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Dr. Henning Höppner zu TOP 6: Unser Bildungssystem ortsnah und zukunftsfähig ausrichten
Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 11.10.2006 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 6 - Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens in Schleswig-Holstein (Drucksa- chen 16/1000; 16/1029, 16/1031 und 16/1037)Dr. Henning Höppner:Unser Bildungssystem ortsnah und zukunftsfähig ausrichtenMit dem neuen Schulgesetz wird System der weiterführenden Schulen aus Regi- onalschulen, Gemeinschaftsschulen und Gymnasien etabliert. Dieser Weg sei folgerichtig, so der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, und aufgrund der demografischen Entwicklung mittelfristig auch dringend geboten. Die Schulentwicklung im Bereich der Grundschulen sei ausgesprochen sicher zu prognostizieren, so Höppner. Für die weiterführenden Schulen seien dagegen dynamische Trends zu bewerten. Bei der Hauptschule habe es mit Beginn des Schuljahres 2006/2007 einen deutlichen Einbruch bei den Anmeldezahlen gege- ben. Das wird, prognostiziert Henning Höppner, in den nächsten Jahren so wei- tergehen. Der Schritt zu verbundenen Systemen sei der Weg zu einem ortsna- hen und zukunftsfähigen Bildungssystem. Eltern wollten vermehrt offene Systeme, was insbesondere die Akzeptanz ko- operativer oder integrativer Schulsysteme zeige. Mit neuen Gemeinschaftsschu- len im ländlichen Raum wird sich, führt der Redner aus, eine neue Form einer Schulfamilie in Schleswig-Holstein entwickeln können. Und mit den im neuen Schulgesetz vorgesehenen Nahbereichs-Schulverbänden wird es an einem Schulstandort endlich eine einheitliche Verantwortung für die verschiedenen Schulen geben. Auch der Schullastenausgleich müsse neu organisiert und vereinfacht werden. Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-Die Rede im Wortlaut:Vor gut drei Wochen noch schien es in der Großen Koalition unüberwindbare Positionen der Parteien in der Schulpolitik gegeben zu haben. Was dann am 24. September spät abends aus dem Gästehaus der Landesregierung vermeldet wurde, hat nicht nur die Presse, sondern auch die breite Öffentlichkeit in unse- rem Lande überrascht. Auch in meiner Partei gab es Propheten, die für die kommenden Jahre einen andauernden Koalitionskonflikt in der Bildungspolitik vorhergesagt haben. So ist denn das bildungspolitische Ergebnis des Koalitions- ausschusses vom 24.9.2006, meine Damen und Herren, in der Tat als ein Ereig- nis von historischer Dimension zu werten.Seit 1919 gab es in Schleswig-Holstein ein System aus Volksschulen, Gymna- sien und später Mittelschulen. 90 Jahre später wird das schleswig-holsteinische Schulsystem umgebaut in ein System der weiterführenden Schulen aus Regio- nalschulen, Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. Der Weg zu dieser Ent- scheidung war folgerichtig und, betrachtet man die demografische Entwicklung unseres Landes, mittelfristig auch dringend geboten.Die Schülerzahlen sinken, im Augenblick noch relativ langsam. Aber wer sich die Zahlen aus den Standesämtern holt, spürt einen klaren Trend. In den Grund- schulen Schleswig-Holsteins hatten wir im Jahre 1998 den Höhepunkt erreicht mit 127.000 Schülerinnen und Schülern. Ab 2013 werden sie deutlich unter der 100.000-Marke liegen.Schulentwicklungsplanung, meine Damen und Herren, ist kein allzu schwieriges Geschäft. Die Kinder, die 2011 in die Grundschulen unseres Landes eingeschult -3-werden, sind bereits geboren; der Geburtsjahrgang 2005 rückt in der Regel im Jahre 2015 in die weiterführenden Schulen ein. Das ist also alles andere als Kaf- feesatzleserei, diese Prognosen sind sicher.Bundesweit werden wir in absehbarer Zeit 17 % weniger Schüler haben als heute. Das wird sich in Schleswig-Holstein ähnlich darstellen, allerdings mit sig- nifikanten Unterschieden in den Regionen. In den vier kreisfreien Städten wird die Verminderung der Jahrgangsstärken deutlich geringer ausfallen als in den meisten Landkreisen.Die Schulentwicklung im Bereich der Grundschulen ist ausgesprochen sicher zu prognostizieren. Für die weiterführenden Schulen sind dagegen dynamische Trends zu bewerten. Ein herausragender Aspekt ist hierbei, dass sich die meis- ten Eltern bei der Wahl der Schulart für ihre Kinder daran orientieren, dass sie zumindest einen gleichen, möglichst einen besseren Bildungsabschluss als den eigenen für ihre Sprösslinge wollen. Rund 50 % der Eltern wünschen sich als Schulabschluss für ihr Kind möglichst das Abitur, weitere 40 % mindestens die Mittlere Reife und nur 9% bundesweit den Hauptschulabschluss. 1990 wurde die Schulenwicklungsplanung erstmalig als gesetzliche Aufgabe der Schulträger ins Schulgesetz unseres Landes aufgenommen.Die Bildungsabschlüsse der Eltern unserer Schülerinnen und Schülern haben sich deutlich verändert. Während in den 60er Jahren mehr als 60 % der Bevölke- rung eine Volksschule besucht haben, erreichen seit einem Jahrzehnt mehr als 60 % der Schulabsolventen einen Realschulabschluss oder einen Schulab- schluss mit Hochschulzugangsberechtigung.Die Anteile der Schülerinnen und Schüler in den einzelnen Schularten sind in unserem Lande ausgesprochen unterschiedlich. -4-Anteile der Schülerinnen und Schüler an den weiterführenden Schulen - Landkreise in Prozent HauptschulenSL IZ RD NF RZ HEI PLÖ HL OH SE NMS KI PI FL OD 27,5 27,5 24,2 24,2 23,3 23,2 21,5 21 20,5 19,7 17,2 16 14,9 12,8 10,1 RealschulenSL IZ HEI NF PLÖ RD OH RZ SE PI HL KI OD NMS FL 38,4 37,4 37,4 37,2 36,6 34,7 34 32 31,8 26,7 23,1 23 22,7 20,3 13,4 GymnasienKI OD PI SE FL HL OH NMSPLÖ HEI NF RZ RD IZ SL 42,8 41,9 41 38,2 37,2 35,7 35,5 35 34,5 33,7 33,3 33 31 30 27,7 GesamtschulenFL NMS OD HL PI PI KI SE RZ RD OH 28,1 22,1 21,7 13,8 13,5 13,5 13,3 6,3 5,9 4,5 3,3Quelle: Bericht zur Unterichtsversorgung 2005/2006 - MBF/Tabelle 7Im Kreis Schleswig-Flensburg besuchen noch 27,5 % der Schülerinnen und Schüler die Hauptschulen, ebenso viele das Gymnasium und über 38 % die Re- alschulen.Im Kreis Stormarn sind hingegen 42 % der Schüler auf Gymnasien und nur noch jeder 10. Schüler auf der Hauptschule. Und die Realschule ist dort nach den Ge- samtschulen nur noch die dritte Kraft.Immer dann, wenn gymnasiale Angebote vorhanden sind, nehmen Eltern diese stark an, weil auch die Grundschulgutachten in diesen Regionen positiver ausfal- len als z.B. im eher ländlichen Raum.Die Einschätzung von Eltern ist deutlich; sie halten unser Schulsystem im We- sentlichen für nicht durchlässig. Ein Aufstieg in eine höhere Schule nach der Ori- entierungsstufe findet statistisch so gut wie nicht statt - das wissen wir spätes- -5-tens seit dem Rösner-Gutachten von 2004 -, genauso wenig wie der Einstieg ei- nes guten Realschülers in die Sekundarstufe II eines normalen Gymnasiums.Hieraus resultieren die starken Abweichungen von Elternwunsch und Grundschulgutachten. Im Hinblick auf die Elternakzeptanz der Hauptschule hat es mit Beginn des Schuljahres 2006/2007 einen deutlichen Einbruch bei den Anmeldezahlen gegeben. Das wird mit Sicherheit in den nächsten Jahren so weitergehen. Man könnte noch so viel in die Hauptschule investieren; sie würde doch langsam eingehen.In den 90er Jahren etablierten sich sehr „weiche“ Formen des Übergangs in die weiterführenden Schulen, denn jeder zusätzliche Schüler konnte zur Sicherung eines Schulangebotes beitragen, auch wenn er keine entsprechende Empfeh- lung aus der Grundschule mitbrachte, und er schuf einen Anteil einer Planstelle und einen Schülerkostenbeitrag, der von der Herkunftsgemeinde gezahlt wird. Manche Realschulen nahmen durchaus 30 % Hauptschulempfohlene auf.Die Gymnasien verhielten sich hier nicht anders; sie warben damit, dass man die „weniger qualifizierten“ Schulabschlüsse auch an diesen Schulen erwerben konnte. In meinem Landkreis haben seit vielen Jahren rund 28% der Sextaner, manchmal sogar mehr, eine Realschulempfehlung. In der 90er Jahren gab es Jahrgänge mit 40 % Realschulempfohlenen.Der Schritt zu verbundenen Systemen – Regionalschulen - ist genau der Weg, den wir brauchen, um unser Bildungssystem ortsnah und zukunftsfähig aus- zurichten. Auch in vielen anderen deutschen Flächenländern sind verbundene Schulen keine Seltenheit, sondern eher die Regel. Ausgangspunkte dafür sind hierbei in der Regel die Realschulstandorte. -6-Die Namengebungen dieser Schulen, die organisatorisch mit anderen Schularten verbunden sind, sind in der Bundesrepublik ausgesprochen vielfältig. Es gibt in Schleswig-Holstein derzeit 40 dieser verbundenen Schulen. Bei uns muss die Bezeichnung einer solchen Schule immer mit der „höchsten“ Schulart beginnen, sie heißen daher z.B. Realschulen mit Grund- und Hauptschulteil oder Realschu- len mit Hauptschulteil.Über die Ausgestaltung der Regionalschulen werden wir uns noch unterhalten. Eine Orientierung sind z.B. die Rahmenvorgaben für die Thüringer Regelschu- le. Dort heißt es: „Im Kurssystem der Regelschule werden die Schülerinnen und Schüler nur in den Fächern getrennt, in denen nach unterschiedlichen Anforde- rungsprofilen unterrichtet wird. Daneben besteht die Möglichkeit, ab Klasse 7 auf den Hauptschulabschluss oder Realschulabschluss bezogene Klassen einzurich- ten. Welche Organisationsform eingerichtet wird, entscheidet aber die jeweilige Schule nach regionalen und lokalen Gegebenheiten.“Für Thüringen bedeutet dieses, dass sechs Jahre lang gemeinsam unterrichtet wird und erst dann eine Differenzierung nach Leistungsgruppen angestrebt wird, und zwar in den Fächern Mathematik und in der 1. Fremdsprache ab Klasse 7, in Deutsch ab Klasse 8 und einer Naturwissenschaft ab Klasse 9.Ganz ähnlich ist das Konzept der Großen Koalitionen in Brandenburg und Sach- sen. Die Brandenburgische Oberschule fasst die Bereiche Hauptschule, Real- schule und Gesamtschule zusammen. In dieser Schule kann je nach regionalen oder lokalen Gegebenheit kooperativ unterrichtet werden oder integrativ mit Leis- tungsdifferenzierungen.Eltern wollen vermehrt offene Systeme. Das zeigt insbesondere die Akzeptanz kooperativer oder integrativer Schulsysteme. Würden wir allein im Einzugs- -7-gebiet der heutigen Gesamtschulen den Anmeldezahlen Rechnung tragen, müssten dort, wo es heute Gesamtschulen gibt, noch 17 weitere eingerichtet werden. Gesamtschulen gibt es in Schleswig-Holstein bis auf Trappenkamp nur in den verdichteten Räumen und deren Umfeld, sie sind bislang typische Stadt- teilschulen. In sechs der elf Landkreise gibt es überhaupt kein solches Angebot.Viele Vertreter der Gesamtschulen fühlen sich als Verlierer der Einigung der Koalition, quasi als Opfer für die Gemeinschaftsschule als Regelschule. Meine Fraktion sieht hingegen Chancen dieser Schulart, ein eigenständiges Profil zu entwickeln ohne die derzeit bestehenden Konkordanzen der unterschiedli- chen Anspruchsebenen und Kursbildungen, die notwendig waren, um die Bil- dungsabschlüsse der Gesamtschulen auch in anderen Bundesländern anzuer- kennen. Diese Vorgaben wurden insbesondere von Schülervertretern als negati- ver Aspekt betrachtet, der die Formen des gemeinsamen Lernens oft aus- schloss.Die Errichtung von Gemeinschaftsschulen wird den Schulträgern insbesondere in den ländlichen Regionen die Möglichkeit eröffnen, Bildungsgänge für alle Schulartabschlüsse hin anzubieten. Das wird auch die Standortqualitäten der ländlichen Regionen erheblich verbessern, wo, besonders im Norden, Angebote des gymnasialen Bildungsweges fehlen. Mit neuen Gemeinschaftsschulen im ländlichen Raum wird sich eine neue Form einer Schulfamilie in Schleswig- Holstein entwickeln können. Das ist für viele Vertreter der Gesamtschulidee immer als langfristiges Ziel formuliert worden.Die Schulträgerschaften werden neu gegliedert. Es ist üblich, dass es in ei- nem zentralen Ort zwar ein zusammenhängendes Schulzentrum von meh- reren Schule gibt, deren Trägerschaft aber sehr variiert. Die Grund- und Hauptschule ist in der Trägerschaft eines Schulverbandes mit den Umland- -8-oder Amtsgemeinden, die Realschule ist in der Trägerschaft des zentralen Ortes und das Gymnasium in der Trägerschaft des Kreises. Die benachbar- te Sonderschule, die in der Trägerschaft des Kreises sein müsste, kann dann noch im Rahmen von Aufgabenübertragung auf einen der freien Wohlfahrtsverbände übertragen werden. Keiner hat eigentlich mit dem an- deren etwas zu tun: die Schulverbandsversammlung ist eigenständig wie die Stadtvertretung für ihre Realschule und der Kreistag für sein Gymnasi- um.Nach den Regelungen des neuen Schulgesetzes wird es zukünftig Nahbe- reichs-Schulverbände geben. Da die Kreise die Trägerschaft allgemein bil- dender Schulen an diese Schulverbände abgeben werden, werden wir end- lich die Situation unterschiedlicher Träger in einem Schulstandort auf ei- nen einheitlichen Träger verändern können. Das wird dann endlich dazu beitragen, dass es in einem Schulstandort eine einheitliche Verantwortung für die verschiedenen Schulen geben wird. Auch das wird ein deutlicher Beitrag zur Entbürokratisierung sein.Das ist besonders wichtig für die notwendige Abstimmung der Schulentwick- lungsplanung, auch im Hinblick auf die raumökonomischen Planungen, denn das Schulraumvolumen im Land ist für eine weitaus größere Anzahl von Schülerin- nen und Schülern ausgelegt, als wir in den nächsten Jahren haben werden.Im Bereich der Beruflichen Bildung wird die Trägerschaft bei den Kreisen blei- ben. Die heutige Situation der 15 Schulträger der beruflichen Schulen halten meine Fraktion und ich für eher unbefriedigend. Kreistage und Gewerbeorgani- sationen klammern sich zu gern an die vorhandenen Strukturen. Kreisübergrei- fende Absprachen über die Fachklassenbildung oder die Bildung von Bezirks- fachklassen sind immer schwierig geblieben und meistens nur durch Intervention -9-der Schulaufsicht gelöst worden. Großkreise schaffen neue Perspektiven und Formen der Berufsbildungsplanung. Das kann nur im Interesse der Wirtschaft und der Wirtschaftverbände sein und wird auch hier zu einem Abbau von Büro- kratie beitragen.Gleichwohl muss auch der Schullastenausgleich neu organisiert und eben- so vereinfacht werden. Bislang ist seine Abwicklung ein echter bürokratischer Akt, der zweimal im Jahr auszuführen ist. Bislang, meine Damen und Herren, hat es mit der kommunalen Familie im Vorwege der Diskussion um das Schulgesetz keine Einigung über ein neues Verfahren gegeben. Lediglich die Einbeziehung der investiven Kosten in die Schulkostenbeiträge ist unstrittig. Ich möchte an die- ser Stelle für die Idee des Schülerkostenfonds werben.Wir werden das Gesetz nach seiner Überweisung in den Bildungsausschuss in einer Anhörung zur Debatte stellen, in die auch die Anträge von GRÜNEN und SSW sowie ein von uns noch nachzureichendes Antragspaket zur Regionalschu- le einbezogen werden sollen.