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Dr. Henning Höppner zu TOP 2: Mit neuem Schulgesetz mehr gemeinsames Lernen und mehr Förderung
Sozialdemokratischer Informationsbrief Kiel, 24.01.2007 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 2 – Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens (Drucksachen 16/1000, 16/1029, 16/1031, 16/1037, 16/1180)Dr. Henning Höppner:Mit neuem Schulgesetz mehr gemeinsames Lernen und mehr FörderungDas neue Schulgesetz sei kein rotes oder schwarzes Schulgesetz, denn beide Koalitions- partner hätten hier den längsten Weg aufeinander zu zurückgelegt, so Dr. Henning Höppner in seinem Redebeitrag. Das neue Schulgesetz gebe die wichtigen Antworten auf die Prob- leme und die Entwicklungen in unserem Schulsystem. Damit könnten Begabungsreserven ausgeschöpft werden. Die Haupt- und Realschule wird durch die neue Regionalschule er- setzt, Gemeinschaftsschulen treten an Stelle von Gesamtschulen und können überall dort entstehen, wo Schulträger dies wünschen. Individuelle Förderung, verbunden mit der Um- setzung von Standards, werden dafür sorgen, dass mehr Schüler einen höheren Bildungs- abschluss erreichen und dass die Zahl der Jugendlichen ohne Abschluss auf ein Minimum zurückgeht, erläutert Höppner. Das Gymnasium wird von bisher neun auf künftig acht Jahre umgestellt. Standards des Abiturs werden durch Profiloberstufe und Zentralabitur gestärkt. Allzu kleine Schulen haben künftig keinen Bestandsschutz, aber die Möglichkeit, sich mit mehreren Standorten zu einer Schule zusammenzuschließen. Insgesamt, so der Redner, markiert das neue Schulgesetz eine Zäsur für mehr gemeinsames Lernen und mehr Förde- rung.Die Rede im Wortlaut: Schleswig- HolsteinHerausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-Schleswig-Holstein bekommt heute ein neues Schulgesetz. Es war eine richtige Entschei- dung, das Schulgesetz von 1990, das kaum noch zu zählende große und kleine Novellie- rungen durchlaufen hat, nicht nochmals zu überarbeiten, sondern durch ein grundsätzlich neues Gesetz die Zäsur deutlich zu machen, vor der unser Schulsystem steht. Es ist ein gu- tes Schulgesetz geworden, die wichtigen Antworten auf die Probleme und die Entwicklungen in unserem Schul- system gibt Wenige Gesetze in der Geschichte unseres Landes wurden so zeitaufwändig und so inten- siv beraten wie das neue Schulgesetz. Die ersten Eckwerte haben wir in den Koalitionsver- handlungen zwischen CDU und SPD im Frühjahr 2005 beschlossen, und die letzten Bera- tungen auf Arbeitskreisebene haben wenige Tage vor der Beschlussfassung im Ausschuss stattgefunden. Ich bedanke mich bei unserer Bildungsministerin, ihrem Staatssekretär und den Mitarbeitern des Ministeriums, aber auch bei den Mitgliedern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der bildungspolitischen Arbeitskreise unserer beiden Fraktionen für eine kaum mehr zu zählende Abfolge von Gesprächen und Verhandlungen, die wir alle mit dem festen Willen zur Einigung geführt haben.Die Befürchtungen und Hoffnungen, der Streit um das Schulgesetz könne zum Stolperstein für diese Koalition werden, haben sich in Luft aufgelöst. Die Schulpolitik war vielleicht das Politikfeld, auf dem CDU und SPD nach dem Wahlkampf den längsten Weg aufeinan- der zu zurückzulegen hatten. Wir standen vor der Herausforderung, zu einem Ergebnis zu kommen, in dem sich beide Seiten wieder finden können.Das Ergebnis ist gelungen. Dies ist kein rotes und kein schwarzes Schulgesetz, aber es ist ein gutes Schulgesetz geworden. Es ist ein gutes Schulgesetz, weil es nach unserer Auffas- sung die wichtigen Antworten auf die Probleme und die Entwicklungen in unserem Schulsystem gibt. -3-Aus zwei Gründen haben wir grundlegende Veränderungen unseres Schulwesens eingelei- tet: Zum einen schöpfen wir bisher die Begabungsreserven nicht aus, weil die soziale Her- kunft, aber nicht die Begabung entscheidend für den künftigen Bildungsweg und damit für die künftigen sozialen Chancen eines Kindes ist.Zum zweiten nimmt der Geburtenrückgang den Druck vom Land, ständig neue Lehrerstellen allein dazu nachschießen zu müssen, um die Unterrichtsversorgung auf dem bisherigen Ni- veau zu halten, und er stellt auch die kommunalen Schulträger vor eine neue Lage bei der Schulentwicklungsplanung. Viele sehr kleine Schulen können auf die Dauer nicht mehr bildungsökonomisch sinnvoll selbständig bleiben.Wir wollen mit der Mentalität brechen, es liege im Interesse des Kindes, noch ein Jahr auf die Weide gestellt zu werden, bevor es in die Schule muss. Die Rückstellung schulpflich- tiger Kinder muss zum absoluten Ausnahmefall werden. Und sie darf künftig nicht mehr mit unzureichenden Deutschkenntnissen begründet werden: Kinder, die nicht genug Deutsch können, um am Unterricht teilnehmen zu können, müssen bereits vor der Einschu- lung sprachlich gefördert werden – das gilt nicht nur für Kinder aus Migrantenfamilien.Wir wollen die Vernetzung der Bildungseinrichtungen vorantreiben. In der Sprachförde- rung müssen die Kindertageseinrichtungen eng mit den Grundschulen zusammenarbeiten. Die Grundschulen, die Förderzentren und die Schulen der Sekundarstufe I müssen ihre An- strengungen bei der Förderung koordinieren. Und Berufliche Schulen, die sich zu Regiona- len Berufsbildungszentren weiterentwickeln, übernehmen eigenständige Aufgaben in der Weiterbildung, mit weit reichenden Folgen für ihre innere Verfassung.Wir wollen die die wichtigen Antworten auf die Probleme und die Entwicklungen in un- serem Schulsystem gibt. Die Frage der Versetzung wird sich nicht mehr nach jedem ein- zelnen Schuljahr stellen, und es wird Nachprüfungen und Versetzungen auf Probe geben. -4-Wir werden die Gemeinschaftsschule nicht als zusätzliche Form der allgemein bildenden Schulen neben Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Integrierte und Kooperative Gesamt- schule stellen. Das neue Schulgesetz beschreibt das Schulsystem so, wie es spätestens mit Beginn des Schuljahres 2010/2011 aussehen wird. Die Hauptschulen und die Realschu- len werden dann der Vergangenheit angehören und so, wie es bereits in einer Reihe von anderen Bundesländern der Fall ist, durch die Regionalschule ersetzt werden.Auch die Gesamtschule in ihrer bisherigen Form wird es dann nicht mehr geben; an ihre Stelle wird die Gemeinschaftsschule treten, die jedoch nicht ausschließlich dort entste- hen soll und wird, wo bisher Gesamtschulen existieren, sondern überall dort, wo sich der Schulträger für diesen Weg entscheidet und wo er mit den Rahmenbedingungen der Schulentwicklungsplanung vereinbar ist. Das lässt den Schulträgern eine Übergangsfrist von drei Jahren, in denen sie entscheiden und beantragen können, auch andere Wege zu gehen.Wir alle wissen, dass eine so grundlegende Umgestaltung auf Sorgen und Ängste stößt. Je- der von uns ist mit dem traditionellen Schulwesen aufgewachsen und wurde als Zehnjähri- ger auf die Hauptschule, die Realschule oder das Gymnasium verteilt und musste an Klas- senkameraden oder gar an sich selbst die Erfahrung machen, dass das Absteigen sehr viel leichter war als das Aufsteigen.Das Bildungsministerium hat in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Maßnahmen er- griffen, um die Hauptschule zu stärken. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass diese Schulform keine Zukunft mehr hat. Ihre Absolventen sind längst die Verlierer im Verdrän- gungswettbewerb am Arbeitsmarkt.Die Regionalschule wird künftig dafür verantwortlich sein, die Begabungsreserven auszuschöpfen. Und ich bin davon überzeugt, dass die befürchtete Verschlechterung der -5-bisherigen Realschulausbildung nicht eintreten wird. Individuelle Förderung, verbunden mit der Umsetzung von Standards, wie sie von der Kultusministerkonferenz definiert werden, werden dafür sorgen, dass mehr Schüler einen höheren Bildungsabschluss erreichen und dass die Zahl der Jugendlichen ohne Abschluss auf ein Minimum zurückgeht.Denn darüber sind wir uns alle einig: Ohne Abschluss hat man am Arbeitsmarkt keine Chancen. Auch für diese Jugendlichen wird es an den berufsbildenden Schulen Möglichkei- ten geben, Abschlüsse nachzuholen.Es wird auf die Schulträger ankommen, ob sie den Weg der Umwandlung ihrer weiterfüh- renden Schulen zu Regionalschulen gehen wollen oder ob sie sich für Gemeinschaftsschu- len entscheiden. Für viele Schulträger werden das gymnasiale Bildungsangebot und die Möglichkeit einer gymnasialen Oberstufe dabei besonders attraktiv sein.Auch das Gymnasium wird sich stärker um die Förderung des Einzelnen bemühen müssen und Möglichkeiten dafür schaffen, dass auch Schülerinnen und Schüler, die ab- sehbar das Abitur nicht erreichen werden, einen anderen Schulabschluss erwerben.Wir wissen, dass die Umstellung des Gymnasiums von bisher neun auf künftig acht Jahre für die Lehrer und besonders für die Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung dar- stellt. Wir folgen hier einer unaufhaltsamen Entwicklung, und es wäre unverantwortbar, wenn wir junge Menschen aus unserem Bundesland ein Jahr später als ihre Altersgenossen an die Hochschulen und auf den Arbeitsmarkt entlassen würden. Es wird bei einer dreijäh- rigen Oberstufe bleiben; die Straffungen ergeben sich in den Jahren davor.Wir haben aufgrund der Festlegungen in der KMK keinen Spielraum dafür, den gesamten Lehrstoff des Gymnasiums einfach um ein Neuntel zu reduzieren. Viele Schulen werden im Rahmen ihrer Eigenverantwortung beschließen, mehr Unterricht als bisher am Nachmittag und am Sonnabend zu erteilen. -6-Ich will nicht verschweigen, dass dies nicht ohne Risiken ist. Wenn wir die Selektivität unse- res Schulwesens abbauen wollen, dürfen wir sie in den Gymnasien nicht durch permanente Überforderung verschärfen. Wir werden uns also genau ansehen müssen, ob das neue achtjährige Gymnasium dem Scheitern in der Schule entgegenwirkt oder es sogar verstärkt. Ich bin aber optimistisch, dass sich auch hier die Befürchtungen nicht bewahrhei- ten werden. Die Gymnasien werden wie alle Schulen Nachprüfungen und Probeversetzun- gen einführen.Die Standards des Abiturs werden durch Profiloberstufe und Zentralabitur gestärkt. Wir wissen, dass dies auf Vorbehalte stößt. Es nützt aber niemandem, wenn das bisherige Kurssystem zwar eine große Zahl an theoretischen Wahlmöglichkeiten vorhält, sie aber in der Praxis daran scheitern, dass die Wahlkurse nicht zustande kommen. Auch weiterhin werden die Schüler Schwerpunkte bilden können. Wenn wir Abschlussprüfungen mit zentra- len Elementen an allen Schulen einführen, muss das auch für die Gymnasien gelten; auch hier folgen wir im Übrigen einem bundesweiten Trend. Denn wir können es uns nicht leisten, die Zahl der Abiturienten in Deutschland und in Schleswig-Holstein weiter zu senken. Im in- ternationalen Vergleich beenden viel zu wenige Schüler ihre Schulzeit mit dem Erwerb der Hochschulreife.Das Problem eines Kopftuchverbots wurde in wohl allen Parteien kontrovers erörtert. Wir haben uns im Hinblick auf höchstrichterliche Entscheidungen dazu entschlossen, weder ein explizites Kopftuchverbot noch eines für religiöse Kleidungsstücke und andere Sym- bole festzuschreiben. Für uns Sozialdemokraten ist es wichtig, die Muslime nicht unter ir- gendeinen Generalverdacht zu stellen. Entscheidend wird sein, ob jemand seine Verantwor- tung als Lehrer dazu missbraucht, den Schülern seine persönlichen Wertmaßstäbe aufzu- drängen, die nicht durch den Auftrag der Schulen gedeckt sind. -7-Wir folgen dem Wunsch der Privatschulen nach einer erneuten Verkürzung der Wartefrist bis zum Einsetzen der Bezuschussung auf zwei Jahre. Das Ansinnen des SSW, die Kreise zur Erstattung der Schülerbeförderungskosten in Höhe von zwei Dritteln der jeweils anfal- lenden Durchschnittssätze zu verpflichten, stößt nach unserer Einschätzung auf die Konne- xität und den Gleichbehandlungsanspruch der deutschen Privatschulen. Die damit verbun- denen 4 Mio. Euro haben wir nicht. Wir fördern die dänischen Schulen bereits auf einem wesentlich höheren Niveau als die deutschen Privatschulen; das ist auch richtig so, a- ber es gibt nach allgemeiner rechtlicher Auffassung Grenzen der Ungleichbehandlung.Für die Schulträger, also in erster Linie die Gemeinden, ist es wichtig, dass allzu kleine Schulen künftig keinen Bestandsschutz haben, dass es aber die Möglichkeit gibt, mehrere Standorte zu einer Schule zusammenzuschließen. Die vorgesehenen Mindest- größen von 80 Schülern für Grundschulen, von 240 Schülern für Regionalschulen, von 300 Schülern für Gymnasien und Gemeinschaftsschulen sind sinnvoll und lassen der Schulent- wicklungsplanung ausreichend Spielraum. Niemand muss befürchten, dass seine Kinder künftig einen unzumutbar langen Schulweg hinter sich bringen müssen.Das neue Schulgesetz beschreibt eine umfassende Reformperspektive. Diese Reformen sind nicht automatisch umgesetzt, weil ein neues Gesetz in Kraft tritt. Reformen sind Pro- zesse, die von den Betroffenen gestaltet werden müssen, von Schülern, Lehrern und El- tern.Wir wissen, dass die Zumutungen, die wir den Lehrern wie allen Beamten auferlegen muss- ten, indem wir von ihnen Mehrarbeit verlangen und zugleich die Sonderzahlungen empfind- lich kürzen, Enttäuschungen und Frustrationen verursacht haben und nicht dazu angetan waren, die Motivation zu erhöhen.Dennoch bitte ich Sie alle, Ihre Enttäuschung über eine Maßnahme der Regierung und des Landtags nicht an den Schülerinnen und Schülern auszulassen. Sie alle haben diesen Beruf -8-ergriffen, um junge Menschen auf ein möglichst erfolgreiches Leben vorzubereiten. Bei aller Uneinigkeit über die richtigen Maßnahmen gehe ich davon aus, dass wir uns in dem Ziel ei- nig sind, die Chancen der jungen Menschen zu verbessern und ihr Scheitern zu verhindern.Das Land nutzt die zurückgehenden Schülerzahlen nicht dazu, den Haushalt durch die Streichung von Lehrerstellen zu sanieren. Wir haben vor wenigen Wochen mit dem Doppel- haushalt beschlossen, 2007 155 neue Lehrerstellen an die Schulen zu geben, 2008 weite- re 70.Die Reformen, auf die sich CDU und SPD verständigt haben, sind kein Selbstzweck; ein Schulgesetz, das von einer Großen Koalition vorgelegt wird, steht gewiss nicht im Verdacht, die Umsetzung konservativer oder progressiver Ideologien zu sein.Es hat Anhörungsverfahren durch das Ministerium und im Bildungsausschuss gegeben, und es hat sich, wie nicht anders zu erwarten, gezeigt, dass die Standpunkte der Verbände und Institutionen äußerst heterogen waren. Die Koalitionsfraktionen haben über 80 Än- derungsanträge eingebracht; diese Zahl spricht dafür, dass wir die Bedenken sehr ernst ge- nommen haben. Wegen der dadurch entstandenen Lücken in der Paragraphenfolge war es sinnvoll, den Text kurzfristig zu überarbeiten und über die Fraktionen neu einzubringen; ich bitte Sie um Verständnis für dieses unübliche Verfahren.Dieses neue Schulgesetz markiert eine Zäsur für mehr gemeinsames Lernen und mehr Förderung. Wie alle Gesetze wird es sich in der Praxis bewähren müssen. Es wird genau wie sein Vorgänger überarbeitet und an sich ändernde Bedingungen angepasst werden. Wir werden im Plenum, im Ausschuss, in den Fraktionen und in den Arbeitskreisen diesen Pro- zess begleiten und gestalten.