Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.
Karl-Martin Hentschel zu politischem Extremismus
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort. Claudia Jacob Landeshaus TOP 34 – Bekämpfung von politischem Extremismus Düsternbrooker Weg 70 24105 KielDazu sagt der Vorsitzende Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Telefax: 0431/988-1501 Karl-Martin Hentschel: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 146.07 / 22.03.2007Ein positives Leitbild für unsere Gesellschaft Zuerst die gute Nachricht dieses Berichtes: Das Problem des Rechtsextremismus wird in dieser Landesregierung ernstgenommen. Die Arbeit der rot-grünen Vorgängerregie- rung wird fortgesetzt. Der Bericht nennt eine große Vielzahl von Einzelmaßnahmen aus unterschiedlichen Bereichen.In dem Bemühen, möglichst viele gute Taten der Regierung darzustellen, bringt der Bericht aber auch Merkwürdigkeiten und Widersprüche hervor: So fragt man sich, was es mit der Bekämpfung von Rechtsextremismus zu tun hat, wenn den Mitarbeitern im Justizvollzug Englischkurse angeboten werden, oder wenn die Gesundheitsförderung von MigrantInnen vom Sozialministerium unterstützt wird?Im Kapitel über die Arbeit des Justizministeriums ist zu lesen, dass es durch Maß- nahmen der Strafverfolgung gelungen sei, die rechtsradikale Szene in Schleswig- Holstein zurückzudrängen. Dies erstaunt mich, zitierten doch Zeitungen im letzten Ok- tober Innenminister Stegner mit der Aussage, dass „Rechtsextreme wieder massiver und frecher auftreten“, und berichteten, dass die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in Schleswig-Holstein sprunghaft angestiegen sei.Der Bericht stellt dar, dass sich die allermeisten Maßnahmen an Jugendliche richten. Rechtsextreme Haltungen sind aber nicht auf Jugendliche beschränkt, ja Jugendliche stellen nicht einmal die größte Gruppe der Menschen mit rechtsextremen Ansichten.Der Bericht setzt in wesentlichen Teilen den Rechtsextremismus mit der rechtsextre- men Gewalt gleich. Dabei gerät leicht in Vergessenheit, dass auch Menschen, die rechtsextremistische Haltungen offen oder auch verdeckt billigen, Teil des Problems sind und bei vielen Umfragen über 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen. 1/3 Eine Untersuchung im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung stellte letztes Jahr fest: „Rechtsextreme Einstellungen sind durch alle gesellschaftlichen Gruppen und in allen Bundesländern gleichermaßen hoch vertreten. Rechtsextremismus ist ein politisches Problem in der Mitte der Gesellschaft.“ Dann muss er aber auch dort bekämpft wer- den.Viele der genannten Maßnahmen – insbesondere gegen Gewalt – sind eine gute Sa- che. Eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen ist aber weder eine Strategie noch wird da- mit das Problem an der Wurzel gepackt. Es fehlt in dem ganzen Bericht vor allem eine Klammer.Um rechtsautoritären Haltungen beizukommen, muss neben der Arbeit an den Sym- ptomen insbesondere für das positive Gegenbild geworben werden. Wir müssen klä- ren, welchem Leitbild unser Zusammenleben folgen soll. Deshalb ist der Kampf gegen den Rechtsextremismus im Wesentlichen eine Frage der Bildungspolitik und eine Fra- ge der sozialen Kohäsion der Gesellschaft.Im Arbeitsbereich des Bildungsministeriums werden viele richtige Ansätze aufgezeigt: Von Prävention im Team bis zur Sprachförderung und offenen Ganztagsschulen. Die beste Prävention gegen autoritäre, antidemokratische Bestrebungen aber ist ein Bil- dungswesen, das alle mitnimmt, das keine tatsächlichen oder vermeintlichen Verlierer schafft. Rechtsextreme, das zeigen Studien, sind überwiegend Menschen, die sich wenig akzeptiert fühlen, die sich in ihrer Umgebung wenig wohl und unsicher fühlen.In der Sozialpolitik geht es nicht um die Quantität der Sozialleistungen, sondern es geht um das Dazugehören. Wer darauf vertrauen kann, sein Leben nach seinen Vor- stellungen zu gestalten, aus eigener Anstrengung einen Platz in der Gesellschaft zu finden, wer keine Angst vor den negativen Folgen des sozialen Abstiegs hat, der ist eher bereit, sich auch in schwierigeren Zeiten auf das manchmal mühsame Geschäft des demokratischen Zusammenlebens einzulassen. Häufig sind es nicht die Armen, sondern verunsicherte Angehörige der Mittelschicht, die den sozialen Abstieg fürchten und die zu rechtsextremen Ansichten tendieren.Ein wichtiger Aspekt des Rechtsradikalismus ist die Fremdenfeindlichkeit. Die Antwort auf Fremdenfeindlichkeit kann nicht allein in der Bekämpfung der Fremdenfeindlichkeit liegen, sondern sie erfordert eine von uns allen gemeinsam getragene öffentliche Hal- tung zum Thema Migration. Die Tatsache, dass Migration in den letzten Jahren vor al- lem als Problem genannt wurde, hat ganz sicher keinen positiven Einfluss und ruiniert die gesellschaftliche Atmosphäre, die entscheidend ist für das Gelingen einer multikul- turellen Gesellschaft.Wir wissen längst: Migration ist nicht die Ursache sozialer Probleme; MigrantInnen zahlen deutlich mehr in die sozialen Kassen einzahlen, als sie bekommen; Kriminalität ist bei MigrantInnen gleicher sozialer Milieus nicht höher ist als bei Deutschen, son- 2 dern sogar niedriger. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die gesellschaftlichen Prob- leme unserer Gesellschaft kulminieren bei den Schwächsten, und dazu gehören nun mal vor allem die MigrantInnen aus der Osttürkei, Russland und Afrika. In den Ge- fängnissen sitzen fast ausschließlich schlecht ausgebildete Menschen - also „Looser“ – und dazu gehören eben auch viele MigrantInnen. Je mehr sie diskriminiert werden, bei der Bildung und bei der Arbeit, desto mehr gehören zur sozialen Unterschicht, mit allen daraus resultierenden Problemen. Strukturelle Arbeitslosigkeit oder Mängel des Bildungssystems zeigen ihre Auswirkun- gen nicht ausschließlich in Zuwandererkreisen, aber sie verschärfen sich dort.Politik ist stets auch Kommunikation. Wer undemokratische Haltungen und Rechtsex- tremismus bekämpfen will, der muss sich in seiner Rhetorik davor hüten, populisti- schen Stimmungen Vorschub zu leisten. Politik darf keinen Populismus auf Kosten von Schwachen und MigrantInnen betreiben, denn damit werden den Rechtsextremen geradezu die Stichworte frei Haus geliefert.Wir alle wissen: Demokratie ist nicht immer einfach. Aber sie hat sich trotzdem oder gerade deswegen allen andern politischen Systemen überlegen gezeigt: Sie gewährt uns Sicherheit und Menschenrechte; sie gewährt mehr Sozialstaat als jedes andere System der Geschichte; sie schafft – bei aller Kritik – mehr Unweltschutz und mehr wirtschaftlichen Erfolg. Diese Erfolge des sozialen demokratischen Rechtsstaats zu verteidigen lohnt sich. Wir sind als ParlamentarierInnen die originären Repräsentanten dieser Demokratie. Es liegt an uns, ob wir glaubhaft für diese Gesellschaft werben können. *** 3