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Anke Spoorendonk zu TOP 11 - Bewertung des aktuellen Ratifizierungsprozesses des Grundlagenvertrages der EU
Presseinformation Kiel, den 17.7.2008 Es gilt das gesprochene WortAnke SpoorendonkTOP 11 Bewertung des aktuellen Ratifizierungsprozesses des Grundlagenvertrages der Europäischen Union Drs. 16/2138„Diese verrückten und undankbaren Iren“ war ein großer Teil der deutschen Öffentlichkeit geneigtzu sagen, nach dem die Volksabstimmung in Irland den Grundlagenvertrag der EU vorerst zu Fallgebracht hatte. Da erdreisten sich doch tatsächlich fünf Millionen Menschen auf einer kleinenInsel, die sogar in den letzten Jahrzehnten Milliardenzuschüsse aus den Kassen der EuropäischenUnion bekommen haben, über das Schicksal von 27 europäischen Staaten zu entscheiden. So warin vielen deutschen Medien, die aus meiner Sicht sehr bedenkliche, Kommentarlage nach derVolksabstimmung in Irland.Denn aus Sicht des SSW zeigt allein diese etwas elitäre Haltung zum Nein der Mehrheit der Iren,die Probleme die viele Entscheidungsträger bei der Vermittlung der Segnungen der EU haben.Man kann es also drehen und wenden wie man will, spätestens seit dem scheitern des EU-Verfassungsvertrages nach dem Volksabstimmungen in Holland und Frankreich befindet sich dieEuropäische Union in einer großen Sinnkrise. 2Obwohl es nicht ganz von der Hand zu weisen ist, dass der Grundlagenvertrag, der ja unterschweren Geburtswehen im letzten Sommer zur Welt kam, einige Verbesserungen zum Beispielbei den Rechten der Regionen und dem EU-Parlament aufzuweisen hat, müssen wir ganznüchtern konstatieren, dass es trotzdem nicht gelungen ist, die Inhalte und Ziele dieses Vertragesden Bürgerinnen und Bürger zu vermitteln.Wenn man bedenkt, dass gerade Irland neben Dänemark dafür gelobt worden ist, die damaligeDenkpause zu einem Dialog über die Zukunft der EU zu nutzen, ist das Ergebnis derVolksabstimmung besonders fatal. Denn wenn nicht mal diese Bevölkerungen die EU-Verträgeverstehen und unterstützen, dann sieht es in den anderen Ländern noch viel düsterer aus. Sokönnen wir uns sicherlich alle lebhaft vorstellen wie eine entsprechende Volksabstimmung überden neuen EU-Vertrag in Deutschland ausgehen würde.Was ist also zu tun? Wie kommen wir weiter? Es gibt ja diejenigen die sagen, dass derRatifizierungsprozess - den ja schon 19 von 27 Staaten abgeschlossen haben – einfach fortgesetztwerden sollte und dann muss man Irland am Ende unter Druck setzen, wenn sie ganz alleinestehen. Womöglich könnten die Iren einfach noch mal über den Vertrag abstimmen, wie sie es jabereits beim Nizza-Vertrag vor einigen Jahren getan haben.Andere Stimmen sagen dagegen, dass man eben ein Europa mit verschiedenenGeschwindigkeiten etablieren sollte, wo Deutschland und Frankreich als Kerneuropavoranmarschieren und die sogenannten Fußkranken – wie Irland, Großbritannien und Polen –eben ins Abseits gedrängt werden. Auch gibt es verstärkt die Forderung, dass alle EU-Länder inZukunft keine Volksabstimmungen mehr zu EU-Fragen zulassen sollen, da die Bürgerinnen undBürger den Inhalt der Brüsseler Verträge sowieso nicht verstehen.Viele dieser Vorschläge haben aus Sicht des SSW das gemeinsam, dass sie viele Bürgerinnen undBürger, die sich eben nicht von den Wohltaten der Brüsseler Bürokratie überzeugen lassen, nicht 3ernst nehmen. Der SSW tritt jedenfalls weiter dafür ein, dass alle Länder zu wichtigen Änderungender EU-Verträge unbedingt ihre Bürgerinnen und Bürger befragen sollten – auch wenn diedänische Regierung dies leider im konkreten Fall abgelehnt hat. Es geht ja bei diesenVolksabstimmungen um wichtige Zukunftsfragen, die jedes einzelne EU-Land betreffen und da istes nur Recht und Billig, wenn die Menschen darüber entscheiden könnenNatürlich hat man dann das Risiko diese Volksabstimmungen zu verlieren, aber noch schlimmerist es aus unserer Sicht, wenn man solche wichtigen Entscheidungen einfach über die Köpfe derBürgerinnen und Bürger beschließt. Das höhlt die Akzeptanz der EU vor Ort noch viel mehr aus,was man eigentlich auch schon in der Bundesrepublik beobachten kann.Wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, dass es ein Naturgesetz ist, das die EU für immerbesteht und gedeiht. Auch der eiserne Vorhang viel nach über 40 Jahren. Damit ist nicht gesagt,dass die EU vor dem Ende steht, aber die Entscheidungsträger in Brüssel und in den europäischenHauptstädten müssen endlich versuchen den Dialog mit ihren Bürgerinnen und Bürger ernst zunehmen, wenn die europäische Zusammenarbeit aus der Krise herauskommen soll.Vor dem Hintergrund der Entwicklung der letzten Jahre müssen wir meiner Meinung nach endlicheinsehen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen zwar für die europäischeZusammenarbeit auch innerhalb der EU ist, aber das man nicht gewillt ist die nationaleEigenständigkeit und die Entscheidungshoheit über wesentliche Kernbereiche an Brüsselabzugeben.Wie sollen wir zum Beispiel einem Bauarbeiter in Niedersachsen erklären, dass es in seinemBundesland zwar ein Tariftreuegesetz gibt, aber dass der Europäische Gerichtshof in Namen desfreien Wettbewerbs Dumpinglöhne in seiner Branchen zulassen will. Wir haben also in der EUeine sehr liberale Wirtschaftsausrichtung, aber wir haben immer noch nicht ein soziales Europa 4von dem seit vielen Jahren soviel geredet wird. Diese Entwicklung stärkt auch nicht gerade dasVertrauen in die EU.Dazu haben wir es mit einer anderen Entwicklung zu tun, die auch die jetzigen Grundlagen dereuropäischen Zusammenarbeit verändert. Denn die regionalen Zusammenarbeitsformen vor Ortwerden in der EU immer wichtiger. Wir haben ja schon gestern über die Perspektiven dernördlichen Dimension der EU und die neue EU-Strategie zur Ostseezusammenarbeit diskutiert.Vor einigen Tagen wurde gerade unter dem Vorsitz von Frankreich die Mittelmeerunion mitgroßen Pomp und Pracht von Präsident Sarkusy in Paris ins Leben gerufen. Auch mit dieserInitiative will man also die regionale Zusammenarbeit an einem der Ränder der EU stärken. ImEuropa der 27 Länder gibt es viele weiterer solcher regionalen Initiativen, die oft auch Nicht-EU-Länder in die Zusammenarbeit mit einbeziehen.Ich glaube wir sind uns alle einig darüber, dass diese Zusammenarbeit der verschiedenenRegionen richtig ist und auch weiter vorangebracht werden soll. Wenn dies richtig ist, müssen wiruns aber gleichzeitig darüber unterhalten, ob wir eine weitere Vertiefung der EU-Kooperationinsgesamt wollen oder ob wir nicht lieber auf der jetzigen Vertragsgrundlage dieZusammenarbeit so voranbringen, dass sie von den Menschen vor Ort positiv wahrgenommenwird und akzeptiert wird.Wir brauchen also aus Sicht des SSW in den nächsten Jahren keine weiteren komplizierten EU-Verträge, die keiner versteht, sondern wir vermissen immer noch, dass man in Brüssel bürgernaheEntscheidungen trifft, die transparent und nachvollziehbar sind. Erst wenn wir in diesem Prozessweiter endlich wirklich vorangekommen sind, dann können wir wieder darüber diskutieren, ob wirdie Bürgerinnen und Bürger mit neuen EU-Vertragsveränderungen behelligen wollen.