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09.11.05 , 16:06 Uhr
SPD

Lothar Hay zu TOP 16: Mutige Entscheidungen sind nötig

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 09.11.2005 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell
TOP 16 – Ablehnung des 2. SGB-II-Änderungsgesetzes / Keine Schlechterstellung der Kommunen bei Hartz IV (Drucksachen 16/298 neu + 16/320)
Lothar Hay:

Mutige Entscheidungen sind nötig

Lothar Hay kritisiert die fehlende Symmetrie zwischen Fördern und Fordern bei der Um- setzung der Arbeitsmarktgesetze. Vor dem Hintergrund wachsender Kinderarmut fordert er, soziale Leistungen mehr am Bedarf und weniger am Status zu orientieren. Er kritisiert die Absicht des scheidenden Bundeswirtschaftsministers, die Ausgleichszahlungen an die Kommunen nun nicht mehr wie zugesagt vorzunehmen. Es müsse jetzt ein seriöses Revisionsverfahren zu Hartz IV in Gang kommen, an dem Bund, Länder und Kommunen beteiligt werden. Arbeitsplätze müssen die Unternehmen schaffen, aber die Politik muss dafür die Rahmenbedingungen verbessern.



Die Rede im Wortlaut:

Lassen Sie mich vorab einige Anmerkungen zur bisherigen Umsetzung von Hartz IV ma- chen. Wir haben von Anfang an diese Reform – wenn auch in einigen Punkten mit star- ken Bauchschmerzen – unterstützt. Wir hatten ursprünglich den Vorschlag gemacht, den Einstieg um ein halbes Jahr zu verschieben. Wir wissen heute, im November 2005: Das wäre richtig gewesen. Es hätte Sinn gemacht, die Reformen zu beginnen, nachdem man die Vorbereitung abgeschlossen haben würde. Die Wahrheit ist doch: Bis weit in dieses Jahr hinein hat die Software nur eingeschränkt funktioniert. Die Konsequenz daraus war,
Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



viele Mitarbeiter, die sich eigentlich dem Fördern hätten widmen sollen, waren wesentlich mit Auszahlungsproblemen beschäftigt.

Wir haben also bis heute eine fehlende Symmetrie zwischen Fördern und Fordern. Der Erwerbslose wird zum Objekt des Forderns. Dies darf nicht so bleiben und muss schnellstens in die richtige Richtung gelenkt werden. Zugegeben, bei den Jugendlichen ist man mit dem Fördern schon erheblich weiter, aber auch hier gibt es noch deutliche Mängel. Und auch vorbildliche Optionskreise und gute Arbeitsgemeinschaften haben mit zahlreichen technischen Problemen zu kämpfen, die längst hätten gelöst sein müssen.

Wir sollten das Problem der Kinderarmut bei unserer Schwerpunktsetzung im Blick be- halten. Wer weniger soziale Auslese in den Schulen fordert, der muss die Teilhabe der Kinder aus sozial schwachen Familien auch erst einmal ermöglichen. Es gibt keinen Sachzwang, größere Vermögen steuerlich zu fördern, während 1,7 Mio. Kinder in Armut leben. Das geht in einem Sozialstaat nicht. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit und unse- rer Zukunftsfähigkeit.

Die Kommunen haben mit den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ein erhebliches Maß an Verantwortung übernommen. Auf Bundesebene wurde den Kommunen zugesagt, sie um 2,5 Milliarden Euro zu entlasten, damit so finanzielle Spielräume für den Ausbau der Kinderbetreuung geschaffen werden können. Als wir vor einem Jahr, am 10. November 2004, hier im Landtag über die Umsetzung des Sozi- algesetzbuchs II in Schleswig-Holstein diskutierten, hat meine Fraktion klar gesagt: – dass die mit Hartz IV vorgesehene finanzielle Entlastung der Kommunen mit dem Lan- desgesetz tatsächlich realisiert wird, – dass der Anteil des Bundes an den Unterkunftskosten vom Land unmittelbar in die Kommunen transferiert wird und – dass das Land darüber hinaus seine Netto-Entlastungen an die Kommunen weiterleiten wird. -3-



Dazu stehen wir. Die Überweisung von 25 Mio Euro aufgrund geringerer Wohngeldauf- wendungen des Landes an die Kommunen über einen 2. Nachtragshaushalt im Dezem- ber belegt, dass wir Wort halten.

Die Situation auf Bundesebene ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass keine Eini- gung über die tatsächlichen Be- und Entlastungen der Kommunen erzielt werden kann. Die Annahmen gehen weit auseinander: Während der Bund erhebliche Entlastun- gen der Kommunen errechnet hat, gehen letztere vom Gegenteil aus.

Die Zahlendebatte zwischen Bund und Kommunen ist nicht neu und ist sehr unerfreulich. Bereits im Vorfeld der Reformen gab es Auseinandersetzungen – damals über die Zahl der zu erwartenden Anspruchsberechtigten. Damals lagen die Kommunen richtig. We- sentlich mehr Menschen, als vom Bund erwartet, erhalten Leistungen nach dem SGB II. Dabei handelt es sich um finanzielle Leistungen, aber darüber hinaus auch um Eingliede- rungsleistungen. Die falschen Zahlen der Bundesregierung beruhen darauf, dass bei den Berechnungen Zahlen von 1999 zu Grunde gelegt wurden, die 2005 alleine wegen ge- stiegener Arbeitslosenzahlen nicht mehr stimmen konnten.

An dieser Stelle möchte ich sehr deutlich machen, dass die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit mit initiierte menschenverachtende Missbrauchsdebatte kein einziges Problem in Zusammenhang mit den Kosten des Arbeitslosengelds II löst. Die Rechenprobleme von Gebietskörperschaften mit unsachlichen und durch keinerlei ge- prüfte Zahlengrundlage erhärteten pauschalen Schuldzuweisungen lösen zu wollen, wi- derspricht dem sozialdemokratischen Menschenbild, für das ich stehe. Ich habe das auf Bundesebene auch deutlich gemacht und erwarte, dass derartige Entgleisungen sich nicht wiederholen.

Wo im Einzelfall Missbrauch ist, muss man Missbrauch natürlich bekämpfen. Die vom Bundeswirtschaftsministerium betriebene Kampagne über tatsächlichen oder angeblichen -4-



Sozialmissbrauch täuscht über die wahren Probleme hinweg. Wir haben einen Mangel an regulären Arbeitsmöglichkeiten und wir haben einen Sozialstaat, der auf Bedingun- gen beruht, die längst nicht mehr gegeben sind.

Wichtig ist: Wir brauchen eine Umverteilung von Oben nach Unten. Geld sollte besser an die verteilt werden, die es wirklich brauchen. Soziale Leistungen müssen also mehr am Bedarf und weniger am Status orientiert sein. Staatliche Transfers müssen an den gegenwärtigen Lebenslagen der Betroffenen anknüpfen und auf die Überwindung von de- ren Problemen gerichtet sein. Für mich steht fest: Man kann die Kluft zwischen Arm und Reich verringern. Man muss nur den Willen dazu haben.

Das SGB II hat sicherlich für viele Menschen Härten bedeutet. Das betrifft insbesondere diejenigen, die vorher Arbeitslosenhilfe oder noch Arbeitslosengeld erhalten hatten und nun auf das meist niedrigere Arbeitslosengeld II angewiesen sind. Und es betrifft diejeni- gen, die nun – wegen der Anrechnung des Partnereinkommens – aus der Förderung her- ausfallen. Gerade für diese Gruppe werden wir mittelfristig wieder eine Einbeziehung in die Beratungs- und Eingliederungsleistungen erreichen müssen.

Das SGB II ist auch ein Leistungsgesetz, das für viele Arbeitsuchende Vorteile bietet. Es bezieht Menschen in die Förderung mit ein, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Zu ihnen zählen Partnerinnen und Partner in den Bedarfsgemeinschaften, denen nun auch Fallmanagement und Eingliederungsmaßnahmen zustehen. Und zu ihnen zählen die Ar- beit suchenden Jugendlichen, die von den verbesserten Betreuungsmaßnahmen der Ar- beitsgemeinschaften und Optionskommunen profitieren.

In der Bundesrepublik Deutschland sind bei weitem zu viele Menschen arbeitslos. Bis vor wenigen Monaten viel mehr, als durch die Statistik erhoben wurde. Nun ist diese Arbeits- losigkeit endlich sichtbar: Arbeitsfähige Menschen, die vorher Sozialhilfe erhielten oder die als Angehörige von Arbeitslosenhilfeberechtigten mit versorgt wurden, sind jetzt im -5-



Fokus der Arbeitsvermittlung und Eingliederung. Diese Sichtbarkeit der tatsächlichen Arbeitslosigkeit ist auch ein Verdienst der Reformen.

Die Absicht des scheidenden Bundeswirtschaftsministers, die Ausgleichszahlungen an die Kommunen nun nicht mehr wie zugesagt vorzunehmen, ist aus Sicht meiner Fraktion unverständlich. Die Bundesregierung hat sich – dies ist ein Vorwurf, den sie sich gefallen lassen muss – bei den Prognosen für die Zahl der Leistungsberechtigten völlig ver- schätzt. Sie hat uns für Mai und für Oktober präzise Zahlen zugesagt, auf die wir nach wie vor warten. Länder und Kommunen hatten somit keine Zeit und Gelegenheit, Zahlen und Auswertungen zu überprüfen. Wir erwarten, dass jetzt umgehend ein seriöses Re- visionsverfahren in Gang kommt, an dem alle Beteiligten: Bund, Länder und Kommu- nen, beteiligt sind.

Und wir erwarten, dass das Verfahren konstruktiv verläuft und es zu einer Einigung über die Zahlengrundlagen und deren Interpretation kommt. Die vorbildliche Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landtags vom November 2004, nämlich: die Entlastungen in voller Höhe an die Kommunen weiterzugeben, darf nicht ad absurdum geführt werden.

Die Ziele der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt haben für uns nach wie vor Gültigkeit: Unsere Devise lautet: Fördern und Fordern. Wir wollen die Kommunen entlasten und damit mehr Kinderbetreuungsmöglichkeiten schaffen. Wir wollen, dass Menschen in Arbeit kommen, nach Möglichkeit auf dem 1. Arbeitmarkt, wo nötig aber auch auf einem 2. Arbeitsmarkt. Es muss endlich Schluss sein mit dem Bau parteipoliti- scher Wolken-Kuckucksheime.

Der Staat kann das Problem der Massenarbeitslosigkeit nicht alleine lösen. Die zukunfts- fähigen Arbeitsplätze in Deutschland werden von den Unternehmen geschaffen. Wir müssen mit aller Kraft an der Verbesserung der Rahmenbedingungen arbeiten. -6-



Um unsere Zukunftsfähigkeit zu sichern, müssen wir uns zuerst um die Bildung und sozi- ale Sicherheit der Kinder kümmern. Hier wird die Basis für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft gelegt. Hier sind mutige Entscheidungen nötig. Lassen Sie uns gemeinsam zupacken!

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