Diese Webseite verwendet ausschließlich für die Funktionen der Website zwingend erforderliche Cookies.

Datenschutzerklärung

25.02.09 , 10:45 Uhr
B 90/Grüne

Karl-Martin Hentschel zur Entschuldung

Presseinformation
Es gilt das gesprochene Wort!
TOP 24 – Keine Schuldenbremse ohne Landtagsfraktion Entschuldungskonzept Schleswig-Holstein Pressesprecherin Dazu sagt der Vorsitzende der Fraktion Claudia Jacob Bündnis 90/Die Grünen, Landeshaus Düsternbrooker Weg 70 Karl-Martin Hentschel: 24105 Kiel
Telefon: 0431 / 988 - 1503 Fax: 0431 / 988 - 1501 Mobil: 0172 / 541 83 53
presse@gruene.ltsh.de www.sh.gruene-fraktion.de

Mit Vollgas gegen die Wand Nr. 070.09 / 25.02.2009

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,
wenn ich das – was hier in den letzten Wochen stattfindet – vor zwei Jahren in einem Alptraum geträumt hätte, dann hätte ich das für völlig irreal gehalten.
Haben wir früher um die Einsparung einzelner Stellen und von Tausend-Mark-Beträgen verhandelt, dann geht es jetzt um Milliarden für die Bank, hunderte von Millionen für ein Konjunkturpaket und gleichzeitig erklärt die Landesregierung, dass sie die Schulden mit einer Vollbremsung auf Null bringen will.
Kurt Tucholsky sagte einmal in einem schlauen Aufsatz: „Eine Pleite erkennt man dar- an, dass die Bevölkerung aufgefordert wird, Vertrauen zu haben. Weiter hat sie dann ja auch meist nichts mehr.“
Aber wir sind schon einen Schritt weiter: Der Ministerpräsident Carstensen hat sich am Montag persönlich an die Spitze der Opposition gestellt und fordert personelle Konse- quenzen für die Verantwortlichen. Fragt sich nur: Wen meinen Sie?
Wenn Sie sich so weitersteigern, dann fordern Sie morgen Ihren eigenen Rücktritt. Nur Mut!
Kommen wir zur Schuldenbremse: Herr Carstensen hat mir am Sonnabend im Interview mit der KN vorgeworfen, ich würde „Schreckensszenarien von Massenentlassungen“ zeichnen, „die wir angeblich vornehmen müssten, wenn wir uns an die Schuldengrenze halten.“ Und wörtlich spricht er dann weiter: „Das ist Tüdelkram und Angstmache.“
Herr Ministerpräsident, erstens – ich bin für die Schuldenbremse. Schuldenabbau ist meiner Fraktion ein Herzensanliegen. Und das war es immer – auch in rot-Grünen Zei- ten. Sonst hätten wir uns nicht den permanenten Ärger eingehandelt, überall Stellen abzubauen – sogar bei der Polizei und beim Naturschutz.
Seite 1 von 4 Aber – wenn man eine Schuldenbremse einführen will, dann braucht man auch ein rea- listisches Konzept, wie die Verschuldung auf Null gebracht werden soll. Und wenn das, was ich vorgerechnet habe, „Tüdelkram“ ist, dann erklären Sie doch bitte mal, wie Ihr Konzept aussieht?
Wo wollen Sie 500 Mio. Euro und mehr einsparen? Bei der Polizei, bei den Schulen, im Straßenbau, bei den Hochschulen, bei der Justiz oder gar in der Staatskanzlei? Wann gedenken Sie, dieses Konzept dem Landtag bekannt zu geben?
Solange Sie das nicht geliefert haben, halte ich mich an die Zahlen, die Ihr Finanzminis- ter uns in der mittelfristigen Finanzplanung vorgelegt hat. Rechne ich die globale Min- derausgabe und die Nettokreditaufnahme zusammen, dann liegt das geplante Defizit für das Jahr 2010 bei 557 Mio. Euro, für das Jahr 2012 liegt es bereits bei 832 Mio. Euro. Das ist Ihre Finanzplanung – nicht meine.
Fazit – Herr Carstensen: Ich gehe bei meiner Angstmache von einem strukturellen Defi- zit von 500 Mio. Euro aus. Ihr Finanzminister Wiegard – von dem sie am Freitag noch gesagt haben, er mache einen tollen Job – geht für 2012 sogar von einem Defizit von 800 Mio. Euro aus. Sie sehen, ich bin also viel optimistischer als Ihr Finanzminister.
Aber leider sind das alles Zahlen von gestern. Erstens müssen wir angesichts der Krise mit Steuerausfällen rechnen – der LRH rechnet mit einer Belastung des Haushalts von zusätzlich 1 Milliarde Euro. Zweitens dürfte die HSH-Nordbank mittelfristig auch nicht umsonst sein.
Und was passiert, wenn – wie vom Finanzminister prognostiziert – mittelfristig die Zin- sen steigen? Ein Anstieg der Zinsen um 1 Prozent bedeutet – Herr Carstensen – bei heutigem Schuldenstand immerhin 250 Mio. Euro pro Jahr zusätzliche Belastung. Rechne ich das zusammen – und runde ich ganz doll nach unten ab – dann kann das strukturelle Defizit des Landes nach der Krise sehr schnell weit über 1 Mrd. Euro liegen.
Wenn Sie das „Tüdelkram“ nennen, Herr Carstensen, dann haben Sie jeden Bezug zur Realität verloren. Mich erinnert das daran, wie der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, bei der Pleite des Familienunternehmens Schneider von „Peanuts“ sprach. Damals ging es nur um 50 Mio. Euro. Das zeigt, wie die Zeit und der Zynismus vorangeschritten sind.
Nun hat Ihr Fraktionsvorsitzender Wadephul neulich eine aufschlussreiche Bemerkung gemacht. Er sagte, wir müssten ja gar nicht jetzt schon auf Null bei der Neuverschul- dung kommen, wir hätten ja noch zehn Jahre Zeit. Das stimmt.
Das hat aber auch einen Haken. Denn wenn Sie jetzt nicht auf Null kommen, dann ma- chen Sie in den kommenden Jahren weitere neue Schulden. Und für diese Schulden müssen Sie dann 2020 auch noch Zinsen bezahlen.
Bei einer Neuverschuldung von nur 500 Mio. Euro jährlich bedeutet das bis 2019 im- merhin noch mal 5 Mrd. Euro neue Schulden. Und das kostet bei heutigem Zinssatz noch mal 200 Mio. Euro jährlich.
Um das alles einzusparen, Herr Carstensen, reicht es nicht mal, die komplette Justiz und Polizei einzusparen – da können Sie gleich auch noch alle Hochschulen schließen.
Meine Damen und Herren, nun hat ja der Ältestenrat einmütig in seiner Verzweiflung
2 über die Regierung mit einer Klage gegen die Schuldenbremse gedroht. Offensichtlich bin ich nicht der einzige, der nicht so recht glauben kann, dass das Ganze gut gehen kann.
Aber leider muss ich feststellen: Das löst nicht unser Problem. Denn unser Problem ist nicht die Schuldenbremse. unser Problem ist der hohe Schuldenberg, an dem wir alle mitgeschaufelt haben.
Unser Problem ist, dass die Landesregierung schlecht verhandelt hat und der Minister- präsident bis heute nicht weiß, worüber er redet. In den Kieler Nachrichten vom Sonn- abend sagte er doch tatsächlich, seine Ausgangsposition bei den Verhandlungen sei 1 Mrd. Euro Schuldenhilfe bis 2020 gewesen. Das entspräche 100 Mio. Euro jährlich.
Tatsächlich hat der Finanzminister uns allen aber sein Konzept des Altschuldenfonds vorgestellt, das Finanzhilfen von 300 Mill. Euro jährlich für Schleswig-Holstein umfasste – und das nicht nur bis 2020, sondern bis zur Tilgung der Altschulden.
Herr Carstensen, entweder wissen Sie nicht, was die Position Schleswig-Holsteins bei den Verhandlungen gewesen ist. Dann kann ich mir gut denken, wie energisch Sie die Interessen von Schleswig-Holstein vertreten haben. Oder sie passen im nach hinein die Ausgangsposition ihrem katastrophalen Verhandlungsergebnis an. Es fällt mir schwer, zu entscheiden, was mich mehr erschreckt.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung ist dabei, den schleswig-holsteinischen Karren mit Vollgas gegen die Wand zu fahren. In dieser Lage beobachte ich verschie- dene Formen der mentalen Krisenbewältigung: 1. Der Verzweifelte – alias Rainer Wiegard: Er ist sich über den Ernst der Lage klar, a- ber er weiß keinen Ausweg. 2. Der Traumtänzer – alias Wolfgang Kubicki: Er hat aus dem Desaster der CDU mit ih- ren gebrochenen Wahlversprechen nichts gelernt: Er fährt im Lande rum und verspricht den Leuten das Blaue vom Himmel: Höhere Gehälter, bessere Stellenpegel, mehr Stel- len usw. Man kann ihm nur wünschen, dass diese Wahnträume nie mit der Wirklichkeit konfrontiert werden. 3. Variante: Die „Gesundbeter“ – alias Peter Harry Carstensen und Johann Wadephul. Tatsächlich sind die beiden sich dieses eine mal einig. Für sie wird alles gut, man muss nur ordentlich dran glauben.
Meine Damen und Herren, die Regierungsfraktionen haben gestern einen Änderungs- antrag vorgelegt, der in allen vier Punkten mit dem Antrag übereinstimmt, den der SSW und wir hier eingebracht haben.
Deutlicher kann man nicht ausdrücken, dass beide Regierungsfraktionen der Landesre- gierung nicht mehr trauen und das Verhandlungsergebnis der Landesregierung ableh- nen. Anke Spoorendonk und ich begrüßen diese klare Positionierung und wollten den Änderungsantrag übernehmen. Aber nun haben sie den Absatz 4 gestrichen. Sie wollen kein Konzept vorlegen.
Herr Carstensen, im nächsten Jahr sind Landtagswahlen. Vor der letzten Wahl lief die CDU im Wahlkampf herum und phantasierte vom Stellenabbau von 5000 Stellen. Hät- ten Sie eine große Verwaltungsreform gemacht und hätten Sie die Kommunalreform gemacht, dann wäre das eine Größenordnung gewesen, die im Verlauf von zehn Jah- ren realistisch gewesen wäre. Leider ist nichts davon passiert. Wenn jetzt die Vorgaben der Föderalismuskommission erfüllt werden sollen, dann geht es um Einsparungen, die
3 doppelt bis dreifach so hoch sein müssen.
Sie lehnen es ab, ein Konzept auf den Tisch zu legen, durch welche Maßnahmen Sie das strukturelle Defizit ausgleichen wollen! Ich frage Sie: Wollen Sie die Menschen im Lande bei der nächsten Wahl wieder verschaukeln?
Wir erwarten, und wir bieten Ihnen das auch an, dass Sie bereit sind, mit der Opposition gemeinsam über eine Lösung der Krise zu beraten. Die Resolution macht deutlich, dass auch die Regierungsfraktionen nicht mehr bereit sind, Ihre Vogel Strauß Politik weiter mitzumachen.
Mit der Androhung von Rücktritten und von Neuwahlen lösen Sie keine Probleme mehr.
***



4

Download PDF

Pressefilter

Zurücksetzen