Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

26.05.05 , 15:45 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum FDP-Entwurf eines Landesnaturschutzgesetzes

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 4 – Landesnaturschutzgesetz – Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Gesetzentwurf der FDP-Fraktion Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt der umweltpolitische Sprecher Telefax: 0431/988-1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Karl-Martin Hentschel: Internet: www.sh-gruene.de

Nr. 112.05 / 26.05.2005


Ein Schlag ins Gesicht des Naturschutzes Im November letzten Jahres fand der 3. Weltnaturschutzkongress in Bangkok statt. Die Bi- lanz der Weltnaturschutzunion IUCN war erschütternd. Das Artensterben hat sich weltweit beschleunigt. Besonders dramatisch ist die Situation in Europa. 43 Prozent aller Vogelarten in Europa und 36 Prozent in Deutschland gelten als bedroht.
Dabei haben die Naturschutzmaßnahmen durchaus zu Verbesserungen geführt. In Schles- wig-Holstein ist es gelungen, fast ausgerottete Arten wie den Biber, den Seeadler, den Fischotter und den Uhu wieder heimisch zu machen. Das Hauptproblem ist aber weiterhin die intensive Landwirtschaft. Ohne einen engagierten Naturschutz, wie er durch die Natura 2000 eingeleitet wurde, wird eine Kehrtwende nicht möglich sein.
Heute reden wir über ein Gesetz der FDP, das zu 95 Prozent von einem drei Jahre alten Entwurf der CDU abgeschrieben wurde. Wie kommt die FDP dazu, hier ein Gesetz vorzule- gen, das eine weitgehende Deregulierung des Naturschutzes bedeuten würde?
Wenn ich die Sonntagsreden höre, dann sind wir uns alle einig, dass wir unser unwieder- bringliches Naturerbe erhalten und schützen wollen. Und ich bin überzeugt davon, dass dies möglich ist, ohne die wirtschaftliche Entwicklung oder die Landwirtschaft zu behindern.. Aber klar ist auch, dass wir dafür Spielregeln brauchen, die dann auch eingehalten werden müssen. Im Straßenverkehr ist das selbstverständlich. Wer dort gegen Regeln verstößt, wird zur Verantwortung gezogen. Beim Naturschutz gilt das offensichtlich nicht. Wenn im Natur- schutz die Regeln missachtet werden und die Behörden einschreiten, gibt es oft große Auf- regung, und es wird behauptet: Die Naturschützer behinderten die Wirtschaft und seien Schuld am Verlust von Arbeitsplätzen. Wir haben es in Schleswig-Holstein erlebt: Hier hieß es die Kranich-Affäre. In Bremen hieß es damals die Piepmatz-Affäre – und in NRW hieß es die Hamster-Affäre. Solche sogenannten Affären verlaufen immer nach dem gleichen Muster. Am Flughafen Lü- beck wurden seit Jahren die Auflagen der unteren Naturschutzbehörde – also nicht des Lan- des, sondern der Stadt – immer wieder missachtet. Bäume im angrenzenden Natura 2000- Gebiet wurden ohne Genehmigung gefällt, Teiche zuplaniert oder trockengelegt, ohne die vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen zu beachten. Die Behörden haben zwar gemahnt, aber die geschaffenen Fakten toleriert. Auch deshalb, weil sie keine Rückendeckung bei Bürgermeister und Senat hatten. Das Gleiche können wir immer wieder in allen Kreisen des Landes erleben. Wenn dann aber ein Anwohner oder ein Verband klagt, weil das Gesetz nicht beachtet worden ist, dann beginnt eine öffentliche Kampagne, dass der Naturschutz dem Ausbau des Flughafens im Wege stünde. Diese Debatten wären überflüssig, wenn sich die Betreiber von Anfang an die Regeln gehal- ten hätten. Aber was macht nun die FDP?
Sie legt kein Gesetz vor, dass die Regeln präzisiert und die Durchsetzung verbessert. Nein, sie legt ein Gesetz vor, das statt dessen so unpräzise ist, dass es zum Missbrauch ge- radezu einlädt. Die Folgen werden sein: Unklarheiten und langwierige juristische Auseinan- dersetzungen. Und da dies Gesetz nicht mal die Bundes- und EU-Gesetze sauber umsetzt, wird es Prozesse geben bis hin zum EuGH. Verdienen werden die Rechtsanwälte. Schaden nehmen wird die Natur, der Steuerzahler, der für die Kosten der Gerichte aufkommen muss. Und auch die Wirtschaft, die durch jahre- lange Prozesse bei Planungsvorhaben bestraft und behindert wird.
Nun zum Gesetzentwurf im Detail: 1. Das Gesetz ist praktisch nicht lesbar. Während das jetzt gültige Gesetz Teile des Bundes- und EU-Rechts wiederholt, strotzt dieses Gesetz vor Verweisen, die eine Lektüre für den Laien unmöglich machen, wenn er nicht die gesamte Umweltgesetzgebung aller Ebenen pa- rat hat.
2. Das Gesetz setzt Bundes- und Europa-Recht nicht vollständig um bzw. widerspricht die- sem sogar. Beispiele sind die Regelung des Biotopverbundes, der §15-Flächen, des Arten- schutzes. Die komplette Freistellung der Landwirtschaft von der Ausgleichsregelung ist nach Bundesrecht nicht zulässig. Die Umsetzung von EU-Richtlinien durch Verordnungsermächti- gungen ist nicht zulässig und führt in jedem Anwendungsfall zu Klagen beim EuGH.
3. Das Gesetz verletzt mehrfach das „Bestimmtheitsgebot“ und ist damit nicht vollziehbar o- der lädt geradezu zu Rechtsstreitigkeiten ein. Beispiel dafür sind die Liste der Biotop-Typen nach §30 BnatSchG, die Verordnungsermächtigung für Entschädigungen, die nicht die Min- destanforderungen nach Art. 80 GG erfüllt (die erfordern, dass Inhalt, Zweck und Ausmaß der Entschädigung im Gesetz definiert werden), und die fehlende Aufzählung von Eingriffs- tatbeständen. Im CDU-Entwurf war übrigens noch eine unvollständige Beispielliste enthalten, die schon damals von Fachleuten kritisiert wurde – die FDP lässt sie nun – vielleicht mangels Sachkenntnis – ganz weg. 4. Das Gesetz führt zu Millionen von zusätzlichen Kosten. Denn in dem Bestreben, bloß kei- ne einklagbaren Schutztatbestände zu formulieren, verlangt das Gesetz eine flächendecken- de Kartierung aller Biotope in Schleswig-Holstein: Ein gigantisches, unbezahlbares und sinn- loses Mammutprojekt.
5. Der größte Unfug ist die Formulierung zum Vorrang des Vertragsnaturschutzes. Die unkla- re Formulierung der CDU hatte selbst Herr Hildebrandt mit beißendem Spott bedacht. Die FDP formuliert jetzt statt dessen einen unbedingten Vorrang. Damit könnte jeder Grundbesit- zer, dessen Land eine Schutzkategorie bekommt, vom Land verlangen, was er will. Natur- schutz würde zu einer Lizenz zum Geld drucken.
6. Das Gesetz ist nicht exekutierbar. So sind die Ordnungswidrigkeiten bewusst so geregelt, dass es in der Praxis stets zur Einstellung des Verfahrens kommen muss. Außerdem hat die FDP auch noch das Betretungsrecht und das Aktenprüfungsrecht für Naturschutzbehörden gestrichen, so dass ein Nachweis von Ordnungswidrigkeiten sowieso nur noch auf staatli- chen Flächen möglich ist.
Alle diese zum Teil absurden Regelungen sind kein Zufall. Sie sind Ergebnis einer Ideologie, die lautet: Deregulieren und das private Eigentum stärken. Außerdem wollte die CDU seiner- zeit unbedingt das Gesetz auf die Hälfte zusammenkürzen. Ziel ist: Immer dann, wenn es zum Konflikt kommt, soll eine Durchsetzung von Recht gegen die Eigentümer – also in der Regel ein Unternehmen oder Landwirt, nicht möglich sein, damit es nicht zur Behinderung des Betriebs kommt.
Auch das ganze Gerede der CDU von mehr Verantwortung vor Ort, freiwilligem Naturschutz und Ehrenamt erweist sich konsequent als Lüge: Das Gesetz beseitigt mit den Landschafts- schutzgebieten die einzige Schutzkategorie, die von den Kommunalen Behörden vor Ort ausgewiesen werden kann. Das sind 24% der Fläche Schleswig-Holsteins – die sollen ein- fach weg. Das Gesetz beseitigt die Beteiligung des ehrenamtlichen Naturschutzes an allen Entschei- dungsprozessen: Der ehrenamtliche Stiftungsrat der Stiftung Naturschutz – weg damit! Die Behörde soll Natur- schutzflächen nach Gutdünken verkaufen oder in der Nutzung ändern können. Der ehrenamtliche Landesnaturschutzbeauftragte: Weg! Die Beiräte in den Kreisen und die Kreisnaturschutzbeauftragten – weg! Warum haben sie auch die CDU-Landräte immer geärgert. Der ehrenamtliche Naturschutzdienst – er unterstützt sachkundig die Behörden und betreut geschützte Gebiete – weg damit! Und die landesweit anerkannte Umweltakademie – auch weg! Auch hier erweist sich das ganze liberal-konservative Geschwätz von Umweltbildung für die Jugend als pure Ideologie.
Dieser Gesetzentwurf ist ein Schlag ins Gesicht des Naturschutzes.
1971 beschloss die FDP auf Initiative des Innenministers Genscher die „Freiburger Thesen“. Darin hieß es: „Umweltschutz hat Vorrang vor Gewinnstreben und persönlichem Nutzen.“ Und „Keine Entscheidung der öffentlichen Hand oder Wirtschaft darf in Zukunft ohne Berück- sichtigung ökologischer Gesichtspunkte getroffen werden.“ Mit diesem Gesetzentwurf tritt die FDP ihre eigene Tradition beim Thema Umweltschutz mit den Füßen. Aber auch für die CDU ist dieser Entwurf peinlich. Wird sie doch an ein ideologi- sches Produkt erinnert, das von tiefen Ressentiments gegenüber dem Naturschutz geradezu durchtränkt ist. Ich spüre, das wird dem neuen Minister und seinem fachlich kompetenten Staatssekretär einige Bauchschmerzen bereiten. Da habe ich kein Mitleid.
Herr von Boetticher, Sie haben jetzt die Chance, sich von diesem Machwerk zu distanzieren.


***

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen