Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

16.07.08 , 11:49 Uhr
SSW

Lars Harms zu TOP 35 - Auswirkung der Flächenkonkurrenz bei der Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen

Presseinformation
Kiel, den 16.07.2008 Es gilt das gesprochene Wort



Lars Harms



TOP 35 Auswirkungen der Flächenkonkurrenz bei der Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen Drs. 16/2068

Der SSW hat bereits in früheren Debatten immer darauf hingewiesen, dass sich die Landwirt-
schaft in einem Strukturwandel befindet und das es notwendig ist, neben der Nahrungsmittel-
produktion künftig auch weitere Standbeine zu entwickeln. Hierbei haben wir schon frühzeitig
darauf hingewiesen, dass insbesondere der Bereich der Energiegewinnung aus Biomasse eine
größere Rolle spielen wird als bisher. Und wir hatten Recht.


Das Potential an Biomasse ist gewaltig. Theoretisch könnte Biomasse - laut einer WWF-Studie –
den Weltenergiebedarf je nach Effizienz der Nutzung 10 bis 20-mal decken und bis 2020 könnten
in den Industrieländern etwa 100 Millionen Haushalte mit Biomassestrom versorgt werden und
400 Kohle-Kraftwerke ersetzt werden. Wohlgemerkt ist dies so in der Theorie machbar, aber die
Zahlen machen deutlich, was für ein schlummernder Riese in der Biomasse steckt. 2
Dieser Riese wird jetzt langsam geweckt. Die Begrenztheit fossiler Energieträger, steigende
Energiepreise und Förderkulissen, die den Anbau und die Nutzung von Biomasse schmackhaft
machen, sind hierfür die Hauptursachen. Neben den genannten Marktmechanismen sind es
insbesondere die rechtlichen Voraussetzungen, die diesen Wandel in Gang gesetzt haben. Die
Biomasseverordnung, das EEG und nicht zuletzt die Änderung der landwirtschaftlichen
Förderkulisse machen es den Landwirten künftig möglich, sich weitere wirtschaftliche
Standbeine zu erschließen. Diese Entwicklung unterstützt auch der SSW, denn wir sind der
Auffassung, dass die bisherige Landwirtschaft – mit einer produktionsgebundenen Förderkulisse
– am Markt vorbei produziert.


Nun könnte man natürlich sagen, dass Steuerungselemente wie EEG und Biomasseverordnung
auch nur eine Förderkulisse wie jede andere darstellen und dass die Gefahr besteht, am Markt
vorbei zu produzieren. Hierbei ist aber ausschlaggebend, dass der politische Wille vorsieht, die
Biomasse bei der Produktion von Strom, Wärme und Biokraftstoffen mehr in den Vordergrund zu
rücken, um die deutschen und europäischen Klimaschutzziele zu erreichen. Es geht aber auch
darum, die Voraussetzungen für Bioenergie so zu gestalten, dass neben den Bestehenden auch
andere Energieträger überhaupt eine Chance haben. Daher unterstützen wird wir diese Art der
Förderung.


Biomasse bietet insbesondere für ein landwirtschaftlich geprägtes Land wie Schleswig-Holstein
eine große Chance, weil wir hier das notwendige Potential haben. Wenn wir dieses Potential
ausschöpfen, kann Schleswig-Holstein einen enormen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Denn
mehr Strom aus Biomasse senkt den CO2-Ausstoß und verringert die globale Erwärmung.


Wenn wir diese Potentiale ausschöpfen wollen, dann muss dies aber entsprechend gesteuert
werden. Momentan herrscht auf dem Biomassesektor geradezu eine Goldgräberstimmung, die
den Anschein erweckt, dass nahezu überall im Land auf die Produktion von nachwachsenden
Rohstoffen gesetzt wird. Vergleichbar mit der Anfangszeit der Windenergie, wo es zu Beginn 3
einen unkontrollierten Bau von Windkraftanlagen gegeben hat, bis man von Seiten der
Regionalplanung entsprechende Eignungsflächen ausgewiesen hat, um eine „Verspargelung“
der Landschaft zu vermeiden. Wenn wir im Zusammenhang mit der Biomasse keine
entsprechenden rechtlichen und steuernden Grundlagen schaffen, dann droht uns die Bioenergie
aus den Fugen zu geraten - mit entsprechenden negativen Konsequenzen für Natur und
Landschaft. Daher brauchen wir dringend Steuerungselemente. Die Landesregierung sieht dies
leider anders. So geht aus der Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage von mir vom
Oktober letzten Jahres hervor, dass die Landesregierung keinen Ansatz zu steuernden Eingriffen
beim Bau von Biogasanlagen durch landesplanerische Vorgaben oder das Baurecht sieht. Ich
denke, was bei den Windkraftanlagen möglich ist, muss doch auch für Biogasanlagen machbar
sein. Denn ansonsten sehe ich die Gefahr, dass die Wertschöpfung durch die Biogasnutzung für
die Bevölkerung verloren geht. Es ist allerdings auch niemanden mehr klar zu machen, warum
derartige Anlagen vorteilhaft für das Klima und die Umwelt sein sollen, wenn der Energiemais
LKW-weise durchs Land gefahren wird, nur um eine Anlage zu füttern. Hier stecken wir in einem
Dilemma.


Die derzeitige Förderkulisse für Biomasseanlagen setzt auf so genannte NaWaRo-Anlagen. Soll
heißen; die Produktion von Bioenergie aus nachwachsenden Rohstoffen. Nun ist der Begriff,
nachwachsende Rohstoffe sehr umfangreich und eine Vielzahl von Pflanzen kommt hierfür in
Frage. Aber wir müssen erkennen, dass insbesondere die Produktion von Energiemais bei uns
eine dominierende Rolle eingenommen hat und diese Entwicklung birgt Gefahren in sich. Sie hat
erhebliche Auswirkungen auf die Artenvielfalt und birgt ökologische Risiken.
Der Naturschutzbund Deutschland weißt darauf hin, dass festzustellen ist, dass im Einzugsgebiet
von Biogasanlagen vermehrt Grünland- und Stilllegungsflächen zu Maisäckern umgewandelt
werden. Der Trend zur Monokultur führt zu einer erhöhten Bodenerosion und
Grundwasserbelastung sowie zu einem Verlust von wertvollen Lebensräumen. Damit würden
wir dem Klimaschutz Vorrang vor Umwelt- und Artenschutz einräumen. Eine solche Entwicklung
kann nicht gewollt sein und ist auch nicht tragbar. 4



In der Debatte um nachwachsende Rohstoffe kommen wir aber auch schnell auf die Nutzung
gentechnisch veränderter Pflanzen. Über diese Schiene versucht die Industrie den Landwirten
und Verbrauchern, die Gentechnik schmackhaft zu machen. Egal ob Pflanzen zur Lebens- oder
Futtermittelproduktion oder als nachwachsende Rohstoffe genutzt werden, die strengen
Auflagen in Bezug auf gentechnisch veränderte Pflanzen dürfen auf keinen Fall durch die kalte
Küche aufgeweicht werden.


Ein wesentlicher Faktor im Zusammenhang mit nachwachsenden Rohstoffen ist aber auch die
Diskussion um die Preisentwicklung von Nahrungsmitteln. In den vergangenen Jahrzehnten sind
die Preise stabil oder auch rückläufig gewesen. Die wachsende Nachfrage nach Lebensmitteln,
Tierfutter und Kraftstoffen hat dem aber ein Ende gesetzt. Insbesondere die Menschen in den
ärmeren Ländern werden diese Preise irgendwann nicht mehr bezahlen können. Das
Internationale Institut für Ernährungspolitik geht davon aus, dass Grundnahrungsmittel wie
Mais und Ölsaaten bis zum Jahr 2020 um bis zu 72 % teurer werden. Die Ursachen für den
erwarteten Anstieg liegt in der Klimaveränderung, steigende Energiepreise, das geänderte
Konsumverhalten in den Entwicklungs- und Schwellenländern und die steigende Nachfrage nach
Biokraftstoffen. Gerade letzteres ist zurückzuführen auf die Entwicklung auf dem ehrgeizigen
Bioenergiesektor in Europa und den USA. Angesichts dieser Problematik können diese Probleme
nur global gelöst werden. Wir wissen, dass die Nahrungsmittelkrise auch auf dem G8-Gipfel
thematisiert wurde und dass man sich dort einig wurde, ein „globales Netzwerk“ zu schaffen, wo
Wissenschaftler Erkenntnisse für die weltweite Agrarwirtschaft und den künftigen Bedarf an
Lebensmitteln zusammentragen. Mit anderen Worten, nichts Konkretes. Das ethisch-moralische
Problem, wie wir bei uns mit Lebens-, Futtermitteln und nachwachsenden Rohstoffen umgehen,
nimmt uns niemand ab. Hier sind wir in Schleswig-Holstein selbst gefragt, wie wir diese
Entwicklung weiter steuern wollen. 5
Für uns als SSW steht fest, dass wir keine Maismonokulturen haben wollen, damit diese in
großen Behältern vergoren werden, um Wärme und Strom zu produzieren. Der weitere Ausbau
der Bioenergie darf nur unter bestimmten Voraussetzungen vorangebracht werden:
Bei der Produktion von nachwachsenden Rohstoffen muss mehr auf die Gesamtbilanz geachtet
werden. Soll heißen; Lebens- und Futtermittelproduktion, Umweltschutz, Biodiversität, Erholung
sowie jegliche weitere Nutzung muss stärker in die Gesamtbetrachtung einfließen.
Weiter muss dafür gesorgt werden, dass die Nutzung von Abfallbiomasse stärker ausgebaut
wird, der Anteil an Mais in den NaWaRo-Anlagen stärker begrenzt wird und Alternativen zum
Mais genutzt werden.


Die Nutzungseffizienz von Biogasanlagen muss verbessert werden - damit unterm Strich auch
wirklich eine positive Klimabilanz zu verzeichnen ist - und Steuerungselemente in der
Raumplanung müssen den Wildwuchs von Biogasanlagen verhindern. Nur wenn wir solche
Punkte stärker berücksichtigen, erreichen wir die Wertschöpfung und Umweltvorteile durch die
Energieproduktion aus Biomasse, die wir uns wünschen. Und nur dann können wir das enorme
Potential für den ländlichen Raum nachhaltig und sinnvoll nutzen.

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen