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Dr. Ulf von Hielmcrone zu TOP 26: Kultur ist ein entscheidender Faktor im internationalen Wettbewerb
Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 18.06.2004Landtag Es gilt das gesprochene Wort Sperrfrist: Redebeginn aktuell Top 26 – Entwicklung und Stand der Kulturwirtschaft in Schleswig-HolsteinDr. Ulf von Hielmcrone:Kultur ist ein entscheidender Faktor im internationalen WettbewerbWir alle wissen, meine Damen und Herren, dass Kultur ein so genannter weicher Standortfaktor ist. Da weich bekanntlich das Gegenteil von hart ist, soll das ja wohl be- deuten: Kultur ist eben kein harter Faktor, und damit irgendwie unbedeutend und zu vernachlässigen, nicht belastbar, etwa im Gegensatz zum Faktor Verkehrsinfrastruktur. Aber dennoch ist jeder Euro, der in und mit der Kultur verdient wird, ein harter Euro wie jeder andere Euro auch, eine Tatsache, die nicht anzuzweifeln sein dürfte. Die Frage ist nur, wie viele Euros werden denn in der Kulturwirtschaft verdient, und wie viele könnten verdient werden?Hier gibt der Bericht über die Kulturwirtschaft Auskunft, und er weist zugleich auf die Po- tenziale hin, die in der Kulturwirtschaft stecken. Zu den Fakten: Im Jahre 2001 arbeiteten in der Kulturwirtschaft 5.319 umsatzsteuerpflichtige Personen (also nicht Beschäftigte insgesamt), die immerhin einen Umsatz von 2 Milliarden 993 Millionen 840Tausend Euro tätigten. Insgesamt waren mehr Personen in der Kulturwirt- schaft beschäftigt als beispielsweise in der Landwirtschaft. Schon diese Zahl beweist, dass es sich nicht um Peanuts handelt. Allein in der Branche der elektronischen und der Printmedien hat sich eine Medienlandschaft entwickelt, die mehr Menschen be- schäftigt, als der klassische und, wenn Sie so wollen, harte Bereich der Werftindustrie. Schwerpunkte sind: Kiel, Nordfriesland und das südöstliche Schleswig-Holstein. Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-1, 5 Milliarden Euro setzte der Literatur- und Büchermarkt mit 17.500 Beschäftigten um; 600.000 Besucher zählten die öffentlichen Mehrspartentheater inklusive der Konzerte. 120.000 Eintrittskarten werden für das SHMF verkauft, bei einem Jahresbudget von 7, 5 Millionen Euro. 4,5 Millionen Besucher besuchen unsere Museen jährlich, zehn Institutionen haben über 100.000 Besucher jährlich, acht über 50.000 Besucher. Wenn man von zusätzlichen Ausgaben ausgeht von € 10 pro Besucher (andere Schät- zungen sind höher) ergibt sich ein Umsatzvolumen von 45 Millionen €.Alles in allem stellt die Kulturwirtschaft einen beachtlichen Faktor der schleswig- holsteinischen Wirtschaft dar, lesen Sie die einzelnen Statistiken nach. – Ein weicher Faktor ist sie demnach nicht, es wird in ihr hartes Geld verdient, auch wenn Bereiche nicht ohne staatliche Hilfe auskommen können wie Theater oder Museen.Übrigens haben wir nicht als erste die Kulturwirtschaft entdeckt, NRW ist auf diesem Gebiet Vorreiter, bezeichnenderweise nachdem die alte Montanindustrie, das frühere Rückgrat der Wirtschaft zwischen Rhein und Ruhr, dramatisch an Bedeutung verlor.Kultur und Wirtschaft führen uns aber zu einem weiteren Aspekt: Kultur und Tourismus. Der Tourismus ist ein anerkannt wichtiger Faktor in der Wirtschaft des Landes. Welche Rolle spielt jedoch die Kultur dabei? Unser Land wird, so der Bericht, bei den Touristen durch die naturräumlichen Gegebenheiten wahrgenommen: Meer und Naturnähe. Das Kultursegment ist dagegen gering vertreten, nur 1,3 % aller Reisen in unser Land sind Kulturreisen und nur 0,4 % Reisen mit Kulturmotiv. Das ist allerdings erschütternd ge- ring und wäre nur dann zu verstehen, wenn es in unserem Lande tatsächlich kein nen- nenswertes Kulturangebot gäbe. Das ist aber nicht der Fall.Wir haben Schlösser und Herrenhäuser, Kirchen, Dome, alte Städte, ein reiches literari- sches Erbe, wir sind nicht arm an einer eigenen Musiküberlieferung. Nur: all dieses ist uns selbst nicht hinreichend bekannt, geschweige, dass wir es richtig vermarkten. Jahr- zehntelang hieß es doch, dass sich in Schleswig-Holstein die Musen hinterm Knick oder -3-hinterm Deich versteckten. Darauf war man auch noch stolz, denn, wie gesagt: Kultur ist ein weicher Faktor. Und so wissen wir selbst zu wenig von unserer Kultur, und wir sind zu wenig stolz darauf.Erst seit einiger Zeit wird mit Hilfe der Regierung das kulturelle Erbe erschlossen und aufbereitet, auch darüber berichtet die Regierung. Zwei Punkte sind dabei wesentlich: • Die Potenziale zu identifizieren, zu erschließen und sie dann auch bekannt zu machen, • Verbesserung der Kooperation von Tourismus und der Kultur.Im Jahre 2003 interessierten sich 12 Prozent der Deutschen für eine Kulturreise, 2000 waren es nur 10 %. Davon kommen aber nur sehr wenige in unserem Lande an. Bereits heute werden nachgefragt an Themenreisen: Backsteingotik und Reisen zu den literari- schen Stätten: Storm, Lenz, die Manns, Grass oder zu den Expressionisten; Nolde, Bar- lach.Warum keine Fahrten zu den Denkmälern der Renaissance: Wilster, Krempe, Gottorf, Husum, Seedorf, warum keine Reise zu Klassizismus und Aufklärung: Quickborn, Neu- münster, Emkendorf, Eutin. Oder warum machen wir unsere Verbindung mit Russland nicht bekannter: Kiel, Gottorf und andere Orte. Wer weiß, dass das Haus Romanow ei- gentlich Holstein-Gottorf-Romanow heißt? Warum erschließen wir unser skandinavi- sches Erbe nicht, unsere Verbindung zu England. Oder weiter: Machen wir genug aus einer so einmaligen baulichen und religionsgeschichtlichen Stadt wie Friedrichstadt? Wird es nicht Zeit, sie zum Weltkulturerbe zu erklären? – Dies sind nur einige Beispiele von vielen, auch grenzüberschreitenden Angeboten.Hier liegt also noch ein großes Betätigungsfeld vor uns, und zwar aus zwei Gründen: • Einmal im Sinne von mehr harten Euros, sprich Kultur als Tourismus-Faktor. • Kultur ist aber auch identitätsstiftend. Kultur ist der Kitt, der die Gesellschaft zusam- menhält, denn durch eine ganz spezifische, unterscheidbare Kultur kann sie sich defi- nieren und geht nicht unter. -4-Liegt genau nicht dort unsere geheime Angst, dass andere Kulturen, die bei uns, in un- ser Haus, eingezogen sind, stärker sind als wir und wir uns deswegen unsicher, verun- sichert fühlen? Fehlt es bei uns nicht gerade an kulturellem Bewusstsein, und fühlen wir uns deswegen insgeheim nicht jenen Gruppen unterlegen, die dieses Bewusstsein näm- lich haben, so dass wir selbst Angst vor einem Kopftuch haben?Das heißt: Die Herausarbeitung und stärkere Betonung unserer eigenständigen Kultur – von Backsteindomen bis zum Ringreiten – stärkt unser Selbstbewusstsein und macht dieses Land auch stark im internationalen Wettbewerb. Kultur schafft Identität. In Eng- land weiß man längst, kulturelles Lebens und Identität ist eine der wesentlichen Voraus- setzungen, den Wettbewerb zwischen den Städten zu bestehen, auch was Ansiedlung von Gewerbe betrifft.Dem ersten Satz im Bericht: „Immer mehr setzt sich die Überzeugung durch, dass die Kulturwirtschaft eine Zukunftsbranche ist und im Europa des 21. Jahrhunderts ein maß- gebliches Potenzial im internationalen Wettbewerb darstellen wird.“ ist allenfalls noch hinzuzufügen: Kultur ist alles andere als ein weicher Faktor, er ist ein verdammt ent- scheidender Faktor.