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26.03.09 , 10:21 Uhr
FDP

Ekkehard Klug: Ohne hinreichende Rahmenbedingungen bewirkt "Inklusion" das Gegenteil und macht alle Schüler zu Verlierern

FDP Landtagsfraktion Schleswig-Holstein



Presseinformation Wolfgang Kubicki, MdL Nr. 101/2009 Vorsitzender Dr. Heiner Garg, MdL Stellvertretender Vorsitzender Kiel, Donnerstag, 26. März 2009 Dr. Ekkehard Klug, MdL Parlamentarischer Geschäftsführer Sperrfrist: Redebeginn Günther Hildebrand, MdL
Es gilt das gesprochene Wort!
Bildung/Schulen/„inklusive Bildung“
Ekkehard Klug: Ohne hinreichende Rahmen- bedingungen bewirkt „Inklusion“ das Gegenteil und macht alle Schüler zu Verlierern In der Landtagsdebatte zu TOP 14 und 33 (Gesetzentwurf und Entschließungsantrag der GRÜNEN zur „inklusiven Bildung“) erklärte der bildungspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Dr. Ekkehard Klug:
„In Schleswig-Holstein werden rund 45% der Förderschüler integrativ in Regelschulen unterrichtet; der Anteil liegt damit dreimal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Man kann also feststellen, dass unser Bundesland in Sachen „inklusiver Bildung“ bereits sehr weit vorangeschritten ist und seit den 90er Jahren hierzu auch auf breite Erfahrungen zurückblicken kann. Dies betrifft sowohl die Chancen und Möglichkeiten als auch die Probleme und Grenzen der Integration. Wenn man nicht beide Seiten gleichermaßen betrachtet und sachgerechte Lösungen entwickelt, dann wird man am Ende das Ziel, auch jungen Menschen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen gute Bildung und damit Wege zu gesellschaftlicher Teilhabe zu eröffnen, komplett verfehlen. „Gut gemeint“ ist bekanntlich manchmal das Gegenteil von „gut“ - und das gilt gerade auch bei diesem Thema, über das wir heute sprechen.
Ein zentraler Ausgangspunkt sind dabei die Rahmenbedingungen, unter denen integrative bzw. „inklusive“ Bildung stattfindet. Dazu zählen gesicherte Ansprüche auf eine ausreichende Zahl von Lehrerstunden, die durch Speziallehrkräfte, also Sonderpädagogen, erteilt werden, dazu gehören Lerngruppengrößen, die für alle Schüler eine individuelle Förderung ermöglichen, sowie räumliche Voraussetzungen, die auch schwierige Integrationsprobleme lösbar machen. Ist all dies nicht gewährleistet, wird Integration / „Inklusion“ im schlimmsten Fall zu einer Form „billiger“ Beschulung, die alle beteiligten Schüler zu Verlierern macht.



Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, 1 Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ Die vom Bildungsministerium jährlich vorgelegten Berichte zur Unterrichtsversorgung zeigen mit aller Deutlichkeit, wo die Probleme liegen.
Nehmen wir die letzten verfügbaren Zahlen: Im Schuljahr 2007/08 sind in „integrativen Maßnahmen“ für 6.827 Schüler knapp 11.500 Lehrerwochenstunden eingesetzt worden. Dies entspricht einem durchschnittlichen Umfang von rund 1,7 Extra-Wochenstunden pro Schüler. Zehn Jahre zuvor, im Schuljahr 1997/98, entfielen auf 3.342 Schüler knapp 6.800 Lehrerwochenstunden. Dies entspricht einem Durchschnitt von rund 2,1 Extra-Wochenstunden pro Schüler. Der Umfang sonderpädagogischer Förderung ist also rückläufig. Lehrern, die noch die Anfänge der integrativen Maßnahmen in den frühen 90er Jahren erlebt haben, berichten, dass in den „Gründerjahren“ sogar eher 3 Extra-Wochenstunden üblich gewesen seien. Wenn man dies zur Kenntnis nimmt, dann gewinnen Forderung wie der GRÜNEN binnen vier Jahren für mehrere Gruppen von Schülern mit speziellen Förderbedarfen eine hundertprozentige „Inklusionsquote“ zu erreichen, einen schalen Beigeschmack.
Von dem Ansatz, ein bestimmtes „Plansoll“ zu definieren und dazu auch kurze Umsetzungsfristen festzulegen, halten wir Liberale soundso nichts. Wenn solche Ziele dann auch noch vor dem Hintergrund einer real rückläufigen Zuteilung von Personalressourcen proklamiert werden, ist das grob fahrlässig und schadet den Bildungschancen aller Kinder – also sowohl der Schüler mit besonderem Förderbedarf als auch den übrigen Kindern, die in Integrationsklassen ja auch einen Anspruch auf individuelle Förderung haben.
Die GRÜNEN nennen drei Gruppen, für die sie bis 2012/13 die Möglichkeit zu gesondertem, d.h. stationärem Unterricht in Förderklassen komplett abschaffen wollen: nämlich Schüler mit Lern-, Sprach- und Verhaltensbehinderungen.
Über das Thema „Sprachheilpädagogik“ hat sich der Landtag in dieser Wahlperiode bereits aufgrund von Initiativen der FDP-Fraktion befasst. In diesem Bereich ist in den letzten Jahren deutlich geworden, dass es Fälle von schweren Sprachbehinderungen gibt, bei denen man den Kindern mit wenigen Extra-Stunden faktisch nicht bzw. nicht ausreichend helfen kann. Gerade deshalb wurde ja in Meldorf in einem Förderzentrum für den Kreis Dithmarschen eine Intensiv- Fördermaßnahme neu eingerichtet, die diesen Schülern in einem Jahr, ggf. auch in mehreren Schuljahren eine bessere Förderung ermöglicht, die darauf abzielt, ihre Überleitung in Regelschulen je nach den individuellen Voraussetzungen so früh wie möglich zu erreichen. Dies ist unseres Erachtens ein richtiger, nämlich wirksamer Ansatz zur Integration.
Die Gruppe der Schüler mit Verhaltensproblemen stellt einen anderen Sonderfall dar. Ein Beispiel wurde mir kürzlich wie folgt geschildert: Die Integrationsklasse einer Grundschule hat im ersten Schuljahr einen 8- jährigen Mitschüler, der bereits zwei gescheiterte Einschulungsversuche in anderen Klassen bzw. anderen Schulen hinter sich hat. Nach gut einem halben Schuljahr zeigen sich bei seinen 6-jährigen Mitschülern Entwicklungen, die deren Eltern verständlicherweise in Aufregung versetzen: Mobbing, Gewalt, Diebstahl von Pausengeld machen innerhalb weniger Monate aus fröhlichen ABC-Schützen verängstigte Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, 2 Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ Kinder. Solche Fälle zeigen: Es geht beim Thema Inklusion nicht nur um die Rechte von Kindern mit besonderem Förderbedarf, sondern es geht genauso auch um die Rechte und Bildungschancen aller anderen Kinder. Und es geht auch um das Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Schule, das schlimmstenfalls völlig in die Brüche gehen kann. Und niemand braucht sich zu wundern, wenn Eltern, die es sich leisten können, ihren Kindern lieber eine Privatschule suchen, in der sie von Problemen, mit denen die öffentliche Schule erkennbar nicht fertig wird, unbehelligt bleiben. Wer wollte das den Eltern auch verdenken? Das Ergebnis solcher misslungenen „Inklusion“ ist dann ein sich massiv verstärkender Trend zu wesentlich „exklusiverer“ Bildung - jedenfalls für Kinder von Eltern, die über die nötigen finanziellen Mittel verfügen.
Schließlich räumen die GRÜNEN selbst ein, dass manche Eltern, die Kinder mit besonderem Förderbedarf haben - zum Beispiel Kinder mit geistigen Behinderungen - eher eine gesonderte Unterrichtsform bevorzugen. Solchen Elternwünschen muss die Bildungspolitik Rechnung tragen, statt mit ideologischen Scheuklappen das Ziel der gemeinsamen Beschulung absolut zu setzen.
Vielfach wird beim Thema „Inklusion“ auf internationale Vergleiche Bezug genommen. Ministerin Erdsiek-Rave hat beispielsweise in ihrer Pressemitteilung vom 20. Februar erklärt, im europäischen Ausland würden 85% der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf „inklusiv“ unterrichtet, während es sich im deutschen Bundesdurchschnitt genau umgekehrt verhalte. Bei solchen Zahlen empfiehlt sich freilich ein Blick hinter die Kulissen. Der Ältestenrat des Landtages hat im vorigen Jahr bei seiner Reise nach Finnland in Helsinki eine finnische Gemeinschaftsschule besucht. Dort haben wir von der dortigen Leiterin des sonderpädagogischen Förderbereichs folgendes erfahren: Nur ein Viertel der Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen werden dort integrativ in Regelklassen unterrichtet, drei Viertel hingegen in besonderen Kleingruppen je nach ihrer spezifischen Art der Behinderung – und zwar ausschließlich durch Speziallehrkräfte. Faktisch handelt es sich also um eine Art Sonderschul- oder genauer gesagt: Sonderklassensystem unter dem organisatorischen Dach einer Gemeinschaftsschule. Das ist etwas deutlich anderes als die hierzulande weithin übliche Verteilung von Integrationsschülern auf Regelklassen – unter Beigabe von durchschnittlich immer weniger Extra-Stunden durch sonderpädagogische Fachkräfte.
In Kiel arbeitet die Ellerbeker Schule, eine der beiden Kieler Schulen für geistig behinderte Kinder, eng mit der im gleichen Gebäudekomplex angesiedelten Grundschule zusammen. Die Schulleitungen, die Kollegien und die Elternschaft haben im Laufe der Jahre vielfältige Formen der Begegnung, des Miteinanders von Kindern mit und ohne Behinderungen entwickelt und damit, wie ich finde, sehr viel für den Gedanken der sozialen Integration von Menschen mit geistigen Behinderungen getan. Diese Arbeit vollzieht sich formal zwar in Formen getrennter Beschulung, aber ist ganz sicher nicht weniger als Schulkonzepte, die andernorts unter der Flagge der „Inklusion“ stehen. Beide Beispiele, das aus Kiel-Ellerbek und das aus Helsinki, machen deutlich, dass man hinter die wohlklingenden Formeln blicken muss, statt sich von Begriffen blenden zu lassen.
Letzte Anmerkung: Ohne gut ausgebildete Speziallehrkräfte, also Sonderpädagogen der unterschiedlichen Fachrichten, geht gar nichts. Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, 3 Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/ Für die kommenden 5 Jahre rechnet das Bildungsministerium damit, dass in unserem Land mehr als 350 Sonderschullehrer aus Altersgründen aus dem Schuldienst ausscheiden werden (Drucksache 16/2171, meine Kleine Anfrage zu den Lehrerpensionierungen, Juli 2008). Vor wenigen Tagen erhielten wir einen Umdruck des Wissenschaftsministeriums, der die Belegungszahlen der Flensburger Lehrerbildungsstudiengänge nennt. Im ersten Jahrgang des sonderpädagogischen Masterstudiengangs werden dort 27 Studierende genannt. Wir benötigen jedoch in den kommenden Jahren jährlich etwa eine dreimal so hohe Zahl von Absolventen, um allein den Ersatzbedarf aufgrund der Pensionswelle zu decken. Jedem sollte klar sein, was dies für die Gewährleistung sonderpädagogischer Förderkonzepte bedeutet. Hier gibt es einen enormen Handlungsbedarf; die Nachwuchssituation kann man nur als katastrophal bezeichnen.



Christian Albrecht, Pressesprecher, V.i.S.d.P., FDP Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, 4 Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431/9881488 Telefax: 0431/9881497, E-Mail: presse@fdp-sh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de/

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