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07.06.07 , 16:11 Uhr
SPD

Birgit Herdejürgen zu TOP 2: Gute Voraussetzungen für die praktische Umsetzung

Sozialdemokratischer Informationsbrief

Kiel, 07.06.2007 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuell
TOP 8 - Strafvollzug in Schleswig-Holstein (Drucksache 16/1347)
Anna Schlosser-Keichel:

Soziale Integration von Straftätern muss im Vordergrund stehen

Die Leitlinie, an der sich die Politik in Schleswig-Holstein sein vielen Jahren orientiert, ist, dass die soziale Integration von Straftätern im Vordergrund stehen muss und dass dies gleichzeitig der beste Opferschutz ist, so Anna Schlosser-Keichel. Diese Integra- tionsarbeit ist überwiegend in den Justizvollzugsanstalten zu leisten. Dort gibt es mit schulischen und beruflichen Bildungsmaßnahmen sowie Therapie- und Beratungsan- geboten Voraussetzungen dafür, dass Gefangene nach der Strafe neu starten können. Neben der beruflichen Qualifizierung ist grundsätzlich die Arbeitsplatzsituation im Voll- zug von großer Bedeutung. Es gibt jedoch zu wenige Arbeitsplätze mit einfachem An- forderungsprofil. Angesichts der Entlohnung kritisiert Anna Schlosser-Keichel Forde- rungen nach mehr finanzieller Eigenbeteiligung der Gefangenen nicht nur an den Kos- ten der Gesundheitsfürsorge sondern z.B. auch an Stromkosten.



Die Rede im Wortlaut: In den USA – so habe ich kürzlich gelesen – sind Gefängnisse ein blühender Wirt- schaftszweig mit hohem Wachstumspotential. Es herrscht Wettbewerb um den här- testen und billigsten Strafvollzug. Obwohl auch bei uns immer wieder der Ruf nach mehr Privatisierung und nach härteren und längeren Strafen laut wird, von „amerikani- schen Verhältnissen“ im Strafvollzug sind wir in Deutschland und insbesondere in Schleswig-Holstein meilenweit entfernt. Schleswig- Holstein

Herausgeber: SPD-Landtagsfraktion Verantwortlich: Petra Bräutigam Landeshaus Postfach 7121, 24171 Kiel Tel: 0431/ 988-1305/1307 Fax: 0431/ 988-1308 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Internet: www.spd.ltsh.de SPD -2-



Das belegt auch die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der FDP, für die ich mich bei Minister Döring und vor allem bei seinen fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bedanke.

Grundsätzlich wird in dem vorliegenden Bericht die Leitlinie deutlich, an der sich die Politik in Schleswig-Holstein sein vielen Jahren orientiert: dass die soziale Integration von Straftätern im Vordergrund stehen muss und dass dies gleichzeitig der beste Opferschutz ist. Der Schwerpunkt dieser Integrationsarbeit muss in den Justizvoll- zugsanstalten geleistet werden. Wir haben deshalb große Anstrengungen unternom- men (und tun es noch), dafür möglichst optimale Rahmenbedingungen zu schaffen. Mit einem millionenschweren, noch nicht abgeschlossenen Investitionsprogramm zur umfassenden Modernisierung, aber auch im personellen Bereich.

Deshalb hat es - anders als in fast allen übrigen Politikbereichen - keine Personalein- sparungen im Justizvollzug gegeben, im Gegenteil. Die Gesamtzahl der Stellen hat sich seit dem Jahr 2002 von 841 auf 865 erhöht. Der vorliegende Bericht macht deut- lich, welch großen Belastungen die Bediensteten im Justizvollzug ausgesetzt sind. 6-Tage-Woche, Schichtdienst, 42 % der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen leiste- ten im letzten Jahr Überstunden. Fast 47 % von ihnen warten auf ihre Beförderung. Dazu kommen die Beeinträchtigungen durch die seit Jahren laufenden und andauern- den Bauarbeiten.

Wir wissen aus unseren Besuchen in den JVA, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter dort dennoch ihre Arbeit engagiert und mit großer Motivation und Zuverlässigkeit leisten. Gerade mal fünf sind seit 2002 freiwillig aus dem Dienstverhältnis ausgeschie- den. -3-



Mein Dank geht an dieser Stelle an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist gut und wichtig, dass der Minister unmissverständlich deutlich macht, dass angesichts der Aufgaben und der hohen Belastung im Strafvollzug keinerlei Raum ist für Ein- sparungen. Mein Fraktionsvorsitzender hat sich ja auch in der gestrigen „Aktuellen Stunde“ dazu deutlich positioniert.

Zugegeben, der Tageshaftkostensatz ist mit 90,62 € im Vergleich zum Bundesdurch- schnitt von 83,54 € (Jahr 2005) relativ hoch. Das liegt nicht zuletzt an der erfreulich ge- ringen Inhaftierungsquote und den folglich relativ kleinen Anstalten in Schleswig- Holstein. (Die Quote liegt bei 65 Gefangenen pro 100.000 Einwohner, der Bundes- durchschnitt bei 100).

Die Kosten entstehen aber auch durch eine große und differenzierte Palette von schu- lischen und beruflichen Bildungsmaßnahmen sowie Therapie- und Beratungs- angeboten, zu denen auch die haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter freier Träger und nicht zuletzt die Berufsschulen einen wichtigen Beitrag leisten. Einen Dank auch an sie alle. Sie leisten hervorragende Arbeit in einem Bereich, der nicht immer die Sympathie der Öffentlichkeit hat.

3,88 Mio € allein für Resozialisierungsmaßnahmen (das sind ohne Berücksichtigung der Personalaufwendungen 21,7 % der Gesamtaufwendungen für den Justizvollzug), das ist gut angelegtes Geld. Denn ein nachgeholter Hauptschulabschluss oder ein in der Haft erworbener Gesellen- oder Facharbeiterbrief, auch die Schuldnerberatung, das ist für viele Gefangene die Grundvorsaussetzung, nach der Verbüßung der Ge- fängnisstrafe wirklich neu starten zu können.

Gerade im Jugendvollzug sind die Bildungs-, aber auch die Erziehungsangebote au- ßerordentlich umfangreich und differenziert. Dies ist auch notwendig, will man den Teufelskreis von Rückfällen vermeiden. Viele der jugendlichen Straftäter kommen -4-



nicht nur ohne Schulbildung und somit ohne Berufsaussichten, sondern auch lebensuntüchtig und emotional verwahrlost im Strafvollzug an. Dass sich der An- teil der Gewaltdelikte bei den verurteilten jugendlichen Straftätern innerhalb von zwei Jahren von 19.1 % auf 35,9 % erhöht hat und dass eine stetige Verlängerung der durchschnittlichen Straflänge zu beobachten ist, spricht eine deutliche Sprache.

Abgesehen von der beruflichen Qualifizierung ist grundsätzlich die Arbeitsplatzsitua- tion im Vollzug von großer Bedeutung. Arbeit strukturiert den Tag und bringt Geld für Sonderwünsche, für Ausgleichszahlungen an die Opfer und für die Zeit nach der Entlassung. Auch wenn man berücksichtigt, dass lediglich etwa 85 % der Gefangenen arbeitsfähig und arbeitswillig sind, reichen die zur Verfügung stehenden 500 Beschäf- tigungsmöglichkeiten leider nicht aus.

Bemerkenswert ist, dass es „wie im Leben draußen“ auch im Knast unbesetzte Ar- beitsplätze gibt (insbesondere in den Eigenbetrieben), weil es bei den Gefangenen an der nötigen Qualifikation mangelt. Andererseits fehlen Arbeitsplätze mit einfachem An- forderungsprofil, weil Unternehmer, die früher in den Anstalten produzieren ließen, ihre Aufträge ins Ausland verlegt haben. Hier besteht also Handlungsbedarf. Eine neue Halle in der JVA Kiel mit 50 neuen Arbeitsplätzen, eine verstärkte Akquise und nicht zuletzt die veränderte konjunkturelle Lage sollen die Arbeitsplatzsituation im kommen- den Jahr verbessern.

Ein paar Worte noch zur Gefangenenentlohnung, weil ich mich in der letzten Zeit ge- ärgert habe über recht ruppige Forderungen nach mehr finanzieller Eigenbeteili- gung der Gefangenen nicht nur an den Kosten der Gesundheitsfürsorge sondern z.B. auch an Stromkosten usw. Die Entlohnung beträgt z.Z. exakt 10,58 € - nicht pro Stun- de, sondern pro Tag. Jeder möge sich fragen, wie viel an Abzügen davon noch zumut- bar ist und ob in diesen Größenordnungen der Verwaltungsaufwand wirklich vertretbar ist. -5-



Ich habe in der Kürze der Zeit nur wenige Punkte des umfangreichen Berichts anspre- chen können. Im Ausschuss wird Gelegenheit zur weiteren Beratung sein. Lassen Sie mich aber schon jetzt ein kurzes Fazit ziehen.

Sie kennen vielleicht den viel zitierten Spruch von Leo Tolstoi: „Um einen Staat zu be- urteilen, muss man seine Gefängnisse von innen ansehen.“ Bei einem Blick in unsere Gefängnisse müssen wir feststellen, dass natürlich auch dort nicht alles perfekt ist. Obwohl die wirklich kritischen Vorfälle im Jahr sich an einer Hand abzählen lassen, muss uns jede Gewalttätigkeit zwischen Häftlingen und gegen Bedienstete, jeder Aus- bruchsversuch, jeder Suizidversuch nachdenklich und wachsam machen.

Ich bin aber überzeugt, dass wir - sowohl was das Sicherheitsbedürfnis der Allgemein- heit, was die Belange der Beschäftigten aber auch was die Interessen der Gefangenen angeht - guten Gewissens auf die Situation und die weitere Entwicklung in unseren Justizvollzugsanstalten blicken können.

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