Anerkennung der Bildungsabschlüsse regelt. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass gerade durch eine sol- ches Rahmengesetz erst die Handlungsfreiheit der Länder hergestellt werden kann.
3. In der Umweltpolitik stellt sich die Situation anders da. In keinem anderen Bereich ist die Gefahr so groß, sich Lobbyinteressen vor Ort zu beugen. Auch wenn es noch so heh- re Prinzipien gibt, werden diese im Konkreten gerade in der Umweltpolitik immer gern geopfert. Deshalb brauchen wir insbesondere in der Umweltpolitik nationale Standards.
Aber diese Standards sollten immer die Möglichkeit lassen, dass die Länder eigene Re- gelungen treffen, die darüber hinausgehen. So sollten zum Beispiel die Umweltabgaben vollständig in die Länderkompetenzen übergehen, um damit die Grundlage dafür zu schaffen, die konkrete Umweltpolitik vor Ort eigenverantwortlich zu gestalten.
4. Ein Thema, dass uns originär in Schleswig-Holstein betrifft, ist der Küstenschutz. Des- halb ist es gut, dass es mittlerweile gelungen ist, deutlich zu machen, dass die Finanzie- rung des Küstenschutzes eine bundesstaatliche Aufgabe bleiben muss.
5. Dagegen ist das öffentliche Dienstrecht ein Bereich, von dem die Länder viel stärker als der Bund betroffen sind. Der größte Teil der Beamten und Angestellten im öffentli- chen Dienst befindet sich bei den Ländern und Kommunen. Diese sind es auch, die den Großteil der Bundesgesetze exekutieren.
In der Vergangenheit haben wir häufig erlebt, dass der Bund Belastungen der Haushalte gerne auf sich genommen hat, da er von den höheren Steuern mehr profitiert hat, als er durch höhere Belastungen für seine eigenen Bundesbediensteten betroffen war. Deshalb sollten die Länder das öffentliche Dienstrecht für ihre BeamtInnen und Angestellten frei gestalten bzw. frei verhandeln können.

Eine Entflechtung zwischen Bund und Ländern wird es nur geben, wenn es ein Geben und Nehmen von beiden Seiten gibt. Dazu gehört eine klare Trennung der Gesetzge- bungskompetenzen.
Dazu gehört der Wegfall des Zustimmungserfordernis im Bundesrat bei Bundeskompe- tenzen, wenn die Konnexität gewährleistet ist. Dazu kann möglicherweise auch die Auf- nahme des Konnexitätsprinzips ins Grundgesetz beitragen.
Dazu gehören Öffnungsklauseln in Bundesgesetzen, die es den Ländern ermöglichen, abweichende Regelungen auf Landesebene zu beschließen. Alle diese Regelungen führen nicht nur zu einer Stärkung der Länder, sie führen vor al- lem auch zu einer Stärkung der Landesparlamente.
Und das ist gut so, denn Föderalismus braucht starke und selbstbewusste Länderparla- mente. Deshalb ist es gut, dass die Länderparlamente, ausgehend von der Initiative un- seres Landtagspräsidenten, sich frühzeitig in die Debatte eingemischt haben und jetzt auch, wenn auch nur beratend, eigenständig neben den Regierungen in der Föderalis- muskommission vertreten sind.
Auf dem letzten Treffen der Fraktionsvorsitzenden meiner Partei haben wir uns auf den Begriff des „Gestaltungsföderalismus“ verständigt. Dieser Begriff soll unsere Philosophie deutlich machen.
Er grenzt sich ab gegen einen Blockadeförderalismus, bei dem parteipolitische Interes- sen im Bundesrat dominieren und die Verantwortlichkeiten für die BürgerInnen kaum noch erkennbar sind.
Er grenzt sich auch ab gegen eine Exekutivföderalismus, in dem manche Ministerpräsi- denten ihre Profilierung nicht mehr als Ministerpräsident im Lande suchen, sondern ver- suchen durch ihr Einmischen in die Bundespolitik ein Rolle in den Bundesmedien zu spielen. Für manchen Ministerpräsidenten ist mittlerweile der Auftritt bei Sabine Christi- ansen wichtiger als eine Regierungserklärung im Landesparlament.
Der Begriff Gestaltungsföderalismus grenzt sich aber auch ab gegen einen Wettbewerbs- föderalismus, wie er von süddeutschen PolitikerInnen zur Zeit propagiert wird. Wir halten an dem Ziel der „gleichwertigen Lebensverhältnisse“ fest. Denn wir wollen nicht, dass die schwächeren Bundesländer im Stich gelassen werden und eine Abschaffung von Bund- Länder-Finanzierungen vor allem zu einer Umverteilung von Ressourcen zu Lasten der strukturschwächeren Regionen führt.
Wir wollen einen lebendigen Föderalismus, in dem die Solidarität zwischen den Ländern bleibt, aber die Ländern klare Kompetenzbereiche haben, in denen sie ihre Politik frei gestalten können.
Für dieses Ziel lohnt es sich zu kämpfen. Die Arbeit der Kommission wird mit Sicherheit nicht einfach. Wir müssen dafür eintreten, dass die Vision einer neuen Verfassung nicht zwischen den Mühlsteinen von Interessen und Institutionen zermahlen werden.
Benjamin Disraeli sagte vor über 100 Jahren bereits: „Das Geheimnis des Erfolgs liegt in der Zielstrebigkeit.“ Deshalb, Meine Damen und Herren, wünsche ich mir von unseren schleswig-holsteinischen Mitgliedern in der Kommission viel Kraft, Ausdauer und Ziel- strebigkeit – wir erwarten von ihnen, dass sie nicht ohne eine Erfolgsmeldung diese Ar- beit beenden.

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