Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

24.04.08 , 09:16 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 20 Hochbegabtenförderung

Presseinformation
Kiel, den 24.4.2008 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 20 Hochbegabtenförderung Drs. 16/1942

In der Schulpolitik gibt es ausgesprochene Dauerbrenner: Themen, denen sich der Landtag in fast
ausrechenbarer Regelmäßigkeit widmet. Die Hochbegabtenförderung gehört unbestritten dazu.
Darum ist es gut, einmal genau nachzufragen, wie weit der Stand der Hochbegabtenförderung in
Schleswig-Holstein gediehen ist. Die Antworten zur Großen Anfrage zeigen dabei einen bunten
Angebotskatalog mit vielen Projekten und Initiativen.


Hochbegabung ist zweifelsohne ein ideologisch besetztes Thema. Doch bei allem Engagement
sollten wir nicht vergessen, dass es letztlich um Kinder geht, die sich in einer normalen Schule
oftmals nicht zu Recht finden. Internationale Untersuchungen gehen davon aus, dass ungefähr
40% der hochbegabten Kinder, die über einen Intelligenzquotienten von 130 und mehr verfügen,
sozial auffällig werden. Ihre Begabungen verkümmern und sie fühlen sich abgelehnt.


In der Diskussion um Hochbegabung sollte man also alle Aspekte der Hochbegabung
berücksichtigen. Die Antworten zur großen Anfrage deuten das bereits an. Ich erinnere mich noch
gut an viele, auch ungeeignete Versuche, hochbegabte Kinder zu unterstützen. So hatten wir
Mitte der 90er Jahre in Schleswig-Holstein eine zentrale Anlaufstelle für Eltern hochbegabter 2
Kinder, die allerdings nach kurzer Zeit mangels Nachfrage eingestellt wurde. Danach hat die CDU
das Überspringen von Klassen für Hochbegabte gefordert, was auch im Schulgesetz umgesetzt
wurde. Seit zehn Jahren besteht für hochbegabte Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit,
Klassen zu überspringen. 10Jährigen, die mehrere Klassen überspringen und sich dann mit
pubertierenden Mitschülern herumschlagen müssen, tut man allerdings keinen Gefallen: sie
finden keine Freunde und bleiben ausgegrenzt. Das kann Minderwertigkeitsgefühle eher
verstärken als sie auszugleichen. Das ist also nicht die Lösung.


Die Schule sollte Hochbegabten Arbeits- und Projektgruppen anbieten, wo sie sich individuell
entwickeln können. So bleibt dann auch noch Zeit für altersgemäße Hobbies und Leidenschaften.
Und die sehen bei 10Jährigen nun einmal anders aus als bei Jugendlichen.
Inzwischen wissen wir, dass Hochbegabte sich in sich selbst zurückziehen und Desinteresse
zeigen, wenn sie unterfordert werden. Das ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass besonders
begabte Schülerinnen und Schüler ein erhöhtes Bedürfnis nach individueller Zuwendung haben.
Eine solche Zuwendung erhalten sie aber weder durch frühere Einschulung noch durch das
Überspringen von Klassen.


Individuelle Zuwendung ist das A und O einer erfolgreichen Pädagogik. Die Schülerinnen und
Schüler in ihrer Verschiedenheit zu akzeptieren ist ein zentraler Grundsatz der
Gemeinschaftsschule. Davon profitieren alle. Kinder mit einer musikalischen Hochbegabung tun
sich vielleicht schwer im Erlernen von Sprachen und umgekehrt. Darum ist die individuelle
Unterstützung der Kinder so wichtig; der SSW hat das fast gebetsmühlenartig gefordert und die
guten Leistungen skandinavischer Schulen angeführt. Dort hat man allerdings auch Defizite in der
Unterstützung von hochbegabten Kindern ausgemacht.


Man hat Konsequenzen gezogen. So werden hochbegabte Kinder beispielsweise im dänischen
Rungsted seit diesem Schuljahr in besonderen Projektklassen mit Projekten konfrontiert, die
ihrem Wissensdrang entsprechen. Die Lehrer verstehen sich dabei nicht als Wissensvermittler, 3
sondern Organisatoren des Wissenserwerbs. Die Schüler besuchen Museen und erarbeiten sich
dort je nach Interessenlage neue Sachgebiete. Das geschieht eingebettet in den Schulalltag.
In Schleswig-Holstein geht man einen anderen Weg: Ich kann nur vermuten, was sich hinter den
außerunterrichtlichen Zusatzkursen verbirgt, die die Landesregierung in ihrer Antwort anspricht.
Immerhin nehmen 1.500 Schüler daran teil. Ich möchte die Landesregierung fragen, inwieweit
dieses Programm in den Gemeinschaftsschulen in den Unterricht zu integrieren ist und inwieweit
ein Austausch der Schulen untereinander organisiert ist. Die Vernetzung ist nämlich ein Garant
dafür, dass Projekte weiter entwickelt werden können und von den Erfahrungen möglichst viele
profitieren.


Der Besuch des Bildungssauschusses in Meißen, als wir an der Schule St. Afra über die
Begabtenförderung in Sachsen informiert wurden, hat gezeigt, dass hochbegabte Kinder eben
auch und gerade Kinder sind. Sie wollen intellektuellen Zuspruch und suchen geradezu nach
neuen Herausforderungen, wollen aber keineswegs so behandelt werden, als ob sie Computer auf
zwei Beinen wären. Ich warne davor, bei festgestellter Hochbegabung nur den Intellekt der
Schülerinnen und Schüler anzusprechen. Gerade in der Entwicklung der sozialen Kompetenz
hapert es bei den Hochbegabten, weil sie mit ihrer eigenen Altersgruppe nicht viel anfangen
können.


Viele Kinder hatten einen richtigen Leidensweg hinter sich, bis ihre besondere Begabung entdeckt
wird und nun in diesem Internat entsprochen wird. Uns als Bildungspolitikern muss es aus Sicht
des SSW aber zu allererst darum gehen, eine gemeinsame Beschulung so zu gestalten, dass alle
Kinder optimal und individuell angesprochen werden, dass sie gar nicht erst unterfordert und zu
Klassenclowns werden. In der Gemeinschaftsschule gehen wir diesen Weg: besondere
Begabungen werden gefördert, besondere Schwächen ausgeglichen.


Der individuelle Unterricht für alle ist eine anspruchsvolle Aufgabe und eine pädagogische
Herausforderung. Sie dient letztlich aber allen Kindern. Je besser Lehrer auf den einzelnen Schüler 4
eingehen können, desto mehr profitieren alle Schüler davon. Das ist die Pointe der
Gemeinschaftsschule: der Nutzen für alle. Die Ressourcen müssen allerdings stimmen. Ich kann
nicht einfach auf eine Schule das Schild Gemeinschaftsschule anschrauben, sondern muss auch
für eine vernünftige Personal- und Sachausstattung sorgen.


Dazu gehört auch die Qualifikation der Lehrkräfte. Sie darf sich keineswegs bezüglich der
Hochbegabung auf Module während des Studiums beschränken. Um den unterschiedlichen
Neigungen und Voraussetzungen der Kinder gerecht zu werden, ist eine didaktische
Weiterbildung berufsbegleitend unabdingbar.


Auch die besten Wettbewerbe können kein Ausgleich für einen langweiligen, gleichmachenden
Schulalltag sein. So lobenswert Initiativen wie “Jugend forscht“, naturwissenschaftliche
Olympiaden oder Ferienkurse sind, sie können niemals ein Ausgleich sein für täglich sechs
Stunden Langeweile. Die Ministerin darf sich hier nicht nur auf private Initiative oder
außerschulische Organisation verlassen.


Hochbegabung wird erst zu einer massiven Beeinträchtigung, wenn es keine Möglichkeit gibt, sie
auszuleben. Ich möchte hier noch einmal unterstreichen: Hochbegabung ist keine Behinderung
wie Legasthenie. Hochbegabung wird erst zu einem Handicap, wenn sie unerkannt bleibt und die
Betroffenen sozial isoliert. Darum sollte bereits die Pädagogik im Kindergarten auf Hochbegabung
ausgerichtet sein. Die Landesregierung gesteht in ihrer Antwort ein, dass sie keine Kenntnisse zu
Begabtenprogrammen in der kindlichen Frühförderung hat. Ich hatte gedacht, dass wir an diesem
Punkt schon weiter wären.


Es geht nicht darum, bereits Vierjährige zu kleinen Einsteins zu trimmen, sondern den
überbordenden Wissendrang der Hochbegabten zu stillen, damit diese sich ernst genommen und
angenommen fühlen. Diese soziale Akzeptanz und eine systematische Unterstützung bilden die
Voraussetzungen, dass soziale Auffälligkeiten erst gar nicht entstehen. Die Antwort der 5
Landesregierung zeigt, dass die Kindergarten-Pädagogik in diesem Punkt weiter entwickelt
werden muss.


Kommen diese Kinder dann in die Schule, ist die flexible Eingangsphase ideal. Später in der
Gemeinschaftsschule ist die Unterstützung unterschiedlicher Fertigkeiten vorgesehen. Kinder
werden im Idealfall angenommen, so wie sie sind.
Ich werde nicht müde es zu betonen, aber das Beispiel Hochbegabte zeigt es einmal mehr: Das
Aussortieren und die besondere Beschulung sind der falsche Weg.

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen