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23.03.06 , 12:30 Uhr
SPD

Thomas Rother zu TOP 11: Schutz der Menschen steht an erster Stelle

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 23.03.2006 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell
TOP 11: Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung gefahrenabwehrrechtlicher und verwaltungsver- fahrensrechtlicher Bestimmungen (Drucksache 16/670)

Thomas Rother:

Schutz der Menschen steht an erster Stelle

Die öffentliche Sicherheit stärken – „nichts anderes geschieht mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes“, so Thomas Rother in seinem Redebeitrag. Es sei daher vertretbar und im Einzellfall auch geboten, unter strenger Beachtung des Grundsatzes der Ver- hältnismäßigkeit Rechte einzelner einschränken zu können, um die Rechte anderer zu schützen und zu verteidigen. „Grundrechtsschutz des Opfers von Straftaten ist höher zu bewerten als der Schutz der Rechte des Täters“, sagt Rother. Mit der Novellierung werde der Schutz der Menschen vor Straftaten verbessert.

Die Rede im Wortlaut:

Die beabsichtigte Änderung des Landesverwaltungsgesetzes hat – noch bevor es die- sen Entwurf gegeben hat – bereits in der Anhörung zum Referentenentwurf eine in- tensiv geführte öffentliche Diskussion um die Vorschriften dieses Gesetzes hervor- gerufen. Dabei haben Befürworter und Kritiker des Gesetzes nicht mit Polemik ge- spart. Vielleicht nähern wir uns in dieser Debatte einer etwas sachlicheren Auseinan- dersetzung.

Denn einiges von der ersten Kritik ist in diesen neuen Gesetzentwurf aufgenom- men worden und es zeigt sich, dass das Verfahren zur Entstehung eines Gesetzes Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: Internet: pressestelle@spd.ltsh.de www.spd.ltsh.de SPD -2-



sehr sinnvoll ist, dass das Innenministerium samt Minister keine undurchdringliche Wagenburg ist und dass wir noch genügend Stoff für die parlamentarische Runde der Anhörung haben werden.

Die Kritiker des Gesetzes haben versucht nachzuweisen, dass mit diesem Gesetzent- wurf unser politisches Leitbild einer liberalen Innen- und Rechtspolitik in Richtung eines Überwachungsstaates nach Orwellscher Phantasie mutiert sei. Und insbesonde- re die SPD hätte natürlich mal wieder alle ihre Grundsätze verraten. Synopsen von SPD- und CDU-Landtagswahlprogrammen sowie des Koalitionsvertrages wurden Synopsen von Regelungen mit Beteiligung von FDP, Linkspartei und früher mal der Grünen gegenübergestellt. Lediglich der SSW konnte hier ohne Schuld bleiben.

Auf der Seite 38 unseres Landtagswahlprogramms steht als eine Überschrift „ Wir werden weiterhin die Kriminalität und ihre Ursachen entschlossen bekämpfen“. Als 19. von 25 Zielen haben wir auf der Seite 9 formuliert: „Freiheit und Sicherheit ga- rantieren in einer Demokratie die fundamentalen Voraussetzungen für eine lebenswer- te Gemeinschaft, die Entfaltung der Persönlichkeit ist ohne diese Voraussetzungen nicht denkbar. Wer Opfer von Kriminalität ist oder sich davor fürchtet, wird in seiner Freiheit eingeschränkt. Wir werden gemeinsam mit den Menschen in Schleswig- Holstein weiterhin die öffentliche Sicherheit stärken.“

Nichts anderes geschieht mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfes. Das ist auch sozi- aldemokratische Politik – wie sie im Buche beziehungsweise in unseren Programmen steht. Und diese Politik hat sich nicht von unseren Grundsätzen entfernt – doch dazu später mehr.

Der Anlass für das Gesetz hätte allerdings eindeutiger beschrieben werden können. Der internationale Terrorismus ist gewiss weniger Anstoß für diese Neuregelungen als die Tatsache, dass seit der letzten grundlegenden Änderung im Jahr 1992 der techni- -3-



sche Fortschritt auch bei kriminellen Handlungen voran geschritten ist und sich die Mobilität von Menschen und Geldströmen bei immer offeneren Grenzen erhöht hat. Das Gesetz hat damit mehr Bedeutung für die alltägliche Polizeiarbeit. Und so hat es der Minister hier ja jetzt auch dargestellt.

Klar stellen sollte der Minister die hier wiederholte Äußerung aus seinem ebenfalls öf- fentlich diskutierten Argumentationspapier zum Gesetz: „Der Einsatz von Technik an- stelle von Personal ist vielfach günstiger - in Zeiten knapper Mittel der öffentlichen Hand eine Möglichkeit, trotzdem das Sicherheitsniveau zu erhöhen oder Personal an- derswo einsetzen zu können.“ Das kommt Wolfgang Kubickis Argumentation vom „Ab- bau von Freiheitsrechten zugunsten von Personalkapazität“ wohl unabsichtlich entge- gen und ist aus dem Punkt „Kosten und Verwaltungsaufwand“ der Beschlussvorlage auch nicht ersichtlich. Es notwendig klarzustellen, dass durch das Gesetz kein Perso- nalabbau erfolgt und dass die Einschränkung von Freiheitsrechten der Abwehr von Gefahren und nicht der Haushaltsentlastung dient.

Unser Menschenbild ist weder das eines isolierten souveränen Individuums, noch das Bild von Thomas Hobbes (Leviathan, Gesellschaftsvertrag), dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei und vor diesem geschützt werden müsse. Wir sehen eher die Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Menschen. Daher ist es vertretbar und im Einzellfall auch geboten, unter strenger Beachtung des Grundsatzes der Ver- hältnismäßigkeit, die Rechte auch solcher Personen einschränken zu können, die nicht Störer im Sinne des Polizeirechts sind, um die Rechte anderer zu schützen und zu verteidigen. Dies ist übrigens im Gefahrenabwehrrecht nichts neues, schon bisher gibt § 220 des Landesverwaltungsgesetzes dafür die Grundlage.

Der Staat hat daneben natürlich eine Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern, bei de- ren Ausübung der Grundrechtsschutz des Opfers von Straftaten eben höher zu bewer- ten ist als der Schutz der Rechte des Täters. Dieser hat es schließlich selbst in der -4-



Hand, ob er das Ziel polizeilicher Maßnahmen wird oder nicht. Dabei muss zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sauber unterschieden werden. Und wo das eine endet und das andere beginnt, darüber werden wir uns im Detail im weiteren Ver- fahren sicher noch streiten können.

Doch nun der Reihe nach: -5-



• Schleierfahndung: Schon heute gibt es – seit 1998 einvernehmlich mit dem Datenschutz abgestimmt - lagebildabhängig Anhalte- und Sichtkontrollen. Im Wesentlichen wird hier die Polizeipraxis auf gesetzlicher Grundlage festgeschrieben. Eine neue Qualität bringt lediglich die Inaugenschein- nahme insbesondere von Kofferräumen und Ladeflächen von Fahrzeugen. Aber auch die neue Formulierung erlaubt keine willkürlichen Durchsuchun- gen – wie es manchmal unterstellt wird, sondern bedeutet mehr Rechtssi- cherheit für Bürger und Polizei.

• Videoüberwachung: Die Neuformulierung des Gesetzes senkt tatsächlich die Schwelle zum Einsatz dieser Technik. Anders als bisher soll künftig nicht mehr im Einzelfall dafür sprechen, dass Straftaten begangen werden, sondern es wird auf das gefährdete Rechtsgut abgestellt. Schon bei der erstmaligen Gefährdung von Leben, Gesundheit oder Freiheit darf dann eine Videoaufzeichnung erfolgen. Aber erst eine wiederholte Schädigung von Eigentum und sonstigen Rechtsgütern kann in diesem Fall zur Video- kontrolle führen. Also der Schutz der Menschen vor Straftaten wird verbes- sert. Beim Schutz von Fahrrädern, Hauswänden und ähnlichem ändert sich im Prinzip nicht viel. Die Video- und Tonaufzeichnung zur Eigensicherung von Polizeibeamten ist ja im Wesentlichen unstrittig und das ist gut so. Denn es macht auch einen Teil der Anerkennung von Polizeiarbeit aus, an dieser Stelle etwas für die Sicherheit der Sicherheitsbeamten zu tun.

• Kfz.-Kennzeichen-Scanning: Das automatische Kfz.-Kennzeichen- Lesesystem ist nun tatsächlich eine Idee der CDU – trotz und vielleicht auch wegen der Regelung im SPD-FDP-regierten Rheinland-Pfalz. Die nun vorgeschlagene Regelung ist tatsächlich ein Eingriff – wenn auch nur ein minimaler – in das informationelle Selbstbestimmungsrecht unbeteiligter -6-



Personen. Jedoch werden deren Daten unverzüglich wieder gelöscht. Ein Vorgang, den wir von den LKW-Mautstationen kennen. Das Ganze soll nicht ohne Anlass – wie vom Unabhängigen Landeszent- rum für den Datenschutz befürchtet -, sondern bei konkreten Fahndungen – eben zum Abgleich mit dem Fahndungsbestand – genutzt werden. Gut ist, dass dieser Versuch eben nur ein Versuch ist, der auf zwei Jahre befristet ist und automatisch wieder außer Kraft tritt. Erst dann wird letztlich eine Bewertung dieser Maßnahme erfolgen können.

• Wohnraumüberwachung: Die Änderung der Befugnis zur Wohnraumüber- wachung setzt die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Straf- prozessualen Wohnraumüberwachung um. Die Angleichung der Verfah- rensvoraussetzungen an die Regelungen im Strafverfahrensrecht, die Stärkung der Rolle des anordnenden Richters, das Verbot der Ausspä- hung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung, das grundsätzliche Verbot der Überwachung von Berufsgeheimnisträgern und die Einschal- tung der Gerichte bei der nachträglichen Benachrichtigung des Überwach- ten sind nur zu begrüßen. Und den strittigen Begriff der „Gesundheit“ statt „Leib und Leben“ in der Gesetzesformulierung können wir dann ja im weiteren Verfahren klären. Dass dadurch eine Entwertung des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung erfolgt, wie es das ULD angibt, kann ich nicht nachvoll- ziehen.

• Telekommunikationsüberwachung: Ebenso umgesetzt werden im Bereich der Telekommunikationsüberwachung die Vorgaben des Bundesverfas- sungsgerichts, die denen in Bezug auf die Wohnraumüberwachung weit- gehend entsprechen. Künftig soll es für die Polizei auch zur Abwehr von Gefahren möglich sein, den Telefon-, SMS- und E-Mail-Verkehr zu überwachen. -7-



Und gegen einen Missbrauch dieser Möglichkeiten wird auch weiterhin unser parlamentarisches Kontrollverfahren schützen.

Zu weiteren Punkten kann ich an dieser Stelle aus zeitlichen Gründen nicht mehr viel sagen. Das werden wir dann im Ausschuss nachholen.

Festhalten möchte ich abschließend: Der Innenminister ist ein Mann mit Ecken und Kanten - er hat einen Gesetzentwurf mit Ecken und Kanten vorgelegt. Einige dieser Kanten sind im ersten Anhörungsverfahren gerundet worden. Das Gesetz ist damit vor allen Dingen näher an die praktische Aufgabenerfüllung durch die Polizeivollzugs- beamten herangerückt als es im allerersten Entwurf der Fall war.

Der Polizei müssen für ihre verantwortungsvolle und gefährliche Arbeit und auch zu ih- rem eigenen Schutz vernünftige rechtliche und technische Handlungsmöglichkei- ten gegeben werden. Außerdem lässt sich die Kriminalität des 21. Jahrhunderts nicht wirkungsvoll und rechtssicher mit Gesetzen aus dem 20. Jahrhundert bekämpfen. Mit dem Gesetz werden keine verfassungsrechtlichen Grenzen überschritten, son- dern der Verfassungsrahmen wird in konkrete Eingriffsbefugnisse umgesetzt.

Das Land hat eine Garantiefunktion für die Freiheit und die Sicherheit seiner Bürgerin- nen und Bürger. Geringfügige Eingriffe in die persönlichen Datenschutzrechte sind hinzunehmen, wenn dadurch mit Augenmaß die Bedrohung durch Strafta- ten gemindert werden kann. Das schafft noch lange keinen Überwachungsstaat. Auf jeden Fall werden wir eine spannende Ausschussberatung haben.

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