Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

12.12.08 , 13:54 Uhr
B 90/Grüne

Angelika Birk zum Kindergeldzuschlag und Wohngeld

Presseinformation

Es gilt das gesprochene Wort Landtagsfraktion Schleswig-Holstein TOP 29 - Kindergeldzuschlag und Wohngeld Pressesprecherin Claudia Jacob Dazu sagt die sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Bündnis 90/Die Grünen, 24105 Kiel Angelika Birk: Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de
Nr. 443.08 / 12.12.2008 Statt Hilfen aus einer Hand, mehr Bürokratie und weniger Geld für Arme
Die steigende Armut in Deutschland ist nicht hinnehmbar. Politik und Gesellschaft sind dazu aufgefordert, Armut zu bekämpfen – auch durch Gesetze.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sinkt, anfangs etwas zögerlich, jetzt schon spürbar und kontinuierlich. Aber die Zahl der working poor, in Deutschland schöngefärbt „Auf- stocker“ genannt, nimmt stetig zu. Wie wird dies erst, wenn die Finanzkrise durch- schlägt?
Die neuesten Änderungen des Bundeskindergeldgesetzes und des Wohngeldgeset- zes, sollen – so die Lesart der Bundesregierung – Armut bekämpfen. Der Kindergeld- zuschlag und das erhöhte Wohngeld sollen dazu führen, dass mehr Kinder und ihre Familien aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II heraus fallen. Sie sollen dazu führen, dass der Lebensunterhalt durch eigenes Einkommen – und dazu zählen eben auch Kindergeld, Kindergeldzuschlag und Wohngeld – bestritten werden kann.
Diese Regelung ist weniger den Interessen der Betroffenen geschuldet, als dem Kom- promiss zwischen Bund und Kommunen zur Senkung der kommunalen Unterkunfts- kosten.
Deshalb schlagen sich zurzeit eine Reihe von sozialen Beratungseinrichtungen freier Träger wie Familienzentren, Frauenhäuser und andere mit neuem Beratungsbedarf herum.
Nehmen wir als Beispiel eine klassische Alleinerziehendenfamilie, um zu zeigen, was diese neu in Kraft getretene Regelung bewirkt:
Für eine allein erziehende Mutter, die trotz ganztägiger Berufstätigkeit aufgrund des Seite 1 von 3 niedrigen Lohns auf die Aufstockung durch Arbeitslosengeld II angewiesen ist, bedeu- tet die neue Regelung eine erhebliche Zusatzbelastung. Statt Sozialgeld zu erhalten, muss sie jetzt gesondert einen Antrag auf Kindergeldzuschlag und Wohngeld stellen. Es sind drei Antragsverfahren bei drei unterschiedlichen Ämtern nötig.
Die ARGE ist nur noch für das ergänzende Arbeitslosengeld der Mutter zuständig, die Kindergeldkasse prüft die Berechtigung für den Kindergeldzuschlag und das Wohn- geldamt entscheidet über das Wohngeld für die Kinder. Kein Wunder, dass die Familie Hilfe bei einer Sozialberatung der Wohlfahrtspflege sucht.
Die Wohnungsämter der Kommunen haben aufgrund des ALG II ihren Personalbedarf abgebaut, denn seit die ARGE die Unterkunftskosten zahlt, hatten sie weniger zu tun. Nun werden sie wieder mit Fluten neuer Anträge für die Kinder von ALG II Empfänger- Innen konfrontiert. Die Kindergeldkassen – drei haben wir nur für das ganze Land – sind durch ihre unrühmlich langen Bearbeitungszeiten in der Vergangenheit schon ein Grund dafür gewesen, dass der Ministerpräsident Carstensen die Kanzlerin um Hilfe gebeten hat. Hier ist auch Geduld angesagt.
Die Krönung aber ist, dass die ARGE aus der Leistungsgewährung aussteigt, bevor die anderen beiden Institutionen entschieden haben. Argument: Wenn Sozialgeld flie- ßen würde, müssten Familienkasse und Wohngeldamt die Anträge ablehnen. Ja, und wovon soll die Familien zwischenzeitlich leben? Und was geschieht, wenn sich diese drei Ämter, die alle drei unabhängig voneinander die Bedürftigkeit prüfen, nicht einig sind?
Eins ist schon mal sicher: Die Aktenberge in den Gerichten werden noch höher. Schon jetzt gibt es dort Bearbeitungszeiten von über einem Jahr. Es sei denn, die Justizmi- nister verstopfen den Klagenden, die kein Geld haben, den Klageweg. Gemeinsam mit Bayern betreibt dies seit zwei Jahren auch unser Justizminister Döring.
Eines ist überdeutlich: Mit dieser Bürokratie hat sich die Bundesregierung, haben sich die Länder und Kommunen von dem Prinzip „Hilfen aus einer Hand“ endgültig verab- schiedet und wahrscheinlich auch von ehrlicher Statistik. Die armen Kinder tauchen wohl zukünftig unter der ALG-Statistik nicht mehr auf. Erste Hinweise deuten darauf hin.
Und wie sieht es aus, wenn für unsere Beispielfamilie der Papierkrieg bewältigt ist und die Gelder aus den drei verschiedenen Quellen fließen? Hat die Familie mit Kindergeld plus Kindergeldzuschlag, plus anteiligen Wohngeldes für die Kinder jetzt mehr im Por- temonnaie? Nicht unbedingt.
Wie kann das sein? Die Antwort ist logisch: Eine ganze Reihe von sozialen Ermäßi- gungen und Gebührenbefreiungen sind an den Bezug von ALG II gekoppelt. Das fängt bei der GEZ an, setzt sich fort über den regionalen ÖPNV, die Nutzungsgebühren für Schwimmbäder und Bibliotheken und hört bei den Kindertagesstätten nicht auf.
Denn bei all diesen Vergünstigungen wird nicht im Einzelfall das Haushaltseinkommen in der Höhe geprüft, sondern schlicht wie folgt verfahren: Arbeitslosengeld II- Bescheid vorgelegt, Ermäßigung gewährt – sonst nicht.
Dies führt dazu, dass unserer Familie am Ende nicht mehr, sondern weniger Geld zur Verfügung hat. Und es kann dazu führen, dass die Kinder nicht mehr ins Schwimmbad gehen, keine Bücher mehr lesen und die Familie quasi dazu gezwungen wird, schwarz 2 fernzusehen.
Auch die von der Bundesregierung beschlossenen einmal jährlich zusätzlich zu ge- währenden 100 Euro für arme Schulkinder sind bisher an den ALG II Bezug gekoppelt. Fließen sie zukünftig auch an solche, die von Kindergeld und Wohngeld leben?
Selbst Fragen zur Krankenversicherung der Kinder, die auf diese Weise aus dem ALG II Bezug herausgerechnet werden, können die ARGEn nicht durchgängig zufrieden- stellend beantworten. Armutsbekämpfung sieht anders aus!
Wir wollen an der grundsätzlichen Nachrangigkeit von ALG II Bezug derzeit nicht rüt- teln. Wir wollen aber, dass in der Praxis Familien und AntragsstellerInnen nicht allein gelassen werden, sondern konkrete Hilfe bekommen. Wir wollen, dass die ARGEn umfassend aufklären, beim Antragsverfahren helfen oder dies am besten stellvertre- tend durchführen, um die Ämterlauferei zu ersparen: Wir wollen am Prinzip „Hilfen aus einer Hand“ festhalten!
Wir wollen, dass die ARGEn so lange weiter bisher bestehende Leistungen gewähren, bis das Geld von anderer Seite fließt, damit keine Einkommenslücke entsteht. Dazu brauchen die ARGEn einen eigenen Handlungsspielraum. Wir fordern, dass sich des- halb das Land, an die Kommunen, an die Arbeitsagentur und an die Gremien im Bund wendet, um diese Ziele zu erreichen.
Was wir nicht wollen ist, dass es Arme erster und zweiter Klasse gibt. Arm ist, wer zu wenig Geld hat – egal woher das wenige Geld kommt. Und wer keinen Bescheid vor- legen kann, der muss im Zweifelsfall trotzdem einen Anspruch darauf haben, dass seine Situation individuell geprüft wird und ihm kurzfristig erst einmal Geld gegeben wird.
Armut allein durch den Bezug von Arbeitslosengeld II zu definieren, ist falsch. Schlim- mer noch, Armut nimmt zu, wenn das Einkommen aufgrund staatlicher Gesetzgebung trotz Arbeitseineinkommen weiter sinkt. Und darum ist unser Landtagsantrag notwen- dig. Wir bitten um Zustimmung.



***



3

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen