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Dr. Ralf Stegner zu TOP 11: Eigenständige Existenzsicherung ist der Schlüssel zur Gleichstellung
Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Kiel, 28.02.2008 Landtag Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist: Redebeginn aktuellTOP 11, Große Anfrage „Frauenpolitik in Schleswig-Holstein“ (Drucksache 16/1829neu)Dr. Ralf Stegner:Eigenständige Existenzsicherung ist der Schlüssel zur GleichstellungWer Gleichstellungspolitik ernst meint, muss auch daran mitwirken, dass Frauen höchste Positionen erreichen können, führt der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion, Dr. Ralf Stegner, in seiner Rede aus. Denn wir brauchen die Kompetenzen von Frauen auf allen Entscheidungsebenen. Frauen und Männer bringen unterschiedliche Kompe- tenzen ein; diese Vielfalt ist ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Erfolgsfaktor. Gleichstellung ist ein langfristiger Prozess, der umso besser funktioniert, je breitet die gesellschaftliche Basis dafür ist, so Stegner. Er skizziert wichtige Entscheidungen in Sachen Gleichstellung seit 1988 und Projekte zur Förderung der Integration von Frau- en und Mädchen in die Arbeitswelt. Die Berufswahl und gleichberechtigte Aufstiegs- möglichkeiten sind wichtige Gründe für die wirtschaftlich schlechtere Situation von Frauen. Die eigenständige Existenzsicherung ist und bleibt ein zentraler Schlüssel zur Gleichstellung, denn nur sie ermöglicht Frauen und Männern, tatsächlich freie Ent- scheidungen über ihr Leben zu treffen. Der Weg, von den alten Rollenmodellen weg- kommen, führt über die Ökonomie.Die Rede im Wortlaut:Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-Vor knapp 20 Jahren, am 31. Mai 1988, wurde Gisela Böhrk Frauenministerin im Kabi- nett der Regierung Engholm – und trat damit an die Spitze des ersten richtigen Frau- enministeriums. Die neu gewählte SPD-Regierung startete mit vier Ministerinnen – ein guter Start, nach über 20 Jahren vollkommen frauenfreier Regierungen in Schles- wig-Holstein. Übrigens war in den SPD-geführten Regierungen immer mindestens ein Drittel Ministerinnen vertreten, mit einem Höhepunkt in der letzten Legislaturperi- ode, als wir mit 5 zu 5 paritätisch besetzt waren. Die Union hat dagegen, wie man auf der Regierungsbank sehen kann, 2005 nahtlos an ihr Geschlechtermodell von vor 1988 angeknüpft.Die große Anfrage der SPD-Fraktion zur Frauenpolitik in Schleswig-Holstein war also mehr als sachgerecht und nötig und ich bedanke mich bei all jenen, die an der Beant- wortung mitgewirkt haben. Die heutige Debatte ist meiner Fraktion wichtig, wie Sie meinen folgenden Ausführungen hoffentlich auch entnehmen werden.Wer zeigen will, dass Gleichstellungspolitik ernst gemeint ist, muss auch daran mitwir- ken, dass Frauen höchste Positionen erreichen können. Die Repräsentanz von Frauen in politischen Führungsämtern, also beispielsweise als Ministerinnen und Staatssekre- tärinnen, sagt viel über den Willen aus, Frauen auf jeder Ebene gleichberechtigt an der Macht zu beteiligen. Wer jungen Frauen vermitteln will, dass sie die gleichen Chancen haben wie Männer, muss auch zeigen, was sie erreichen können. Wir brauchen diese erfolgreichen Rollenmodelle – und wir brauchen die Kompetenzen von Frauen auf allen Entscheidungsebenen.Wir nutzen sie allerdings bisher leider nur sehr begrenzt. Es gilt immer noch: Frauen sind eine Mehrheit, die wie eine Minderheit behandelt wird. Diesmal meine ich das nicht in der progressiven Weise, in der seit 20 Jahren Minderheitenpolitik in Schleswig- Holstein gemacht wird. -3-Immerhin: Seit 1990 hat die Förderung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstel- lung Verfassungsrang in Schleswig-Holstein. Schleswig-holsteinische Sozialdemo- kratinnen und Sozialdemokraten waren – wieder einmal – Vorreiter. Zugleich wurde in Artikel 6 die Zielsetzung einer geschlechterparitätischen Besetzung von öffentlich- rechtlichen Beschlussorganen verfassungsrechtlich verankert.2007 hat der Anteil der Frauen, die in Gremien entsandt werden, 20% erreicht. Das reicht nicht aus. Es reicht nicht nur deshalb nicht aus, weil es ungerecht ist. Es reicht vor allem nicht aus, weil Männer und Frauen verschieden sind in ihren Vorerfahrun- gen, in ihren Sichtweisen, in ihren Prioritäten und weil sie durch ihre Verschiedenheit unterschiedliche Kompetenzen einbringen. Vielfalt ist ein wirtschaftlicher und ein gesellschaftlicher Erfolgsfaktor. Das gilt übrigens auf vielen Feldern der Politik, deshalb glaube ich, dass Vielfalt der Gegensatz zu Einfalt ist.Umso erstaunlicher, dass das bei der Wirtschaft erst sehr langsam ankommt. Als ich letzte Woche gemeinsam mit weiteren Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an einem im Übrigen sehr konstruktiven Gespräch mit der Vereinigung der Unterneh- mensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein teilnahm, saßen wir einer vollstän- digen Männerriege gegenüber. Wer Frauen so deutlich zeigt, dass sie nicht aufsteigen können, muss sich nicht lange fragen, wo der oft beklagte Fachkräftemangel herrührt. Mit den Gewerkschaften stehen wir auch in dieser Frage Seite an Seite.Unsere Themen von 1988 / 1989 sind bis heute im Wesentlichen die gleichen geblie- ben, ihre inhaltliche Ausgestaltung hat sich allerdings weiterentwickelt – was zwei Din- ge deutlich macht: 1. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben schon damals genau die richtigen Arbeitsschwerpunkte gesetzt und 2. Gleichstellung ist ein langfristiger Prozess, der umso besser funktioniert, je brei- tet die gesellschaftliche Basis dafür ist. -4-Wir haben nach der Regierungsübernahme 1988 zügig die gesetzlichen Vorausset- zungen geschaffen, die in den darauffolgenden Jahren mit Leben gefüllt wurden – teils gegen erbitterten Widerstand der anderen großen Volkspartei. Innerhalb weniger Jah- re haben wir das Gleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst verabschiedet, die Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen gesichert, die kommunalen Gleich- stellungsbeauftragten in der Kommunalverfassung verankert und zuletzt das Gender Mainstreaming-Prinzip in der Landesverwaltung etabliert.Schon 1989 haben wir die Beratungsstellen Frau und Beruf ins Leben gerufen, die sich zu einem unverzichtbareren Bestandteil der Integration von Frauen in den Ar- beitsmarkt entwickelt haben. Das Projekt „Mädchen und Frauen in der Arbeits- welt“, ebenfalls 1989 initiiert, war der erste Einstieg in die Öffnung von bisherigen rei- nen Männerberufen. Die Berufswahl ist – das zeigt die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage mehr als deutlich – neben gleichberechtigten Aufstiegsmöglich- keiten immer noch einer der Gründe für die wirtschaftlich schlechtere Situation von Frauen. Veränderungen beginnen oft in den Köpfen, sie können aber erst wirken, wenn sie in den Herzen und damit in der täglichen Entscheidungspraxis ankommen.Zu den bekümmernden Fakten gehört auch, dass Gewalt besonders häufig in Familien vorkommt, die ein traditionelles Rollenmodell leben. Das ist durchaus ein Grund zum Nachdenken, wie ich finde. Ein Drittel der Frauen, die sich dafür entscheiden, in einer gewalttätigen Beziehung zu bleiben, geben dafür wirtschaftliche Gründe an: Sie sind überzeugt, ihren Lebensunterhalt nicht eigenständig sichern zu können. Das ist eine deprimierende Statistik.Dabei ist eine solche Einschätzung nicht unrealistisch: Wenn, wie die Landesregierung belegt, die monatlichen Nettoeinkommen von Frauen nach wie vor weit unter denen von Männern liegen – mit allen Konsequenzen für ihre Unabhängigkeit, für ihre Partizi- -5-pation am wirtschaftlichen Aufschwung und für ihre spätere Absicherung im Alter - und wenn Rentnerinnen in Schleswig-Holstein durchschnittlich 672 Euro Rente beziehen, ist dies weit von dem Ideal einer eigenständigen Existenzsicherung entfernt.Die eigenständige Existenzsicherung aber ist und bleibt für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein zentraler Schlüssel zur Gleichstellung. Es beginnt mit der Berufswahl von Mädchen, es setzt sich beim Angebot an qualifizierter Kinder- betreuung und bei der Schaffung familiengerechter Arbeitszeiten ebenso fort wie bei der gleichberechtigten Berücksichtigung der Kompetenzen von Frauen bei Beförde- rungen in Leitungspositionen, auch in der Landesverwaltung.Und wir müssen das Steuerrecht so umgestalten, dass es für Frauen keine Hürde darstellt, erwerbstätig zu werden, und ihrer beruflichen Emanzipation nicht im Wege steht, wie das beim Ehegattensplitting in seiner jetzigen Ausgestaltung der Fall ist. Ak- zeptanz von jedweder freiwillig gewählten Lebensform ja, aber staatliche Privilegierung tradierter Zusammenlebensformen zu Lasten der Chancen von Frauen – dazu sagen wir Sozialdemokraten nein.Nur eine eigenständige Existenzsicherung ermöglicht Frauen – ebenso wie Männern – , tatsächlich freie Entscheidungen über ihr Leben zu treffen. Die vermeintlich „freie Entscheidung“, die Konservative proklamieren, beispielsweise darüber, ob Frauen kleine Kinder zu Hause betreuen oder berufstätig sind, ist nicht wirklich eine. So lange qualifizierte Kinderbetreuung nicht flächendeckend sichergestellt ist, so lange Frauen in Berufen arbeiten, in denen der Verdienst nicht ausreicht, so lange Frauen davon ausgehen müssen, bei Beförderungen weniger berücksichtigt zu werden als ihre Kol- legen, so lange die finanziellen Weichenstellungen eine Berufstätigkeit von verheirate- ten Frauen unattraktiv machen – so lange kann von wirklicher Wahlfreiheit nicht ge- sprochen werden und so lange bleibt die politische Auseinandersetzung darüber not- wendig. -6-Dabei wissen wir, dass die Armut von Kindern – ein Skandal in unserem reichen Land – oft von der Armut ihrer Mütter abhängt.Immerhin auch die Union bewegt sich – aber sie bewegt sich manchmal noch in die falsche Richtung. Wer Betreuungsgeld für Kindererziehung zu Hause fordert – nein, ich verzichte hier auf den polemischen Begriff, den Sie alle kennen, geht es mir doch um die Sache –, wer die Förderung der Ehe mehr als vom Grundgesetz gefordert über die Maßen an erste Stelle setzt, wer sich gegen einen Mindestlohn ausspricht, der ris- kiert, oder der will, dass besonders die Frauen weiterhin ökonomisch benachteiligt sind. Das Familienbild der Konservativen ist ihnen selbst im Weg.Wenn jede fünfte Frau mit Kindern in Schleswig-Holstein allein erziehend ist, ist die Ein-Eltern-Familie eine von mehreren Normalfällen. Und, liebe Kolleginnen und Kolle- gen von der konservativen Seite, Sie tun sich keinen Gefallen, wenn Ihre Sprecherin für frühkindliche Bildung eine Werbung für Toleranz für lesbische Familien so behan- delt, als gehe es um Werbung für Autos oder Alkopops, wie im Dezember geschehen oder wenn Bürgermeister Dornquast ebendiese Werbung für Toleranz in den Kinder- tagesstätten der Gemeinde Henstedt-Ulzburg nicht zulässt. Das ist nicht tolerant, das ist nicht zeitgemäß, das ist unter Ihrem Niveau.Wir müssen von den alten Rollenmodellen wegkommen und der Weg führt über die Ökonomie, über die eigenständige Existenzsicherung von Frauen. Die SPD steht auch für die Vielfalt der Lebensmodelle. Sie steht für faktische Gleichstellung von Män- nern und Frauen, damit Rollen – wenn wir sie noch brauchen – tatsächlich selbst be- stimmt sind.Frauen können Arbeiterinnen, Angestellte, Beamtinnen, Mütter, ehrenamtliche Helfe- rinnen, Abgeordnete, Managerinnen sein. Frauen können in Beziehung mit einem -7-Mann, in einer lesbischen Beziehung, mit Kindern oder allein leben. Frauen sollen al- les sein können, was sie wollen. „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden“, heißt es im neuen Hamburger Grundsatzprogramm der SPD. Ich will nicht verhehlen, dass ein solches Zitat für einen männlichen Redner Haken und Ösen hat, aber Sie kennen meine ausgesprochen diplomatische Begabung und an- geblich sind ja Männer in fremder und Frauen in eigener Sache die besseren Diploma- ten.Wie dem auch sei: Die Sozialdemokratie hat vor 90 Jahren das Frauenwahlrecht er- kämpft. Wir bleiben am Ball. Verlassen Sie sich darauf!