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16.06.05 , 10:39 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk: SSW unterstützt Senkung der Lohnnebenkosten durch Erhöhung der Mehrwertsteuer

Presseinformation
Kiel, den 16.06.2005 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 14 Sozial gerechte Reformen: Senkung der Lohnnebenkosten Drs. 16/114

Wer auch immer die Bundestagswahl im September gewinnt, steht vor einer Herkules-
Aufgabe, denn nicht nur die viel zu hohe Arbeitslosigkeit und die maroden öffentlichen
Kassen müssen „angepackt“ werden, sondern auch die sozialen Sicherungssysteme. Die
rot-grüne Bundesregierung hat zwar dieses Problem erkannt, ehrlicherweise muss man
aber auch feststellen, dass die notwendigen Schlüsse aus dieser Erkenntnis nicht wirk-
lich gezogen worden sind.


Die so genannte Agenda 2010, die Bundeskanzler Schröder im März 2003 verkündete,
und die ja gerade auch die Probleme der sozialen Sicherungssysteme lösen sollte, ist
bestenfalls ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. - Schlimmstenfalls ist sie nur ein
Herumdoktern an den Symptomen und keine Heilung des schwer erkrankten Patienten
namens „Sozialstaat Deutschland.“ Die aktuelle Lage der sozialen Sicherungssysteme 2
deutet darauf hin, dass wir heute, zwei Jahre nach dem Start der Agenda 2010, kaum
weitergekommen sind.


Die Fakten sind bekannt: “Den Kassen droht neues Milliardenloch“ meldete z.B. das
Flensburger Tageblatt Anfang der Woche und das, obwohl die Krankenkassen durch die
Gesundheitsreform bereits um viele Milliarden Euro auf Kosten der Versicherten entlas-
tet worden sind. Es drohen jetzt sogar weitere Beitragssteigerungen der Krankenkassen,
obwohl das Ziel eigentlich eine Senkung der Krankenkassenbeiträge und damit der
Lohnnebenkosten war.


Auch die Rentenversicherung ist in großen finanziellen Schwierigkeiten. Der Beitragssatz
konnte nur konstant gehalten werden durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt und
durch Nullrunden für die rund 20 Millionen Rentner. Für das nächste Jahr plant Sozialmi-
nisterin Schmidt sogar ein Vorziehen der Bezahlung der Rentenbeiträge bei den Unter-
nehmen, um durch diese Einmalzahlung eine Erhöhung des Rentenbeitragssatzes zu
verhindern.


Bei der Arbeitslosenversicherung muss Bundesfinanzminister Eichel wegen der Hartz IV-
Misere wahrscheinlich bis zu mehrere Milliarden Euro zusätzlich zuschießen. Und auch
die Pflegeversicherung ist chronisch unterfinanziert. Das heißt; alle vier Säulen der Sozi-
alsysteme stehen vor großen Herausforderungen und sind im Grunde mit dem jetzigen
System nicht mehr finanzierbar.


Das ist keine neue Erkenntnis, denn bereits im Sommer 2003 diskutierte der Schleswig-
Holsteinische Landtag den Umbau des Sozialstaates. So hatte auch der SSW einen An- 3
trag mit dem Titel: „Grundlegender und sozial gerechter Umbau der Sozialsysteme nach
skandinavischem Vorbild“ eingebracht. In diesem Antrag, der vom Schleswig-
Holsteinischen Landtag mit den Stimmen von SPD, Grünen und SSW verabschiedet wur-
de, forderten wir eine Erhöhung der Mehrwertsteuer – ausschließlich zur Senkung der
Lohnnebenkosten und zur Entlastung der Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Sozialver-
sicherung. In unserem Antrag wurde schon damals kritisiert, dass die Agenda 2010 viel zu
kurz greift, weil die versicherungsbasierte Finanzierung der Sozialsysteme nicht in ihrer
Grundausrichtung geändert wird.


Auch die damalige Landesregierung mit Finanzminister Stegner an der Spitze griff im
letzten Jahr dieses Thema mit ihrem 10-Punkte-Programm zu einer Steuerreform auf. -
Wobei es aber leider so ist, dass es auch innerhalb des rot-grünen Lagers keine Einigkeit
über diesen Weg gibt.


Auch in der Großen Koalition in Schleswig-Holstein ist man sich nicht einig. Während
Wirtschaftsminister Austermann öffentlich gegen eine Mehrwertsteuererhöhung
kämpft, scheinen Innenminister Stegner und auch Finanzminister Wiegard eher positiv
zu sein. - Der Innenminister hat ja sogar eine Bundesratsinitiative der Landesregierung
angekündigt. Nun warten wir alle gespannt darauf zu erfahren, ob die gesamte Landes-
regierung hinter dieser Forderung steht.


Auf Bundesebene ist nunmehr deutlich geworden, dass weder CDU/CSU noch FDP bisher
überzeugende Konzepte zum Umbau der Sozialsysteme haben. Das hat die öffentliche
Debatte in den letzten Tagen und das Durcheinander der Meinungen in der Union deut-
lich gezeigt. Auch die Union weiß nicht auf welchem Bein sie stehen soll. Aber eines 4
dürfte klar sein: Ein weiterer einseitiger, perspektivloser Sozialabbau - quasi in Verlänge-
rung einer neuen Agenda 2010 jetzt nur „Agenda Arbeit“ genannt - wird von der Mehr-
heit der Bevölkerung kaum akzeptiert werden. Die Menschen wollen zwar Reformen,
aber sie müssen als gerecht empfunden werden.


Wir begrüßen daher, dass die Grünen einen wichtigen Teilaspekt der Reformen der So-
zialen Sicherungssystem aufgegriffen haben und in ihrem Antrag eine Senkung der
Lohnnebenkosten und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer fordern. Die Zielsetzung des
Grünen-Antrages beschreibt einen Weg, wie man ihn in Deutschland gehen könnte.


Der SSW unterstützt also die Zielsetzung des Antrages. Wir wollen einen finanziell hand-
lungsfähigen Staat und ein solidarisches Konzept für eine alternde Arbeitsgesellschaft
und ihre Sozialsysteme. Dabei orientieren wir uns nicht von ungefähr an der Entwicklung
in den skandinavischen Ländern. Wir wollen einen grundlegenden Umbau des Sozial-
staates mit einer steuerfinanzierten sozialen Sicherung wie in Skandinavien. Dieses
Modell zeichnet sich ja gerade durch relativ hohen Sozialleistungen, hohe Mehr-
wertsteuer, niedrige Lohnnebenkosten und eine geringe Arbeitslosenquote aus.


Natürlich kann man das erfolgreiche Sozialstaatsmodell in den skandinavischen Ländern
nicht einfach auf Deutschland übertragen - und auch zwischen Dänemark, Schweden
oder Norwegen gibt es ja zum Teil erhebliche Unterschiede. Aber die Grundidee, dass der
Faktor Arbeit nicht allein für die soziale Sicherung aufkommt, sondern dass man viel
stärker den Konsum zur Finanzierung des Sozialstaates heranzieht, gilt für alle diese
Länder. Der SSW unterstützt also eine Senkung der Lohnnebenkosten durch die schritt-
weise Erhöhung der Mehrwertsteuer. Wichtig ist, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer 5
nicht zur Haushaltsanierung genutzt werden darf. Sie könnte die öffentlichen Finanzen
dennoch positiv beeinflussen.


Das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung – DIW – hat im Frühjahr diesen Jahres
eine sehr aufschlussreiche Analyse zu diesem Thema präsentiert. Das DIW hat Berech-
nungen darüber vorgelegt, welche Auswirkungen so eine Initiative haben würde - für die
Bürgerinnen und Bürger und für die Wirtschaft. Bei einem schrittweisen Vorgehen über
mehrere Jahre könnten über eine halbe Million neuer Arbeitsplätze entstehen, und
gleichzeitig würde die finanzielle Situation der öffentlichen Haushalte und der Sozialkas-
sen stark verbessert werden.


Denn durch die Senkung der Lohnnebenkosten sinken die Lohnstückkosten und damit
die Kosten für den Einsatz des Produktionsfaktors Arbeit. Dazu gehört auch, dass das
DIW vorschlägt, die Beitragssätze für Arbeitgeber und Arbeitnehmer symmetrisch zu
senken, damit die Akzeptanz der Umgestaltung erhöht wird. Entgegen der üblichen
Auffassung wird auch unterstrichen, dass bei einer Mehrwertsteuererhöhung die Arbeit-
nehmerhaushalte durch diese Umfinanzierung keineswegs im Vergleich zu den anderen
Haushaltstypen stärker belastet werden.


Unter Einrechnung der Preis senkenden Wirkungen der Lohnstückkosten zeigt sich für
sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und Rentner sogar eine absolute und relative
Verbesserung ihrer Einkommen. Das DIW weist aber auch darauf hin, dass der Staat die
Reform nicht für eine Konsolidierung seines Haushalts „missbrauchen“ darf. Aber bei
einer ausgewogenen Kombination von Mehrwertsteuererhöhung und aufkommens-
neutraler Senkung der Beitragssätze der Arbeitnehmer und Arbeitgeber um rund 50 Mrd. 6
€ kann man das Beschäftigungsniveau in Deutschland dauerhaft um eine halbe Millio-
nen Personen anheben. Und dabei handelt es sich überwiegend um Vollzeitarbeitsplätze.
Natürlich sind dies Modellberechnungen, aber die Erfahrungen aus Ländern, wo man
eine höhere Mehrwertsteuer und niedrigere Lohnnebenkosten hat, z.B. in Großbritan-
nien, deuten darauf hin, dass sie richtig sind. Deutschland liegt mit seiner Mehr-
wertsteuer von 16% am untersten Ende der Skala in der EU. Die durchschnittliche Mehr-
wertsteuer liegt in den Ländern der Europäischen Union bei etwa 20%. Hier ist also ein
großer Spielraum, die der Staat nutzen sollte - unter der Voraussetzung natürlich, dass
diese Mehrwertsteuererhöhungen in dem eben skizzierten Gesamtkonzept in mehreren
Jahren umgesetzt werden.


Natürlich muss dieser Umbau auch von Strukturreformen innerhalb der Sicherungssys-
teme flankiert werden, wie es auch im Antrag der Grünen steht. Denn allein durch die
demographische Entwicklung unserer Gesellschaft ergeben sich weitere Anforderungen
an die verschiedenen Sozialkassen. Aus diesem Grund wird auch das Modell einer Bür-
gerversicherung weiterhin aktuell bleiben, um ein gerechtes und angemessenes Sozial-
system zu erhalten.


Zum Schluss noch ein Wort insbesondere an die Adresse der FDP: Man kann nicht immer
„haltet den Dieb“ schreien, wenn gar kein Dieb da ist. Ein aufkommensneutraler Umbau
des Sozialsystems, wie wir ihn heute in dieser Debatte angesprochen haben, mag isoliert
gesehen zu Steuererhöhungen führen, aber entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit
Deutschlands ist nicht die Steuerquote, sondern die Sozial- und Steuerquote. Und diese
Quote würde durch so einen Umbau nicht geändert werden. 7
Hören Sie deshalb damit auf, immer das Gespenst der Steuererhöhung an die Wand zu
malen. Im Übrigen sind die direkten Steuern in Deutschland in den letzten fünf Jahren
um 50 Mrd. € gesenkt worden, und das Ergebnis für die Wachstums- und Arbeitslosen-
zahlen war gleich Null. Es kommt also nicht auf „herunter gebetete“ Steuersenkungs-
modelle an, sondern auf intelligente Lösungen, die dazu führen, dass der Sozialstaat im
Kern erhalten bleibt. Am Ende wird das auch die Bevölkerung so sehen, und deshalb
müssen alle Parteien im kommenden Wahlkampf klare Konzepte zur Zukunft unseres
Sozialstaates präsentieren.

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