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26.01.07 , 10:21 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 8 - Geduldete Familien in Schleswig-Holstein

Presseinformation Kiel, den 26.1.2007 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 8/35 Geduldete Familien in Schleswig-Holstein Drs. 16/1150 u. 16/1167

Menschen mit einem geduldeten Aufenthaltsstatus befinden sich in einer Zwischenwelt: sie
sollen nicht bleiben, aber sie können auch nicht gehen. Das neue Bleiberecht soll diese
entwürdigende Situation ändern. Darum hat der SSW den Innenminister bei seinen Bemühungen
für eine neue Bleiberechtsregelung immer unterstützt. Das Ziel muss sein, die Zahl der
Geduldeten so gering wie möglich zu halten. Ohne übrigens auf das Mittel der so genannten
freiwilligen Ausreise zu greifen, die die Uni Frankfurt meines Erachtens völlig zu Recht zum
Unwort des Jahres kürte.


Wir fordern mit anderen Worten klare Verhältnisse. Das ist besser als ein soziales Leben auf Abruf.
- Es geht eben nicht darum, dass sich Ausländer über Umwege einen Platz in unserer Mitte
erschleichen, sondern darum, dass Menschenrechte für alle gelten. Das Menschenrecht auf soziale
Sicherheit, Gesundheitsversorgung und Arbeit. 2
Es gehört geradezu zum Charakter einer Familie, dass sie sich auf eine sichere Perspektive
verlassen muss. Kinder, vor allem wenn sie klein sind, brauchen eine stabile Umgebung. Eine
geduldete Familie befindet sich also sozusagen in einer Ausnahmesituation. Sie kann nicht davon
ausgehen, dass sie noch im nächsten Jahr am gleichen Wohnort ist. Sie hat keine stabile Basis.
Dabei ist es unerheblich, ob dieser Zustand selbst verschuldet ist oder nicht: keine geduldete
Familie kann mittel- oder langfristig in die Zukunft planen. Ein unsicherer Status sabotiert nicht
nur eine erfolgreiche schulische Karriere der Kinder, sondern belastet auch das familiäre
Zusammenleben.


Ich möchte die Situation keineswegs dramatisieren. Dazu besteht auch kein Anlass. Dank der
vorliegenden Dokumentation der Landesregierung wissen wir besser als vorher, wie es um die
Familien bestellt ist. Wir sind nicht länger auf Vermutungen angewiesen. Die ausführliche
Antwort des Innenministers erlaubt es dem Landtag, den Bereich des Spekulativen zu verlassen.
Daher unser Dank an die Fragesteller und auch an die Landesregierung. Das sage ich deshalb, weil
es andere Beispiele gibt. Vergleicht man nämlich die Antwort auf eine vergleichbare Anfrage
Grüner Abgeordneter in Hamburg aus dem Frühling letzten Jahres, zeigt sich, dass es bei uns
etwas genauer zugeht. Die statistischen Daten lassen hierzulande im Bereich des Schulbesuches
ein weitgehend exaktes Bild der Situation zu. Das begrüßt der SSW ausdrücklich.


Wir müssen die Zahlen und Hintergründe kennen, damit wir entsprechende Maßnahmen
einleiten können. Ohne genaue Zahlen stochern wir im Nebel. Wie gewohnt ist der SSW aber vor
allem an der Wirklichkeit hinter den Zahlen interessiert. So hat der Flüchtlingsrat im letzten Jahr
auf die katastrophale Situation der Kinder und Jugendlichen in geduldeten Familien hingewiesen.


Nach Kenntnis des Flüchtlingsrates dauert die Bearbeitung der Anträge von jungen Flüchtlingen
mit aufenthaltsrechtlicher Duldung auf eine betriebliche Ausbildung, ein Praktikum, geförderte
Schulungen, Ferienjobs und auch ehrenamtliche Beschäftigung wochen- und zum Teil
monatelang. Die Nachrangigkeit wird sehr gründlich geprüft, also die Frage, ob sich nicht jemand 3
anderes für diesen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz findet. Der Flüchtlingsrat weiß sogar von Fällen
zu berichten, dass pauschal die Zustimmung verweigert wird, unabhängig davon, worauf der
Antrag letztlich abzielt. Damit wird denjenigen jungen Menschen, die sich für ihre berufliche
Zukunft stark machen, jeder Enthusiasmus genommen.


Innenminister Stegner hat immer wieder gefordert, dass Menschen mit Duldung in einem
dauerhaften Beschäftigungs- oder Berufsausbildungsverhältnis stehen und ihren Lebensunterhalt
durch eigene Arbeit bestreiten müssen, um in einer Bleiberechtsregelung berücksichtigt zu
werden – so wurde es dann auch verabschiedet. Die Praxis der zuständigen Behörden scheint
dieses Verfahren allerdings zu torpedieren.


Der Flüchtlingsrat zieht ein ernüchterndes Fazit: „Geduldete Mädchen und Jungen müssen sich
mehr anstrengen, bessere Leistungen bringen, mehr Motivation zeigen und ernten oft nur Verbot
und Ausschluss.“ Der vorliegende Bericht verzeichnet 120 junge, geduldete Erwachsene im Alter
zwischen 18 und 21 Jahren. Eine andere Tabelle verzeichnet insgesamt nur 33 Geduldete, die ein
ausbildungsvorbereitendes Jahr absolvieren, eine Berufsfachschule besuchen oder sich in einer
beruflichen Ausbildung befinden. Das ist viel zu wenig!


Der Umkehrschluss lässt nur die Vermutung zu, dass die anderen geduldeten Jugendliche zur
Beschäftigungslosigkeit verdammt sind. Während wir für Jugendliche mit gesichertem
Bleibestatus alle Hebel in Bewegung setzen, damit sie schnell in Beschäftigung kommen, sieht das
bei den Geduldeten völlig anders aus. Ich behaupte, dass sie durch die Ausgrenzung vom
Ausbildungs- und Arbeitsmarkt dauerhaft desintegiert bleiben: außen vor einer Gesellschaft, die
ihnen jeden Tag zeigt, dass sie sie nicht haben will. Da braucht es keine große Fantasie, um sich
auszumalen, was diese Haltung bei den jungen Leuten anrichten wird.


Die Deutsche Bischofskonferenz hat bereits 2001 darauf hingewiesen, dass „für die
Verantwortlichen die Verpflichtung besteht, allen hier lebenden Menschen ihre grundlegenden 4
Menschenrechte zu gewährleisten“ unabhängig von Duldung, Aufenthaltgenehmigung und
Nationalität. Die Kirche verweist aber auch auf das Recht der Kinder auf Schule. Ich finde, die
Ausbildung gehört auch dazu. Dieses Recht ist meines Erachtens nicht eingelöst.
Ohne Arbeit keine Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht. Ohne Bleiberecht keine Arbeit. Dieser
Teufelskreis, der den armen Hauptmann von Köpenick dereinst in die Kriminalität drängte, ist
heutzutage für Geduldete tägliche Realität. Vor diesem Hintergrund vermute ich eine eher
zurückhaltende Inanspruchnahme der hoch gelobten neuen Bleiberechtsregelung.


Ich hätte mir eine bessere Einbindung der Betroffenen bezüglich des neuen Bleiberechts
gewünscht: Der Bericht des Innenministers zur Inanspruchnahme der neuen Bleiberegelung ist an
dieser Stelle unbefriedigend. Der SSW fordert, dass über eine Informationsveranstaltung für
Behörden und Nicht-Regierungsorganisationen hinaus, die Betroffenen gezielt informiert werden.
Es ist nicht davon auszugehen, dass dieser Personenkreis die Diskussion in den Medien zum neuen
Bleibebrecht verfolgt bzw. die Konsequenzen für das eigene Leben verstanden hat. Wenn wir an
einer dauerhaften Reduzierung der Zahl der Geduldeten interessiert sind, und ich denke, das
sollten wir - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - alle sein, müssen wir die Betroffenen
besser einbinden. Es soll niemand überredet werden, in Deutschland zu bleiben. Neues Recht kann
aber nur erfolgreich implementiert werden im Dialog mit den Betroffenen.


Dank der Anfrage verfügen wir über genaue regionale Daten der geduldeten Familien. Ich denke,
dass die Daten zu den Geduldeten ohne Familien in gleicher Weise statistisch aufbereitet werden
sollten; schließlich bilden sie unter den Geduldeten die Mehrheit.
Ich finde die Zahlen sehr interessant. Zu den einzelnen Tabellen daher ein paar Anmerkungen:
Überrascht hat mich, dass im Zuge des neuen Zuwanderungsgesetzes die Zahl der
Arbeitgenehmigungen zurückgegangen ist. Ich hätte mir an dieser Stelle eine Erläuterung der
Hintergründe gewünscht. 5
Auch hat die Antwort auf die Große Anfrage regionale Ungleichheiten offenbart. Dazu gehört der
Landkreis Pinneberg. Auffällig viele geduldete Familien leben im Kreis Pinneberg, nämlich 72 und
diese haben eine überdurchschnittlich lange Duldung. Über die Hälfte dieser Familien ist nämlich
länger als vier Jahre geduldet; 17 Familien schon zehn Jahre oder mehr. Ich hätte gern mehr über
die Duldungspraxis in Pinneberg gewusst. Aufgefallen ist mir auch die hohe Zahl von
Sonderschülern im Herzogtum Lauenburg: zehn von 65 Kinder besuchen dort eine Sonderschule;
ein ungewöhnlicher Rekord. Womit erklärt sich das?


Abschließend möchte ich noch einmal betonen, dass der SSW sich von der neuen
Bleiberechtsregelung eine deutliche und nachhaltige Senkung der Zahl der geduldeten Ausländer
verspricht. In einem halben Jahr werden wir sehen, ob es dazu kommt.

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