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01.12.06 , 10:31 Uhr
SPD

Ingrid Franzen zu TOP 43: Dem Opfer umfassend und schnell helfen

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 01.12.2006 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell
TOP 43 – Zweiter Opferschutzbericht (Drucksache 1075)
Ingrid Franzen
Dem Opfer umfassend und schnell helfen

Zu umfassender Hilfe für Opfer gehört neben dem Anspruch auf strafrechtliche Sankti- on auch die Geltendmachung von vermögensrechtlichen Ansprüchen, so Ingrind Fran- zen. Sie regt an, das Instrument des Adhäsionsverfahrens verstärkt einzusetzen, das nicht nur für das Opfer eine Entlastung ist, sondern auch der Justiz doppelte Befas- sung und damit Zeit und Geld erspart. Beim Täter-Opfer-Ausgleich wirken Täter und Opfer freiwillig zusammen unter der Moderation von Experten der Gerichts- und Ju- gendhilfe. Es geht um Interessenausgleich und dauerhaften Rechtsfrieden. Allerdings ist bei Kleinkriminalität, die meist im Strafbefehlverfahren, d.h. ohne öffentliche Ver- handlung entschieden wird, eine die zivilen Ansprüche des Opfers umfassende Rege- lung nicht zulässig. Ingrid Franzen fordert, dass das geändert wird.

Die Rede im Wortlaut:

das besondere an dem heute vorgelegten 2. Opferschutzbericht des Justizministers ist, dass der Bericht ohne parlamentarische Anforderung, d.h. freiwillig erstellt wurde. Dafür danke ich den beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ministeriums namens der SPD-Fraktion ganz besonders. Ich habe im Laufe meines politischen Le- bens eher die Erfahrung gemacht, dass Berichte als zusätzliche Belastung und eigent- lich unnötig bewertet wurden; also: Danke.

Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



Vor die Klammer des Gesamtthemas Opferschutz möchte ich folgende Feststellung ziehen: „Das Beste für die Menschen ist, gar nicht erst Opfer zu werden!“ Das bedeu- tet, Prävention zu betreiben. In Schleswig-Holstein wurde dieses Thema früh er- kannt. Als erstes Bundesland wurde im Oktober 1990 der „Rat für Kriminalitätsverhü- tung“ gegründet. Heute arbeiten in fast 90 Gemeinden und Städten entsprechende Gremien in unserem Land, sie vernetzen viele Fachleute und Themen vor Ort und sind ein großer Gewinn für unser Land. Ich möchte von dieser Stelle aus die Bürger und Bürgerinnen und Institutionen auffordern, die Erkenntnisse der Räte zu nutzen, um sich so sachkundig zu machen und besser vor Kriminalität zu schützen.

Doch nun zu den Opfern. Wen umfasst dieser Begriff eigentlich? Eine gute Definition lautet: „Opfer sind natürliche Personen, gegen die sich die mit Strafe bedrohte Hand- lung unmittelbar richtet.“ Wir hatten im Jahre 2005 in Schleswig-Holstein 36.326 Opfer von Straftaten, etwa 2/3 männlich, 1/3 weiblich. Das war innerhalb von 10 Jahren ein Anstieg um über 9.000 Personen. Opferschutz ist also keineswegs ein Thema am Rande.

Ein kurzer Blick in die Historie zeigt, dass der Staat sich lange Zeit ausschließlich als Aufklärungs- und Strafinstanz für den Täter gesehen hat. Erst vor ca. 20 Jahren be- gannen die Kriminalpolitik, die Strafrechtspflege und die Rechtswissenschaften damit, dem Opfer im Strafverfahren verstärkt Aufmerksamkeit zu widmen. Darüber gibt der Bericht umfassend Auskunft. Ich möchte das an einigen Beispielen darstellen. Dabei will ich Ihnen nicht die Gesetze und einzelnen Paragraphen aufzählen, sondern die Regelungen danach beleuchten, was sie dem Betroffenen und Beteiligten für Vor- teile bringen.

Zunächst aus Sicht des Opfers. Wir müssen davon ausgehen, dass bei unseren Bür- gern keine Grundkenntnisse über Opferschutz vorhanden sind, denn jeder hofft und geht davon aus, niemals Opfer zu werden. Da die Rechte des Opfers inzwischen um- -3-



fänglich und an sehr verschiedenen Stellen geregelt sind, tut Aufklärung Not. Das ge- schieht gleich zu Beginn mit einem Merkblatt. Ich freue mich, dass der Justizminister uns das „Merkblatt über Rechte von Verletzten und Geschädigten im Strafverfahren“, so heißt das Ding, an den Bericht angehängt hat. Es ist gut gegliedert und lesbar. Wenn doch auch unsere Gesetze und Urteile so wäre!!!

Besonders hervorheben möchte ich den Schutz des Opfers vor und im laufenden Strafverfahren. Die Wiederbegegnung mit dem Täter, die Öffentlichkeit, insbesondere die Presse darf die Menschen nicht erneut zum Opfer machen. Aber die Zeugenaus- sagen sind im Strafprozess oft unverzichtbar, können das wichtigste Beweismittel sein. Außerdem gilt in unseren Strafprozessen die „Unmittelbarkeit der Beweisaufnah- me“. Das bedeutet, nur was unmittelbar und größtenteils auch öffentlich in der Haupt- verhandlung vorgetragen wird, kann Bestandteil des Verfahrens und des Urteils sein. Ein guter, demokratischer und unverzichtbarer Grundsatz, den man auch nicht gegen den Opferschutz ausspielen darf.

Denn es gibt andere Möglichkeiten, das Opfer im Hauptverfahren zu schützen. In Schleswig-Holstein wurden schon in den 90er Jahren Zeugenschutz- und Zeugen- begleitprogramme entwickelt. Zunächst bezogen sie Kinder und Jugendliche ein, die Opfer sexuellen Missbrauchs geworden waren, später wurden sie auch auf Frauen er- weitert, die Opfer von Gewaltstraftaten sind.

Auch durch bauliche Maßnahmen, wie z.B. gesonderte Zeugenzimmer, wird die be- lastende, unmittelbare Begegnung mit dem Täter verringert. Als besonders hilf- reich haben sich offensichtlich Videoaufnahmen zur Vermeidung von Mehrfachaussa- gen entwickelt. Seit 1994 wurden durch die Polizei ca. 5.700 Zeugenvernehmungen per Video dokumentiert. Das ist Opferschutz und ich danke der Polizei für diese Maß- nahme. -4-



Genauso wichtig wie Information über Rechte und Schutz im Hauptverfahren finde ich das Bestreben, dem Opfer umfassend zu helfen. Damit meine ich, neben dem An- spruch auf strafrechtliche Sanktion auch die Geltendmachung von vermögens- rechtlichen Ansprüchen wie Vermögensschäden und Schmerzensgeld. Auch hier ist es so, dass der berühmte Otto-Normalverbraucher nicht weiß und nicht wissen muss, dass dafür zwei ganz verschiedene Gerichte zuständig sind, die Straf- und die Zivilgerichtsbarkeit. Für die Justiz ist das Selbstverständlich, darauf beruht der Aufbau der Gerichte, es gelten völlig verschiedene Prozessregeln.

Aber, das Opfer möchte nur ein Mal durch so ein Verfahren gehen müssen, braucht schnelle und umfassende Entscheidungen, um von der Tat Abstand zu gewinnen, um möglichst wieder ins normale Leben zurückkehren zu können. Hierfür gibt es nun das Instrument des Adhäsionsverfahrens. Das bedeutet, dass konzentriert im Strafverfahren neben der strafrechtlichen Sanktion durch Urteil oder Vergleich auch über die vermögensrechtlichen Dinge und Schmer- zengeld gleich mit entschieden werden kann. Das im Strafprozess geltende Amtser- mittlungsverfahren kann für das Opfer sogar günstiger sein.

Sie merken, ich bin eine Befürworterin dieser Regelung. Leider ist das in der Justiz noch nicht sehr weit verbreitet. Denn der Bericht weist aus: 2005 wurden vor Amtsge- richten 404 Fälle, vor Landgerichten 37 Fälle in Schleswig-Holstein so erledigt. Leider steht hier keine Relation zur Gesamtzahl der Verfahren, aber aufgrund der hohen Op- ferzahlen lässt sich unschwer erkennen: hier sind wir erst in den Kinderschuhen. Der Innen- und Rechtsausschuss sollte hier mal nachhaken. Denn Adhäsionsverfahren sind nicht nur für das Opfer eine Entlastung, auch die Justiz könnte sich doppelte Be- fassung und damit Zeit und Geld für Wichtigeres sparen.

Eine deutlich bessere Bilanz kann ein anderes Instrument aufwiesen: der Täter-Opfer- Ausgleich. Hier wirken Täter und Opfer freiwillig zusammen unter der Moderation von -5-



Experten der Gerichts- und Jugendhilfe. Es geht um Interessenausgleich, dauerhaften Rechtsfrieden und für den Täter auch um die Möglichkeit, dass die Schadenswieder- gutmachung als strafmildernd gewertet werden kann.

Die mittelschwere Kriminalität ist zum Hauptanwendungsbereich geworden, z.B. ma- chen Körperverletzung, Raub- und Erpressung 47 % der Täter Opfer Ausgleichsver- fahren aus. In Schleswig-Holstein wurden im Jahr 2005 insgesamt 1.163 Fälle an die Ausgleichsstellen überwiesen – und hoffentlich auch erfolgreich beendet!? Die Durch- schnittsdauer beträgt: 5½ Wochen, das ist sehr kurz im Verhältnis zur Dauer eines normalen Straf- und oft noch gesondert nötigen Zivilverfahrens. Dafür zahlte der Lan- deshaushalt an die freien Träger 294.000 €, gut angelegtes Geld, das übrigens auch zu Freiräumen in der Strafjustiz führt, die wir dringend brauchen.

Der vorliegende Bericht legt umfassend die aktuelle Gesetzeslage und die Zuständig- keiten für die Umsetzung dar. Neben Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten sind das nach dem Subsidiaritätsprinzip aber auch eine Vielzahl von Verbänden und Verei- nen. Davon möchte ich einige benennen: Die 23 Frauenberatungsstellen im Land haben einen Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Bekämpfung der häuslichen Gewalt. Sie sind deshalb unter anderem fest verankert bei dem Zeugenbegleitprogramm für Opfer von Sexual- und Gewaltstraftaten und Men- schenhandel. Mit einer „Helpline“ sind sie fast rund um die Uhr erreichbar. Ihnen gilt mein ausdrücklicher Dank!

Vorbeugenden Opferschutz ist besonders wichtig bei Kindern und Jugendlichen, wir diskutieren darüber oft im Landtag. Die Kinderschutz-Zentren in Lübeck, Kiel und an der Westküste, der Kinderschutzbund und viele weitere Beteiligte leisten hier wichtige und unverzichtbare Arbeit. Beispielhaft nenne ich Elternkurse „Starke Eltern - Starke Kinder“. Erzieherinnen und Lehrerinnen berichten mit großen Sorgen von der Notwen- digkeit, Eltern anzusprechen und zu aktivieren. -6-



Abschließend möchte ich auf die größte Interessenvertretung für Opfer von Strafta- ten hinweisen, den „Weißen Ring“ Seit 30 Jahren engagieren sich die Mitglieder die- ser Organisation bundesweit und in allen Ländern für den Opferschutz und die Präven- tion. Sie finanzieren sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Vermächtnissen und Geld- bußen, also nicht aus staatlichen Geldern. Mit hohem persönlichen Engagement und Zeitaufwand begleiten sie die Opfer bei der Umsetzung ihrer Rechte und in ihrem per- sönlichen Leid.

Eines ihrer Ziele ist, die Gleichgültigkeit und die Hilflosigkeit des Umfeldes bei Straftaten zu verändern. Dazu zeigte der Weiße Ring Schleswig-Holstein hier im Landeshaus und in Dithmarschen die Wanderausstellung „Opfer“. Sie wurde von Stu- denten der Bauhaus Universität Weimar erstellt und widmet sich den Opfern von Ge- walt und Missbrauch unter dem Motto: „Wer wegsieht lässt Opfer im Stich“. Alle Eröff- nungen waren sehr gut besucht, wie auch die Ausstellungen selber, insbesondere auch von Schulklassen. Neuer Landesbeauftragter des Weißen Ringes Schleswig- Holstein ist unser ehemaliger Kollege, der Landtagspräsident a.D. Heinz-Werner A- rens. Ich gratuliere ihm hierzu auch von dieser Stelle aus herzlich und wünsche ihm viel Erfolg in diesem neuen Betätigungsfeld.

Abschließend möchte ich kurz zusammenfassen, wo wir stehen im Opferschutz und was noch verbessert werden kann. Die gesetzlichen Regelungen sind inzwischen wohl weitestgehend erstellt.

Auf eine Ausnahme weist der Bericht uns aber hin. Im Bereich der sogenannten Klein- kriminalität, die meist im Strafbefehlverfahren, d.h. ohne öffentliche Verhandlung ent- schieden wird, ist eine die zivilen Ansprüche des Opfers umfassende Regelung nicht zulässig. Besonders grotesk ist dabei, dass entsprechende Auflagen bei der Einstel- lung des Verfahrens getroffen werden können. Hier muss eine gesetzliche Öffnung er- -7-



folgen. Die SPD-Fraktion unterstützt den Minister bei einer entsprechenden Initiative gerne.

Ansonsten geht es beim Opferschutz wohl eher darum, alle Möglichkeiten noch kon- sequenter zu nutzen und die diversen Angebote zu vernetzen um die Effizienz zu er- höhen. Das allen gemeinsame Ziel muss dabei sein, dem Opfer umfassend und schnell zu helfen. Ich bin zuversichtlich, dass Schleswig-Holstein dabei auf einem gu- ten Weg ist.

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