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Manfred Ritzek: Europapolitik des Landes ohne Konzeption
Nr. 291/04 28. Mai 2004 IM SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN LANDTAG PRESSEMITTEILUNG PRESSESPRECHER Torsten Haase Landeshaus, 24105 Kiel Telefon 0431-988-1440 Telefax 0431-988-1444 E-mail: info@cdu.ltsh.de Internet: http://www.cdu.ltsh.deEuropapolitik TOP 26 Manfred Ritzek: Europapolitik des Landes ohne Konzeption 10 neue, ehrgeizige Mitgliedsstaaten sind am 1. Mai in die EU eingetreten. Die neue EU- Verfassung soll die EU regierbar machen. Wir müssen uns auf die Herausforderungen konzentrieren, die insbesondere auch an unser Land Schleswig-Holstein gestellt sind.Es ist nichts Neues, dass Europapolitik auch Landespolitik ist. Eine Vielzahl von Dokumenten, Ausarbeitungen, Berichten der Landesregierung, wie z.B. die Europaberichte, AdR-Berichte, der Bericht über die Aktivitäten der Landesregierung im Ostseeraum, über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Dänemark, der Europabericht der Landesregierung 2003/2004 und viele mehr verdeutlichen ja zumindest das Bemühen der rot-grünen Landesregierung, etwas Klarheit zu schaffen, wie Schleswig-Holstein in der EU- Politik mitgestaltend eingebunden ist.Die Behandlung des Antrages von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen ermöglicht es, Gutes zu loben, aber auch auf Entwicklungen hinzuweisen, auf die wir keinen Einfluss haben oder die schon längst hätten konkretisiert werden müssen.Ich möchte die Chance nutzen, auf Gefahren, auf Schwachstellen und auf ständige Verbesserungsmöglichkeiten hinzuweisen, insbesondere, wenn es sich um die Entwicklung und Umsetzung eigener Konzepte im Rahmen der Kompetenzzuordnung handelt.In Teil I des Verfassungsentwurfs wurden in den Artikeln 11 bis 16 - und das geschah schon unter Mitwirkung der 10 neuen EU-Länder - die Kompetenzen definiert in ausschließliche und geteilte Zuständigkeiten sowie in Bereiche, in denen die Union Unterstützungs-, Koordinierungs- und Ergänzungsmaßnahmen ergreifen kann.Die ausschließlichen Zuständigkeiten der Union, die sich gemäß Artikel 12 auf die Währungspolitik, die gemeinsame Handelspolitik, die Zollunion und auf die biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik beziehen, sind sicherlich unstrittig.Mit der geplanten Verabschiedung der europäischen Verfassung werden jedoch erhebliche Veränderungen verbunden sein können – wie es ja auch im Antrag steht - da die Kommissare sich ihre dann verfassungsrechtlich definierten Politikfelder aneignen werden. Ist sich die Landesregierung auch der Politikbereiche bewusst, wo der Einfluss der Union dann zu groß werden kann? Gibt es – vorbereitete – konkrete Abgrenzungen der Aktivitäten der Landesregierung zu denen der Union-Aktivitäten, wenn diese in Bereiche geteilter Zuständigkeiten fallen? Für die geteilten Zuständigkeiten gilt:Ich zitiere Artikel 11 der Verfassung: „Die Mitgliedländer nehmen ihre Zuständigkeit wahr, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat oder entschieden hat, diese nicht mehr auszuüben“. Diese Definition bedeutet: Wir hängen am Tropf der Union.Es gilt eine Balance herauszufinden und zu definieren, wie Landespolitik nach den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit gestaltet werden kann. „ Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird gemäß Artikel 9 die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedsländern weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung auf Unionsebene besser erreicht werden können“.Diese Abwägung muss von der Landespolitik im Rahmen der Europapolitik stets gestellt werden.Nur bei Klarheit dieser Verantwortlichkeiten lässt sich auch eindeutig die Zuordnung der Koordinierungsfunktion durch die Union in den verschiedensten Politikbereichen wie z.B. bei der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, der Sozialpolitik, der Landwirtschaft, der Umwelt- und Verbraucherschutzpolitik, der Verkehrs- und Energiepolitik definieren. Auch wenn aus verschiedensten Fonds der EU für diese Koordinierungsbereiche Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden, die Verantwortung für effektive und effiziente Durchführung muss bei den Ländern bleiben.Auch im Bereich der Ergänzungs- oder Unterstützungsmassnahmen kann die Kommission alle Initiativen ergreifen, die dieser Koordinierung förderlich sind. Das betrifft die Bereiche Gesundheitswesen, Industrie, Kultur, Allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport und den Katastrophenschutz. Aufgabe der Landespolitik ist es, diese Koordinierung für die speziellen Anforderungen unseres Landes zu nutzen.Die nationale Bildungspolitik gerät zunehmend unter europäischen Einfluss, weil diese von der EU – wie auch in der Lissabon-Strategie erkennbar – zusehens in der Logik der Beschäftigungspolitik eingereiht wird. Die EU geht jetzt schon weit über die bestehenden Vertragsunterlagen hinaus. Denn dort ist verankert, dass der Subsidiaritätsvorbehalt besonders die Lehrinhalte vor einer Harmonisierung schützt.Im Entwurf der Eckpunkte des Europaberichts 2003/ 2004 der Landesregierung mit dem Titel „Europapolitik ist Landespolitik“/ Europapolitische Grundsätze und Handlungsperspektiven der Landesregierung 2004 bis 2006“ wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf die deutschen Länder durch die Verabschiedung einer europäischen Verfassung in den nächsten Jahren erhöhte Anforderungen zur Ausfüllung ihrer Mitwirkungsrechte zukommen.Und schon im Europabericht 2001 schreibt die Landesregierung:“ Bei der Umsetzung von europäischen Politiken brauchen Länder größere Gestaltungsmöglichkeiten, um den Aufgaben vor Ort besser gerecht werden zu können.“Zu begrüßen ist, dass die Landesregierung das schon mal erkannt hat. Es wäre aber notwendig gewesen, dass sie sich - parallel zur inhaltlichen Gestaltung der Verfassung - bereits intensiver mit den in dem Verfassungsentwurf beschriebenen Verantwortlichkeiten auseinander gesetzt hätte.Hat die Landesregierung das zweistufige Kontrollsystem entwickelt? Dazu gehört als erste Stufe das so genannte „Frühwarnsystem“, mit dem die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten über einen so genannten „Subsidiaritätsbogen“ von der Kommission über ein neues europäisches Rechtsetzungsverfahren informiert werden. Innerhalb von 6 Wochen müssen dann die Parlamente, auch unser Landesparlament, über mögliche Beschneidungen ihrer Kompetenzen bezüglich des Subsidiaritätsgebotes rügen. Hat die Landesregierung dieses Beteiligungsinstrument entwickelt?Die zweite Stufe der Kontrollfunktion ist das eigene Klagerecht zum Schutz des Subsidiaritätsprinzips, das über den Bundesrat oder Bundestag eingebracht werden kann. Ich bezweifle, dass diese Kontrollfunktion bei uns schon lebt.Ferner muss sich die Landesregierung verstärkt dafür einsetzen, dass sich der AdR - insbesondere nach der Erweiterung auf 25 Mitglieder - verstärkt zu einem europäischen Forum entwickelt, das sich für die Stärkung von Föderalismus, Regionalisierung, Dezentralisierung und kommunaler Selbstverwaltung einsetzt.Der AdR hat mit der Erwähnung in Artikel 31 als beratende Einrichtung der Union Verfassungsrang erhalten. Fordern wir unsere AdR-Vertretung heraus. Dann könnten wir auch mal die Effektivität unserer Vertretung evaluieren.Die zukünftigen Schwerpunkte für Schleswig-Holstein im Rahmen der „Europapolitik als Landespolitik“ wurden von der Landesregierung auch bereits im „Entwurf der Eckpunkte“ des Europaberichts der Landesregierung 2003/ 2004 erwähnt.Alle bisherigen Aktivitäten in der Ostseeregion wie z.B. die Gründung von Parlamentspartnerschaften, die Eröffnung von Schleswig-Holstein Büros, die Vertiefung der Beziehung zum Grenznachbar Dänemark, die Beteiligung an EU-Gemeinschaftsprojekten, die Beteiligung an Konferenzen der Ostseeparlamentarier und der Regierungschefs, die Vernetzung des Bildungswesens, gemeinsame Sicherheits- und Überwachungssysteme, Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen und viele mehr sind zu begrüßen, fortzusetzen und ständig zu verbessern.Unser Hanse Office leistet gute Arbeit. Allerdings müsste es uns noch mehr über den Beginn von Gesetzgebungsverfahren informieren, um der beide Kontrollfunktionen auszuüben.Betrachten wir jedoch einmal unsere Repräsentanzen in Tallin, Riga, Vilnius, Danzig, also in den neuen EU-Ländern vor dem Hintergrund der Erweiterung:„Vor Ort Flagge zeigen“, war und ist das Ziel der Repräsentanzen. Die Büros haben Aufgaben zu erfüllen. Diese müssen an die neuen Entwicklungen und den Herausforderungen der Erweiterung angepasst worden?- Gibt es neue Jahresprogramme für die Büros? - Welche Kooperations-Projekte für die Nutzung von grenzüberschreitenden EU- Programmen wurden oder werden konkret entwickelt? - Gibt es Planungen oder sogar Projekte, um in Kooperation mit den baltischen Staaten verstärkt auch die Tore nach Russland zu öffnen?Wenn Europapolitik auch Landespolitik ist, dann müssten unterschiedliche Projekte längst von der Landesregierung entwickelt worden sein, denn der 1. Mai mit der Aufnahme der neuen Ostseeländer ist ja nicht vom Himmel gefallen.Die Reform der Strukturpolitik der EU können wir als Land nicht direkt beeinflussen. Aber wir müssen überall, wo Einflussmöglichkeiten bestehen und bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, wie bedeutend die Strukturmittel für die Entwicklung unseres Landes sind. Mitte nächsten Jahres wird das europäische Parlament den Haushalt mit allen strukturpolitischen Maßnahmen verabschieden. Was ist zu tun? Aufgabe der Landespolitik ist es, alternative Projekte auf Basis alternativer EU-Strukturförderprogramme zu konzipieren. Dabei ist es zwingend notwendig, insbesondere auch grenzüberschreitende Projekte zu entwickeln, weil diese die höchste Chance der Förderung durch die EU haben.Die Lissabonstrategie – wie im rot-grünen Antrag erwähnt - für den Zeitraum von 2000 bis 2010 gibt eine Menge an Anforderungen, die auch von unserem Land erfüllt werden müssen. Immerhin verweist die Landesregierung in dem Eckpunktepapier 2004 bis 2006 auf die Lissabonstrategie, sie beschränkt sich aber eben nur auf den Zeitraum von 2004 bis 2006, statt auch bis zum Jahre 2010, wie es die Lissabon-Strategie fordert, zu gehen.Der Wirtschaftsminister hat in der letzten Parlamentsdebatte ein Strategiepapier bis zum Jahr 2020 vorgetragen, ohne auch nur einmal die Lissabon-Strategie zu erwähnen. Auch im Wirtschaftsbericht 2004 sucht man vergeblich nach der Verbindung zur Lissabon-Strategie. Hat der Wirtschaftsminister bisher nichts von der Lissabon-Strategie gehört? 2006, 2010, 2020, es ist ein großes Versäumnis, dass hier nicht die geringste Abstimmung im Regierungslager erfolgt ist.Wenn die EU – so die Lissabon-Strategie – bis zum Jahre 2010 zur dynamischsten, wettbewerbsfähigsten Region entwickelt werden soll, dann werden auch an unser Land unmittelbar höchste Anforderungen gestellt. Im Jahre 2005 wird die Halbzeitbewertung der Lissabon-Strategie erfolgen. Deutschlands Fortschrittsbilanz wurde bisher als eher enttäuschend bezeichnet.Wo steht Schleswig-Holstein? Was waren bisher die Inhalte der Landespolitik im Rahmen dieser Europapolitik, dieser Lissabon-Strategie? Sie fordert konkrete Ziele für die Höhe der Investitionsquote, der Arbeitslosenquote, der Verschuldungsgrad, der Neuverschuldung, der Entwicklung der Schulabgänger mit Abschluss oder ohne, der Studienquote, dem Beschäftigungsgrad, dem lebenslangen Lernen, der Verbesserung und Akzeptanz der Informations- und Kommunikationssysteme, der F&E-Quote? Wie entwickelten sich diese Kennziffern seit der Initiierung der Lissabon-Strategie? Hat unser Land zur Verbesserung der europaweit geforderten Ergebnisse beigetragen? Nichts wird darüber gesagt.Nur soviel lässt sich schon heute sagen: Fast alle Parameter für unser Land sind bedrückend schlecht. Die Aufzählung schenke ich mir, mit Ausnahme eines kleinen Beispiels aus dem Bildungsbereich:Schleswig-Holstein beteiligt sich auch an der zweiten Phase des EU-Bildungsprojektes „Sokrates“ in dem Zeitraum 2000-2006. Für den Berufsschulbereich mit bundesweit etwa 1,7 Millionen Berufsschülern nehmen knapp 1 % an diesem Bildungssystem teil. Obwohl das Projekt schon im vierten Jahr in unserem Land läuft, weiß keiner im Bildungsministerium, wie viele Berufsschüler an diesem Sokrates-Projekt teilgenommen haben oder teilnehmen. Wahrscheinlich wird es auch für den Mitteleinsatz beim „Lebenslangen Lernen oder der „Erwachsenenbildung“ keine Daten über die Teilnahme geben.Europapolitik ist Landespolitik. Das ist nicht neu. Warum aber beginnt die Landesregierung so spät, Konzepte zu entwickeln, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.In dem im März 2004 erstellten Eckpunktepapier für den Zeitraum 2004 bis 2006: Zitate heißt es immer wieder: Es wird gemacht, es wird konzipiert, es wird, es wird … Warum haben Sie nicht längst begonnen?Eine europapolitische Konzeption ist bei der jetzigen Landesregierung nicht erkennbar. Das Eckpunktepapier für den Zeitraum 2004 bis 2006 mit dem Titel „Europapolitik ist Landespolitik“ beweist, dass die Landesregierung viel zu spät auf die Erweiterung der EU regiert hat. Wegen des dringenden Handlungsbedarfs beantragen wir die Überweisung in den Europaausschuss.