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Angelika Birk zum Betreuungsrecht
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 7 – Betreuung in Schleswig-Holstein Düsternbrooker Weg 70 24105 KielDazu sagt die sozialpolitische Sprecherin Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Telefax: 0431/988-1501 Angelika Birk: Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 259.07 / 08.06.2007Schleswig-Holstein muss bei der humanen Betreuung eine wegweisende Rolle einnehmen Als erwachsener Mensch von jemandem betreut werden zu müssen, weil die eigenen Geis- teskräfte für bestimmte lebenswichtige und alltägliche Entscheidungen nicht mehr reichen - eine solche Vorstellung schieben wir für uns persönlich gern beiseite. Dabei kann uns dies täglich nach einem Unfall treffen, und immer mehr Menschen nehmen selbst gegenüber älte- ren Angehörigen mit Demenzerkrankungen und gegenüber erwachsenen Kindern mit Behin- derungen ein Betreuungsrecht wahr. Denn das Amt der Betreuung praktizieren am häufigs- ten Angehörige.Die Einführung und Propagierung sowie die zentrale Dokumentation von Vorsorgevollmach- ten sind hierzu eine wichtige und immer selbstverständlichere Grundlage geworden. Aber machen wir uns nichts vor: Auch hier bestimmen Bildungsunterschiede in der Bevölkerung maßgeblich darüber, wer gut oder schlecht betreut wird. Das wollen wir ändern.Die sehr sachkundige Große Anfrage der FDP-Fraktion und die ausführliche Antwort des Justizministeriums zum Betreuungsrecht kommen just in time, da im Juli diesen Jahres die Justizministerkonferenz eine Auswertung der Evaluation zur Wirksamkeit des neuen Betreu- ungsrechtes vorlegen will, um zu prüfen, ob weitere Rechtsreformen notwendig werden.Um es gleich vorweg zu sagen. Wir beantragen die Überweisung der Antwort des Ministeri- ums in den Innen- und Rechtsausschuss, aber auch in den Sozialausschuss, mit dem Ziel, eine ausführliche Fachanhörung durchzuführen. Dabei sollen auch die demnächst von der Justizministerkonferenz vorgelegten aktuellen Evaluationsergebnisse über die Wirkung der jüngsten Betreuungsrechtsreform berücksichtigt werden. Wir wollen diese Anhörung nicht als Fingerübung unter Juristen, sondern möchten mehr über die Praxis des Betreuungsrechtes erfahren und gleichzeitig die gesellschaftliche Akzeptanz dieses Rechtes noch mehr verbrei- tern helfen.1/4 Für die Evaluation dieser Praxis hat sich die frühere Grüne Justizministerin Anne Lütkes er- folgreich in der Justizministerkonferenz engagiert. Sie und wir verbinden damit die Vision, dass Schleswig Holstein bei der Humanisierung und Reformierung juristischer Verfahren auch in diesem Bereich eine wegweisende Rolle einnehmen kann.Vor drei Missverständnissen muss dabei gewarnt werden. Dass die Betreuungsverhältnisse stark ansteigen, ist zwar wesentlich, aber nicht allein dem demografischen Wandel geschul- det. Hierzu benennt das Ministerium weitere einleuchtende Gründe. Vor allem aber ist dieser Anstieg kein Unglück, keine Flut, die es mit allen Mitteln einzudämmen gilt, sondern ein zivili- satorischer Fortschritt.„Aber das kostet doch Unsummen“ höre ich schon die Finanzminister protestieren. Und damit komme ich zum zweiten Missverständnis. Dieser Aufschrei wäre genauso wenig hilfreich wie die Klage, dass die Hilfen für Menschen mit Behinderungen kosten oder dass frühkindliche und lebenslange Bildung zu teuer sei.Die rechtliche Betreuung ist eine hohe fachliche Profession, aber auch ein Geschäft. Wie in der Pflege alter Menschen, so gilt auch hier: Der Anteil derjenigen, die von bezahlten Kräften betreut werden, steigt. Deshalb ist es richtig, maßvolle Stundensätze für die Berufsbetreue- rInnen zu vereinbaren, zum Beispiel aber unpraktisch, diese fixen Stundensätze im Gesetz nicht mit einer automatischen Dynamisierung zu versehen. Wo andere Tarifverhandlungen führen, muss im Betreuungsrecht jedes Mal das Gesetz geändert werden, um in der Betreu- ungsvergütung mit der Inflation und Lohnentwicklung mitzuhalten.Außerdem: Wie finden sich in der Zukunft ehrenamtliche BetreuerInnen außerhalb von direk- ten Angehörigen bei den bisherigen niedrigen Pauschalen für dieses aufwändige Ehrenamt? Der Stopp des stetigen Wachstums der Anzahl ehrenamtlicher BetreuerInnen seit etwa 2003 müsste unter diesem Gesichtspunkt genauer untersucht werden.Umgekehrt gilt aber nicht, dass viel Geld allein das Problem einer so diffizilen Kommunikati- on wie die eines Betreuungsverhältnisses löst. Das wäre das dritte Missverständnis. Die Kunst der rechtlich angemessenen Form der Betreuung und der Gestaltung von Betreuungs- systemen besteht darin, sowohl feudal anmutende persönliche Abhängigkeiten als auch a- nonyme, bürokratisch waltende Staatlichkeit zu vermeiden. Das Betreuungsrecht definiert deshalb die regelmäßige persönliche Begegnung zwischen BetreuerInnen und Betreuten sowie die Zusammenarbeit zwischen Betreuungsbehörde, Betreuungsvereinen und Vor- mundschaftsgerichten als wesentliches Fundament.Zeit und Qualität einer häufigen regelmäßigen persönlichen Begegnung, in der ein Vertrau- ensverhältnis wachsen kann, gleichzeitig aber auch moderne Formen der Selbstkontrolle und Fremdkontrolle der BetreuerInnen durch das Gericht - das ist der Schwebebalken, auf dem es das Gleichgewicht zu halten gilt.Das Betreuungsrecht zielt auf eine flexible Verzahnung von bürgerschaftlichem Engagement und hoher juristischer Professionalität. Es droht allerdings sofort zu scheitern, wenn es aus 2 Personalmangel nur um die Verwaltung von Aktenbergen geht, oder wenn es nicht genügend fachlichen und öffentlichen Austausch gibt, weil das Thema zu sehr im gesellschaftlichen Ab- seits liegt - wie dies zum Beispiel bei Pflegeheimen, aber auch Institutionen wie der Psychiat- rie oder der Forensik immer noch oft der Fall ist.Wie gelingt es also, den gewaltig drohenden bürokratischen Schatten eines von flexiblen und differenzierten Verfahrensschritten geprägten Rechtsverhältnisses zu vermeiden? Dies ist die Kardinalfrage. Hier erhoffe ich mir von einer Fachanhörung im Ausschuss Antworten. Wir brauchen sie, denn Bürokratie, Anonymität, Arbeitsüberlastung, zuviel Routine und unaufge- deckte Missbräuche des Vertrauensamtes - genau diese Gefahren sind nicht abstrakt, son- dern sehr real und führen zunehmend zu einer ausschließlich an der Menge von aktenkundi- gen Rechtsgeschäften orientierten Erfolgsmessung. So eng ist der Auftrag im Betreuungs- recht aber bewusst nicht definiert. Im Gegenteil: Das Ziel des modernen Betreuungsrechtes ist eine humane Form von sozialer, im wahrsten Sinne des Wortes bürgerrechtlicher Kontrol- le und Hilfe, die alte ordnungsrechtliche Kontrollrechte gegenüber Individuen, aber auch ge- genüber Einrichtungen wie z.B. der Heimaufsicht ergänzt oder ablöst.Allerdings fallen einzelne Regelungen des Betreuungsgesetzes selbst hinter diesen An- spruch zurück. An einem Beispiel möchte ich dies veranschaulichen: Um die Abrechung der Berufsbetreuung zu vereinfachen, wurden in der letzten Reform des Betreuungsrechts Pau- schalen vereinbart, woran wir im Grundsatz nicht rütteln wollen. Bei der Höhe der Pauscha- len wird allerdings davon ausgegangen, dass nach einer Unterbringung im Heim oder in ei- ner Anstalt der rechtliche Betreuungsaufwand sinkt. Und leider lassen sich viele Profibetreue- rInnen nach einer Heimeinweisung auch nicht mehr so häufig blicken. Dies halte ich für völlig falsch.Gerade in solchen Institutionen ist eine sehr häufige Begegnung zwischen Betreutem und des Betreuenden notwendig, nicht weil diese Pflege oder ähnliche Aufgaben wahrnehmen sollen, und auch nicht, weil täglich Rechtsgeschäfte zu tätigen sind. Warum dann? - Um sich zu überzeugen, ob die Selbstbestimmung des Betreuten im Alltag gewahrt bleibt. Um gege- benenfalls Veränderungen seiner Persönlichkeit durch fortschreitende Krankheit oder mögli- cherweise negativen Einfluss der Institution wahrzunehmen. Um dem Betreuten Ansprech- partner zu sein, damit er zeitnah Rechte im Alltag durchsetzen kann, zum Beispiel auf Reha- bilitationsleistungen, die ja auch alten Menschen im Heim zustehen. Um ihm zu gesellschaft- licher Teilhabe zu verhelfen. Gegebenenfalls auch, um in Heimbeiräten mitzuwirken. Dieses rechtliche Amt wird gerade in solchen Institutionen als bürgerrechtliche Stütze und Wächte- ramt gebraucht. Eine selbstverständliche aktive Einmischung eines rechtlich versierten, cou- ragierten Betreuers, sei er nun ehrenamtlicher Angehöriger oder Profi, würde mehr zur Hu- manisierung von Angeboten der Alten- und Behindertenhilfe beitragen als die Verdopplung der Heimaufsichtbesuche.Dazu gehört aber auch eine entsprechende Bildung. Um für ein solches Rechtsamt fortzubil- den, bieten sich ergänzend als Partner der Betreuungsvereine die Volkshochschulen, aber auch Kooperationen zwischen sozialpädagogischer und juristischer Fakultät an. 3 Und damit Betreuende sowie RichterInnen sich nicht ausschließlich auf Gutachten verlassen müssen, sondern selbst mehr über die Erscheinungsformen psychischer Krankheiten oder geistiger Behinderung wissen und institutionelle Lebensorte der Betreuten von innen kennen, sollten sie sich mit Fachleuten medizinischer und Pflegeberufe austauschen, sowie durch Praktika in der Pflege- und Behindertenhilfe den Alltag der zu Betreuenden erspüren lernen.Wo wird ähnliches schon in Schleswig Holstein praktiziert? Was muss passieren, damit sol- che Beispiele Schule machen? Auch zu diesen Fragen würden wir gern Fachleute im Aus- schuss hören. *** *** 4