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Rolf Fischer zu TOP 42: Minderheitenplitik ist Friedenspolitik nach innen
Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Kiel, 13.12.2007 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 42: Minderheitenbericht 2007 (Drucksache 16/1730)Rolf Fischer:Minderheitenpolitik ist Friedenspolitik nach innenEs gibt Übereinstimmung darüber, dass Minderheitenpolitik Teil der Menschen- rechte ist, dass Minderheiten Garanten gesellschaftlicher Vielfalt sind und einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung unserer Zivilgesellschaft und damit zur Demo- kratie generell leisten, führt Rolf Fischer in seiner Rede aus. Minderheiten erhal- ten Rechte, um ihre Identität zu wahren, die andere Bürgerinnen und Bürger da- mit ausschließen. Minderheitenpolitik bringt also zwei grundlegende demokrati- sche Prinzipien in einen Widerspruch: Einerseits keine Unterschiede zwischen Bürgern zu machen, andererseits gerade das Besondere zu akzeptieren und so- gar noch zu fördern. Fischer kritisiert, dass es auf der kommunalen Ebene häufig an Bewusstsein für eine gemeinsame Minderheitenpolitik fehlt. Er betont, dass es sich bei der Minderheitenförderung nicht um Subventionen handelt. Er macht deutlich, dass wir immer auch eine inhaltliche und strukturelle Weiterentwicklung benötigen, denn auch die Minderheitenpolitik muss sich den verändernden ge- sellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen.Die Rede im Wortlaut:Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-Lassen Sie mich eine generelle Anmerkung zum Bericht voranstellen: Es ist ein informativer und interessanter Bericht, der auch demjenigen, der sich bisher nicht für Minderheitenpolitik interessiert, kompetent und umfassend Auskunft gibt. Dafür sagen wir herzlichen Dank den Mitarbeitern der Verwaltung, aber na- türlich auch der Minderheitenbeauftragten, Frau Schwarz, die federführend die- sen Bericht und seine Inhalte verantwortet.Der Bericht macht auch den hohen Stellenwert deutlich, den Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein heute einnimmt. Es gibt bei uns keine unterschiedlichen Auffassungen darüber, dass Minderheitenpolitik Teil der Menschenrechte ist, dass Minderheiten Garanten gesellschaftlicher Vielfalt sind und einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung unserer Zivilgesellschaft und damit zur Demokratie ge- nerell leisten und dass Minderheiten ein Recht darauf haben, ihre Identität zu wahren und besonderen Schutz und Förderung zu beanspruchen.Allein die regelmäßige Vorlage dieses Berichtes selbst ist Teil einer aktiven Min- derheitenpolitik - nicht nur, weil er eine Parlamentsdebatte nach sich zieht, son- dern weil er uns dazu zwingt, uns kontinuierlich mit der Entwicklung dieses Politikfeldes zu befassen. Insofern ist der Bericht ein Dokument der Demokrati- sierung, ein überzeugender Beleg dafür, dass wir auf diesem Feld Schritt für Schritt vorangekommen sind. Das ist die Leistung der Minderheiten und Volks- gruppen und ihrer Organisationen; dafür auch von der SPD-Fraktion ein großes Danke!Befassen wir uns mit dem aktuellen Bericht! Akademisch würde ich dies eine ständige Arbeit der Selbstvergewisserung nennen, populär gesagt meint es: Wir tragen eine andauernde Verantwortung für ein Politikfeld, das deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit erfordert, weil wir den Verlust von nationalen Min- derheiten und Volksgruppen nie wieder ausgleichen können. -3-Das ist sicher nachvollziehbar, aber dafür Bewusstsein und Akzeptanz in der jeweiligen gesellschaftlichen Mehrheit zu schaffen, ist überaus schwierig; denn Minderheiten erhalten Rechte, um ihre Identität zu wahren, die andere Bürgerin- nen und Bürger damit ausschließen. Minderheitenpolitik bringt damit zwei grund- legende demokratische Prinzipien in einen Widerspruch: Einerseits fordert das demokratische Prinzip der Gleichheit keine Unterschiede zwischen Bürgern zu machen. Andererseits fordert das demokratische Prinzip der Anerkennung, ge- rade das Besondere zu akzeptieren und das Eigensein nicht nur zu tolerieren, sondern sogar noch zu fördern.Wir als Politik müssen immer wieder neu entscheiden, welchem Prinzip wir fol- gen wollen. Nur so lassen sich Entscheidungen legitimieren, z.B. bei der Be- gründung der Finanzierung der Minderheiten, denn bezogen auf das demokrati- sche und verfassungsmäßig gesicherte Prinzip der Anerkennung, auf das wir uns berufen, ist gut zu begründen, warum es sich nicht um Subventionen im herkömmlichen Sinne handelt, sondern um öffentliche Mittel, die dem Schutz und der ausgleichenden Förderung einer Minderheit gegenüber der Mehrheit dienen.Das ist eine privilegierte Situation, die ihren Ausdruck im Begriff der sog. „positi- ven Diskriminierung“ findet, auf die Minderheiten und Volksgruppen existentiell angewiesen sind. Auch wenn der Fachbegriff der „positiven Diskriminierung“ im Bericht nicht auftaucht, wird im Punkt 21. zumindest betont, dass es sich bisher bei der Minderheitenförderung nicht um Subventionen handelt. Das ist zu begrü- ßen und sollte weiterhin Praxis bleiben. -4-Der Begriff „positive Diskriminierung“ ist übrigens vom ersten Minderheitenbeauf- tragten Kurt Hamer in die politische Diskussion in Schleswig-Holstein eingeführt worden, an dessen Weitblick an dieser Stelle durchaus erinnert werden soll.Im Bericht wird unter dem Titel „Halbzeitbilanz“ eine Reihe von Punkten aufge- führt, die wichtig für die Minderheiten bei uns sind: • Es ist gelungen, das Gleichbehandlungsprinzip bei den Schülerkostensät- zen der dänischen Schulen zu erreichen – das ist ein wesentlicher Beitrag zur Gleichstellung. • Die Frage der Schülerkostenbeförderung ist bekannterweise in der Debat- te und steht zur Reform an. • Das Friesisch-Gesetz ist in Kraft getreten und wird auch von Seiten der Minderheitenkontrolleure der EU und des Europarates als neues Instru- ment gelobt; • auch die zweisprachige Beschilderung wurde weitergeführt und trägt zur Identitätsbildung von Gemeinde und Region bei. • Vorbildlich ist für mich das Kieler Projekt „Maro Temm“ des Landesver- bandes der Sinti und Roma!Dank an den Landesverband, die Maro Temm-Genossenschaft mit Renate Schnack an der Spitze, Dank an Caroline Schwarz und auch das Innenministeri- um sowie an alle, die dabei mitgeholfen haben. Allerdings wurde ein grundsätzli- ches Problem der Minderheitenpolitik deutlich: Es fehlt auf der kommunalen Ebene, und der vorliegende Bericht nennt Beispiele, häufig an Bewusstsein für eine gemeinsame Minderheitenpolitik. Anders ist es nicht erklärlich, dass ein bundesweit gelobtes Modellprojekt wie „Maro Temm“ fast an kommunaler Klein- kariertheit hier in Kiel gescheitert wäre. Hierfür fehlt mir jedes Verständnis. Man sollte stolz auf ein solches Projekt sein und nicht noch das Fundament erschüt- tern. -5-Aber es gibt noch weitere Hinweise, die wir hier auch schon debattiert haben und die der Bericht wieder aufführt, dass viele Kommunen ihren Verfassungsauftrag zum Schutz und Förderung der Minderheiten noch nicht befriedigend umsetzen. Auf sechs Seiten dokumentiert der Bericht immerhin die vorwiegend finanziellen Aktivitäten der nördlichen Kreise.Sicher kann man – wie im Bericht angemerkt – nicht alle kommunalen Aktivitäten darstellen; meine Erfahrung lehrt mich aber, dass hier noch viel Bewusstseins- bildung notwendig ist. Das muss sich ändern; hier müssen wir noch mehr für ei- ne aktive kommunale Minderheitenpolitik werben.Der Bericht macht deutlich, dass nicht nur die Landesregierung, sondern auch das schleswig-holsteinische Parlament aktiv an der Umsetzung unserer Minder- heitenpolitik mitarbeitet.Die vor ihrem Abschluss stehende Kompetenzanalyse zu „Minderheiten als Standortfaktor“ erscheint mir von besonderer Bedeutung für Minderheiten und Mehrheiten in der Grenzregion. Sie ist ein Beitrag zur Profilbildung der Nord- Region und ich hoffe, dass die Konsequenzen der Analyse uns die Chance er- öffnen, auch auf der europäischen Ebene damit zu punkten! Das wäre ein wei- terer Erfolg unserer Minderheitenpolitik, die längst bundes- und europaweit als Angebot gilt und nach wie vor auf großes Interesse stößt.Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein ist heute Teil eines Mehrebenensys- tems geworden. Der Bericht stellt dies mit Bezug auf die kommunale, die Lan- des-, Bundes- und europäische Ebene gut dar. Gestatten Sie mir an dieser Stelle aber auch eine kritische Anmerkung: Wir haben in direkten Gesprächen mit Herrn Bergner, dem Minderheitenbeauftragten der Bundesregierung, feststel- -6-len können, dass er sich fachlich und sensibel in die Thematik „Minderheitenpoli- tik“ eingearbeitet hat und auch hinter den Kulissen erfolgreich wirkt. Es ist aber festzustellen, dass er öffentlich eher die deutschen Minderheiten im Ausland im Focus hat, aber kaum Impulse für die inhaltliche Weiterentwicklung unserer nati- onalen Minderheitenpolitik setzt oder unsere Minderheitenpolitik auf europäi- scher Ebene sichtbar vertritt.Hier wünsche ich mir eine noch engere Kooperation und die weitere Festigung der Kontakte mit Parlament und Regierung in Schleswig-Holstein, um ggf. ge- meinsame Initiativen auf den Weg zu bringen. Denn es geht nicht nur um die fi- nanzielle Sicherung der Minderheitenarbeit; die ist wichtig, keine Frage! Doch reicht dies nicht wirklich: Wir benötigen immer auch eine inhaltliche und struktu- relle Weiterentwicklung. Wie jedes Politikfeld muss sich auch die Minderheiten- politik den sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen an- passen. Der Erhalt des Status quo wird langfristig nicht ausreichen.Ich werbe also für eine aktive inhaltliche Debatte zwischen Politik und Minderhei- ten über Fragen der Weiterentwicklung und der zukünftigen Ausgestaltung die- ses Politikfeldes. Ich setze auch auf das ECMI in Flensburg als wissenschaftliche Einrichtung mit europäischen Diskussionsansätzen zur Weiterentwicklung der nationalen Minderheitenpolitik.Insbesondere muss es darum gehen, die jüngeren Generationen einzubinden; ich unterstütze hier eindeutig die entsprechenden Forderungen in der Charta der autochthonen nationalen Minderheiten in Europa, beschlossen in Bautzen 2006.Ich habe zu Beginn vom „Dokument der Demokratisierung“ gesprochen, das die- ser Bericht für mich ist. Wir machen mit diesem Bericht deutlich, dass Schutz und Förderung von Minderheiten und Volksgruppen weiterhin einen hohen politi- -7-schen Stellenwert für uns hat. Minderheitenpolitik ist aktive Friedenspolitik nach innen – und damit unverzichtbar.Wir haben noch die halbe Legislatur vor uns, um weitere Konsequenzen zu zie- hen. Ich freue deshalb mich auf die Diskussion im Ausschuss.