Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

23.03.06 , 12:31 Uhr
B 90/Grüne

Anne Lütkes zu den Sicherheitsgesetzen

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 11 – Sicherheitsgesetze Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt die Vorsitzende Telefax: 0431/988-1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 Anne Lütkes: E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 163.06 / 23.03.06
Entschlossenheit ersetzt Argumentation
Es ist ein schlechtes Zeichen für eine Gesellschaft, wenn bisher selbstverständliche Prinzipien des Zusammenlebens plötzlich verteidigt und erklärt werden müssen. Und ein noch schlechteres Zeichen ist es, wenn diese Verteidigungen und Erklärungen vom poli- tischen Gegner abgewertet und verdreht werden. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gilt immer, nicht nur dann wenn es bereits Hinweise auf möglicherweise verantwortungslose Polizeiarbeit gibt. Es hat nichts zu tun mit Angst vor Polizeistaat oder der Unterstellung unlauterer Absich- ten. Es ist ein Rechtsprinzip, man könnte es auch als Werkzeug betrachten, das sowohl bei der Rechtssetzung wie auch bei der Rechtsanwendung zu beachten ist. Es soll die Unversehrtheit der Persönlichkeitsrechte der BürgerInnen und ein geordnetes Zusam- menleben sicherstellen - auch wenn dabei die Freiheit der BürgerInnen eingeschränkt wird. Es soll dafür sorgen, das diese Freiheitseinschränkung im geringst möglichen Um- fang stattfindet. Es sichert in einem Rechtsstaat die Beachtung der einfachen Regel: so viel wie nötig - so wenig wie möglich. Und immer schön die Kirche im Dorf lassen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist weder Denkakrobatik noch eine juristeninterne Kab- belei, es nicht einmal Gegenstand einer Fachdebatte, sondern konsensuelle Überein- kunft. Die vor viereinhalb Jahren geäußerte Befürchtung, nach dem 11. September 2001 würde nichts mehr so sein, wie es einmal war, hat sich so nicht bewahrheitet. Und doch hat sich in der Gesellschaft schleichend einiges verändert. Das Selbstbewusstsein der BürgerInnen, staatliche Beobachtung und Überwachung kri- tisch zu begleiten und auch zu begrenzen, ist angesichts des Schreckensbildes des nä- her kommenden Terrors und der latenten Bedrohung durch unauffällig unter uns lebende TerroristInnen gesunken, und es wird weiter sinken.
1/2 Und dies machen sich Kräfte zu nutze, die symbolische Gesetzgebung und sicherheitspolitischen Aktionismus betreiben. Mir dem knappen Hinweis auf wachsende Bedrohung durch Terrorismus wurden und werden Otto- und sonstige Kataloge erstellt, dicke Pakete aus Überwachungsmaß- nahmen geschnürt. Eine Einzelbetrachtung der Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit der Maßnahmen unterbleibt fast völlig. Die einfache aber falsche Logik, Überwachung brächte zwangsläufig mehr Sicherheit, wird zum Mantra. Die vorerst letzten Anschläge im Kerneuropa geschahen in Großbri- tannien, einem Land mit mehr als zehnmal so viel Videoüberwachung wie in Deutschland. Vielleicht ist Deutschland ja nicht trotz der „mangelhaften“ Videoüberwachung bisher verschont geblieben, sondern vielleicht weil wir mit islamischen MigrantInnen den Dialog suchen und weil wir bisher eine Entwicklung der Konfrontation und Ausgrenzung nicht zugelassen haben. Diesen Weg sollte die deutsche Politik weiter suchen, und sie sollte viel mehr als bisher Ressourcen, al- so finanzielle Mittel, in die Erforschung der soziologischen und psychologischen Ursachen von Terrorismus stecken. Vorratsdatenspeicherung und Kennzeichen-Scanning, Raster- und Schlei- erfahndungen sind nichts anderes als ein sehr aufwändiges Stochern im bildlich gesprochen Heuhaufen. Und dabei werden viele Unschuldige getroffen und verletzt. Wer gesehen hat, was Terrororganisationen wie al-Qaida anrichten können, traut ihnen ohne weiteres zu, sich selbst komplexer technische Überwachung zu entziehen. Die NormalbürgerIn- nen können das nicht. Wichtig ist, dass nicht um die umfangreichste Überwachung, sondern um die effektivste Terro- rismusbekämpfung gerungen wird. Dazu gehört dann auch eine seriöse Evaluation von Eingriffs- ermächtigungen anstatt einfach einer Verlängerung nach Befristung, wie wir es leider bei der Rasterfahndung erlebt haben. Die Vereinfachung: Mehr Überwachung gleich mehr Schutz durch Terror wird schleichend und fast unbemerkt auch auf die gesamte Kriminalität ausgeweitet. Ich las in der Pressemitteilung des Innenministers vom 1. November mit Staunen: „Wir brauchen eine angemessene Antwort auf die anhaltende Bedrohung durch den internationalen Terroris- mus. Das Polizeirecht des Landes wurde vor 13 Jahren zuletzt grundlegend geändert. Es habe sich seither im Kern bewährt, inzwischen seien jedoch an einigen Stellen Anpassungen an ver- änderte Realitäten notwendig. Die Polizei muss auf neue Formen schwerer Kriminalität und auf Entwicklungen der alltäglichen Straßenkriminalität besser reagieren können.“ Der Innenminister meint also, ein sicherheitsrechtliches Instrumentarium gefunden zu haben, das effektiv sowohl gegen sowohl internationale Top-Terroristen wie auch gegen Taschendiebstahl hilft, und dabei in jedem Einzelfall verhältnismäßig ist. Man braucht keine kriminologische Fach- kenntnisse, um dies für unmöglich zu halten. Die vom Minister z.B. immer wieder geäußerten Thesen über vermehrte Mobilität von Geldströ- men, über neue Organisationsformen des Terrorismus gehen über plakative Allgemeinplätze nicht hinaus. Die Thesen werden nirgendwo verifiziert, schon gar nicht wird im Einzelfall ein Zu- sammenhang zu einer polizeirechtlichen Norm hergestellt. All dies zeigt mir, dass die Landesregierung an Fachlichkeit in der sicherheitspolitischen Debatte nicht wirklich interessiert ist. Argumente werden durch Entschlossenheit ersetzt. Die unsachli- chen Seitenhiebe auf sämtliche KritikerInnen in den Verlautbarungen des Innenministeriums vom 7. März haben die letzten Zweifel daran ausgeräumt. Es stimmt mich besonders bedenklich, dass selbst die Kritik aus den Reihen der Polizei, die ja teilweise mit der Kritik der Datenschutzbehörde identisch ist, weggewischt wird. Herr Stegner, Sie dienen mit Ihrem Gesetzentwurf niemanden außer Ihrem Koalitionspartner. ***

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen