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28.04.04 , 16:13 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur Steuervereinfachung

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 54 – Weitere Schritte für eine Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Steuervereinfachung Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende Mobil: 0172/541 83 53 von Bündnis 90/Die Grünen, E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de Karl-Martin Hentschel: Nr. 147.04 / 28.04.2004



Gerecht, familienfreundlich, transparent und ökologisch
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
das Weltwirtschaftsforum hat unter den vier wettbewerbsfähigsten Staaten drei skandi- navische Länder aufgeführt: Finnland, Schweden und Dänemark. Haben Sie sich auch schon mal gefragt, warum es in Dänemark 20 Prozent mehr Arbeitsplätze pro Einwohner gibt als in Deutschland – und warum in den vergangenen 10 Jahren die Arbeitslosigkeit fast auf die Hälfte gesunken ist, während sie in Deutschland fast kontinuierlich stieg?
An den niedrigen Steuern kann das nicht liegen, denn die Steuerquote ist in diesen Län- dern gegenüber Deutschland fast doppelt so hoch. An der niedrigen Staatsquote kann das auch nicht liegen, denn die Staatsquote liegt in diesen drei Ländern deutlich über 50 Prozent - also im Durchschnitt ca. 10 Prozent höher als in Deutschland. An den schlech- ten Sozialsystemen kann das auch nicht liegen, denn die Sozialausgaben dieser Länder liegen erheblich über denen, die das deutsche Sozialversicherungssystem bereitstellt.
Sie alle hier kennen meine Antwort: Das Geheimnis liegt in der niedrigeren Belastung der Einkommen. So betragen die Sozialversicherungsbeiträge in Dänemark nur 8 Prozent gegenüber über 42 Prozent in Deutschland. Und das ist entscheidend, denn Menschen mit niedrigen Einkommen zahlen kaum Steuern – sie zahlen aber Sozialversicherungs- beiträge. Und diese wirken wie Strafsteuern auf einfache Arbeit und verhindern die Ent- stehung von Millionen Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich.


1/5 Deshalb ist es nahe liegend, dass ausgerechnet die Regierung im nördlichen Bundes- land Schleswig-Holstein ein eigenes Steuermodell vorlegt. Es ist kein Wunder, dass aus- gerechnet die Präsidenten der Handwerkskammern in Schleswig-Holstein sich für die Senkung der Lohnebenkosten durch Erhöhung der Verbrauchssteuern aussprechen. Denn sie erfahren täglich, dass ein dänischer Handwerker seine Firma erheblich weniger kostet, und trotzdem deutlich mehr in der Tasche hat.
Es ist kein Wunder, dass ausgerechnet der Fraktionsvorsitzende der CDU in Schleswig- Holstein sich für eine Erhöhung der Verbrauchssteuern ausgesprochen hat. Und wenn seine eigene Partei ihn noch so sehr dafür verprügelt – der Mann hat trotzdem Recht.
Denn unsere mittelständische Wirtschaft leidet unter den hohen Lohnnebenkosten. Und es ist kein Wunder, dass ausgerechnet die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein sich für eine Mehrwertsteuererhöhung ausgesprochen hat. Auch wenn ihre eigene Par- teispitze sie noch so sehr rügt, hier im Lande weiß jeder: Die Frau hat Recht. Und was richtig ist, das muss auch gesagt werden.
Haben Sie sich schon mal überlegt, wie die skandinavischen Länder es schaffen, we- sentlich mehr Geld in die Bildung und in Zukunftstechnologien zu stecken? Stimmt es wirklich, wie immer wieder behauptet wird, dass wir die Steuern senken müssen, um in- ternational wettbewerbsfähig zu sein? Ich denke: Nein!
Tatsächlich künden unsere Außenhandelszahlen davon, dass wir so wettbewerbsfähig sind, wie noch nie zuvor. Die Außenhandelsüberschüsse haben im letzten Jahr erneut al- le Rekorde übertroffen. Unser Problem ist nicht der mangelnde Export, unser Problem ist die mangelnde Binnenkonjunktur. Unser Problem ist nicht die Exportfähigkeit, sondern die hohe Belastung der Arbeit, die dazu führt, dass arbeitsintensive Tätigkeiten ins Aus- land verlagert werden.
Deshalb ist es richtig, dass diese Landesregierung allen Haushaltsengen zum Trotz die Zahl der Lehrerstellen erhöht hat, während Hessen und Niedersachsen diese gerade ab- bauen. Deshalb ist es richtig, anstelle von Steuersenkungen lieber mehr Geld in die Bil- dung und in Zukunftstechnologien zu stecken. Deshalb begrüße ich die klare Aussage des Steuerkonzepts von Schleswig-Holstein: Es gibt keinen Spielraum für weitergehende allgemeine Steuersenkungen.
Wie kommt es, dass andere Länder trotz höherer Staatsquote Millionen mehr Arbeits- plätze schaffen? Warum reicht in anderen Ländern bereits ein Wachstum von einem Prozent aus, um neue Arbeitsplätze zu schaffen? Haben Sie sich schon mal angeschaut, wo denn in den USA und in Skandinavien Millionen neuer Arbeitsplätze entstanden sind? Diese Länder haben nicht mehr Arbeitsplätze in der Industrie und der Exportwirtschaft. Aber sie haben Millionen mehr Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich. Im Export technologischer Spitzengüter wird das Geld verdient. Aber Arbeitsplätze ent- stehen nur, wenn dieses Geld in Dienstleistungen umgesetzt wird. Wenn der VW- Arbeiter zum Friseur geht, der Friseur ins Restaurant geht, der Kellner anschließend den Handwerker bestellt und der Handwerker sein Geld für Lebensmittel ausgibt zu einem Preis, dass der Verkäufer und der Bauer davon leben kann und der Verkäufer und der Bauer dann ihren VW oder Mercedes kaufen, dann entsteht Vollbeschäftigung. Und mit der Vollbeschäftigung entsteht Binnenkonjunktur, es werden Steuern gezahlt, die Sozial- kassen bekommen Einnahmen, die Beiträge können gesenkt werden und die Konjunktur bekommt einen weiteren Impuls.
Aber mit unseren hohen Lohnnebenkosten wird genau diese Zirkulation der Einkommen verhindert. Der VW-Arbeiter geht seltener zum Friseur, wenn der Friseur das doppelte kostet – der Friseur geht seltener ins Restaurant, wenn der Kellner das doppelte kostet. Der Kellner gibt dem Handwerker keinen Auftrag, der Handwerker kauft nur die billigste Wurst bei Aldi und der Verkäufer und der Bauer fahren ihren VW oder Mercedes noch zwei Jahre länger. So wird in Deutschland systematisch die Konjunktur abgewürgt.
Unser System ist optimal ausgerichtet auf die Bedürfnisse der großen Industrie. Die gro- ße Industrie kann nämlich immer noch Außenhandelsrekorde einfahren mit immer weni- ger Beschäftigten. Aber die kleinen Betriebe in Schleswig-Holstein können das nicht. Die Handwerker, die Softwareschmieden, die Beratungsfirmen, das Hotel- und Gaststätten- gewerbe, die Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen – alle diese kleinen Firmen, die für Schleswig-Holstein so typisch sind, können das nicht.
Während die große Industrie oft bereits Personalkosten von unter 20 Prozent hat, haben unsere kleinen Dienstleister in Schleswig-Holstein Personalkostenanteile von weit über 50 Prozent. Sie sind es, die unter unserem System leiden und ächzen, auch wenn noch soviel Außenhandelsüberschüsse erwirtschaftet werden.
Und deshalb ist es kein Zufall, dass ausgerechnet die rot-grüne Regierung in Schleswig- Holstein ein eigenes Steuerkonzept vorgelegt hat. Das ist keine spleenige Idee unser Mi- nisterpräsidentin. Nein – Frau Simonis vertritt damit die ureigensten Interessen eines Landes, dessen Wirtschaft durch kleine Dienstleister, Handwerker und Softwareschmie- den geprägt ist.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum in anderen Industriestaaten die Erwerbs- quote von Frauen deutlich höher liegt als in Deutschland? Warum nicht nur in den skan- dinavischen Ländern, sondern auch in den USA und England erheblich mehr Frauen in Spitzenpositionen zu finden sind? Könnte es sein, dass das etwas damit zu tun hat, dass in anderen Ländern nicht der Trauschein, sondern die Kinder gefördert werden?
Ich glaube, auch das ist kein Zufall. Es ist längst an der Zeit, dass endlich ein Steuerkon- zept auf den Tisch gelegt wird, das das Ehegattensplitting abschafft und das alle Kinder gleich behandelt. Und ich glaube auch, dass es kein Zufall ist, dass dieses Konzept aus- gerechnet von einer Landesregierung vorgelegt wird, in der die Hälfte der Kabinettsmit- glieder Frauen sind. Die Botschaft dieses Steuerkonzepts lautet: Familie ist dort, wo Kin- der sind, egal ob mit oder ohne Trauschein!
Denn es wird endlich Zeit, dass die Potentiale von Millionen gut ausgebildeter Frauen in Deutschland nicht länger brachliegen, weil wir ein falsches Steuersystem haben.
Eine weitere Frage: Warum stehen Länder, die die höchsten Ökosteuersätze haben, in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit an der Spitze? Warum ist die US-Autoindustrie trotz niedrigster Steuern auf PKWs und Benzin international nicht konkurrenzfähig ist? Ich glaube, dass auch dies kein Zufall ist.
Wer ökologisch negative Auswirkungen nicht mit Kosten belegt oder sogar noch belohnt, der sorgt dafür, umweltschädliche Verhaltensweisen mit Milliarden Folgekosten durch den Steuerzahler subventioniert werden. Deswegen ist es richtig, dass die Eigenheimzu- lage und die Entfernungspauschale schrittweise abgebaut werden sollen.
Ich bedanke mich an dieser Stelle dafür, dass ausgerechnet die CDU auf Bundesebene diesen grünen Weg konsequent unterstützt, sogar gegen den ökologisch kurzsichtigen Populismus ihrer bayrischen Schwesterpartei. Und ich würde mich freuen, wenn es den konsequenten Steuerpolitikern und den Umweltpolitikern aller Parteien gelänge, sich in dieser Frage durchzusetzen und den Abbau von umweltschädlichen Subventionen noch schneller voranzubringen.
Ein Großteil der Menschen in unserem Land halten grundlegende Reformen für nötig. Aber ein Großteil der Menschen empfindet die Reformen der letzten Jahre auch als un- gerecht. Deshalb frage ich Sie: Ist es wirklich wirtschaftsfeindlich, wenn nicht nur die skandinavischen Länder, sondern auch die USA, Kanada und Großbritannien Vermögen um ein Vielfaches höher besteuern als Deutschland? Ist es wirklich Unvernunft, wenn viele Menschen es als ungerecht empfinden, wenn sie mehr belastet werden, aber zugleich die Vermögenssteuer abgeschafft wird, eine Anpassung der Erbschafts- teuer abgelehnt wird, und zugleich die Steuersätze für Spitzeneinkommen immer weiter abgesenkt werden?
Ich glaube, dass eine Steuerreform, die von den Menschen akzeptiert werden soll, auf diese Fragen eine Antwort geben muss. Und genau dies leistet das Steuerkonzept dieser rot-grünen Landesregierung: Es gibt eine Antwort, die die Bemessungsgrundlagen für die Erbschaftssteuer endlich den Realitäten anpasst; eine Antwort, die durch ausreichende Freibeträge für Ehepartner und Kinder wie auch für kleine Betriebe sozial ausgewogen ist; und ein Antwort, die die Eingangssteuersätze für kleine Einkommen senkt, aber für Jahreseinkommen über 500 000 Euro einen fünfprozentigen Zuschlag erhebt.
Meine Damen und Herren von der Opposition, das ist keine Sozialromantik. Und wenn Sie glauben, dass diese Gerechtigkeitsfrage Sie nicht betrifft, weil Sie zur Zeit gute Wahlumfragen haben, dann täuschen Sie sich. Die Wahlen in Frankreich haben gerade deutlich gemacht, dass diese Fragen von jeder Regierung beantwortet werden müssen – und dass konservative Regierungen genauso abgestraft werden. Jede Regierung, die die Sozialsysteme grundlegend verändern will und den Menschen Einbußen zumutet, muss die Gerechtigkeitsfrage beantworten.
Und wenn Sie sich davor drücken, wenn sie immer neue Entlastungen für Gutverdienen- de fordern und zugleich eine Kopfpauschale vorschlagen, die ein Drittel der Menschen zu Empfängern von sozialen Leistungen machen wird, dann – meine Damen und Herren – werden sie am Schluss dafür die Quittung bekommen. Schon jetzt ist es so, dass kaum einer glaubt, dass die Opposition die Probleme besser lösen kann. Sie versprechen im- mer neue Wohltaten, fordern immer neue Steuersenkungen, schlagen immer neue Unge- rechtigkeiten vor und blockieren die notwendige Reformen im Bundesrat.
Glauben sie wirklich, das merkt niemand? Glauben sie wirklich, sie können nur auf der Welle des Protestes die nächsten Wahlen gewinnen, ohne die Fragen der Gerechtigkeit, der Nachhaltigkeit und der Finanzierbarkeit zu beantworten? Ich bin mir sicher, sie wer- den damit nicht durchkommen.
Wenn die Regierung von Schleswig-Holstein hier ein eigenes Steuerkonzept vorlegt, dann ist das kein populistischer Ausflug unseres propellergetriebenen Finanzministers in die Bundespolitik. Nein – das ist ein notwendiger Beitrag zu der bundespolitischen Steu- erdiskussion. Und wenn ihn kein anderer leistet, dann muss es eben die rot-grüne Regie- rung in Schleswig-Holstein leisten. Das sind wir unserer Republik schuldig.
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