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Karl-Martin Hentschel zur Neuordnung des öffentlichen Personennahverkehrs
Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Claudia Jacob Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.gruene-landtag-sh.de Nr. 305.04 / 13.09.2004 Neuordnung des ÖPNV: Straffung der Strukturen und mehr WettbewerbDie Landtagsfraktion hat gemeinsam mit der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Verkehr von Bündnis 90/Die Grünen einen Vorschlag für die Neuordnung des öffentlichen Perso- nennahverkehrs (ÖPNV) in Schleswig-Holstein erarbeitet. Dazu erklären Lutz Oschmann, Sprecher der LAG Verkehr und Karl-Martin Hentschel, Fraktionsvorsitzen- der und verkehrspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion:Der Ausbau des öffentlichen Verkehrs auf Straße und Schiene ist ein wichtiger Bestand- teil einer nachhaltigen Verkehrspolitik. Angesichts der knappen Kassen der öffentlichen Hand ist ein weiterer Ausbau durch Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln kaum zu er- warten. Wir brauchen deshalb Rahmenbedingungen, die durch mehr Wettbewerb, mehr Transparenz und Anreize zur Verbesserung der Strukturen eine Steigerung der Leistun- gen und der Qualität ermöglichen. Deshalb legen wir im Folgenden einen Vorschlag für die Neuordnung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in Schleswig-Holstein vor.Die Neuordnung sollte im Rahmen einer Novellierung des ÖPNV-Gesetzes stattfinden. Da einige Vorschläge, insbesondere aber die Neuordnung der Finanzierung, die Ände- rung von Bundesgesetzen – Personenbeförderungsgesetz und Gemeindeverkehrsfinan- zierungsgesetz - erfordern, schlagen wir vor, dass die Landesregierung dazu in Form ei- ner Bundesratsinitiative tätig wird.Das Urteil des EuGHAm 24.7.2003 hat der Europäische Gerichtshof - in der seit Jahren anhängigen Sache Altmark Trans - entschieden, dass ÖPNV-Leistungen nicht in jedem Fall ausgeschrieben werden müssen. Manche Unternehmen, Kommunen und Verbände haben dies als Frei- brief interpretiert, alles so zu lassen, wie es ist.1/4 Tatsächlich hat jedoch der EuGH entschieden, dass grundsätzlich auch für den ÖPNV das Wettbewerbsrecht gilt. Nur aufgrund von nationalen Vorschriften, die dies anders re- geln, ist ein Verzicht auf Wettbewerb zulässig. Dann muss aber die gemeinwirtschaftliche Leistung, die in der Regel nicht kostendeckend ist und deshalb finanziell ausgeglichen wird, klar definiert sein. Die Leistung muss transparent beschrieben werden und der Ausgleich darf die Kosten für die Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung ein- schließlich eines angemessenen Gewinns nicht übersteigen.Es muss also in jedem Fall ein Vergabeverfahren oder eine öffentlich transparente Kos- tenermittlung erfolgen.Die Situation in Schleswig-HolsteinDie Bemühungen um mehr Effizienz waren in den vergangenen Jahren wesentlich verur- sacht durch die knapper werdenden öffentlichen Mittel und die Drohung des kommenden Wettbewerbsrechtes der EU. Dies führte dazu, dass viele Unternehmen und Kommunen Anstrengungen unternahmen, die Effizienz zu steigern, um die Defizite zu verringern und um auf künftige Entwicklungen eingestellt zu sein. In Schleswig-Holstein hat dies z.B. zu einem 49prozentigen-Anteilsverkauf der Kieler Verkehrsbetriebe und zur Selbstverpflich- tung von Unternehmen zur Effizienzsteigerung geführt.Problematisch bleibt jedoch die Intransparenz der öffentlichen Förderung. Sie besteht heute aus Mitteln der Kommunen (Querverbund), Zuschüssen des Landes aus Regiona- lisierungsmitteln des Bundes, Investitionsfördermittel des Bundes nach dem Gemeinde- verkehrsfinanzierungsgesetz Anteil ÖPNV, Bundesmittel nach dem Bundesschienenwe- geausbaugesetz, Anteil Nahverkehrsmittel und die Ausgleichszahlungen für Schülerver- kehre (Personenbeförderungsgesetz) sowie für Schwerbehinderte (Sozialgesetzbuch).Diese Förderungsstruktur dürfte vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils keinen dauerhaf- ten Bestand haben. Sie ist weder transparent noch effizient.Zuletzt haben die schwierigen Verhandlungen um den Schleswig-Holstein-Tarif deutlich gemacht, dass die ÖPNV-Politik nicht allein den Unternehmen und Kreisen überlassen werden kann. Ein Beispiel für die widerstreitenden Interessen sind auch die Schwierigkei- ten der Region Lübeck, einen kreisübergreifenden Verkehrsverbund wie den Verkehrs- verbund Region Kiel (VRK) in Kiel zustande zu bringen.Vorschläge für eine Reform des ÖPNVDie folgenden Vorschläge umfassen sowohl eine Reform der Finanzierung des ÖPNV, die nur über eine Änderung des Bundesrechtes möglich ist, wie auch eine Änderung der Strukturen im Land, die durch eine Änderung des ÖPNV-Gesetzes erreicht werden kann.Zuständigkeit der RegionDie jetzige Aufgabenverteilung – der SPNV ist Landessache, der ÖPNV Sache der Kommunen - ist grundsätzlich sinnvoll. Leider sind die Kreisgrenzen heute nur noch in wenigen Fällen geeignet, um innerhalb dieser Grenzen einen sinnvollen ÖPNV zu orga- nisieren. Im Hamburger Umland haben die Kreise diese Aufgabe sowieso weitgehend an den Hamburger Verkehrsverbund (HVV) abgetreten. In der K.E.R.N.-Region ist das Glei- che, nach der beschlossenen Einbeziehung von Neumünster, mit dem VRK erfolgt.In Nordfriesland hat der Kreis seine Ordnungsfunktion praktisch an die private Autokraft (Tochter der DB-AG) abgetreten. Im Umland von Lübeck gehören die drei Hamburg- Rand-Kreise zum HVV, während Lübeck und Ostholstein sich nicht einigen können. Und auch im Norden ist es evident, dass eine Organisation des ÖPNV im Raum Schleswig- Flensburg nur kreisübergreifend erfolgen kann.Aus diesen Gründen schlagen wir vor, die kommunale Zuständigkeit grundsätzlich bei- zubehalten. Allerdings sollten die Kreise, solange noch keine größeren Regionalkreise gebildet wurden, gemeinsame regionale Nahverkehrs-Gesellschaften bilden, um die Pla- nung und Vergabe des ÖPNV kreisübergreifend zu organisieren.Einführung des Ersteller-Besteller-Prinzips und VerkehrsverträgeIn allen Fällen, in denen der ÖPNV mit öffentlichen Mitteln mitfinanziert wird, soll verbind- lich das Besteller-Ersteller-Prinzip umgesetzt werden. Dies bedeutet, dass die regionalen Nahverkehrs-Gesellschaften grundsätzlich keinen ÖPNV selbst durchführen, sondern diesen stets an Dritte vergeben. Dazu ist jeweils ein Verkehrsvertrag zwischen der regio- nalen Nahverkehrs-Gesellschaft und dem Verkehrsunternehmen abzuschließen, in dem transparent die vereinbarten und bestellten Leistungen und die öffentlichen Zuschüsse geregelt sind. Dadurch werden die bisherigen Konzessionen abgelöst.Dort, wo Verkehrsunternehmen in der öffentlichen Hand sind, müssen die kommunalen Aufgaben von der Erbringung von Verkehrsleistungen getrennt werden. Die Verkehrsver- träge sollten Anreizsysteme beinhalten, die den Ersteller animieren, die Qualitätsstan- dards durchgängig einzuhalten und mehr NutzerInnen zu gewinnen (Beteiligung am Er- lösrisiko).FinanzierungWir schlagen vor, alle heute verfügbaren Mittel von Bund, Land und Gemeinden zu einer einheitlichen ÖPNV-Förderung analog zu den Regionalisierungsmitteln im Schienenpersonennahverkehr zu bündeln. Damit stände den regionalen Nahverkehrs- Gesellschaften pauschalierte Mittel zur Verfügung, die sie im Rahmen eines Verkehrs- vertrags mit den beauftragten Unternehmen einsetzen. Bei der Schlüsselbildung zur Verteilung der Mittel auf die einzelnen kommunalen Aufgabenträger sind Erfolgskom- ponenten einzubeziehen. Alle anderen Formen der Subvention von öffentlichem Verkehr fallen damit weg. Ausnahme ist jedoch die Finanzierung von öffentlicher Infrastruktur, soweit diese von der Kommune den Verkehrsunternehmen zur Verfügung gestellt wird. Dies sind in der Regel U-Bahn-Gleise, Busspuren, Haltestellen, Busbahnhöfe. Es können aber auch zentrale Busabstell-Plätze, Wartungs- und Reparatureinrichtungen usw. sein. Welche Einrichtun- gen und Leistungen von der Kommune gestellt werden und welche die Verkehrsunter- nehmen selbst zu erbringen haben, wird im Rahmen des Verkehrsvertrages geregelt.Bei einer gesetzlichen Neuregelung sollte auch klargestellt werden, dass Verkehrsverträ- ge nicht zu einer Umsatzsteuerpflicht führen, welche dem ÖPNV Mittel entzieht. Wettbewerb, Optionsrecht und TransparenzgebotWettbewerb ist kein Ziel, sondern nur Instrument zur Verbesserung des ÖPNV. Häufig kann es gute Gründe geben, einzelne Linien oder ganze Pakete direkt an Verkehrsunter- nehmen zu vergeben.Deshalb schlagen wir vor, ein duales System zu installieren. Dabei soll grundsätzlich ei- ne Ausschreibung von Verkehrsleistungen erfolgen. Die Kommunen (Regionen) können aber im Rahmen ihrer Selbstverwaltung auch ohne Ausschreibung vergeben. Dieses abweichende Verfahren, marktorientierte Direktvergabe genannt, muss jedoch in regel- mäßigen Abständen überprüft und ein transparenter Kostenvergleich durchgeführt wer- den. Die Pflicht, die Leistungen und Vergütungen im Rahmen eines Verkehrsvertrages zwischen regionaler Nahverkehrs-Gesellschaft und Verkehrsunternehmen transparent darzustellen, bleibt davon unberührt.Schleswig-Holstein-Tarif und VernetzungsgebotDer ÖPNV ist eine freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe der Kommunen (Regionen). Der Umfang der Leistungen sollte in den städtischen Regionen grundsätzlich angebotsorien- tiert bestimmt sein, in den ländlichen Regionen dagegen nachfrageorientiert. In jedem Fall ist der ÖPNV als ein flächendeckendes Netz anzubieten, das ein angemessenes Maß an Mobilität auch auf dem Lande sicherstellt.Diese Aufgabe beinhaltet auch die Pflicht, die Angebote untereinander und mit dem SPNV räumlich und zeitlich zu vernetzen und die Teilnahme am einheitlichen Tarifsystem in Schleswig-Holstein. Die Tarifgestaltung erfolgt in jährlicher Absprache zwischen den regionalen Nahverkehrs-Gesellschaften und der Landesweiten Verkehrsservicegesell- schaft (LVS). Die regionalen Nahverkehrs-Gesellschaften sind an der Planung über die LVS angemessen zu beteiligen. In den Tarifen soll es Spielräume für die regional ange- passte Gestaltung der Tarifzonen geben. ***