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10.11.04 , 16:22 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur Zukunft der Kreditwirtschaft

Fraktion im Landtag PRESSEDIENST Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 21 – Zukunft der Kreditwirtschaft Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Dazu sagt der Vorsitzende Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Telefax: 0431/988-1501 Karl-Martin Hentschel: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 367.04 / 10.11.2004


Sparkassen sind die beste Alternative
Sehr geehrter Herr Präsident , sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte mit einem Zitat von Josef Stiglitz beginnen, der als Nobelpreisträger für Öko- nomie im Jahre 2000 und ehemaliger Chefökonom der Weltbank sicher ein unverdächti- ger Zeuge ist:
„Ein eigenständiges regionales Bankensystem ist aber Basis für Kreditvergaben an klei- ne einheimische Firmen. Während Großbanken multinationalen Konzernen und auch großen inländischen Unternehmen bereitwillig Kredite geben, fällt es der mittelständi- schen Wirtschaft schwer, sich nötiges Kapital zu beschaffen. ... werden die lokalen Ban- ken aber aufgekauft, dann steigen meist die Gewinnerwartungen und damit die Zinsen.“
Wir hier in der Bundesrepublik Deutschland haben ein eigenständiges regionales Ban- kensystem – nämlich unsere Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Und angesichts der aktuellen Debatte ist es gut, dass wir heute darüber reden, ob die Kreditwirtschaft in unserem Lande ausreichend funktioniert.
Was die Privatkunden angeht, so gibt der Bericht Entwarnung: Trotz rückgehender Zahl der Filialen ist es sichergestellt, dass fast alle Menschen in Schleswig-Holstein die Mög- lichkeit haben, ein Girokonto zu eröffnen. Im Zweifelsfall helfen die Schuldnerberatungs- stellen und die Schlichtungsstellen – die 2003 nur in vier Fällen tätig werden mussten.
Das System funktioniert also! Aber ich möchte auch betonen, dass dies überwiegend den Sparkassen und den Genossenschaftsbanken zu verdanken ist – nicht den Privatban- ken.
1/4 Problematischer sieht es bei der Kreditversorgung von kleinen Unternehmen aus. Wäh- rend große und meist auch mittlere Unternehmen meist keine Schwierigkeiten mit den veränderten Bedingungen haben, gibt es erhebliche Probleme für die kleinen Unterneh- men – insbesondere für das vielgelobte Handwerk, den Handel und die Gastronomie.
49 Prozent aller Unternehmen mit bis zu einer Mio. Euro Umsatz haben Probleme – sie- ben Prozent aller Firmen wurde im Jahre 2003 das Geschäftskonto gekündigt und weite- ren sechs Prozent wurde dieses angedroht.
Und es ist keineswegs so, dass die Sparkassen dabei nur die Guten sind. Denn durch die Regeln der europäischen Union sind gerade die Sparkassen gezwungen, sich neu auf den Markt auszurichten.
Aber es ist auch festzustellen: Auch heute noch tragen die Sparkassen und die Genos- senschaftsbanken die Hauptlast bei der Finanzierung von kleinen Unternehmen vor Ort. Wenn kleine Unternehmen Kredite bekommen, dann bei Ihnen.
An dieser Stelle möchte ich betonen: Ich klage im Gegensatz zu mancher Rede, die hier im Lande gehalten wird, nicht über Basel II. Basel II wurde vereinbart, damit das interna- tionale Bankensystem nicht durch leichtsinnige Kreditpolitik in eine internationale Krise gerät, wie wir es zuletzt mit der Ostasienkrise erlebt haben. Deswegen ist es richtig, dass solche internationalen Regeln vereinbart wurden.
Und deshalb führt nichts daran vorbei, dass sich auch unsere heimischen Betriebe auf neue Bedingungen einstellen müssen. Insbesondere ist die geringe Eigenkapitalquote ein großes Problem: Deutsche kleine und mittlere Unternehmen haben eine durchschnitt- liche Eigenkapitalquote von 7,5 Prozent - dagegen liegt die in Frankreich bei 34 Prozent und in den USA bei 45 Prozent ein Vielfaches höher.
Hier muss auch die Politik Konsequenzen ziehen und stärkere steuerliche Anreize zur Eigenkapitalbildung zu schaffen.
Und hier müssen wir auch vom Land das tun, was möglich ist. Der Bericht enthält dazu eine ganze Reihe von Vorschlägen, wie das Land seine Förderpolitik über die Förderin- stitute Investitionsbank, Mittelstandsbeteiligungsgesellschaft und Bürgschaftsbank weiter verbessern kann. Ich verzichte hier aus Zeitgründen auf die Wiederholung.
Aber die zentrale Frage, mit der wir uns heute hier beschäftigen, ist doch die: Wie weiter mit den Sparkassen? Die FDP hat vorgeschlagen, wir sollen sie sofort privatisieren! Und die CDU mit Carstensen, der offensichtlich immer noch hofft, dass der gnadenlose Que- rulant Kubicki wenigstens einmal nett zu ihm ist, will wenigstens ein bisschen privatisie- ren.
Und auf die Vorhaltung eines Journalisten, wie das dann EU-rechtlich gehen soll, sagt Carstensen: „Wir haben schließlich ein Programm und keinen Gesetzentwurf geschrie- ben!“ Na – wenn das die Qualität Ihrer Programmarbeit ist, dann bin ich froh, dass Sie in der Opposition bleiben.
Manchmal ist es auch klug, über die Grenzen zu schauen – nämlich dahin, wo es keine Sparkassen gibt! Schauen wir einmal nach Großbritannien: Dort wurde im März 2000 der sogenannte Cruickshank-Bericht vorgelegt. Ergebnis: Die hohen Marktanteile der vier größten Geschäftsbanken schlagen sich in unverhältnismäßig hohen Preisen und Ge- bühren sowie in schlechten Produkt- und Dienstleistungsangeboten für Privatkunden und mittelständische Unternehmen nieder.
Ein vom britischen Finanzministerium 1999 veröffentlichte Bericht stellt sogar fest, dass „financial exclusions“ – also finanzwirtschaftliche Versorgungslücken – ein verbreitetes Phänomen in wirtschaftsschwachen Kommunen und Regionen Großbritanniens ist. Über ein Viertel aller Bankfilialen wurden in den letzten zehn Jahren geschlossen, 3,5 Millio- nen Menschen haben kein Konto mehr, und zahlreiche Unternehmen in strukturschwa- chen Gebieten haben keine Zugang zu Krediten. Angesichts dieser finanzwirtschaftlichen Versorgungsineffizienzen wird eine umfassende Reform des Bankensektors gefordert.
Noch interessanter ist die Situation in den USA: Dort wurde bereits 1977 der „Community Reinvestment Act“ (RCA) verabschiedet, nachdem vorher ganze Landstriche davon be- droht waren, von den Banken geräumt zu werden. Heute hat ausgerechnet die USA ein hochgradig reguliertes Bankensystem. Dort kontrolliert die Regulierungsbehörde OCC al- le regionalen Aktivitäten von Banken und vergibt RCS-Ratings mit den Noten Ausge- zeichnet, Genügend, Verbesserungswürdig oder Ungenügend.
Getestet werden die Kreditvergabe, die Finanzierung von Investitionen, die regionale Versorgung mit finanziellen Dienstleistungen und das Engagement für die kommunale Entwicklung. Überprüft wird z.B. die Verteilung der Konten und Kredite nach Rassenzu- gehörigkeit (Schwarze, Hispanics, Weiße), nach Einkommensgruppen, das Engagement im sozialen Wohnungsbau, Kommunalkredite, die Zahl der Filialen in Stadtteilen, die als sozial schwach eingestuft werden usw..
Banken, die nicht mindestens „Genügend“ erreichen, werden durch die Bankenaufsicht mit erheblichen Restriktionen versehen, so dass nach Angaben der OCC 98 Prozent aller Banken mindestens ein „Genügend“ erreichen.
Ist das die Form von Deregulierung, die sie sich wünschen? Und wollen sie lieber briti- sche Zustände? Manchmal lohnt es sich eben, über den Tellerrand zu schauen, damit man nicht in der eigenen Suppe untergeht. Diese Übung kann FDP und in ihrem Gefolge der CDU hier in Schleswig-Holstein nur wärmsten empfehlen.
Natürlich müssen uns durchaus Sorgen um die Sparkassen machen. Aber deswegen müssen wir sie doch nicht totschlagen. Wir Grüne jedenfalls wollen die Sparkassen als öffentliche Einrichtungen erhalten und wollen zugleich Wege suchen, sie unter den neu- en Rahmenbedingungen zu stärken und konkurrenzfähig zu erhalten. Aus den genannten Gründen bin ich der Auffassung, dass der Vorschlag der Opposition, angesichts aktueller Probleme das wichtigste Finanzierungsinstrument unserer mittel- ständischen Wirtschaft kurz mal zu zerschlagen, kein guter Vorschlag ist.
Das ist keine Wirtschaftspolitik, das ist ein Generalangriff auf die mittelständische Wirt- schaft in Schleswig-Holstein. Kein Wunder, dass sie aus der gesamten schleswig- holsteinischen Wirtschaft niemand gefunden haben, der für sie den Wirtschaftsminister spielen will.
Da ich aber die Hoffnung habe, doch noch den einen oder anderen auf den Oppositions- bänken zur Besinnung zu bringen, gestatten Sie mit einem weiteren Zitat von Josef Stiglitz zu enden: „Ein schwacher Staat beschädigt Stabilität und Wachstum genauso wie ein übermäßig interventionistischer Staat.“
Vielleicht denken sie darüber nach!

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