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08.06.07 , 11:03 Uhr
SSW

Lars Harms zu TOP 7 - Betreuung in Schleswig-Holstein

Presseinformation
Kiel, den 8.6.2007 Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms
TOP 7 Betreuung in Schleswig-Holstein Drs. 16/1346

Niemanden möchte ich es wünschen, einmal die Funktion der Betreuungsperson übernehmen zu
müssen. Andererseits steigt die Wahrscheinlichkeit in unserer Gesellschaft, dass genau das
passiert. In der Regel sind es die eigenen Eltern, die einer Betreuung bedürfen, weil sie selbst nicht
mehr in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Aber auch Angehörige, die von Behinderung
betroffen sind oder von psychischer Krankheit, können eine Betreuung nötig haben. Betreuung
bedeutet ungeheure Verantwortung und birgt umfangreiche rechtliche Konsequenzen.


So unangenehm die Aufgabe sein kann, so vielfältig ist die Unterstützung, die gewährt wird. Die
Antwort des Justizministers belegt eindrucksvoll, dass man sich eigentlich vor der Übernahme der
Betreuungsverantwortung nicht fürchten muss. Profis in Gerichten oder Betreuungsvereinen
stehen einem zur Seite. Bereits die hervorragende Broschüre der Landesregierung gibt eine erste
Einführung. Weitere offene Fragen und Aktualisierungen liefert die vorliegende Antwort auf die
Große Anfrage der FDP nach. Das Lob geht deshalb auch an die Fragesteller, die sich offensichtlich
sehr sachkundig auf das Thema eingelassen haben. 2
Ich würde mir wünschen, dass dieser Text nicht nur ein Schattendasein als Drucksache führen
würde, sondern entsprechend redaktionell aufgearbeitet, Betreuern und Betreuten an die Hand
gegeben werde könnte. Er zeigt den aktuellen Stand des Verfahrens an.
Die Antwort belegt aber auch, dass im Betreuungssystem nicht alles eitel Sonnenschein ist.
Bereits das Wachstum der Fallzahlen schafft Probleme, die nicht allein von einem Mangel an
Informationen herrühren.


Einzeln Fälle nähren die Vorbehalte vieler Bürger, als Betreuter zu einer Nummer zu verkümmern.
Gerade ältere Menschen, die zunehmend hinfällig werden, fürchten sich davor, betreut zu
werden, weil sie ihre Entscheidungsrechte einbüßen. Betreuung hat zwar nichts mit dem zu Recht
abgeschafften System der Entmündigung zu tun; dennoch ist nicht zu leugnen, dass erwachsene
Menschen Autonomie und Selbstbestimmung vertrauensvoll in andere Hände geben müssen.
Betreuung organisiert sich um einen Vertrauenskern herum. Es geht um gesundheitliche
Unversehrtheit und Erhalt der Vermögenswerte. Betreuer, die lieb gewordene Erinnerungen wie
Fotoalben oder lebenslange gesammelte Nippes-Figuren vor dem Umzug des Betreuten ins
Pflegeheim einfach im Container versenken, weil die Zeit drängt, entstammen keinen erfundenen
Horrorstories.


Außerdem geht es in vielen Fällen um erhebliche Geld- und Vermögenswerte, die die Betreuten im
Laufe ihres Lebens angesammelt haben. Das weckt Begehrlichkeiten. In Schleswig-Holstein
kommt es im Betreuungssystem immer wieder einmal zu Missbrauch und Überforderung.
Erhebliche Vermögenswerte können zur Selbstbedienung verleiten. Auch bei der Einziehung
mehrerer Kontrollschleifen ist es nicht gänzlich auszuschließen, dass Betreuer aus der
Unselbständigkeit der ihnen Anvertrauten Kapital schlagen. Ein systematischer Betrug erfolgt
allerdings nicht. Das möchte ich in aller Deutlichkeit feststellen.


Die Betreuung bringt Einnahmen. Das zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz hat aus
Kostengründen die Einzelabrechnung ins Visier genommen, um die Kosten zu deckeln. Der 3
Minister allerdings beurteilt die Umstellung kritisch, weil die Kosten gestiegen sind. Ich bin
dagegen davon überzeugt, dass eine pauschale Abrechnung das Verhältnis zwischen Betreutem
und Betreuer verbessern kann. Wenn nicht mehr jedes Gespräch Kosten auslöst, wird sich die
Beziehung einfach verändern, weil der Betreute nicht mutmaßen muss, ob es nur zum Kontakt
kommt, um diesen dann auch abrechnen zu können.


Die Kosten sind gestiegen, gleichzeitig ist der Stundensatz nach der Mehrwertsteuererhöhung
gesunken. Ich halte das nicht für den richtigen Weg, zwingt es die Betreuer doch, in die Masse zu
gehen, um das Niveau halten zu können. Ich bin gespannt auf die anstehende Evaluation, die
sicherlich auch Auskunft über die Auskömmlichkeit der Vergütungen geben kann. Letztlich führt
kein Weg an der Anhebung des Nettostundensatzes herum.


Dass die ehrenamtlichen Betreuer ihre Aufwendungen Steuer mindernd geltend machen können,
sollte selbstverständlich sein. Doch ich halte die Haltung des Ministers für problematisch, wenn er
sich durch den Wegfall steuerlicher Hemmnisse mehr ehrenamtliche Betreuung verspricht. Aus
Lebenserfahrung weiß man doch, dass steuerliche Anreize quasi nur das Tüpfelchen auf dem I
sind; sie sind auf jeden fall nicht der Auslöser, um nun gerade Betreuer zu werden. Dazu wiegt die
Verantwortung als Betreuer zu schwer, als dass einem die Steuerersparnis, die übrigens nur Gut
verdienende völlig einstreichen können, zur Übernahme der Betreuungsverantwortung bewegt.
Selbstverständlich sollten alle Aufwendungen, die getätigt werden, steuerlich absetzbar sein. Das
sollte aber im Übrigen für alle ehrenamtlichen Tätigkeiten gelten.


Die Mehrheit der Betreuer stellen Familienangehörige. Das Übergewicht ehrenamtlicher Betreuer
ist eine politische Entscheidung. Darum erachte ich die Aussage für problematisch, dass die zu
besorgenden Geschäfte immer komplexer werden und darum den „häufigeren Einsatz von
Berufsbetreuerinnen und -betreuern erforderlich“ mache (Seite 19). Aufgabe des Staates und der
Gerichte ist es, die Geschäfte auch für Laien handhabbar zu machen. Da sind wir alle in der Pflicht.
Der Vorrang der Einzelbetreuung ist gesetzlich vorgeschrieben und sollte respektiert und 4
umgesetzt werden. Andererseits ist eine Überforderung der Angehörigen tunlichst zu vermeiden.
Aber darauf scheint es keine Hinweise zu geben.
Die Diskussionen auf Bundesebene haben sich sehr differenziert mit einem möglichen
Automatismus der Übernahme der Betreuungsverantwortung durch Eltern oder Ehegatten
auseinander gesetzt. Wir sollten diese Themen aber weiterhin, auch mit den Betreuern,
besprechen, weil in einer gespannten Beziehung eine Betreuung nicht optimal ausfallen kann.


Die Ehrenamtler können oftmals über Nacht, wie das bei einem Schlaganfall passieren kann, zum
Betreuer werden. Das kann man nicht auf Vorrat üben. Umso wichtiger ist ein umfassendes
Erstgespräch und eine professionelle Begleitung. Die Betreuungsvereine leisten in diesem
Zusammenhang gute Arbeit. Aber auch hier gilt, dass eine Wahlmöglichkeit bzw. eine
Auswahlmöglichkeit gut ist. Das gilt in fünf Kreisen, in denen zwei Vereine ansässig sind; in allen
anderen existiert lediglich ein Verein. Es ist überlegenswert, ob die Landesregierung hier steuernd
in die Vielfalt eingreifen sollte, indem sie zur Gründung neuer Vereine ermutigt; die steigenden
Fallzahlen legen eine entsprechende Ausweitung nahe. Es ist durchaus denkbar, dass die
Ehrenamtler Alternativen wünschen und sich mit den Quasi-Monopolen nur abgefunden haben.
Über den Daumen gepeilt erhalten die Vereine für ihre Arbeit im Jahr ungefähr 30.000 Euro. Ist
das ausreichend oder wird hier ein Mangel verwaltet? Hier hätte ich mehr darüber gewusst, wie
die Mittel eingesetzt werden: in Miete oder Verwaltungskosten oder etwa Fortbildung?


Es sind vor allem die Berufsbetreuer, die immer mal wieder in die Kritik geraten und die bei vielen
Unbehagen und Furcht vor dem Kontrollverlust auslösen. Der Fall Thea Schädlich scheint diesen
Vorurteilen neue Nahrung gegeben zu haben. Schädlich ist bekanntlich eine anscheinend etwas
eigene Hausbesitzerin aus Kummerfeld, deren Haus von ihren gerichtlich bestellten Betreuern
gegen ihren Willen an die Gemeinde verkauft worden war. Die Medien schlugen Alarm. Allerdings
dauerte es sehr lange und bedurfte einer regelrechten Kampagne, bis Frau Schädlich ihr Haus
wieder bekam und dort einziehen konnte. Die Medien prangerten die Überforderung der 5
Berufsbetreuer an, die lediglich dreieinhalb Stunden pro Monat Zeit für einen Hilfsbedürftigen
hätten.
Das mag in einfachen Fällen ausreichen, bei komplizierten Betreuungen allerdings kann es zum
Handeln gegen den Willen des Betreuten kommen. Die Antwort der Landesregierung kann diese
Befürchtungen nicht ganz ausräumen. Eine kleine Minderheit der Berufsbetreuer betreut übers
Jahr gesehen 60 und mehr Menschen; nicht gleichzeitig nebeneinander, wie das Ministerium
betont. Eine hohe Fallzahl erhöht meines Erachtens aber die Wahrscheinlichkeit, dass Fehler
passieren. Es ist strengstens zu kontrollieren, dass nicht allein durch die hohe Zahl Betreuter
Probleme entstehen. Und die Gerichte sollten strengstens darauf achten, dass eine Fallobergrenze
eingehalten wird. Das ist umso wichtiger, weil die Zahl der Betreuungsfälle insgesamt weiter
wachsen wird; die Überforderung einiger weniger Profis also zunehmen könnte.


In diesem Zusammenhang ist die Erarbeitung eines einheitlichen Handlungskonzeptes durchaus
bedenkenswert. Papier ist geduldig. Sicherlich. Doch ich bin davon überzeugt, dass Betreuer und
Betreute immer wieder vor die gleichen oder ähnlichen Problemlagen stehen. Eine einheitliche
Handlungsrichtlinie wäre deshalb wünschenswert.

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