Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

07.10.05 , 12:02 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur Änderung der Landesjagdverordnung

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Stellv. Pressesprecher Dr. Jörg Nickel Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Telefax: 0431/988-1501 Mobil: 0178/28 49 591 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de
Tierschutz heißt, die Tiere vor der Nr. 280.05 / 07.10.2005 Landesregierung zu schützen Die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat vom Wissenschaftlichen Dienst des Land- tages ein Gutachten zur geplanten Neufassung der Landesjagdverordnung erstellen lassen. Ergebnis ist, dass die Änderungen nicht nur, wie schon von den Verbänden dargelegt, um- weltpolitisch unsinnig sind, sondern auch in weiten Teilen rechtswidrig. Dazu erklärt der um- weltpolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Karl-Martin Hentschel:
Wir lehnen den Entwurf des MLUR für eine neue Landesjagdverordnung aus den unten ste- henden Gründen ab. Die Mängel sind so schwerwiegend, dass eine Überarbeitung dieses Entwurfs keinen Sinn macht. Stattdessen sollte die bestehende Verordnung anhand fachli- cher Kriterien überarbeitet werden.
Gegen den Entwurf sprechen mindestens sieben gute Gründe:
1. Der Entwurf ist nicht fachlich, sondern politisch motiviert, um der Jägerschaft das ver- sprochene Wahlgeschenk zu machen 2. Der Verordnungsentwurf ist in erheblichen Teilen rechtswidrig 3. Die Rechtfertigung des Entwurfs mit dem OVG-Urteil von 2002 ist nicht stichhaltig 4. Der Entwurf enthält grobe Verstöße gegen den Artenschutz und verstößt damit auch gegen EU-Recht 5. Der Entwurf ist ethisch nicht zu rechtfertigen. Er verstößt gegen den Tierschutz, da er die Jagd ohne vernünftigen Grund erlaubt 6. Der Entwurf schadet dem Tourismus, weil er viele Arten wieder unsichtbar macht 7. Der Entwurf schadet dem Image von Schleswig-Holstein – nicht mehr naturverbunde- nes Land der Horizonte, sondern Baller-Land Nr. 1.

Anlagen: - Sieben gute Gründe, die gegen den Entwurf des MLUR sprechen - Kriterien für eine sinnvolle Novelle der Landesjagdverordnung Sieben gute Gründe, die gegen den Entwurf des MLUR sprechen
1. Der Entwurf ist nicht fachlich, sondern politisch motiviert, um der Jägerschaft das versprochene Wahlgeschenk zu machen
Die neue Verordnung gibt mehr Tierarten zum Abschuss frei als es in irgendeinem anderen Bundesland möglich ist, legt die längsten Jagdzeiten und die geringsten Schonzeiten fest. Mit dem Vorwand der Entbürokratisierung erfolgt der bewusste Rückgriff auf das Bundesjagdge- setz, das als Reichsjagdgesetz von Reichsjägermeister Hermann Göring 1934 in Kraft ge- setzt wurde. Dieses Gesetz zu ändern gelang angesichts der erheblichen Jagd-Lobby in al- len Verbänden und Ministerien sogar Renate Künast nicht.
Schon längst ist klar, dass sich die wilden Tierarten mit wenigen Ausnahmen selbst regulie- ren. Es kommt deshalb mehr auf optimale Bedingungen für bedrohte Arten und auf die Ver- meidung von unkontrollierten Futterangeboten an.
Während anderswo aber das Bundesrecht längst als Mindestschutz für die Tiere gesehen wird, ignoriert Schleswig-Holstein mit dieser Verordnung bewusst die gesamte wissenschaft- liche Diskussion der vergangenen Jahrzehnte, indem es weitere Ausnahmen pro Jagd formu- liert.


2. Der Verordnungsentwurf ist in erheblichen Teilen rechtswidrig
Der Wissenschaftliche Dienst des Landtages hat in einem Gutachten im Auftrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die rechtliche Grundlage des Verordnungsentwurfs untersucht. Die- ses Gutachten kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass für die Ausweitung des Kreises der bejagbaren Tiere über das Bundesrecht hinaus in Paragraf 1 des VO-Entwurfs keine aus- reichend präzise genug definierte Ermächtigung im LJagdG (Landesjagdgesetz) existiert.
Die Aufnahme der Arten Marderhund, Mink, Waschbär, Nutria, Aaskrähe, Elster und Nilgans in die Liste der jagdbaren Arten ist in Schleswig-Holstein damit rechtswidrig.


3. Die Rechtfertigung des Entwurfs mit dem OVG-Urteil von 2002 ist nicht stichhaltig
Die stets wiederholte Begründung für den Entwurf, dass eine Ausnahme von Bundesrecht nur in begründeten Ausnahmen möglich sei, ist nicht stichhaltig. Was die meisten Vogelarten betrifft, so ist eine landesspezifische Begründung allein durch die exponierte Rolle, die Schleswig-Holstein für die Zugvögel spielt, für fast alle Arten gegeben.
Auch in allen Fällen, in denen es sich um abnehmende oder schwankende Tierbestände in Schleswig-Holstein handelt, ist eine landesspezifische Begründung gegeben. 4. Der Entwurf enthält grobe Verstöße gegen den Artenschutz und verstößt damit auch gegen EU-Recht
In dem Entwurf wird die Jagd auf eine Reihe von seltenen Arten und auf Arten mit abneh- menden Beständen wieder erlaubt oder ausgeweitet. Spießente, Saatgans, Türkentaube, Rebhuhn und Tafelente werden in Schleswig-Holstein bald ausgestorben sein, wenn die Verordnung so in Kraft tritt.
Auch längst bekannte Zusammenhänge werden schlicht ignoriert. So sind Blässrallen eine Hauptnahrungsquelle der Seeadler in der nahrungsarmen Winterzeit. Krähen- und Rabenvö- gel bauen Horste, die für die Brut von Eulen und Baumfalken existenznotwendig sind.
Auch ist abzusehen, dass viele gefährdete Arten in Zukunft aus Versehen geschossen wer- den, weil sie erlaubten Arten stark ähneln. Zum Beispiel sieht die Schwarzkopfmöwe, von der es in Schleswig-Holstein nur 20 Brutpaare gibt, der Lachmöwe sehr ähnlich. Auch Krick- und Knäckenten sowie Stock- und Schnatterenten lassen sich in der Dämmerung leicht verwech- seln.
Statt auf Höckerschwäne wird auf Singschwäne geschossen. Die Verordnung gefährdet auch die Bestände der skandinavischen Wasservögel, z.B. der Nonnengänse, die auf ihrem Zug gen Süden in Schleswig-Holstein bei der notwendigen Nahrungsaufnahme vor dem Weiter- flug nach Süden gestört werden.
Dabei liegen mehrere Verstöße gegen das EU-Recht (in diesem Fall die Vogelschutzrichtlinie und ggf. die FFH-Richtlinie) vor. Nach Auskunft des Wissenschaftlichen Dienstes geht das EU-Recht eindeutig vor Bundes-, bzw. Landesrecht.


5. Der Entwurf ist ethisch nicht zu rechtfertigen. Er verstößt gegen den Tierschutz, da er die Jagd ohne vernünftigen Grund erlaubt
Tierschutz ist mittlerweile in Art. 20a als Staatsziel im Grundgesetz verankert, auch wenn sich dies nur schwer gegen konkrete Rechtsauslegungen in Anspruch nehmen lässt. Verbo- ten ist allerdings das sinnlose Töten von Tieren. Töten ist nur aus folgenden Gründen er- laubt: - Schutzbedürfnis für Mensch und andere Tierarten; - Nutzung des Wildbrets oder Fells; - Bestandsregulierung bei unkontrolliertem Bestandswachstum.
Die Jagd auf Hermeline, Sturm- und Mantelmöwen, Mauswiesel, Blässralle, Türkentaube dient nur dem Lustgewinn: weder Fleisch noch Balg werden verwendet. Es gibt auch keine Gründe, in die Bestände regulierend einzugreifen, die teilweise sogar seit Jahren rückläufig sind. Hermeline und Mauswiesel sind als gute Mäusejäger sogar nützlich. Jagd ohne einen erkennbaren Nutzen ist eine ethisch nicht zu rechtfertigende blutrünstige Freizeitbeschäfti- gung! Ethisch nicht zu rechtfertigen ist ebenfalls die Jagd auf Tiere in der Setzzeit, so dass Jungtie- re elendiglich umkommen, wenn die Muttertiere erschossen werden. Die Landesverordnung gibt Tiere zur Jagd frei, die nur minimale oder gar keine Schäden und Störungen verursa- chen, z.B. seltene Entenarten (Trauerente, Samtente, Bergente, Spießente, Tafelente), Mauswiesel oder Saat- und Nonnengänse. Wir verzichten hier auf eine detaillierte Diskussion der einzelnen Arten, da diese ausführlich in den Stellungnahmen des BUND und des NABU geführt wurde.

6. Der Entwurf schadet dem Tourismus, weil er viele Arten wieder unsichtbar macht
Die Reduzierung und Synchronisierung der Jagdzeiten hat in den letzten Jahren dazu ge- führt, dass die Scheu vieler Arten erheblich abgenommen hat. Viele Tierarten können heute durch die Besucher des Landes in der freien Natur beobachtet werden.
Durch die erneute Ausdehnung der Jagdzeiten wird die Scheu vieler Tiere wieder erheblich zunehmen. Die Tiere ziehen sich in uneinsehbare Schlupfwinkel zurück oder wahren Flucht- distanzen, die eine Beobachtung durch Laien vielerorts unmöglich machen. Zum Beispiel flüchten ganze Wasservogelgemeinschaften, wenn eine Art bejagt wird. Damit wird gerade im Naturland Schleswig-Holstein dem naturnahen Tourismus ein erheblicher Schaden zuge- fügt.


7. Der Entwurf schadet dem Image von Schleswig-Holstein – nicht mehr naturverbundenes Land der Horizonte, sondern Baller-Land Nr. 1
Das Image Schleswig-Holsteins als naturverbundenes Land („Arbeiten, wo andere Urlaub machen“) ist nach allen Untersuchungen ein wichtiger weicher Standortfaktor für Schleswig- Holstein. Sympathie-Werbung ist ein wichtiger und schwieriger Teil jeder Standortwerbung. Heute polemisieren wir gegen die Jagd auf Singvögel – insbesondere auf „unsere“ Zugvögel – in Italien. Aber die Jagd auf sibirische Zugvögel, die nach tausenden von Kilometern Flug- zeit hier erschöpft ankommen und dann von Weide zu Acker hin und her gescheucht werden, ist nichts anderes. Wenn es dem Minister gelingt, Schleswig-Holstein bundesweit zum Baller- Land Nr.1 zu machen, dann wird das für das Image des Landes einen nachhaltigen Schaden anrichten. Tierschutz heißt, die Tiere vor dieser Landesregierung zu schützen. Kriterien für eine sinnvolle Novelle der Landesjagdverordnung:
Jede Verordnung muss von Zeit zu Zeit an neue Erkenntnisse angepasst werden. Wenn man die Landesjagdzeitenverordnung überarbeiten will, muss man sich an folgenden Kriterien ori- entieren: - neue Bestandsregulierung, wenn Arten erheblich zugenommen haben; - stärkere Einschränkung, wenn Arten abnehmen, z.B. wäre es sinnvoll, ein totales Beja- gungsverbot für die Waldschnepfen zu erlassen; deren Bestände immer geringer werden; - Reaktion auf neue naturschutzfachliche Bewertungen.
Nach diesen Kriterien müsste eigentlich dringend die 30 Jahre alte Bundesjagdzeitenverord- nung überarbeitet werden.
In die schleswig-holsteinische Landesjagdzeitenverordnung könnte folgendes aufgenommen werden: 1. Nachbesserung der Begründungen für die Schonzeiten mit landesspezifischen Formu- lierungen, um der Forderung des OVG-Urteils gerecht zu werden, auf das sich die Landesregierung bei ihrer VO-Novellierung beruft; 2. Verbesserung der Synchronisierung der Jagdzeiten, um die Störung der Natur so ge- ring wie möglich zu halten; 3. Flexible Jagdmöglichkeiten (Wildtiermanagement) je nach der aktuellen Bestandssitu- ation bei Arten, die in ihrer natürlichen Bestandsdynamik starken Schwankungen un- terliegen. Die Jagdzeit auf Waldschnepfen sollte ausgesetzt werden. Der NABU schlägt vor, die Jagd auf Rebhühner auszusetzen, bis mindestens 3 Brutpaare pro 100 Hektar in Schleswig-Holstein leben. 4. Ganzjährige Schonzeit für Mauswiesel, Hermelin, Iltis, Baummarder und Dachs, für deren Bejagung es keinen triftigen Grund gibt. Die Jagd auf Steinmarder nur vom 1.11. bis zum 31.12., die Jagd auf Füchse nur vom 1.11. bis 31.1. zulassen. 5. Verbot von Bleimunition, u.a. weil sich die Seeadler an den geschossenen und liegen- gelassenen Tieren schwere Vergiftungen zuziehen (man könnte auch analog Paragraf 19 des Bundesjagdgesetzes oder in Anlehnung an Paragraf 5a des Jagdgesetzes für das Land Brandenburg einen entsprechenden Paragrafen in das schleswig- holsteinische Landesjagdgesetz aufnehmen)

***

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen