Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

13.12.06 , 10:48 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum Rat für Klimafragen

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 14 – Rat für Klimafragen Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Dazu sagt der Vorsitzende Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Telefax: 0431/988-1501 Karl-Martin Hentschel: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 519.06 / 13.12.06



Der Klimawandel ist da - wir müssen jetzt handeln!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
im Ältestenrat tauchte die Frage auf, ob dieser Tagesordnungspunkt es verdient hat, zur Prime-Time um 10.00 Uhr vormittags behandelt zu werden. Oder sind aktuelle Diskussi- onen über Ladenschluss, Autobahnbau oder Gesundheitswesen nicht viel wichtiger?
Gestatten Sie, dass ich die Frage schlicht so beantworte: Ein Abschmelzen von Grönland hebt den Meeresspiegel um zirka sieben Meter. Dann liegt die Nordseeküste bei Rends- burg.
Ein Abschmelzen der Antarktis hebt den Meeresspiegel um über 80 Meter, dann liegt die Nordseeküste bei Hannover. Dazu muss es nicht kommen.
Aber dazu kann es kommen, wenn wir nicht bereit sind, den Tatsachen ins Auge zu se- hen. Dann können wir uns Diskussionen über den Ladenschluss sparen, könnten den Autobahnbau in der norddeutschen Tiefebene einstellen und sollten den neuen Tiefsee- hafen statt in Wilhelmshaven lieber gleich in Hannover bauen.
30 Jahre lang wurden die Prognosen über den Klimawandel bestritten, belächelt und be- kämpft. Ganze wissenschaftliche Institute wurden von der Mineralölindustrie und der Au- toindustrie finanziert, um das Gegenteil zu beweisen.
Heute wissen wir: Der Klimawandel hat begonnen!
1/4 Woche für Woche erreichen uns neue Meldungen über das Abschmelzen des arktischen Eises, den weltweiten Schwund der Gletscher, den Anstieg des Meeresspiegels, die deutliche Erwärmung der Nordsee, die Verschiebung von Vegetationszonen. Stürme, Überschwemmungen und Dürreperioden sind nur einige der schlimmsten Konsequen- zen.
Vor dreißig Jahren erschien das berühmte Buch „Grenzen des Wachstum“, das auch mich damals von der Bedeutung der Ökologie überzeugte. Dieses Jahr erschien ein Up- date dieses Buches. Die Autoren stellen fest, dass sich die Prognosen von 1972 bislang weitgehend bestätigt haben.
Für die Zukunft sagen die Prognosen: Wenn wir so weitermachen, wird noch in diesem Jahrhundert zum Kollaps der Weltökonomie kommen – am wahrscheinlichsten zwischen 2020 und 2080. Denn die Kosten für Energie, für Schutzmaßnahmen und für die Be- kämpfung von Klimaschäden werden nicht mehr zu finanzieren sein.
Können wir die Klimaveränderung noch verhindern? Die Antwort ist Nein. Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts ist die Entwicklung bereits programmiert, weil das Klima träge, aber unaufhaltsam reagiert.
Aber wir können die Veränderung verlangsamen und schließlich stoppen. Mit wirksamen Anstrengungen zur Begrenzung der Emissionen ist das Klima ab 2050 noch beeinfluss- bar.
Die nächste Frage, die immer gestellt wird, ist aber: Können wir das bezahlen? Wird es nicht viel zu teuer, wenn wir vollständig auf regenerative Energien umsteigen, wenn wir nur noch Nullenergie-Häuser bauen und Zero-Emission-Cars fahren?
Die Antwort darauf gibt uns der im Auftrag der britischen Regierung im Oktober dieses Jahres veröffentlichte Klimabericht des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Sir Nicho- las Stern. Sir Nicholas Stern berechnet die drohenden Schäden durch den Klimawandel auf fünf bis zwanzig Prozent der globalen Wirtschaftsleistung.
Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Der Nutzen einer aktiven Klimapolitik übersteigt die Kosten des Nichtstuns um ein Vielfaches. Eine anspruchsvolle Klimapolitik verhindert das ökonomische Desaster.
Ja, sie kann sogar zu einem Boom von neuen Wirtschaftszweigen und zu vielen tausen- den von Arbeitsplätzen führen, wenn diese Politik rechtzeitig in Angriff genommen wird.
Die Frage: Können wir uns Klimaschutz leisten, war also falsch gestellt.
Wirksamer Klimaschutz ist eine Erfolgsstrategie. Ökologie und Ökonomie arbeiten Hand in Hand. Das ist kein einsames Grünes Credo mehr, plötzlich haben wir viele Verbünde- te.
Was ist zu tun? Notwendig ist schnelles Handeln mit zwei Zielsetzungen: Einerseits muss der Ausstoß von Treibhausgasen vermindert werden. Andererseits müssen wir uns auf den trotzdem stattfindenden Klimawandel einstellen, um seine sozialen, wirtschaftli- chen und ökologischen Folgen steuern zu können.
Deshalb stellen wir den vorliegenden Antrag. Aufgabe Nummer eins verlangt von uns, die Erwärmung der Erdoberfläche unter der kri- tischen Grenze von zirka zwei Grad Celsius über dem Niveau zu Beginn der Industriali- sierung zu halten. Nach Einschätzung unterschiedlicher Klimaforscher besteht dafür noch ein Handlungsspielraum von etwa zehn Jahren. Ziel sollte sein, die Treibhausgasemissionen, also vor allem CO2, Methan und Disticko- xid, bis 2020 um mindestens 25 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent zu mindern.
Wer das ernst meint, der darf in Schleswig-Holstein keine neuen Kohlekraftwerke bauen. Ein Kohlekraftwerk, das 2010 ans Netz geht wird noch in der zweiten Hälfte dieses Jahr- hunderts Importkohle verbrennen.
Aktuell gibt es Planungen für drei neue Kohlekraftwerke in Schleswig-Holstein, in Bruns- büttel ein 800 MW-Kraftwerk von Electrabel und zwei 800 MW-Blöcke von SüdWest und in Kiel ein 1.100 MW-Kraftwerk von e.on auf dem Kieler Ostufer. Das ist klimapolitisch inakzeptabel.
Aber die Landesregierung muss auch über den Bundesrat handeln. Die von Bundesum- weltminister Sigmar Gabriel an die EU gemeldeten Allokationspläne sind von der Kom- mission zurückgewiesen worden. Eine schwere Schlappe.
Gabriel will Kohlekraftwerken doppelt so viele Emissionsrechte geben wie Gaskraftwer- ken, das ist kein Anreiz CO2 einzusparen.
Die Bundesregierung hat nun einen Klimaschutzbeauftragten berufen: Den Chef des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall, Lars G. Josefsson. Es ist Realsatire, wenn Frau Merkel beim Klimaschutz nicht mehr auf ihre Sachverständigenräte hören will, son- dern auf einen Konzernchef, der für den Abbau und die Verstromung von Braunkohle, dem klimaschädlichsten Energieträger überhaupt, steht.
Unsere zweite Aufgabe ist die Anpassung an den bereits stattfindenden Klimawandel. Dies betrifft die Bereiche Landwirtschaft, Energiewirtschaft, Verkehr und Schifffahrt sowie Tourismus und Gesundheitsvorsorge. Auch die Immobilienwirtschaft ist betroffen.
Das arktische Meer könnte schon in wenigen Jahrzehnten zur Sommerzeit eisfrei sein und Schiffsrouten von Europa nach Asien führen über den Pol.
Im Gesundheitswesen können bei Hitzewellen Warnsysteme und Notfallpläne die Arbeit in den Krankenhäusern und Altenheimen vereinfachen.
Die Land- und Forstwirtschaft wird sich verstärkt auf den Anbau von Pflanzen einstellen müssen, die geänderten Temperaturen und Niederschlägen angepasst sind.
Der Ausbau von Hochwasserdeiche an der Elbe muss abgestimmt werden, sonst kann sich jeder an drei Fingern abzählen, welches Bundesland der Dumme bei einer kom- menden Sturmflut ist.
Um all diese Aufgaben in Angriff zu nehmen, sollte ein Sachverständigenrat gebildet werden, der die Fachkompetenz aus den betroffenen gesellschaftlichen Bereichen ver- sammelt. Seine Aufgabe ist es, wirksame Schritte zur Minderung des Ausstoßes vorzuschlagen, die Auswirkungen des Klimawandels für Norddeutschland darzustellen und Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zu erarbeiten.
Dass hier die Nachbarländer mit einzubeziehen sind, liegt allein schon wegen des Küs- tenschutzes auf der Hand.
Sie alle kennen den berühmten Ausspruch von Michael Gorbatschow: “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“
Damit uns das nicht auch passiert, deshalb haben wir diesen Antrag vorgelegt. Ich hoffe auf eine breite Unterstützung in diesem Hause.
***

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen