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22.02.06 , 10:51 Uhr
SPD

Dr. Henning Höppner: Gefahr ernst nehmen, aber nicht in Hysterie verfallen

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 22.02.2006 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell Regierungserklärung zum Thema Vogelgrippe

Dr. Henning Höppner:

Gefahr ernst nehmen, aber nicht in Hysterie verfallen

„Wir müssen die Ausbreitung der Vogelgrippe sehr ernst nehmen. Ich denke aber, dass wir genauso die Pflicht haben, Hysterien vorzubeugen“, resümiert Dr. Henning Höppner in seinem Redebeitrag und erinnert an den Umgang – vor allem der Medien – mit der Rinderseuche BSE. Die jetzt getroffenen Vorsorgemaßnahmen müssten sich in etwa einem Monat, wenn der Vogelflug einsetze, bewähren. „Ich bin der Überzeugung, dass unsere Geflügelbestände unter strikter Einhaltung des Aufstallungsgebotes auch vor Infektionen geschützt werden können. Hierzu gehört auch eine konsequente Ü- berwachung.“.



Die Rede im Wortlaut: Zunächst danke ich im Namen meiner Fraktion dem Herrn Minister für seine ausführli- che Erklärung und die Darstellung der getroffenen Vorbereitungen. Die Vogelgrippe als hoch pathogene Variante der Geflügelpest grassiert seit Ende 2003 in Südostasien, sie hat Ende 2005 die Türkei erreicht, seit einer Woche ist sie in der nördlichen Bundesrepublik nachgewiesen.
Weltweit erkrankten 220 Menschen an dieser hoch ansteckenden Viruskrankheit, 92 Menschen starben. Die meisten von ihnen hatten beruflich mit Geflügel zu tun. Zwei türkische Kinder, die verstarben, hatten sich vermutlich beim Spielen mit Schlachtab- fällen während einer Hausschlachtung infiziert.


Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



92 Tote in zwei Jahren in einer Region, die von 2 bis 3 Milliarden Menschen bewohnt wird, sind keine wirkliche Bedrohung für die Menschheit. Verglichen mit der Ausbrei- tung von AIDS und anderen Seuchen, vor allem in der 3. Welt, ist das eine wirklich zu vernachlässigende Größenordnung.
Wir wissen, dass die - nennen wir sie normale - Influenza eine zehntausendfach höhe- re Todesursache in den vergangenen zwei Jahren gewesen sein mag. Der Leiter des Robert-Koch-Institutes, Professor Kurth geht davon aus, dass in der Bundesrepublik Deutschland in jedem Winter ca. 8.000 bis 10.000 Menschen an der normalen Influen- za sterben. Und wahrscheinlich werden Salmonellenvergiftungen durch Geflügel- fleischkonsum eine tausendfach höhere Todesursache gewesen sein, sind Salmonel- len doch ein fast ein normaler Bestandteil von aufgetauter Geflügeltiefkühlkost.
Wir müssen die Ausbreitung der Vogelgrippe sehr ernst nehmen. Ich denke aber, dass wir genauso die Pflicht haben, Hysterien vorzubeugen. Der Bürger verinnerlicht Bilder von Katastrophen und verknüpft diese mit seinen natürlichen Ängsten.
Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, wie die Medien, auch die öffentlich- rechtlichen, mit den ersten BSE-Fällen in Schleswig-Holstein umgegangen sind. Kurz- berichte im Fernsehen wurden immer nach demselben Strickmuster erstellt: Da wurde immer nur die eine in Großbritannien gedrehte Filmsequenz eines BSE-kranken Rin- des gezeigt mit den typischen pathogenen Symptomen. Es gab auch nur diesen einen kurzen Archivfilm, der zur Darstellung der Rinderseuche herhalten musste. Es folgte ein Schnitt, dann eine Sequenz, die einen Creutzfeld-Jakob-Kranken zeigte, und im nächsten Schnitt dann unsere Landwirtschaftsministerin vor Demonstranten.
In diesen Tagen sind es dieselben Schemen. Der tote Vogel in Nahaufnahme, nach dem Schnitt die Bundeswehr in Schutzanzügen am Rügendamm, Fahrzeuge desinfi- zierend. Tote Vögel werden Männern in Schutzkleidung mit ABC-Schutzmaske in Sä- cke gesteckt. Andere Meldungen schießen auch ins Kraut. ZDF-online meldet am Montag, dass es 51 Euro pro getötetem Tier im Falle einer Keulung gebe. Mein Nach- bar regt sich darüber auf, dass sich die Geflügelhalter unangemessen bereichern wür- den. Spiegel-online meldet unter Berufung auf die Vorsitzende des Agrarausschusses des Bundestages, Bärbel Höhn, dass die Vogelgrippe im Falle einer Pandemie die Fußballweltmeisterschaft gefährden würde.
Es geht die Angst um vor der Seuche. Bürger melden täglich tote Vögel bei der Polizei oder im Kreisveterinäramt an.
Ich selbst bin auf einer Nordseeinsel groß geworden. Tote Möwen oder auch andere tote Vögel waren in der Winterzeit zuhauf am Strand zu finden. Auch Vögel sterben, wenn sie alt und entkräftet sind, erklärte uns der Biologe von der Schutzstation, dann fallen sie ins Wasser und werden angeschwemmt oder sie fallen auf den Strand. -3-



Wir geraten in die Gefahr, das Augenmaß im Umgang mit der Vogelgrippe zu verlie- ren. Ein Kommentar in der FAZ vom 20.2. beschreibt es sehr eindringlich. „…eine Bou- levardzeitung beschreibt die Insel Rügen schon als Todesinsel. Es ist kaum noch zu vermitteln, dass es diese Katastrophe nicht gibt, schon gar keine Todesinsel. Die Ka- tastrophe wird in der langen Reihe der Fernsehübertragungswagen an der Wittower Fähre im Nordwesten der Insel erst produziert.“
Eines wird eine solche Berichterstattung mit Sicherheit hervorbringen: einen regelrech- ten Wettbewerb um die nächste Katastrophenmeldung. Und eines erreicht eine solche Berichterstattung auch: Ein geändertes oder besser zumindest zeitweise geändertes Verbraucherverhalten. Wir kennen es noch aus der BSE-Krise.
Ängste kommen auf, man diskutiert in der Familie, ob man noch Geflügelfleisch essen soll wegen der Gammelfleisch-Skandale, jetzt erst recht nicht wegen der Vogelgrippe. Zwar sagen nach einer heute veröffentlichten Umfrage 80 % der Befragten, dass sie nach wie vor Geflügelfleisch essen wollen. Aber mit zunehmender Berichterstattung wird sich das sicher noch ändern.
Es gibt 2.700 Betriebe in Schleswig-Holstein, die Geflügel produzieren und vermark- ten, und einen Bestand von fast 3 Millionen Tieren. In der Bundesrepublik werden ins- gesamt mehr als 110 Millionen Geflügeltiere gehalten.
Im nächsten Monat setzt der Vogelflug wieder ein. Mehrere Hunderttausend, Millionen Zugvögel werden über unser Land nach Norden fliegen und ihre Rastplätze insbeson- dere entlang der Nordseeküste, auf Eiderstedt, in den Kögen und in der ETS-Region oder über Fehmarn, der so genannten Vogelfluglinie, einnehmen.
Erst in diesem Zeitraum werden sich alle Vorsorgemaßnahmen bewähren müssen, um zu verhindern, dass Zugvögel den gefährlichen Virus auf unsere Hausgeflügelbestän- de übertragen können. Noch haben wir, anders als in Asien, kein Hausgeflügel, das von der Vogelgrippe, betroffen ist. Ich bin der Überzeugung, dass unsere Geflügelbe- stände unter strikter Einhaltung des Aufstallungsgebotes auch vor Infektionen ge- schützt werden können. Hierzu gehört auch eine konsequente Überwachung.
Auf das Frühstücks-Ei aus Freilandhaltung werden wir wohl einige Zeit verzichten müssen. Und ob Möweneier im Jahre 2006 noch eine besondere Delikatesse sein können, mag eher bezweifelt werden.

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