Navigation und Service des Schleswig-Holsteinischen Landtags

Springe direkt zu:

Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

Pressefilter

Zurücksetzen
23.03.07
11:23 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zum Ausstieg aus der Atomkraft

PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort. Claudia Jacob Landeshaus TOP 16 – Am Ausstieg aus der Atomkraft festhalten Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel
Dazu sagt der Vorsitzende Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Telefax: 0431/988-1501 Karl-Martin Hentschel: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de

Nr. 154.07 / 23.03.2007

Die Verlängerung der Laufzeiten verzögert die Energiewende
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, eine wirksame Bekämpfung des Klimawandels erfordert bis 2050 eine Reduzierung der CO2-Emissionen um die Hälfte. Für Deutschland bedeutet das sogar ein Minus von 40 Prozent bis 2020, und von 80 Prozent bis 2050.
In dieser Lage mehren sich die Versuche, den Klimawandel als Grund dafür zu nutzen, den Ausstieg aus der Atomenergie in Frage zu stellen. Deswegen haben wir diesen An- trag gestellt. Damit sich der Landtag positioniert, damit die Landesregierung einen klaren Auftrag für ein Klimakonzept bekommt und damit die Prioritäten richtig gesetzt werden.
Natürlich stellt sich auch mir die Frage: Kann die Atomenergie in der künftigen Energie- wirtschaft nach 2050 eine wesentliche Rolle spielen?
Die Antwort ist bei allen WissenschaftlerInnen übereinstimmend: Nein. Einmal weil es da- für gar nicht genug radiaktive Brennstoffe gibt.
Zweitens, weil der Neubau von Atomkraftwerken viel zu teuer ist. In keinem westlichen Land wird noch ein Atomkraftwerk gebaut - außer dem hoch subventionierten Vorzeige- reaktor in Finnland. In USA wurde seit 30 Jahren kein Reaktorbau mehr begonnen.
Die zweite Frage, die zur Zeit viel intensiver diskutiert wird, lautet: Brauchen wir vielleicht die Atomenergie als Übergangstechnologie?
Um einen glaubhaften Kronzeugen zu präsentieren, gestatten Sie mir, Frank Schirrma- cher zu zitieren, Chefredakteur der FAZ – mit Sicherheit kein atomkraftkritisches Blatt:
1/4 „Keiner der Forscher hält den Ausbau der Atomenergie für eine Option. … Sie zeigen in ihren Berechnungen, dass wir ohne Atomkraftwerke die dritte industrielle Revolution er- reichen können.“
Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich den Umbau der Energiewirtschaft konkret anschauen.
Der Kassler Diplomphysiker und Ingenieur Gregor Czisch vom wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen hat als erster ein komplettes Si- mulationsmodell programmiert, das ausrechnet, wie eine optimale Versorgung Europas und Nordafrikas mit regenerativer Energie aussehen würde.
Das Ergebnis ist außerordentlich spannend: Auf Basis heutiger Technologien und Preise würde Europa durch solarthermische Kraftwerke in der Sahara, durch Wasserkraftwerke in Norwegen und den Alpen und Windparks vor allem an der Atlantikküste, in der Nord- see, in Nordrussland und in Ägypten versorgt. Denn dort weht der Wind am gleichmä- ßigsten und Strom kann heute bereits bis zu unter drei Cent/kWh erzeugt werden kann. Kapazitäten spielen keine Rolle, es gibt genug regenerative Energien, um 1000 Europas zu versorgen.
Aber – wir brauchen dafür ein Hochspannungsgleichstromnetz – ein sogenanntes HGÜ- Netz, das es erlaubt, große Stormmengen kostengünstig von Afrika nach Norwegen und vom Ural an die Atlantikküste und zurück zu transportieren. Durch dieses Netz wird eine hundertprozentige Verfügbarkeit mit großen Reserven gesichert.
Das spannendste daran ist: Hätten wir eine solche Energieversorgung schon heute, dann würde die Kilowattstunde für den Endabnehmer 4,6 Cent kosten, also fast vier Cent we- niger, als die EON heute von uns kassiert.
Da erhebt sich die Frage, warum wir das nicht sofort machen? Der Grund ist einfach: Es geht nach Berechnungen des DIW in Berlin bei der Energiewende in Deutschland insge- samt um Investitionen von 800 Milliarden Euro. Das geht nicht von heute auf morgen.
Aber – trotz der riesigen Summe: Es ist bezahlbar! Umgelegt auf 40 Jahre sind das für jede einzelne BürgerIn zirka 250 Euro pro Jahr oder 20 Euro pro Monat. Das ist zu schaf- fen – ohne Zweifel.
Und nun kommt die spannende Frage: Müssen wir in der Übergangszeit neue Kohle- o- der Atomkraftwerke bauen, müssen wir die Laufzeiten verlängern, um die auslaufenden Kraftwerke zu ersetzen?
Die Experten sagen ganz klar: Nein! Wenn der Zubau von regenerativen Kraftwerken heute schon billiger ist als der Zubau oder die Nachrüstung von Kohle- oder Atomkraft- werken, dann binden wir nur unsinnige Investitionen, die wir für den Umbau brauchen.
Entscheidend ist aber, dass wir so schnell wie möglich mit dem Ausbau des Supernet- zes, des Hochspannungsgleichstromnetzes beginnen. Auch das ist keine Utopie: Schon lange wird New York über ein solches Netz mit Wasserstrom von den Niagarafällen ver- sorgt.
Für uns könnte der erste Schritt der Bau eines HGÜ-Kabels von Brunsbüttel nach Nor- wegen sein. Dann können wir bei viel Wind Strom nach Norwegen liefern, bei wenig Wind beziehen wir dann Strom aus den norwegischen Wasserkraftwerken, die heute den Strom für unter vier Cent liefern.
Meine Damen und Herren, jeder Euro, der heute noch in Kohle- und Atomkraft investiert wird, ist ein Euro, der beim Ausbau der regenerativen Energien fehlt.
Der einzige Grund, warum wir überhaupt noch eine Zeit lang fossile Energien benötigen, ist die Wohnungswärme. Der Umbau unseres gesamten Gebäudebestandes auf Niedrig- oder Passivhausstandard wird mit Sicherheit 50 Jahre dauern. Danach werden wir nur noch ein Fünftel bis ein Zehntel des heutigen Wärmeverbrauchs benötigen.
Bis dahin müssen wir aber unsere Wohnungen heizen. Und da macht es Sinn, die Wär- me in Kraftwärmekopplungsanlagen zu erzeugen, die nebenbei auch noch Strom produ- zieren.
Aber auch dafür brauchen wir keine Kohlkraftwerke. Und Atomkraftwerke sind dafür völlig ungeeignet. Wie soll denn die Wärme von Brunsbüttel nach Kiel kommen. Das wäre un- bezahlbar und völlig ineffizient. Aber hochmoderne Gasturbinenkraftwerke können eine Übergangslösung sein.
Meine Damen und Herren, Die Vorraussetzung, damit sich das lohnt, ist aber geradezu, dass die Atomkraftwerke so schnell wie möglich abgeschaltet werden. Sie sind Dinosaurier einer Energievergangen- heit, die beim Umbau der Energiewirtschaft durch ihre riesigen unflexiblen Blöcke eher ein Hindernis denn eine Hilfe darstellen.
In der aktuellen Debatte um die Laufzeiten geht es nicht um Klimaschutz: Klimaschutz dient lediglich als Argument für den durchsichtigen Versuch der Energieriesen, mit längst abgeschriebenen Altreaktoren eine hohe Monopolrendite einzufahren.
Was die Monopolisten tatsächlich fürchten, ist die Konkurrenz: Denn der Umbau der E- nergiewirtschaft wird nicht zwangsläufig in den Händen von EON, RWE und Vattenfall liegen.
Natürlich ist es den Giganten ein Dorn im Auge, wenn heute Tausende BäuerInnen, In- vestorInnen, Finanzierungsgesellschaften und Stadtwerke Solar-, Wind- und Biogasanla- gen bauen und den Konzernen eine ungeliebte Konkurrenz bereiten.
Mit allen technischen und rechtlichen Mitteln versucht die EON noch heute, die Energie- wende zu verhindern oder hinauszuzögern. Jedes Jahr mehr Laufzeit ist für die EON ba- res Geld, für Schleswig-Holstein ist es aber ein verlorenes Jahr auf dem Weg in die Zu- kunft.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch ein paar Worte zu den Warnungen vor dem Verlust von Arbeits- plätzen:
Diese Warnungen sind reine Demagogie! Schon heute beschäftigen die regenerativen Energien fünfmal soviel Menschen wie die Atomindustrie. Wird aber ein Atomkraftwerk abgeschaltet, dann fängt die Arbeit erst an. Der Rückbau eines AKW beschäftigt 20 Jahre lang weitaus mehr Menschen als der Betrieb. Das Geld dafür haben die Konzerne zurücklegen müssen.
Meine Damen und Herren, Grüne Wirtschaftspolitik hat in den vergangenen zehn Jahren Hunderttausende von Ar- beitsplätzen geschaffen. Kein Sektor der Wirtschaft ist so schnell gewachsen wie die re- generativen Energien und die Energiespartechnologien.
Ein erheblicher Teil der Solar- und Windkraftanlagen wird importiert. Heute ist Deutsch- land führend und exportiert Anlagen nach Großbritannien und China, nach Brasilien und Indien.
Die größten Investitionen finden aber zur Zeit in den USA statt. Riesige Windparks mit hunderten von Windkraftanlagen deutscher Produktion werden in den Schluchten der Rocky Mountains installiert, wo ganzjährige Fallwinde eine gigantische Ausbeute möglich machen.
Meine Damen und Herren, ein chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen stellen Windmühlen auf.“
Der Wind weht. Die Zukunft hat längst begonnen – verabschieden Sie sich von der Vergangenheit.
Stimmen Sie unserem Antrag zu.

***