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26.03.09 , 10:06 Uhr
SSW

Anke Spoorendonk zu TOP 14 und 33 - Gesetz zur Förderung der inklusiven Bildung

Presseinformation
Kiel, den 26.03.2009 Es gilt das gesprochene Wort



Anke Spoorendonk
TOP 14 und 33 Gesetz zur Förderung der inklusiven Bildung und die Verwirklichung eines inklusiven Bildungssystems Drs. 16/2559 und 16/2560

Mit der UN-Konvention „Anerkennung des Rechts behinderter Menschen auf Bildung“ wurde
gefordert, dass 80% der Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen integrativ an
Regelschulen unterrichtet werden sollen. Deutschlandweit werden derzeit gerade mal 16%
dieser Kinder an Regelschulen unterrichtet, so dass der Aufholbedarf zur Umsetzung der UN-
Konvention nach der Unterzeichnung entsprechend hoch ist.


Schleswig-Holstein fällt aus der Reihe der Bundesländer allerdings ausnahmsweise mal mit
einer Spitzenposition heraus. Hier werden bereits über 45% der Kinder mit dem Förderbedarf
Lernen, Sprache sowie emotionale und soziale Entwicklung an Regelschulen unterrichtet. Für
diese große Gruppe der Kinder muss die bisherige Reformstrategie aus Sicht des SSW
unbedingt fortgesetzt werden. Mit anderen Worten: Langfristig müssen so viele dieser
Schülerinnen und Schüler wie möglich integrativ an Regelschulen unterrichtet werden. 2
Ziel muss dabei die Weiterentwicklung der Förderzentren dem ausgezeichneten Prototypen
entsprechend sein - nämlich der Schule für Sehbehinderte in Schleswig. Kennzeichnend für
diese Schule ist, dass sie eine Schule ohne Schülerinnen und Schüler ist. Was sich erst einmal
komisch anhört, ist die konsequente Verwirklichung der ursprünglichen Bestimmung von
Förderzentren.
Förderzentren dürfen in unserer Gesellschaft nicht zur Abschiebung von problematischen
Schülerinnen und Schülern missbraucht werden. Stattdessen müssen die Sonderpädagogen
und Fachkräfte der Förderzentren an Regelschulen eingesetzt werden, um so die Integration im
gemeinsamen Unterricht und Schulleben zu realisieren.


Heute werden aber aus unserer Sicht noch viel zu oft problematische Kinder in Förderzentren
abgeschoben, obwohl sie mit der richtigen Betreuung weiter an Regelschulen unterrichtet
werden könnten. Diese Kinder sind überdurchschnittlich häufig männlichen Geschlechts und
haben einen Migrationshintergrund. Durch PISA wissen wir von der Selektivität des deutschen
Bildungssystems, so dass bei dieser erneuten Ausgrenzung von Kindern aus zum Beispiel sozial
randständigen Milieus bei mir sämtliche Alarmglocken schrillen.


Ein Großteil dieser an Förderzentren abgeschobenen Kinder ist nicht behindert, sondern hat
schlichtweg eine Lernbehinderung. Lernbehinderung wird definiert als - ich zitiere hier das
Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin - negative Abweichung von den
Durchschnittsleistungen der Gleichaltrigen, womit insbesondere Kinder aus
bildungsbenachteiligten Familien und Kinder mit kulturellen Unterschieden klassifiziert und
aus Regelklassen ausgesondert werden können.


Nur 1% der Kinder, die mit dieser Diagnose an Förderzentren landen, schafft den Sprung zurück
an die Regelschule. Förderzentren haben häufig den Ruf eines überhöhten „Kümmerfaktors“ -
sprich die Schülerinnen und Schüler haben hier teilweise keine geeigneten Vorbilder mehr,
werden nicht mehr angespornt, agieren nicht mehr selbständig und entwickeln keinen Ehrgeiz 3
im schulischen Vorwärtskommen. Außerdem haben Untersuchungen des
Integrationsspezialisten Professor Doktor Hans Wocken von der Universität Hamburg ergeben,
dass die Abschiebung an Förderzentren für diese Schülerinnen und Schüler sehr negative
Konsequenzen hat. Nicht nur, dass sie äußerst selten den Sprung zurück an die Regelschule
schaffen, zudem empfinden sie die Abschiebung als beschämend, als Bloßstellung und als
Missachtung ihrer Würde. Förderzentren sind also nicht nur ein Schonraum vor Konkurrenz-
und Leistungsdruck, vor Versagensangst und Misserfolgen, sondern vor allem auch eine
Sackgasse für die Schülerinnen und Schüler.


Zielsetzung der Zentren muss aber sein, die Kinder schnellst möglicht wieder an die
Regelschule zu bringen. Wenn dies nicht gelingt, tritt auch der SSW dafür ein, dass das System
geändert wird. Der Gesetzentwurf und der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen gehen hier
bereits in die richtige Richtung.


Es kann aber nicht darum gehen, alle Schülerinnen und Schüler an Regelschulen zu
unterrichten. Es wird immer Kinder geben, für die es eine nicht-integrative
sonderpädagogische Förderung geben muss. Damit einher geht wohl oder übel auch, dass bei
Kindern mit Behinderung zwischen integrierbaren und nicht-integrierbaren Kindern
unterschieden werden muss, so dass einige die angemessene Unterstützungsleistung an
Förderzentren in Anspruch nehmen können und andere mit Hilfe sonderpädagogischer
Betreuung in Regelklassen unterrichtet werden. Für diese Diagnose braucht es sehr viel
Expertenwissen und vor allem auch eine Durchlässigkeit des Schulsystems.


Der SSW setzt sich dafür ein, dass an den Regelschulen ausreichend schulbegleitende
Maßnahmen für Kinder mit Lern- oder Sprachbehinderung sowie emotionaler und sozialer
Entwicklungsstörung vorhanden sind. Sonderpädagogische Fachkräfte müssen die Lehrerinnen
und Lehrer in ihrem Unterricht unterstützen, so dass ein integrativer Unterricht realisiert wird
und Kinder nicht mehr an Förderzentren abgeschoben werden. Dies ist eine Herausforderung 4
sowohl für die Bildungspolitik als auch für die Schulen, die aus unserer Sicht nicht an fehlenden
personellen, organisatorischen oder sächlichen Mängeln scheitern darf.


Mit der Unterzeichnung der UN-Konvention hat Deutschland sich auch dazu verpflichtet,
genügend gut qualifizierte Lehrkräfte bereitzustellen, damit Kinder mit Behinderung
angemessen gefördert werden. Und nur mal als Erinnerung: Die UN-Konvention sieht ein
individuelles Klagerecht vor, so dass wir die Zielsetzung, dass 80% der Schülerinnen und
Schüler mit Förderbedarf an Regelschulen zu unterrichten sind, nicht auf die leichte Schulter
nehmen sollten.


Aus unserer Sicht sind Förderzentren nach wie vor der richtige Weg zur Integration - aber nur,
wenn dieses Konzept weiterhin flexibel genutzt wird. Es muss also Förderzentren mit
Unterricht und als „Schulen ohne Schülerinnen und Schüler“ geben. Nur so werden wir
erreichen, dass wir in Schleswig-Holstein unsere Spitzenposition – zum Wohle der betroffenen
Kinder - weiter ausbauen können.

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