Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.
Detlef Matthiessen zum Minderheitenbericht
PRESSEDIENST Fraktion im Landtag Schleswig-Holstein Pressesprecherin Es gilt das gesprochene Wort! Claudia Jacob Landeshaus TOP 26 – Minderheiten- und Düsternbrooker Weg 70 24105 Kiel Volksgruppenpolitik Durchwahl: 0431/988-1503 Zentrale: 0431/988-1500 Dazu sagt der minderheitenpolitische Sprecher Telefax: 0431/988-1501 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Mobil: 0172/541 83 53 E-Mail: presse@gruene.ltsh.de Detlef Matthiessen: Internet: www.sh.gruene-fraktion.de Nr. 517.07 / 13.12.2007Minderheitenpolitik nicht auf traditionelle Volksgruppen beschränkenIch danke der Landesregierung für den umfangreichen und informativen Bericht, der sehr gut auch als Nachschlagewerk zum Thema zu nutzen ist. Er wird deshalb sicher nicht in meinem Schrank verstauben wird, sondern tatsächlich genutzt werden. Besonders das so genannte Forum hat einen praktischen Nutzen, stellen doch die betroffenen Minder- heiten und Einrichtungen ihre Arbeit unter den gegebenen politischen, kulturellen, finan- ziellen, sozialen und organisatorischen Rahmendingungen aus ihrer eigenen Sicht dar. Bedauerlich finde ich allerdings schon, dass die im Vorgängerbericht in Aussicht gestellte Systematik zur Erfassung aller minderheitenpolitischen Aktivitäten der Kommunen im Land derzeit nicht leistbar ist. Das wäre doch gerade für die Arbeit vor Ort sehr interes- sant.Aber nach wie vor berührt es mich etwas merkwürdig, dass, wenn in diesem hohen Haus von „Minderheiten“ die Rede ist, in der Regel, wie auch hier, die Friesen und die Dänen gemeint sind, die Deutsche Minderheit und die Sinti und Roma in Deutschland. Die Be- zeichnung „Minderheitenbericht“ legt doch viel mehr eine umfassende Befassung mit verschiedensten Minderheitenproblemen nahe. Man will sich aber lediglich mit so ge- nannten "nationalen Minderheiten" und "traditionellen (autochthonen) Volksgruppen" be- schäftigen.Vor dem Hintergrund der Vielzahl von religiösen, kulturellen, sozialen oder sexuellen Minderheiten in Europa, deren Geschichte häufig von Benachteiligungen, Diskriminie- rungen und Verfolgungen geprägt wurde und wird, scheint diese Ausrichtung keineswegs zufällig zu sein, sie legt eine einseitige Perspektive in der Minderheitenpolitik unseres Landes nahe.1/4 Auch so genannte "neue Minderheiten" von Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten sollen nicht in den Bericht einbezogen werden. Obgleich viele Angehörige der "neuen Minderheiten" seit mehreren Jahrzehnten in Schleswig-Holstein leben oder in der zwei- ten und dritten Generation hier geboren wurden, haben sie nach Ansicht der Bundesre- gierung "das Zentrum ihrer ethnischen, kulturellen und sprachlichen Identität in einem anderen Land". Während bei diesen Gruppen von der Bundesregierung und sicher auch von der Landesregierung eine Integration und Assimilierung angestrebt wird, bemüht sich die Landesregierung, Kultur, Sprache und Identität der "nationalen Minderheiten" zu be- wahren. Diesen Gegensatz halte ich für problematisch.Ich teile die Auffassung von Ingwer Nommensen, dem Vorsitzenden des Frasche Rädj, der befürchtet, dass wir kurz vor einem Kulturkollaps stehen, in dem die Massenkultur bzw -unkultur nicht nur die Friesen überflutet, sondern unsere kulturelle Vielfalt bedroht. Er sagt, bei der Definition des Begriffes Kultur spiegeln die Bezeichnungen „deutsche Kultur“ und „Kultur in Deutschland“ eine grundlegend unterschiedliche Auffassung wider.Ganz selbstbewusst resümiert er: „Wir Friesen betrachten uns als Bürger der Bundesre- publik Deutschland. Als solche sind wir auch ein Teil der Kultur in Deutschland. Aber wir sind auch Friesen und leben unsere friesische Sprache und Kultur in Deutschland. Wir sind also eine friesische Kultur in Deutschland. Um einen Kulturkollaps zu verhindern, bedarf diese friesische Kultur fester Rahmenbedingungen, um nicht von politischen, öko- nomischen oder kulturellen Schwankungen abhängig zu sein. Es geht nicht um die Ar- chivierung der friesischen Sprache und Kultur, sondern um einen würdiges und respek- tiertes Leben der Minderheit gemeinsam mit der Mehrheitsbevölkerung.“Ich wünsche mir ein solches Selbstverständnis für alle in diesem Land lebenden Minder- heiten. Und die entsprechende Berücksichtigung von Seiten des Landes bzw. der Lan- desregierung! Integration darf nicht heißen, dass eine Leitkultur übergestülpt wird, der sich die Menschen unterzuordnen haben. 14 Millionen Menschen haben in Deutschland einen Migrationshintergrund, darunter vier Millionen Aussiedler. 1,5 Millionen Kinder ent- stammen aus binationalen Familien.In Schleswig-Holstein leben nach dem Mikrozensus 2005 über 350.000 Menschen mit Migrationshintergrund. Dies entspricht einem Anteil an der Bevölkerung von fast 13 Pro- zent. In der Altersgruppe unter sechs Jahre betrifft dies sogar jedes fünfte Kind.Wir sind eine multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft. Und Integration ist die Auf- gabe. Natürlich sind dabei nicht verhandelbar unsere Verfassung, unsere Grundrechte, unser Rechtstaat. Auf dieser gemeinsamen Basis gibt aber es viel Raum für unterschied- liche Kulturen und Religionen.Doch zurück zum Bericht: Ein Problem, das mit der Debatte um die Schülerbeförderung aktuell ist wie eh und je, ist die Gleichbehandlung der Schülerinnen und Schüler in den verschiedenen Kreisen, aber auch in den verschiedenen Einrichtungen. Auch im Kinder- gartenwesen der dänischen Minderheit geht es immer noch vorrangig um die Frage der Gleichbehandlung mit anderen freien Trägern von Kindergärten. Hier trifft die Problema- tik insbesondere auf kommunaler Ebene zu, da ein Teil der Gemeinden trotz der gesetz- lichen Regelungen im Kindertagesstättengesetz, nicht gewillt ist, den Besuch eines Kin- des im dänischen Kindergarten in gleicher Weise zu fördern, wie den Besuch eines Kin- des in einem Kindergarten eines anderen Trägers.Besonders verwunderlich erscheint dies, wenn man dann gleichzeitig in der Dokumenta- tion über die Kindertagesstätten des Dänischen Schulvereins für Südschleswig liest, dass von den 55 Kindertagesstätten 43 an sieben Stunden täglich geöffnet sind, elf an 8 Stunden täglich und einer sogar 10 Stunden täglich. Davon können sich viele der kom- munalen oder auch kirchlichen Einrichtungen, die oft besser gefördert werden, eine Scheibe abschneiden. Hier wird etwas getan für Chancengleichheit, dass darf nicht an einer mangelnden Förderung des Trägers scheitern.Friesischunterricht etwa an allen öffentlichen Schulen in Nordfriesland halte ich für schwierig. Es gibt weite Teile in Nordfriesland – nämlich den gesamten südlichen Teil und fast die gesamte Mitte - wo entweder das Friesische nie gesprochen wurde oder schon längst ausgestorben ist. In solchen Regionen wünschen Eltern vielfach Platt- deutschunterricht in der Schule. Die FriesischlehrerInnen werden mit öffentlichen Mitteln bezahlt, für PlattdeutschlehrerInnen gibt es kein Geld.Deutschland zählt zu den Staaten, die sich mit einer frühzeitigen Zeichnung und Ratifizie- rung der Sprachencharta zu einer aktiven Minderheiten- und Regionalsprachenpolitik be- kannt haben, wir sind also auch hier in der Pflicht.Stellenweise kann man sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass vieles eher Schein als Sein ist. So etwa bei der ausführlichen Beschreibung der Ferring-Stiftung, die eine rein private Stiftung ist und mit der Minderheitenpolitik des Landes nichts zu tun hat. Hier schmückt sich die Landesregierung ohne Begründung mit fremden Federn.Was den Bereich „Kultur- und Tourismus“ bzw. auch die Darstellung der Aktivitäten der Kreise betrifft, so haben Nordfriesland und Dithmarschen gemeinsam an der Heider Fachhochschule eine Studie zur Optimierung der Angebote erarbeiten lassen, der auch als ein Leitfaden für Regionen zur Entwicklung kulturtouristischer Produkte dienen soll: Leider wurde auch hier die Chance verpasst, die Kultur der Minderheiten als ein beson- ders Reichtum für unser Land zu berücksichtigen.Aber es gibt auch viel Positives zu benennen: so erwarte ich mit Spannung den nächsten Minderheitenbericht, in dem dann auch zu lesen sein wird, wie das Kieler Wohnprojekt „Maro Temm“ läuft. Ich freue mich, dass es nach der langen und wechselvollen Vorberei- tungszeit nun bald so weit ist, dass dort vertrautes Romanes gesprochen wird, dass Nachbarschaftsstress mit Nicht-Sinti ausbleibt, und dass die Kinder eigener Tradition gemäß von Sintinachbarn und -freunden mitbetreut werden können, wenn beide Eltern erwerbstätig sind. Das bietet den Rahmen, außerhalb dessen sich die Bewohner in der Kultur der Mehrheitsgesellschaft zurechtfinden können. ***