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Ulrike Rodust: Die Strukturen müssen sich ändern
Presseinformation der SPD-Landtagsfraktion Kiel, 18.06.2008, Nr.: 173/2008Ulrike Rodust:Die Strukturen müssen sich ändernIn der Aktuellen Stunden Stunde des Landtages zu „Auswirkungen des Milchlieferboykotts auf die Landwirtschaft sowie auf die Milchwirtschaft in Schleswig-Holstein“ sagte die agrar- politische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Ulrike Rodust:Heute Morgen in den Nachrichten auf NDR2 wurde berichtet, dass die Landwirte über weite- re Maßnahmen zum Thema Milch nachdenken, weil ihre Forderungen nicht wie erhofft um- gesetzt werden. Weiter wurde berichtet, dass das Bundeskartellamt den Milchmarkt über- prüfen will. Sie sehen, wie aktuell das Thema ist und dass wir auch noch eine Weile damit beschäftigt sein werden. In der Öffentlichkeit wird dem Thema so viel Aufmerksamkeit ge- schenkt, dass die Aktuelle Stunde in den heutigen Zeitungen sogar angekündigt wurde.Die Demonstrationen und der Milchboykott haben die Aufmerksamkeit vieler Bürger und der Politik erlangt. Wie es dazu kommen konnte, erfahren wir, wenn wir einen Blick in den Ag- rarbericht 2007 werfen: Milchviehbetriebe erwirtschaften im Durchschnitt 35.752 Euro mit 3,1 Arbeitskräften. Im Vergleich liegt der gewerbliche Vergleichslohn bei 26.700 Euro. Ein ausreichender Gewinn für die Milchbauern ist somit nicht erzielbar. Deshalb schließen 5 % aller Betriebe jährlich in Deutschland.Die herkömmlichen Marktinstrumente wie Angebot und Nachfrage funktionieren in der Landwirtschaft noch nicht, Milchquoten werden an der Börse gehandelt und immer wieder überschritten.Herausgeber: Landeshaus SPD-Landtagsfraktion Postfach 7121, 24171 Kiel Verantwortlich: Tel: 0431/ 988-1305/1307 E-Mail: pressestelle@spd.ltsh.de Petra Bräutigam Fax: 0431/ 988-1308 Internet: www.spd.ltsh.de -2-Erzeuger, die ihre Mengen überziehen, müssen zwar für jedes Kilogramm Über-Lieferung die sogenannte „Superabgabe“ abführen, aber nur, falls die Gesamtmenge in ganz Deutsch- land überschritten ist.Viele Molkereien fordern ohne Rücksicht auf die Marktsituation in einigen Regionen auf, kräftig zu produzieren. Nordmilch hat sogar 5 Cent je Liter Zusatzprämie gezahlt. Die Molke- reien, so der BDM, seien auf der Beschaffungsseite Genossenschaften und somit von den Bauern beeinflussbar, im Verkauf der Produkte jedoch Aktiengesellschaften, auf die die Bauern nicht einwirken können.Weitere Probleme, die auf die Milchbauern einwirkten, sind die Energiepreise und Futtermit- telpreise, sie sind in den letzten Monaten ständig gestiegen: Zu den Energiepreisen muss ich nichts sagen, Sie erleben die Steigerung, meine Damen und Herren, bei jedem Tanken.Bei den Futtermitteln sieht es folgendermaßen aus: 1 Tonne Futtermittel kostet inzwischen ca. 350 Euro, vor einem Jahr waren es 190 Euro. Wie überall in der Wirtschaft, gibt es auch in diesem Sektor Spekulanten, die investieren. Der Markt gehorcht ihren Gesetzen, was zu Folge hat, dass die Preise viel schneller steigen und sinken. Diesem Verhalten sind die Be- triebe hilflos ausgesetzt.Der Erzeugerpreis ist kontinuierlich gesunken. 2006 lag er bei 28 Cent. Die Produktionskos- ten lagen jedoch bei ca. 43 Cent je Liter. Die erzielbaren Preise waren so niedrig, dass viele Betriebe aus der Produktion ausgestiegen sind, nicht nur in Deutschland, sondern internati- onal.Damit veränderte sich die Situation. Das Angebot war nun geringer. Außerdem gab es Dür- ren und Überschwemmungen in Australien und Neuseeland. Der Preis stieg wieder in die Höhe. Und sofort wurde wieder auf Teufel komm raus produziert. Kühe wurden nicht mehr -3-verkauft, die reif für den Schlachthof waren, sondern mussten weiter an die Melkmaschine. Das Futter wurde umgestellt, damit die Kühe mehr Milch gaben und die Milchbauern über- zogen die Milchquote um ca. 300.000 Tonnen Milch.Logischerweise dauerte es nicht lange und es gab wieder ein Überangebot an Milch. Inzwi- schen hat sich auf dem Exportsektor einiges verändert. Indien und China produzieren inzwi- schen selbst. Frankreich, Italien und die USA ziehen nach. Der Weltmarkt nimmt lediglich 7 % der Milch ab.Da ist es nicht verwunderlich, dass der Einzelhandel seine Chance sieht, er schlägt gnaden- los zu und senkt die Preise bis zu 15 Cent. Müller Milch an der Spitze, gefolgt von Aldi, Lidl etc. Auch die Nahrungsmittelindustrie reagiert: Vor allem Eiscreme- und Backwarenherstel- ler sind auf andere Rohstoffe umgestiegen. Sie benutzen inzwischen Pflanzenöl statt Butter- fett und ersetzen Milcheiweiß durch pflanzliches Eiweiß. Da der Dollarpreis niedrig ist, wird Milchpulver auf Lager gelegt.Durch dieses produzierte Überangebot fielen die Preise dramatisch und die Einnahmen auf den Höfen sanken wieder bis an die Existenzgrenzen. Es folgte der Boykott.Auch wenn ich großes Verständnis für die Sorgen der Milchbauern habe und auch verstehe, dass Verzweiflung zu Maßnahmen, wie Boykott und Demonstrationen führen kann, sind bei der Anwendung solcher Mittel die Folgen zu bedenken.Respekt habe ich vor den Bauern, die die Milch Tafeln, Kindergärten und Schulen zur Ver- fügung gestellt haben. Allerdings hat es für meinen Geschmack auch Auswüchse gegeben. In vielen Teilen in der Welt hungern Millionen Menschen und da ist es nicht vertretbar, Milch in die Gülle zu schütten. -4-Heute sind wir gefordert, Lösungen gemeinsam zu erarbeiten. Es ist höchste Zeit, die be- troffenen Bauern offen und umfänglich über ihre, die europäische und die internationale Si- tuation aufzuklären. Dauerhafte Subventionen werden die Situation weiter zuspitzen und nicht entschärfen.Wir müssen die Notwendigkeit höherer Preise für gute Nahrungsmittel akzeptieren. Der ge- samte Handel muss ein dem Wert der Milchprodukte angemessenes Preisgefüge am Markt erarbeiten. Die Bauern müssen lernen, dass sie bei einer ständigen Überproduktion ihre ei- genen Betriebe in den Ruin führen.Ein ständiger Informationsaustausch zwischen den Milchbauern und den Molkereinen muss dringend erfolgen. Nicht Quantität ist gefragt, sondern Qualität. Auch die Direktvermarktung und die Herstellung von ökologischer Milch sollte weiter ausgeweitet werden.Ich glaube nicht, wie der Bauernverband, dass die Preisschwäche der Milch eine vorüber- gehende Angelegenheit ist, sondern es müssen die Strukturen verändert werden. Auch die erneute Drohung eines weiteren Boykotts ist nicht zielführend. Die Lager sind voll, ob mit Milchpulver oder Käse. Auf die Solidarität der europäischen Kollegen sollte nicht gesetzt werden. Sie verfolgen eigene Interessen.Somit ist damit zu rechnen, dass bei einem erneuten Boykott Frischmilch schnell aus Polen, Dänemark oder Holland geliefert werden könnte. Und was mich besonders beunruhigt, sind die wettbewerbsstarken Betriebe z.B. aus Holland. Sie warten nur darauf, dass die deut- schen Kleinbauern das Feld räumen.Wir müssen jetzt handeln. Die Regierung könnte als Moderator zwischen den Akteuren fun- gieren. Auch zwischen Milchbauern und Molkereien muss vermittelt werden. Noch weiß kei- ner, ob und wie hoch Regressansprüche gestellt werden. -5-Doch auch in den Dörfern bzw. zwischen den Milchbauern sind Gräben entstanden, zwi- schen denen, die gestreikt haben, und denen, die liefern wollten. Hier könnte der Bauern- verband helfen und zu Aussöhnung beitragen.Ich habe vor zwei Wochen eine Kleine Anfrage zum Thema Milch erarbeitet, deren Antwort ich heute erwarte. Die Beantwortung wird uns wichtige Hinweise geben, die wir für parla- mentarisches Handeln nutzen werden. Die SPD wird auf jeden Fall an diesem Thema dran- bleiben.Es gibt viel zu tun, helfen wir alle mit, dass es zu langfristigen Lösungen kommt.