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16.12.05 , 13:06 Uhr
B 90/Grüne

Anne Lütkes zur bundeseinheitlichen Regelung für den Strafvollzug

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 29 – Bundeseinheitliche Regelung Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel des Strafvollzugs Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt die Fraktionsvorsitzende Telefax: 0431/988-1501 von Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 Anne Lütkes: E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh-gruene.de

Nr. 410.05 / 16.12.2005

Das Ende der rationalen Kriminalpolitik
Eine demokratische rechtsstaatliche Zivilgesellschaft erkennt man auch am Umgang mit Gefangenen. Sicherheit in den Justizvollzugsanstalten ist eine Aufgabe aber Ziel jegli- cher Vollzugsarbeit ist die Resozialisierung eines jeden Gefangenen.
Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich gemäß Art.74 I Ziffer 1 mit betracht auf das Strafrecht und den Strafvollzug, auch auf das Recht der Untersuchungshaft und den Jugendvollzug.
Die Föderalismusreform wird gegenwärtig als Allheilmittel gefeiert, Entflechtung, Stär- kung der Länder sind die Zauberworte.
Wie schon im letzten Herbst, ist bei der Debatte nicht außer acht zu lassen, dass es Prinzipien im Bundesstaat Deutschland gibt, die eine Bundeszuständigkeit notwendig er- fordern.
Gleichwertige Lebensverhältnisse zu garantieren ist in der „Fürsorgegesetzgebung“ ge- nau so Verfassungswille wie im Strafvollzug.
Im letzten Herbst hatte Heide Simonis den schleswig-holsteinischen Antrag in der Ta- sche, als die Föderalismuskommission unrühmlich von Müntefering und Stoiber zerstört wurde. Die zunächst gebannte Gefahr scheint nun wieder auf. Der schwarz-rote Koaliti- onsvertrag auf Bundesebene will erneut den Ländern die Zuständigkeit geben. Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund.
Quasi alle Berufsverbände, die mit Strafrecht und dem Strafvollzug befasst sind, Juris- tenverbände, viele einzelne WissenschaftlerInnen äußerten nicht etwa Protest, erhoben mahnend die Stimme – nein, sie zeigten blankes Entsetzen. Es hat sich innerhalb kür- zester Zeit eine Phalanx von Gewerkschaften, Beamtenbundorganisationen, Richterver- band, Bewährungshelferverbänden, Bundesrechtsanwaltskammer, Anwaltsvereinen und vielen anderen gebildet.
1/2 Auch die politisch eher konservativen Organisationen benutzten in ihren öffentlichen Verlautba- rungen Vokabeln wie „abenteuerlich“, „unverantwortlich“, „Abbruchunternehmen“ „grotesk“. Ein wahrlich nicht alltäglicher Vorgang.
Es ging bei den Appellen der letzten Wochen und Monaten nicht um Standespolitik oder Lobby- ismus. Es ging unabhängig von eigenen Interessen um die Besorgnis, der Strafvollzug in Deutschland könnte sich auf dem Niveau einer Bananenrepublik einpendeln, wenn umgesetzt wird, was in Berlin vereinbart wurde.
Das Entsetzen mag auch deshalb so groß gewesen sein, weil nicht nur eine vernünftige Begrün- dung fehlt. Es machte sich auch niemand von den Verantwortlichen die Mühe, diese Idee halb- wegs belastbar zu rechtfertigen.
Ein denkbarer Grund ist der Pekuniäre. Es wird den Ländern die Möglichkeit gegeben, den Straf- vollzug nach Kassenlage zu gestalten. Privatisierungen werden dann nicht ausbleiben.
Man muss keine Kriminologin sein, um zu bemerken, dass der Resozialisierungsgedanke in die- sem Szenario nur auf der Strecke bleiben kann. Wenn die Mittel für die Straffälligenarbeit dem freien Spiel der Kräfte überlassen werden, in den Konkurrenzkampf um öffentliche Mittel eintre- ten, haben sie keine Chance. Es fehlt die politische und öffentliche Unterstützung.
Die Bestrebungen dem Sicherheitsgedanken den alleinigen Vorrang einzuräumen sind alt und würden Aufschwung bekommen.
Selbstverständlich muss auch im Strafvollzug immer kostenbewusst gearbeitet werden. Aber für verantwortungsbewusste JustizpolitikerInnen war immer klar: Geld kann und muss durch Haft- vermeidung gespart werden. Dazu reicht die derzeitige Rechtslage allerdings vollkommen aus.
Es verschwindet der konzeptionelle Zusammenhang von materiellem Recht, Gerichtsverfahrens- recht und Vollzugsrecht.
Der besondere Clou: Jugendstrafvollzug und Untersuchungshaft sollen nach dem Willen der Koa- litionäre dann aber doch lieber in Berlin geregelt werden. Damit hätten wir in Vollzugsangelegen- heiten 17 Gesetzgeber.
Aber auch ohne dieses Kuriosum wird es schon unübersichtlich: Sechzehn mal muss ein zirka 200 Paragrafen umfassendes Gesetz durchexerziert werden. Wie viele MinisterialbeamtInnen da- für zusätzlich benötigt würden, lässt sich nur erahnen. Sechzehn verschiedene Kommentare wol- len geschrieben und bezahlt werden. Die Wahrung der Grundrechte von Gefangenen wird sech- zehn mal von Verfassungsgerichten überprüft.
Konkret bedeutet das: Wir stecken Geld, das wir für Resozialisierungsmaßnahmen dringend brauchen, in Bürokratie und Verfassungsgerichte.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe mich immer für eine Reform des Föderalismus einge- setzt. Dazu gehört die Übertragung von Gesetzgebungskompetenzen auf die Bundesländer, wo es sinnvoll ist. Es gibt aber keine regionalen Besonderheiten des Justizvollzugs. Die Anforderun- gen an Sicherheit und Resozialisierung müssen denen des Grundgesetzes entsprechen, in Flensburg ebenso wie in München. Gleichwertige Lebensverhältnisse sind auch für Gefangene zu sichern. Dieses Feld der Kleinstaaterei zu überlassen, bedeutet das Ende der rationalen Kri- minalpolitik.
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