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Anke Spoorendonk zu TOP 34 - Die Lufthoheit über Stammtischen und Kaffeetafeln wieder gewinnen
PresseinformationKiel, den 22.03.2007 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 34 Bekämpfung von politischem Extremismus und Fremden- feindlichkeit – Stärkung der Demokratie Drs. 16/1287Auch wenn wir es leicht vergessen mögen: Rechtsradikale schlagen in Deutschland immer nochöfter zu als islamische Terroristen. Deshalb ist es begrüßenswert, dass dieses Thema wiedereinmal auf die Tagesordnung des Landtages gesetzt worden ist. Dafür schulden wir denAntragstellern Dank. - Dank auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien, diediesen Bericht zusammengestellt haben.Der Bericht hebt hervor, dass er sich an dem Aufbau ähnlicher Berichte aus den Jahren 2002 bis2004 orientiert. Auch wenn ich große Lust dazu hätte, wäre es also nicht ganz gerecht, ihnwegen seiner Struktur zu kritisieren. Es ist aber schon bemerkenswert, dass die Landesregierungbei dem Thema Fremdenfeindlichkeit völlig ohne Gefahrenanalyse auskommt. Was genau dasPhänomen ausmacht; eine genaue Definition und die Ausbreitung neuer Forschungserkennt-nisse über Verbreitung und Entwicklung: alle diese Punkte fehlen in dem Bericht. - Wie stellt sichFremdenfeindlichkeit in Schleswig-Holstein überhaupt dar? Weder die Zahl rechtextremerGewalttaten noch die Zahl der Opfer findet sich. Faktisch wird keine einzige Zahl genannt. 2Da die Landesregierung das Phänomen nicht abgrenzt, überlässt sie der Leserin und dem Leserdie Interpretation dessen, was sie als Extremismus beurteilt. Ganz offensichtlich gilt körperlicheGewalt gegen Ausländer und Migranten als einzige Äußerungsform der Fremdenfeindlichkeit.Der hässliche Skinhead ist aber schon lange nicht mehr der einzige Rechtsextremist in unsererGesellschaft.Wer als Ausländer keinen Vermieter findet oder als Sinto, weil er ein Sinto ist, keinen Job findet,der ist unmittelbar von Fremdenfeindlichkeit betroffen, ohne dass ein Tropfen Blut geflossen ist;ohne blauen Fleck. Diese Art der strukturellen Gewalt lässt der Bericht außen vor. DerenBekämpfung ist schließlich nicht so einfach zu bewerkstelligen. Diese Form von Gewalt undFremdenfeindlichkeit wird von Trägern weißer Kragen ausgeübt, mitten in unserer Gesellschaft.Im Büro der SSW-Fraktion stehen mehrere Aktenordner voller Briefe, Karten und E-Mails, die unsnach der Landtagswahl 2005 erreichten. Darunter befinden sich Texte, die der dänischenMinderheit die Rückkehr nach Hause empfehlen - gemeint ist wohl Dänemark. Andere gehensehr viel weiter. Das Ausmaß dieses Hasses hat viele erschreckt und uns noch einmal eindrücklichvor Augen geführt, dass der Rechtsextremismus schon lange kein Randphänomen ist.Die neuste Studie über Rechtsextremismus trägt nicht zufällig den Titel „Vom Rand zur Mitte“.Oliver Decker und Elmar Bräher lehnen nach umfangreichen Befragungen in der gesamtenBundesrepublik den Begriff gänzlich ab, weil „Rechtsextreme Einstellungen durch allegesellschaftlichen Gruppen und in allen Bundesländern gleichermaßen hoch vertreten sind“. Sozeigte jeder zehnte Deutsche antisemitische Einstellungen. Das ist keine Randgruppe.Rechtsextremismus und fremdenfeindliche Haltungen sind fest in der Mitte der Gesellschaftverankert. Das betonte übrigens auch Michel Friedman, dessen Leibwächter rechtsextremistischePropaganda auf ihren PCs hatten. Der Rechtsextremismus sei in allen Berufsgruppenangekommen. 3Die Wissenschaft charakterisiert die Ausländerfeindlichkeit als Einstiegsdroge in eingeschlossenes rechtsextremistisches Weltbild. Trotzdem scheint sich eine gewisse Form derAusländerfeindlichkeit in der Öffentlichkeit ganz gut eingerichtet zu haben. Vor allem dieBerichterstattung über ausländische Straftäter genügt nicht immer journalistischenGrundregeln.Die Maßnahmen gegen den fest in der Gesellschaft verankerten Rechtsextremismusunterscheiden sich völlig von den ordnungs- und überwachungspolitischen Maßnahmen gegenSkins, die wir weitgehend Polizei und Verfassungsschutz überlassen können. Mit anderenWorten: Die neue Generation extremistischer Politiker erfordert neue Formen derAuseinandersetzung. Und das möglichst schnell, wie uns die Wahlergebnisse in Sachsen undMecklenburg-Vorpommern und die dortige Ausprägung angeblich „befreiter Zonen“ vor Augenführen.Das Fehlen qualitativer und quantitativer Materialien führt dazu, dass alle Maßnahmen auf dieBekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Extremismus hin verstanden werden können.Sprachkurse für Vollzugsbeamte ebenso wie Gesundheitsmaßnahmen für Migranten.Problematisch wird es dagegen, wenn der Eindruck entsteht, dass die Migranten die Schuld,zumindest Mitschuld für Fremdenfeindlichkeit tragen. So heißt es auf Seite 32f, dass das„Ausleben extremistischer/fremdenfeindlicher Tendenzen“ unwahrscheinlicher ist, wenn die„Menschen fremder Ethnien“ zur Integration bereit sind. Der Umkehrschluss lautet: Sie selbstsind es, die durch den öffentlichen Gebrauch ihrer Sprache und das Tragen landestypischerKleidung Fremdenfeindlichkeit provozieren. Das geht natürlich nicht! Daher sage ich:Aufkommender Fremdenhass hat mit den Integrationsbemühungen des Individuums herzlichwenig zu tun, denn Extremisten geht es nicht um den Menschen, sondern um den Typus, um dasErscheinungsbild. 4Das mussten in Berlin zwei Journalisten erfahren, die einen Kippa-Test durchführten. Sie gingeneinen Tag lag mit einer Kippa – der Kopfbedeckung orthodoxer Juden - auf dem Kopf durch dieHauptstadt. Beide Journalisten erlebten Misstrauen, schräge Blicke und unverschämteKommentare. So merkt man am eigenen Leib, wie verbreitet Antisemitismus ist, der lediglich aufäußere Merkmale fixiert ist.Integration ist ein wichtiger Eckpfeiler einer erfolgreichen Einwanderungspolitik. So richtig es ist,Integrationsanstrengungen zu fordern, aber auch zu fördern, so muss doch mit aller Klarheitgesagt werden, kann und darf mangelnde Integration nicht als scheinbar legitimer Grund fürFremdenfeindlichkeit dargestellt werden.Die Erziehung zur Demokratie ist ein schwieriges und langwieriges Unterfangen. Da sind wir allegefragt: 1999 verabschiedete der Landtag einstimmig eine Resolution gegen denRechtsextremismus, und das, was damals richtig war, gilt heute immer noch: „ExtremistischeEinstellungen lassen sich nicht verbieten, sondern nur langfristig durch die gesellschaftlicheAuseinandersetzung verändern. Ihnen muss vor allem in der Breite der Gesellschaft mitZivilcourage und der Vermittlung der demokratischen Werte einer toleranten und solidarischenGesellschaft begegnet werden.“ - Positive Beispiele spornen andere an. Zivilcourage und Mutzum Eingreifen sollte die Landesregierung daher beständig auszeichnen und damit belohnen.Der Bericht hebt hervor, dass die Vorbeugung von Extremismus, Fremdenfeindlichkeit undGewalt früh ansetzt und nahezu alle Lebensbereiche umfasst. Wenn wir die Politik derLandesregierung beurteilen sollen, dann ist es aber entscheidend, was in den letzten fünf Jahrenzum Beispiel bewusst gegen Rechts unternommen worden ist. Nach diesem Maßstab würde derBericht der Landesregierung um einiges dünner ausfallen. Denn Maßnahmen wie die Beteiligungvon Kindern und Jugendlichen oder die kulturelle Förderung der Sinti und Roma hättenhoffentlich auch ohne Fremdenfeindlichkeit stattgefunden. Ich vermisse vor diesem Hintergrundganz einfach auch, dass die verschiedenen gesellschaftlichen Bündnisse gegen Rechts 5Maßnahmenkonzepte abarbeiten. - Dass der Begriff der Nachhaltigkeit verstärkt in denMittelpunkt des gesellschaftlichen Engagements gerückt wird.Der Bericht der Landesregierung macht deutlich, dass man so gut wie ausschließlich auf dieVorbeugung bei Kindern und Jugendlichen setzt. Dabei sollte aber meiner Meinung nach nichtvergessen werden, dass der Erfolg von Bildungsarbeit nicht allein daran gemessen werden kann,um wie viele Jugendliche mit rechtsextremen Tendenzen man sich kümmert. Das wichtigste ist,dass wir die „normalen“ Jugendlichen erreichen und bestärken. Wir müssen sicherstellen, dassder Antifaschismus für die weit überwiegende Mehrheit der Jugendlichen „normal“ bleibt. – Undzwar in jeder Generation aufs Neue.Aus Sicht des SSW geht aber auch kein Weg daran vorbei, dass wir uns mit dem Gift derFremdenfeindlichkeit in der Mitte unserer Gesellschaft befassen. Wir haben in diesemZusammenhang einmal angeregt, dass das in der letzten Legislaturperiode von der damaligenLandesregierung eingerichtete Bündnis gegen Rechts die Argumente der Fremdenfeinde offenaufgreift und sich damit seriös auseinandersetzt. Dass man öffentlichkeitswirksam die Mythenüber schmarotzende Ausländer mit Fakten widerlegt, denn wir müssen uns ernsthaft undsachlich mit den Erwachsenen auseinandersetzen, die bereits fremdenfeindlich denken.Fremdenfeindliche Äußerungen sind heute abseits der politischen Debatte einer „normaler“ Teildes Alltags in Schleswig-Holstein. Wir müssen mit guten Argumenten die viel zitierte Lufthoheitüber Stammtischen und Kaffeetafeln wieder gewinnen. Wenn dies nicht gelingt, dann werdenwir irgendwann auch hier sagen, was mir ein Mitarbeiter des Aktionsbündnisses in Brandenburgvor wenigen Tagen berichtete: „Wir führen hier einen Krieg mit den Rechten.“ So weit darf es beiuns nicht kommen.