Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.
Karl-Martin Hentschel zu den Dienstleistungen im EU-Binnenmarkt
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 35 - Ablehnung der EU-Richtlinie über die Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Dienstleistungen im Binnenmarkt Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt der Fraktionsvorsitzende Telefax: 0431/988-1501 von Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 Karl-Martin Hentschel: E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 427.04 / 17.12.2004 Bolkestein-Richtlinie bedeutet Sozial- und UmweltdumpingWenn zukünftig eine schleswig-holsteinische Kommune ein neues Rathaus bauen will und dabei einen französischen Architekten, einen englischen Bauleiter und einen polnischen Bauunterneh- mer beauftragt, welche Regeln und Standards gelten dann für Gebäude, Bau und Beschäftigte?Niemand könnte diese Frage beantworten, würde die sogenannte „Bolkestein-Richtlinie“ gelten- des Recht, denn sie schreibt das Herkunftslandprinzip für alle Dienstleistungen im EU- Binnenmarkt vor.Der Name des ehemaligen EU-Binnenmarktkommissars Frits Bolkestein steht für die Dienstleis- tungsrichtlinie und damit für einen radikalen Entwurf der uneingeschränkten Ausübung aller Dienstleistungen in Europa. Doch Bolkestein handelte letztlich nur im Auftrag der 15 Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten, die im Jahr 2000 die so genannte Lissabon-Strategie auf den Weg brachten.Die Dienstleistungsrichtlinie kann heute nur noch durch das Europäische Parlament verhindert werden. Diese Möglichkeit besteht dank des Mitentscheidungsverfahrens, welches bei Binnen- marktsfragen zur Anwendung kommt.Was ist das Ziel der Richtlinie? Jede Dienstleistung, die eine Wirtschaftstätigkeit darstellt, soll frei auf dem europäischen Binnenmarkt angeboten werden. „Frei“ meint frei von Hemmnissen durch die Gesetzgebung und Verwaltung des Gastlandes. Darunter fallen die Regeln des Niederlas- sungsrechtes, der nationale ArbeitnehmerInnenschutz oder die staatliche Überprüfung der Ein- haltung von zum Beispiel Umweltstandards.Die Richtlinie bezieht sich auf fast alle Dienstleistungen. Betroffen sind Freiberufler, Architekten, Handwerker, Ingenieure, Bestattungsunternehmer, Anwälte und sogar Personalberater, die in Arbeitsmarktagenturen arbeiten. Ebenso soll die Richtlinie für Sicherheits-, Umwelt-, Gesund- heits- und Mediendienste sowie den Bildungssektor gelten. Nicht einbezogen sind Dienstleistun- gen, für die bereits heute eine europäische Regelung gilt, wie Telekommunikation, Energie oder Finanzdienstleistungen1/2 Die Bolkestein-Richtlinie führt das Herkunftslandprinzip ein. Danach kann eine Firma oder ein Selbständiger in einem der Mitgliedsländer der EU ohne Anmeldung oder ähnliche Formalitäten Dienstleistungen erbringen. Der Dienstleister kann dafür ein Büro oder eine Praxis einrichten.Er bietet seine Dienstleistung nach den Vorschriften und unter Aufsicht seines Heimatlandes an und unterliegt nicht den Bestimmungen und der Kontrolle des Gastlandes. Haftungsfragen sollen über Versicherungen gelöst werden. Für einige Bereiche wurden vor allem auf Druck des Euro- päischen Parlaments Ausnahmeregelungen definiert, so zum Beispiel für die Wasserversorgung. Nach Artikel 15 der Richtlinie gibt es auch eine beschränkte Liste von Anforderungen, die das Gastland noch an den Dienstleister richten kann. Dazu gehören Mindestanforderungen bei der Qualifikation für bestimmte Tätigkeiten. Umwelt- und Sozialstandards fallen aber nicht darunter.Die geltende Entsenderichtlinie der EU regelt das Entsenden von Arbeitnehmern für Dienstleis- tungen im Baugewerbe. Um Fairness in der Entlohnung und im Arbeitsschutz herzustellen, müs- sen die Firmen ihren Arbeitern die gleichen Lohn-, Kranken- und Sozialversicherungsstandards gewähren, die im Gastland üblich sind. Es gilt also das Gastlandprinzip.Artikel 24 der Bolkestein-Richtlinie erkennt zwar prinzipiell die Entsenderichtlinie an, die Anmel- depflicht im Gastland wird aber abgeschafft. So erfahren Kontrolleure nicht mehr, an welcher Baustelle eine Firma aus einem anderen Land tätig ist. Kontrollen und Strafverfolgung werden so praktisch unmöglich.Gegen die dadurch entstehende Gefahr des Sozialdumpings haben alle in Brüssel vertretenen Gewerkschaftsverbände mobil gemacht. In der Bauwirtschaft ziehen Arbeitgeber und Arbeitneh- mer am gleichen Strang und fordern das Parlament auf, die Richtlinie abzulehnen.Langsam wird auch der Öffentlichkeit bewusst, dass diese Richtlinie die Rahmenbedingungen für wesentliche Lebens- und Arbeitsbereiche erheblich ändern würde. Über 1.000 Interessierte ver- folgten die erste öffentliche Anhörung der Richtlinie am 11. November 2004 im Europa- Parlament.Unter den europäischen Parlamentariern treten bisher nur die GRÜNE/EFA-Fraktion und die ex- treme Linke geschlossen gegen die Richtlinie auf. In den anderen Fraktionen gibt es unterschied- liche Positionen. Dass Detailänderungen die Richtlinie verbessern könnten, glaube ich nicht. Das Herkunftslandprinzip der Richtlinie ist der entscheidende Grund für das damit einhergehende Sozial- und Umweltdumping. Nur ein grundsätzlich anderer Ansatz für grenz-überschreitende Dienstleistung kann zur Lösung führen.Für diesen Ansatz muss das EU-Parlament die Bolkenstein-Richtlinie ablehnen. Noch ist eine Mehrheit zur Ablehnung der Richtlinie nicht zu erkennen. Deshalb ist die öffentliche Diskussion, wie heute hier im Landtag, von enormer Bedeutung.Dem vorliegenden Antrag werden die GRÜNEN zustimmen, wir wollen die erreichten Standards im Umweltbereich, bei den Löhnen, im Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht verlieren. ***